Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG (Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG). selbständige Tätigkeit. landwirtschaftlicher Unternehmer. Berufsschutz. Verweisungsberufe. Selbsteinstufung
Orientierungssatz
1. Beim Berufsschutz Selbstversicherter bzw freiwillig Versicherter ist die Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten schon dann zumutbar, wenn zuletzt und während einer längeren Zeit (drei Jahre) freiwillige Beiträge entrichtet wurden, die nur den Pflichtbeiträgen eines ungelernten Arbeiters entsprechen oder noch geringer sind, selbst wenn für die Zeit zuvor höhere Beiträge vorhanden waren (vgl BSG 24.1.1967 11 RA 148/64 = SozR Nr 64 zu § 1246 RVO).
2. Der Gesetzgeber hat es in das Belieben des Versicherungsnehmers gestellt, die Höhe der nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG (= Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG) nachzuentrichtenden Beiträge zu bestimmen. Damit ist jedoch für eine "Selbsteinstufung" nichts entschieden. Die Auswirkungen auf den Berufsschutz sind allein eine Folge der Beitragswahl, die unabhängig vom Willen des Beitragszahlers eintritt.
Normenkette
AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 23 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) an einen selbständigen Landwirt aus aufgrund von Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichteten freiwilligen Beiträgen.
Der 1925 geborene Kläger erlernte die Landwirtschaft und bewirtschaftete bis September 1982 ein landwirtschaftliches Unternehmen mit rund 17 ha Eigenland und rund 8 ha Pachtland; seit Oktober 1982 bezieht er eine Landabgaberente von der Alterskasse. Für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1973 entrichtete er gemäß Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG freiwillige Beiträge der Klasse 600 nach. Seinen im Dezember 1983 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte nach ärztlicher Begutachtung ab, weil er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein könne (Bescheid vom 24. April 1984).
Der dagegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) entsprochen, das Landessozialgericht (LSG) hat sie abgewiesen (Urteile vom 15. April 1985 und 11. Februar 1986). Nach der Ansicht des LSG kann der Kläger in dem ausgeübten Beruf des Landwirts keinen Berufsschutz beanspruchen. Für einen freiwillig Weiterversicherten komme als "bisheriger Beruf" iS von § 23 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nur die frühere pflichtversicherte Beschäftigung in Frage, für einen Selbstversicherten die während der Beitragsentrichtung ausgeübte Tätigkeit, sofern die entrichteten Beiträge dieser Tätigkeit entsprächen. Letzteres gelte auch für die nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG freiwillig Versicherten. Für die Frage, ob die Beiträge der Tätigkeit als selbständiger Landwirt entsprochen hätten, sei von einer adäquaten versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, hier von der des landwirtschaftlichen Verwalters oder Inspektors. Dafür habe der Kläger indes keinen Berufsschutz, weil seine Beiträge jedenfalls in den letzten drei Entrichtungsjahren denen eines Verwalters oder Inspektors nicht entsprochen hätten; sie lägen weitgehend sogar unter denen der Lohngruppe 3 der Landarbeiter (Hilfsarbeiter für schwerere Arbeiten ohne Einarbeitung oder Berufserfahrung). Somit müsse sich der Kläger auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen; seinem ärztlich zutreffend begutachteten Leistungsvermögen nach könne er solche noch vollschichtig verrichten. Eine konkrete Bezeichnung der Verweisungstätigkeit sei nicht erforderlich.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger Verletzung des § 23 Abs 2 AVG geltend. Auszugehen sei von der Qualifikation eines Verwalters oder Inspektors ohne Rücksicht auf die Höhe der entrichteten freiwilligen Beiträge, deren Wahl der Gesetzgeber im Rahmen von Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG allein in das Ermessen des Versicherungsnehmers gestellt habe. Daß die Beitragshöhe Auswirkungen auf den Berufsschutz habe, sei ihm auf dem Versicherungsamt nicht gesagt worden. In jedem Falle dürfe nicht auf die Beiträge nur der letzten drei Jahre abgestellt werden. Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt müsse er sich daher nicht verweisen lassen; für einen landwirtschaftlichen Beruf mangele es ihm aber am Leistungsvermögen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Der Kläger richtet seinen Anspruch ausschließlich auf die Zuerkennung einer Rente wegen BU; hierfür ist Rechtsgrundlage § 23 AVG. Nach Abs 2 Satz 1 ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit aus den dort genannten Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten herabgesunken ist. Nach Satz 2 ist dabei die Erwerbsfähigkeit in dem bisherigen Beruf und in den sogenannten Verweisungstätigkeiten maßgebend; zu letzteren gehören alle Tätigkeiten, zu deren Verrichtung der Versicherte in der Lage ist und die ihm unter Berücksichtigung der in Satz 2 genannten Kriterien, einschließlich des bisherigen Berufes, zumutbar sind. Seiner Entstehung nach dient das Gesetz in erster Linie dem Anspruch der Pflichtversicherten auf BU-Rente (§ 23 Abs 1). Indes schließt das keineswegs aus, daß die Tatbestände in gleicher Weise auch für die unterschiedlichen Gruppen Versicherter gelten, deren Anwartschaft auf die Rente sich auf freiwillig entrichtete Beiträge gründet, so auch auf Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG. Von dieser Vorschrift hat der Kläger Gebrauch gemacht; er hat als selbständiger landwirtschaftlicher Unternehmer nach der "Öffnung" der Rentenversicherung durch das Rentenreformgesetz 1972 für die Zeiten von Januar 1956 bis Dezember 1973 freiwillige Beiträge - durchweg in der Klasse 600 - nachentrichtet.
§ 23 Abs 2 Satz 2 AVG zählt die Einzelmerkmale zwar nicht erschöpfend auf, gleichwohl ist Ausgangspunkt für die Beurteilung der BU der "bisherige Beruf" (stRspr: BSGE 24, 7 = SozR Nr 52 zu § 1246 RVO; SozR 2200 § 1246 Nr 105). Auch im Falle des Klägers ist hieran anzuknüpfen, wenngleich Abs 2 des Art 2 § 49a AnVNG allen Personen, die nach § 10 AVG zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind, ein Nachentrichtungsrecht eingeräumt hat ohne Rücksicht darauf, ob sie je erwerbstätig waren und in welcher Form. Der Kläger ist indes als Selbständiger tätig gewesen. Den Selbständigen hatte der Gesetzgeber im Jahre 1937 bis zur Rentenreform 1957 das Recht zugestanden, sich in der Rentenversicherung innerhalb des Instituts der Selbstversicherung freiwillig zu versichern. Da bei ihnen in aller Regel für den "bisherigen Beruf" anders als bei den sogenannten "freiwillig Weiterversicherten" nicht auf eine früher ausgeübte pflichtversicherte Beschäftigung abgehoben werden konnte, hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Rahmen von § 23 Abs 2 Satz 2 AVG insoweit auf die während der Beitragsentrichtung ausgeübte selbständige Tätigkeit zurückgegriffen (BSGE 25, 129 = SozR Nr 60 zu § 1246 RVO; aaO Nrn 64 und 66; Nr 112 in Abgrenzung zur freiwilligen Weiterversicherung; SozR 2200 § 1246 Nr 105). Dabei hat das BSG allerdings die Einschränkung gemacht, daß der "bisherige Beruf" nur dann nach einer solchen Tätigkeit zu bestimmen sei, wenn die Höhe der freiwilligen Beiträge der Tätigkeit entsprach, gleichviel, ob die Beiträge geringer waren (SozR Nrn 60, 64, 64 zu § 1246 RVO) oder ob der Selbstversicherte höhere Beiträge entrichtet hatte (SozR 2200 § 1246 Nr 105). Das wurde damit begründet, daß man sich weder einen durch die Beitragshöhe längst nicht mehr gedeckten Berufsschutz erhalten noch einen zu hohen Berufsschutz sollte erkaufen können, um auf diese Weise einen im Vergleich zu den Pflichtversicherten nicht gerechtfertigten Vorteil zu erlangen. Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind auf den Personenkreis der aufgrund von Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG freiwillig versicherten Selbständigen zu übertragen.
Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG hat in den Grundzügen wieder an die frühere Selbstversicherung angeknüpft, zumal im Hinblick auf deren Sinn und Zweck, Rentenschutz auch für Gruppen außerhalb der pflichtversicherten Unselbständigen zu gewähren. Allerdings geht die neue Regelung weiter, so daß sich gegenüber der früheren Selbstversicherung keine Einschränkungen ergeben. Die von Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG weitgehend eingeräumte freie Beitragswahl ist keine grundsätzliche Neuerung. Auch den im März 1957 Selbstversicherten, die nach dem Inkrafttreten der Reformvorschriften diese Art der Versicherung fortsetzen durften, war die Wahl der Beitragshöhe freigestellt; gerade dieser Umstand hat das BSG veranlaßt, für den "bisherigen Beruf" eine Kongruenz von Tätigkeit und Beitrag zu verlangen, um eine Besserstellung gegenüber den Pflichtversicherten zu vermeiden. An dieser Rechtsprechung ist, nicht zuletzt im Interesse der Solidargemeinschaft sowie aus Gründen des Versicherungsprinzips, festzuhalten.
Der Kläger, der durchweg als selbständiger Landwirt ein landwirtschaftliches Unternehmen mittlerer Größe bewirtschaftet hat, kann diesen Beruf wegen seines eingeschränkten körperlichen Leistungsvermögens nicht mehr ausüben. Die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit ist daher an der Erwerbsfähigkeit eines körperlich gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu messen (SozR Nr 66 zu § 1246 RVO); hierfür kommen, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, die Tätigkeiten eines landwirtschaftlichen Verwalters oder Inspektors in Betracht, die denen eines mittleren landwirtschaftlichen Unternehmers am ehesten entsprechen. Dies deckt sich mit der Auffassung des Klägers. Indes entsprechen die freiwilligen Beiträge des Klägers nicht denen eines versicherungspflichtig beschäftigten Verwalters bzw Inspektors. Nach den Feststellungen des LSG lagen sie bereits 1968 erheblich darunter und sanken bis 1973 immer weiter ab. 1968 entsprachen die Beiträge zunächst noch knapp denen der Lohngruppe 4 der landwirtschaftlichen Arbeiter, ab 1969 denen der Lohngruppe 3 (Hilfsarbeiter für schwerere Arbeiten ohne Einarbeitung oder Berufserfahrung) und darunter bzw denen der Lohngruppe 2 (angelernte Arbeiter für leichte Arbeiten).
Entgegen dem Kläger kommt es dabei für den Berufsschutz sowie die Verweisbarkeit entscheidend auf die Beiträge der letzten drei Jahre an. Wie das BSG zum Berufsschutz Selbstversicherter ausgesprochen hat (SozR Nr 64 zu § 1246 RVO), ist die Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten schon dann zumutbar, wenn zuletzt und während einer längeren Zeit (drei Jahre) freiwillige Beiträge entrichtet wurden, die nur den Pflichtbeiträgen eines ungelernten Arbeiters entsprechen oder noch geringer sind, selbst wenn für die Zeit zuvor höhere Beiträge vorhanden waren. Auch dabei hat das BSG die Vermeidung einer ungerechtfertigten Besserstellung Selbstversicherter im Vergleich zu den Pflichtversicherten im Auge gehabt, deren höherwertiger Beruf nur solange geschützt ist, wie sie sich nicht endgültig einer niederen Berufstätigkeit mit entsprechend niedrigen Pflichtbeiträgen zugewandt haben. Gleiches hat auch im Verhältnis der gemäß Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG freiwillig versicherten Selbständigen zu den versicherungspflichtig Beschäftigten zu gelten, zumal die ersteren die Beiträge von Ende 1973 an rückwärts in die Vergangenheit hinein entrichten und für frühere Zeiten keine höheren Beiträge als für spätere Zeiten wählen dürfen (Satz 2 der Vorschrift).
Haben wie hier jedenfalls die für die letzten drei Jahre nachentrichteten Beiträge der Klasse 600 nicht der in dieser Zeit ausgeübten Tätigkeit entsprochen, muß der Kläger sich auf Beschäftigungen verweisen lassen, auf die Pflichtversicherte mit vergleichbarer Beitragsleistung verwiesen werden dürfen. Das sind ungelernte Beschäftigungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, gleichviel, ob mit dem LSG entweder von der Lohngruppe 3 (Hilfsarbeiter) oder der Lohngruppe 2 (angelernte Arbeiter) entsprechenden Beiträgen ausgegangen wird. Auch als angelernter Arbeiter wäre der Kläger auf Tätigkeiten der nächstniederen Lohngruppe verweisbar (stRspr: SozR 2200 § 1246 Nrn 86, 90). Ungelernte Beschäftigungen sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als vorhanden anzunehmen, wenn sie vollschichtig verrichtet werden können. Diese Bedingung ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt. Weder nach dem beruflichen Können und Wissen noch im Hinblick auf das gesundheitliche Leistungsvermögen ist der Kläger als überfordert zu betrachten, ganztägig körperlich leichte Arbeit zu leisten. Einer Bezeichnung konkreter Verweisungstätigkeiten bedurfte es mangels festgestellter Leistungsbeschränkungen ungewöhnlicher Art nicht (SozR 2200 § 1246 Nr 105; SozR 5850 § 2 Nr 12).
Daß der Kläger nach alledem nicht berufsunfähig ist, ihm demzufolge keine Rente wegen BU zusteht, wird durch sein Vorbringen im Revisionsverfahren nicht widerlegt. Zwar hat der Gesetzgeber es in das Belieben des Versicherungsnehmers gestellt, die Höhe der nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachzuentrichtenden Beiträge zu bestimmen. Damit ist jedoch für eine "Selbsteinstufung" nichts entschieden. Die Auswirkungen auf den Berufsschutz sind allein eine Folge der Beitragswahl, die unabhängig vom Willen des Beitragszahlers eintritt. Daß der Kläger, wie er vorbringt, darauf nicht hingewiesen worden ist, vermag keinen Anspruch auf eine BU-Rente aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu begründen. Dafür fehlt es an einem objektiv rechtswidrigen Verhalten der den Nachentrichtungsantrag entgegennehmenden Stelle. Denn der betreffende Amtsangehörige mußte bei der damaligen Beratung des Klägers im Dezember 1974 nicht davon ausgehen, der Kläger werde für Zeiten nach 1973 keine Beiträge mehr entrichten. Dagegen spricht bereits das damalige Alter des Klägers. Demzufolge brauchte der Amtsangehörige auch nicht in Erwägung zu ziehen, daß für den Versicherungsfall der BU allein die Höhe der damals erörterten Beiträge den Berufsschutz des Klägers für die Zukunft bestimmen würde.
Hiernach war das angefochtene Urteil zu bestätigen; das führte zur Zurückweisung der Revision.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen