Leitsatz (amtlich)
Die durch einen Verkehrsunfall hervorgerufenen Gesundheitsstörungen sind nicht schon deswegen Folgen einer anerkannten Schädigung, weil der Beschädigte sich auf dem Wege zu einer wegen dieser Schädigung angeordneten Heilbehandlung befand.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 4 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; RVO § 555 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1964 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Bei dem Kläger wurden als schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ua Verlust des rechten Beines im mittleren Drittel des Unterschenkels nach Hüftbeinnervenverletzung sowie Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk und Reizerscheinungen nach Schienbeinbruch rechts mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. anerkannt. Im September 1958 beantragte er, auch die Folgen eines am 19. August 1958 erlittenen Verkehrsunfalles anzuerkennen, durch den er einen Schienbeinkopfbruch des linken Beines mit erheblicher Impression der lateralen Tibiagelenkfläche, Radiusbruch links und Schürfungen im Bereich der linken Hohlhand davongetragen habe. Er sei wegen Instandsetzung seiner Prothese mit Genehmigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) an das Versorgungskrankenhaus in B P überwiesen worden. Auf dem Wege dorthin habe er in langsamer Fahrt eine S-Kurve durchfahren und sei anschließend auf große Koksstücke aufgefahren, die ein Lastwagen verloren habe. Hierbei sei ihm der Lenker seines Kraftrollers aus den Händen geschlagen worden und er mit dem Kraftrad gestürzt. Im Februar 1959 beantragte der Kläger außerdem Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach § 62 BVG wegen starker Nervenschmerzen. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte durch Bescheid vom 25. September 1959 beide Anträge ab. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Im Berufungsverfahren bestätigte der behandelnde Arzt Dr. U, daß der Kläger von ihm zur Begutachtung in das Versorgungskrankenhaus Bad P ambulant überwiesen worden sei, weil sich nach der Amputation des rechten Unterschenkels Durchblutungsstörungen und Verwachsungsbeschwerden eingestellt hätten und diese Beschwerden das Tragen der Prothese behinderten. Er habe die Fahrt angetreten, nachdem die AOK die Genehmigung erteilt und das Versorgungskrankenhaus Termin bestimmt habe. Das Landessozialgericht (LSG) änderte durch Urteil vom 13. Februar 1964 das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 20. Juni 1962 und den Bescheid vom 25. September 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1960 und verurteilte den Beklagten, leichte Deformierung des Schienbeinkopfes links mit Impression der Tibiagelenkfläche sowie Arthrosis deformans als Schädigungsfolgen anzuerkennen und dem Kläger vom 1. September 1958 an Rente nach einer MdE von 80 v. H. zu gewähren. Nach § 1 BVG werde versorgungsrechtlich Schutz nicht nur gegen die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Folgen einer Schädigung gewährt. Als solche seien in der Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts (RVG) und des Bundessozialgerichts (BSG) Gesundheitsstörungen angesehen worden, die infolge einer militärärztlichen Behandlung oder eines Lazarettaufenthaltes eingetreten seien. Auch für Urlaubsfahrten, die auf Grund eines militärischen Befehls ausgeführt wurden, sei angenommen worden, daß es sich um Ausflüsse der dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse gehandelt habe. Für einen Kriegsbeschädigten in Zivil dürfte keine andere Regelung gelten als für Angehörige der Wehrmacht. Er müsse zwar nicht einem militärischen Befehl, jedoch zur Erhaltung seiner Ansprüche den Anordnungen der Versorgungsverwaltung in gewissem Umfang nachkommen, wie sich aus § 63 Abs. 1 Satz 1 und § 16 BVG ergebe. Der Kläger habe die Fahrt zum Versorgungskrankenhaus nach der Überweisung durch Dr. U, nach Genehmigung durch die AOK und der Terminsangabe durch das Versorgungskrankenhaus angetreten. Deshalb sei eine mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen. Es sei nicht ersichtlich, daß der Kläger bei dem Zustandekommen des Unfalls in einer Weise mitgewirkt hätte, die die wesentliche Ursache der Unfallfolgen gebildet hätte. § 4 BVG stehe der Anerkennung der Unfallfolgen als mittelbare Schädigungsfolge nicht entgegen.
Für Unfälle auf dem Weg zum Arzt wegen anerkannter Schädigungsfolgen habe es einer Regelung nicht bedurft, weil diese Fälle durch § 1 Abs. 1 BVG erfaßt seien. Schließe man sich dieser Auffassung nicht an, müsse die im BVG bestehende Lücke im Wege der Rechtsfindung geschlossen werden. Nach § 555 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963 (UVNG) gelte als Folge eines Arbeitsunfalls auch ein Unfall, den der Verletzte auf einem zur Heilbehandlung notwendigen Weg oder bei der Durchführung der Heilbehandlung erleide. Eine unterschiedliche Behandlung solcher Unfälle auf dem Gebiete des Versorgungsrechts würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Nach Art. 4 § 2 UVNG gelte § 555 RVO auch für Unfälle, die sich vor seinem Inkrafttreten ereignet hätten. Als Folgen des Unfalls bestünden noch eine leichte Deformierung des Schienbeinkopfes links mit Impression der Tibiagelenkfläche und eine Arthrosis deformans. Nach dem insoweit übereinstimmenden Gutachten des Dr. B und des Dr. J bedinge der Unfall eine MdE um 20 v. H.; zusammen mit den bisher anerkannt gewesenen Schädigungsfolgen sei die Erwerbsfähigkeit seit dem 1. September 1958 um 80 v. H. gemindert. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Revision des Beklagten rügt Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), der §§ 1, 4, 6 und 89 BVG sowie als Verfahrensmängel Verletzung der §§ 54 Abs. 2 Satz 2; 103, 128 SGG. Wenn der Weg zur Heilbehandlung wie ein wehrmachtseigentümliches Verhältnis anzusehen sei, hätte das LSG die durch den Unfall eingetretenen Gesundheitsstörungen als unmittelbare Schädigungsfolgen ansehen müssen. Die Ausführungen über den ursächlichen Zusammenhang der angeblich mittelbaren Schädigungsfolge stünden in keiner inneren Beziehung zu den Ausführungen über die wehrdienstlichen Verhältnisse. Weder aus § 1 BVG noch aus § 4 BVG lasse sich ableiten, daß der Weg von und zur Heilbehandlung versorgungsrechtlich geschützt sei. Die in den §§ 3 bis 5 BVG im Wege einer Fiktion geregelten Anspruchsvoraussetzungen seien einer ausdehnenden Auslegung nicht zugänglich. Die von dem LSG angeführte Rechtsprechung betreffe nur die Auslegung des Begriffs der dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse. Bei der Betreuung der Versorgungsberechtigten durch die Verwaltung könne von einem der militärischen Befehlsgewalt vergleichbaren Unterordnungsverhältnis keine Rede sein. Die allgemeine Verkehrsgefährdung, der jeder Benutzer der Straße ausgesetzt sei, habe mit dem Versorgungsrechtsverhältnis nichts zu tun. Eine entsprechende Anwendung des § 555 RVO idF des UVNG sei nicht zulässig. Wenn der Gesetzgeber eine dem § 555 RVO entsprechende Regelung im Versorgungsrecht nicht getroffen und es bei der erschöpfenden Regelung des § 4 BVG belassen habe, so könne nicht gefolgert werden, er habe an eine Regelung nicht gedacht. Spätestens mit dem Erlaß des nach dem UVNG in Kraft getretenen 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) wäre die Lücke ausgefüllt worden, wenn eine solche Regelung gewollt gewesen wäre. Es verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn im BVG der Weg zur ärztlichen Behandlung im Gegensatz zu § 555 RVO nicht geschützt sei.
Das LSG habe auch die Kausalitätsnorm unrichtig angewendet. Es hätte alle mitwirkenden Bedingungen berücksichtigen müssen. Es habe anscheinend nicht in Betracht gezogen, daß der Kläger in dem Strafverfahren selbst erklärt habe, die Straße habe so voller großer Koksstücke gelegen, daß der gesamte Verkehr behindert worden sei und entgegenkommende Wagen angehalten hätten. Das LSG hätte prüfen müssen, ob der Kläger selbst fahrlässig den Unfall herbeigeführt habe. Der Kläger habe im Vorverfahren von einem Zivilprozeß gegen den Koksfahrer gesprochen; das LSG hätte deshalb zur weiteren Sachaufklärung die Straf- und Zivilprozeßakten beiziehen müssen. Bei richtiger Rechtsanwendung sei es auf weitere Feststellungen allerdings nicht mehr angekommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1964 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20. Juni 1962 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Verfahrensrügen nicht für begründet.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1; 164, 166 SGG); sie ist auch im Sinne des Hilfsantrages auf Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Die von der Revision gerügten Verfahrensmängel liegen allerdings nicht vor. Von seiner materiell-rechtlichen Auffassung aus, daß ein Unfall auf dem Weg zur versorgungsärztlichen Untersuchung einen Schädigungstatbestand darstelle, war das LSG nicht verpflichtet, die Strafakten beizuziehen; denn nach dieser Auffassung war diese Unfallgefahr bereits Ursache bzw. Mitursache der Gesundheitsstörungen. Der Beklagte hat im übrigen diese Akten schon 1958 vom Amtsgericht Hess. Oldendorf angefordert, sie eingesehen, nachdem Termin zur Hauptverhandlung auf den 9. Dezember 1958 bestimmt worden war, und sie im März 1959 "nach Auswertung" zurückgesandt. Diese Auswertung hat offenbar nichts ergeben; denn der Beklagte hat im sozialgerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, daß die Darstellung des Klägers unzutreffend sei. Deshalb konnte das LSG die Beiziehung der Strafakten für entbehrlich ansehen. Es konnte unter diesen Umständen auch annehmen, daß für ein grobes Verschulden des Klägers, das die alleinige Ursache des Unfalls darstellen könnte, kein begründeter Anhalt gegeben war. Ob der Kläger wegen der Unfallfolgen gegen den Koksfahrer einen Zivilprozeß geführt hat, ist nicht hinreichend dargetan. Der Hinweis im Gutachten des Dr. P reichte zu einer solchen Annahme nicht aus. Die Rüge gibt insoweit nicht ausreichend die Tatsachen an, die den Mangel ergeben sollen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Revision ist aber wegen Verletzung sachlich-rechtlicher Vorschriften begründet. Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Kläger habe die Unfallfahrt zum Versorgungskrankenhaus in B P am 19. August 1958 nach der Überweisung durch Dr. U, der Genehmigung der AOK und der Angabe eines Termins durch das Versorgungskrankenhaus angetreten. Es hat angenommen, daß damit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer mittelbaren Schädigungsfolge erfüllt seien und hervorgehoben, eine Mitwirkung des Klägers an dem Zustandekommen des Unfalls in einer Weise, die eine wesentliche Ursache der Unfallfolgen hätte bilden können, sei nicht ersichtlich. Diese Ausführungen beruhen auf einer unzutreffenden Anwendung des § 1 Abs. 1 BVG und einer Verkennung des Begriffs der mittelbaren Schädigungsfolge. Das LSG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Versorgung nach § 1 Abs. 1 BVG auch wegen der mittelbaren Folgen einer Schädigung gewährt wird (BSG in Bd. 17, 60/61, Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1959 - 9 RV 96/55 - KOV 1959, 157), und daß die infolge einer militärärztlichen Behandlung oder eines Lazarettaufenthaltes eingetretenen Gesundheitsstörungen nach der Rechtsprechung des RVG (Bd. 2 S. 38, 86 und Bd. 3 S. 197, 200) und des BSG (Urteile vom 15. Juli 1959 - 9 RV 468/55 - und 14. Januar 1958 - 11/8 RV 887/55 -) dem militärischen Dienst zuzurechnen sind, weil der Erkrankte in seiner Eigenschaft als Soldat verpflichtet ist, sich dem Lazarettaufenthalt und der Behandlung durch den Militärarzt zu unterziehen. Diese Entscheidungen wie ebenso die Rechtsprechung des BSG über die Beurteilung von Urlaubsfahrten, wenn sie auf besonderen militärischen Befehl angetreten wurden (BSG 7, 75, 76), betreffen aber nur die Abgrenzung des militärischen Dienstes bzw. der dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse. Diese Rechtsprechung bietet deshalb keinen Anhalt für die von dem LSG gezogene Folgerung, daß für den Kriegsbeschädigten in Zivil keine andere Regelung gelten könne als für Angehörige der Wehrmacht, weil auch er verpflichtet sei, zur Erhaltung seiner Ansprüche den Anordnungen der Versorgungsverwaltung in gewissem Umfang nachzukommen. Das LSG will anscheinend mit dem Hinweis auf § 63 Abs. 1 Satz 1 BVG und § 16 BVG eine unmittelbare oder wenigstens analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 BVG auf die Gesundheitsstörungen rechtfertigen, die der aus dem militärischen Dienst entlassene Kriegsbeschädigte auf dem Wege zu einer versorgungsärztlich angeordneten Untersuchung oder Behandlung erleidet. Das LSG verkennt damit grundsätzlich Voraussetzungen und Grenzen des in § 1 Abs. 1 normierten Versorgungsanspruchs. Diese Vorschrift gewährt Versorgung nur für solche Schädigungen, die im militärischen oder militärähnlichen Dienst oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse entstanden sind und setzt damit das Bestehen eines militärdienstlichen bzw. militärdienstähnlichen Verhältnisses voraus. Sie erfaßt nur den Gefahrenbereich, der mit diesem Dienst als einem Unterwerfungsverhältnis mit besonderer Befehlsgewalt verbunden ist. Das Versorgungsverhältnis, mit dem der Staat seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Kriegsbeschädigten und anderen durch den Krieg Geschädigten nachkommt, ist ganz anderer Art; es läßt sich dem militärischen oder militärähnlichen Dienst nicht gleichstellen. Abgesehen hiervon ist der Kläger nicht, wie in den von dem LSG angeführten Fällen, durch die ärztliche Behandlung seines Leidens zu Schaden gekommen, sondern durch einen Unfall auf dem Wege zur Untersuchung. Die in § 4 BVG ausgesprochene Fiktion, daß als militärischer oder militärähnlicher Dienst (§§ 2, 3) auch der Weg des Einberufenen zum Gestellungsort und der Heimweg nach Beendigung des Dienstes oder der Kriegsgefangenschaft gelte, bestätigt, daß der zeitliche und sachliche Zusammenhang dieser Vorgänge mit dem militärischen oder militärähnlichen Dienst den Grund für die Erweiterung des Versorgungsschutzes bildet. Deshalb läßt sich nach dem Sinngehalt des § 1 BVG diese Vorschrift nicht auf andere dem militärischen Dienst nicht vergleichbare mehr oder weniger lockere Abhängigkeitsverhältnisse übertragen; eine analoge Anwendung des § 1 oder des § 4 Abs. 1 BVG auf andere Abhängigkeitsverhältnisse ist ausgeschlossen. Im übrigen käme, wenn die von dem LSG getroffene Auslegung des § 1 Abs. 1 BVG zuträfe, Versorgung nicht wegen einer mittelbaren, sondern nur wegen einer unmittelbaren Schädigungsfolge in Betracht, weil dann die auf dem Wege zur versorgungsärztlichen Untersuchung eingetretene Gesundheitsstörung schon zum Schädigungstatbestand gehören würde.
Das LSG hat geglaubt, hilfsweise durch Rechtsfindung eine Lücke im BVG für Unfälle auf dem Wege zu einer versorgungsärztlichen Untersuchung, wenn der Kriegsbeschädigte einen behördlich bestimmten Termin wahrnehmen mußte, schließen zu können. Aber auch diese Möglichkeit ist rechtlich nicht gegeben. Die Ausfüllung einer Gesetzeslücke kommt nur in Betracht, wenn nicht angenommen werden muß, daß die getroffene Regelung bewußt ausschließlicher Natur sein soll, wenn also eine Regelung ersichtlich lückenhaft ist (BSG in Bd. 17, 298). Das absichtliche Schweigen des Gesetzes könnte allenfalls dann der Ausfüllung einer Lücke nicht entgegenstehen, wenn der Gesetzgeber die Entscheidung der Frage der Rechtsprechung überlassen wollte. Regelmäßig kommt die Ausfüllung einer Lücke aber nur in Betracht, wenn eine gesetzliche Regelung versehentlich unterblieben ist oder der nicht geregelte Tatbestand sich erst nach dem Erlaß des Gesetzes durch eine Veränderung der Verhältnisse ergeben hat (vgl. auch BSG 14, 241; 23, 287). Die Frage, ob ein Unfall auf dem Wege zur ärztlichen Untersuchung als Tatbestand einer unmittelbaren Schädigung einen versorgungsrechtlichen Anspruch begründen kann, liegt aber so weit außerhalb der in § 1 Abs. 1 und § 4 BVG geregelten Vorgänge, daß nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe diesen Fall übersehen. Wegeunfälle haben auf dem Gebiet des Unfallversicherungsrechts schon lange vor Inkrafttreten des BVG Gesetzgebung und Rechtsprechung beschäftigt. Die Frage ihrer Entschädigung hat sich also auch nicht auf Grund einer Änderung der Verhältnisse ergeben. Nach § 543 RVO idF bis zum Inkrafttreten des UVNG - aF - galten als Arbeitsunfälle auch Unfälle auf einem mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte. Nach der von dem Reichsversicherungsamt (RVA) begründeten und vom BSG fortgeführten Rechtsprechung reichte für den erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Weg zum Arzt und der Tätigkeit im Unternehmen nicht aus, daß ein Arbeitsunfall den Anlaß für den Weg zum Arzt gegeben hatte (BSG in Bd. 23, 139, 140 nebst weiteren Angaben). Nur unter besonderen Umständen, nämlich dann, wenn nicht das eigene Interesse des Versicherten an der ärztlichen Beratung und Behandlung überwog, sondern ein sachlicher Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit vorlag, zB bei einem Gang zum Arzt in der Mittagspause wegen einer im Betrieb erlittenen sofort behandlungsbedürftigen Hand- oder Augenverletzung (RVA in EuM Bd. 23, S. 166, 167 und Bd. 24, S. 324) oder auf Grund einer bindenden betrieblichen Anordnung (BSG Urteil vom 25. März 1964 in BG 1965, 73), wurde der Arztbesuch als Teil der versicherten Tätigkeit angesehen. Die im Einzelfall zweifelhafte und schwierige Abgrenzung des betrieblichen Zusammenhangs von der nicht versicherten Tätigkeit hat zu der in § 555 RVO getroffenen Neuregelung geführt, nach der als Folge eines Arbeitsunfalls nun auch ein Unfall gilt, den der Verletzte auf einem zu der Heilbehandlung ... notwendigen Wege ... erleidet. In der Begründung zu dem Entwurf des UVNG (Bundestags-Drucksache IV/120 S. 55 zu § 555 RVO) ist ausgeführt, daß "die Rechtsprechung den besonderen sozialpolitischen Bedürfnissen der Unfallversicherung nicht immer hinreichend Rechnung getragen" habe (vgl. auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 555 Anm. 1). Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nicht um einen allgemeinen Rechtsgedanken, der in gleicher Weise wie im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung auch im Kriegsopferrecht Geltung beanspruchen könnte. § 555 RVO nF steht jedenfalls in engem Zusammenhang mit dem durch § 543 RVO aF (§ 550 nF) begründeten Schutz für Wegeunfälle als zur versicherten Betriebstätigkeit gehörig und ergänzt diesen Schutz durch Einbeziehung der Schadensfälle bei Durchführung der Heilbehandlung. § 555 RVO nF läßt sich nur mit der wesentlich engeren und grundsätzlich an das militärische Dienstverhältnis geknüpften Ausdehnung der Versorgungsansprüche in § 4 Abs. 1 BVG vergleichen. Damit, daß § 1 Abs. 1 BVG und § 4 Abs. 1 BVG ausschließlich an den militärischen oder militärähnlichen Dienst anknüpfen, ist eine Entscheidung des Gesetzgebers getroffen, die außerhalb des so begrenzten Rahmens eine Ausdehnung des Versorgungsanspruchs auf andere Wegeunfälle ausschließt. Daß der Versorgungsschutz nicht entsprechend § 555 RVO erweitert werden kann, ergibt sich schließlich schon daraus, daß der Gesetzgeber bei Erlaß des am 1. Januar 1964 in Kraft getretenen 2. NOG keinen Anlaß genommen hat, die Frage einer ähnlichen Regelung wie in § 555 RVO zuzuführen, obgleich diese Vorschrift schon am 1. Juli 1963 in Kraft getreten ist (Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG) und im 2. NOG die Tatbestände des § 4 BVG erweitert wurden, ohne daß Unfälle des Beschädigten auf dem Wege zur Heilbehandlung einbezogen worden wären. Eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -) ist nicht ersichtlich, wenn Tatbestände der gesetzlichen Unfallversicherung, denen Grundsätze des sozialen Versicherungsrechts zugrunde liegen, und solche der Kriegsopferversorgung eine unterschiedliche Regelung erfahren haben. Da die Tatbestände sich wesentlich unterscheiden, wird nicht Gleiches ungleich behandelt, was Voraussetzung für die Verletzung des Gleichheitssatzes wäre.
Bei zutreffender Anwendung des § 1 Abs. 1 BVG hätte aber das LSG prüfen müssen, ob die Gesundheitsstörungen, die der Kläger bei dem Verkehrsunfall erlitten hat, eine mittelbare Schädigungsfolge der anerkannten Schädigung waren. Dazu war erforderlich, daß die anerkannte Schädigung bei dem unabhängig von ihr entstandenen Vorgang des Verkehrsunfalls die Ursache oder Mitursache im versorgungsrechtlichen Sinne für eine weitere gesundheitliche Schädigung war (vgl. Wilke, Komm. zum BVG 2. Aufl. § 1 Anm. V Nr. 10; vgl. auch BSG in Bd. 17, 60, 61 und Urteil des erkennenden Senats vom 18. Juli 1961 - 9 RV 1014/60 -). Diese Möglichkeit bestand, wenn der Kläger durch die Verletzungsfolgen am rechten Bein und am rechten Kniegelenk in seiner Fähigkeit, den Sturz zu vermeiden oder zu mildern, so behindert war, daß darauf die Gesundheitsstörungen ganz oder zum Teil zurückzuführen sind. Dahingehende Hinweise hat der Kläger vor dem SG gegeben. Unerheblich war dagegen, daß der Unfall sich auf dem Wege zu der versorgungsärztlichen Untersuchung ereignet hat, obgleich diese Untersuchung von der AOK genehmigt und von dem Versorgungskrankenhaus terminiert worden war. Die anerkannte Schädigungsfolge ist in einem solchen Fall zwar Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne dafür, daß sich der Unfall zu jener Zeit und an jenem Ort überhaupt ereignete. Sie ist aber nicht für dieses Geschehen an sich Ursache im Sinne der Kausalitätsnorm; denn sie hat nicht wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen (BSG 1, 270). Der Gefährdung im Straßenverkehr ist jedermann ausgesetzt, aus welchen Anlässen auch immer er die Straße als Fußgänger betreten oder als Kraftfahrer benutzen muß. Eine Körperbehinderung ist für die Frage, ob jemand überhaupt von einem Verkehrsunfall betroffen wird, bei einem Sachverhalt, wie er hier zu entscheiden ist, zunächst ohne Bedeutung. Insoweit handelt es sich nicht um eine besondere, sondern eine allgemeine verkehrstypische Gefahr (vgl. BSG, Urteil vom 26. Februar 1959 in KOV 1959 S. 157). Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen als Ursache oder Mitursache im Rechtssinne zu gelten haben, muß im Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens hergeleitet werden (BSG 1, 76 und Urteile des erkennenden Senats in SozR Nr. 115 zu § 162 SGG sowie vom 7. September 1962 - 9 RV 98/60 - und vom 25. November 1965 - 9 RV 526/64 -). Die Verkehrsauffassung und die Sprache werten den Anlaß, der zu dem Weg und damit zu dem Unfall geführt hat, nur im Sinne eines "zufälligen" Geschehens. Auch die mittelbare Schädigungsfolge muß eine ausreichend nahe Beziehung zu dem Gefahrenkreis haben, dem der Beschädigte gerade durch das Zusammenwirken der Schädigungsfolge mit anderen Bedingungen ausgesetzt ist.
Es genügt nicht eine Bedingung, die irgendwie zum Erfolg beigetragen hat. Eine andere Entscheidung würde dazu führen, daß der begrenzte Gefahrenbereich, den das BVG schützen will, uferlos erweitert und Versorgung auch für ganz entfernte Geschehensabläufe gewährt werden müßte.
Nach alledem beruht das Urteil des LSG auf einer irrigen Anwendung des § 1 BVG. Die Revision ist somit begründet. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben.
Das LSG hat - von seiner Rechtsauffassung aus zutreffend - nicht geprüft, welche Bedeutung die anerkannten Schädigungsfolgen für den Ablauf des Unfalls und damit für die durch ihn eingetretenen Gesundheitsstörungen gehabt haben. Der Senat kann die hierzu erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird bei der erneuten Entscheidung berücksichtigen müssen, daß der Kläger 1958 vor der Polizeibehörde und dem Richter eine etwas andere Darstellung von dem Sturz mit dem Kraftrad gegeben hat als in der Verhandlung vom 20. Juni 1962 vor dem SG und daß im Verwaltungsverfahren Dr. P 1959 die Frage des Kausalzusammenhangs anders beurteilt hat als 1961 Dr. B. Insoweit könnte auch eine Beiziehung der Strafakten und der Akten eines etwaigen Zivilprozesses der Sachaufklärung dienlich sein.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen