Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld während Studium
Orientierungssatz
Zum Arbeitslosengeldanspruch während des Studiums und zur Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung.
Normenkette
AFG § 100 Abs 1, § 103 Abs 1, § 118a
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.10.1982; Aktenzeichen L 9 Ar 101/81) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 30.06.1981; Aktenzeichen S 12 Ar 9/81) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 28. Februar 1981.
Der Kläger, ein gelernter Maurer, nahm 1972 ein Studium zum Diplom-Ingenieur an der Fachhochschule A. auf. Ende 1979 lieferte er die Diplomarbeit ab, die mündliche Prüfung fand am 1. Juli 1981 statt. In der Zwischenzeit blieb er immatrikuliert, ohne nach seinen Angaben an Vorlesungen oder Seminaren teilzunehmen. Vom 1. Mai bis zum 30. November 1980 war der Kläger mit einem Gehalt von 2.918,60 DM vollzeitig als Bautechniker beschäftigt; seit dem 1. März 1981 ist er wieder in Arbeit.
Am 1. Dezember 1980 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte vergeblich Alg (Bescheid vom 8. Januar 1981, Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1981). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der ergangenen Verwaltungsentscheidungen verurteilt, dem Kläger Alg zu gewähren; es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 30. Juni 1981). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Oktober 1982).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, nach § 118a Arbeitsförderungsgesetz -AFG- (in der seit dem 1. August 1979 geltenden Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG - 5. AFG-ÄndG - vom 23. Juli 1979, BGBl I 1189) ruhe das Alg während der Zeit, in der der Arbeitslose Student einer Hochschule sei, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft eines Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme. Letzteres müßte bis zur Ablegung der mündlichen Prüfung unbeschadet individueller Besonderheiten angenommen werden. Die genannte Vorschrift lasse, sofern die Ausbildung nicht entsprechend ihrer Ausgestaltung durch die Ausbildungsstätte die volle Arbeitskraft eines Studenten nicht in Anspruch nehme, nicht mehr den Nachweis zu, daß der einzelne aufgrund individueller Gestaltung seiner Ausbildung trotz der allgemeinen Anforderungen des Studiums verfügbar sei.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 118a AFG. Er macht geltend, diese Vorschrift stelle - wie § 118 Abs 2 AFG in der bis zum 31. Juli 1979 geltenden Fassung (vgl BSGE 46, 89 = SozR 4100 § 118 Nr 5) - nur eine widerlegbare gesetzliche Vermutung auf, daß der Student der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Es sei auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Vor dem LSG habe er dargelegt, daß bereits im März 1980 festgestanden habe, daß er seine mündliche Prüfung erst im Januar oder Juli 1981 ablegen könne. Diese Prüfung habe eine aufwendige Vorbereitung nicht erfordert, weil Prüfungen dieser Art lediglich in der Erläuterung der Diplomarbeit bestünden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Revision entgegengetreten.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) § 118a Abs 1 AFG für nichtig erklärt hat, soweit diese Vorschrift für Studenten einer Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte das Ruhen des Anspruchs auf Alg anordnet, hat die Beklagte geltend gemacht, von der Verfügbarkeit des Klägers könne nicht ausgegangen werden, denn das LSG sei zu dem Schluß gekommen, daß vor dem Examen seine volle Arbeitskraft in Anspruch genommen worden sei.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Das LSG hat die Ablehnung des Alg durch die Beklagte bestätigt, weil das Alg nach § 118a Abs 1 AFG, eingefügt durch Art 1 Nr 40 des 5. AFG-ÄndG, geruht habe. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß der Kläger in der Zeit, für die er das Alg begehrt, Student einer Hochschule (hier: Fachhochschule A.) gewesen sei und die von ihm eingeschlagene Ausbildung zum Diplom-Ingenieur die Arbeitskraft eines Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nehme. Mit dieser Begründung kann der geltend gemachte Klaganspruch jedoch nicht verneint werden. Das BVerfG hat durch Beschluß vom 18. November 1986 - 1 BvL 29/83 ua - BGBl I 1987, 757) mit Gesetzeskraft festgestellt, daß § 118a Abs 1 AFG mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und nichtig ist, soweit diese Vorschrift für Studenten einer Hochschule oder sonstigen Ausbildungsstätte das Ruhen des Anspruchs auf Alg anordnet.
Ob dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 28. Februar 1981 Alg zusteht, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Die Erfüllung der Meldungs- und Antragserfordernisse hat das LSG zwar festgestellt, wegen der anderen Anspruchsvoraussetzungen, auf die es nach der Rechtsauffassung des LSG nicht ankam, fehlen jedoch ausreichende Feststellungen.
Nach § 104 Abs 1 AFG in der 1980 geltenden Fassung des 5. AFG-ÄndG hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 180 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist, die dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgeht, an den die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 und 3 AFG), hier also in der Zeit vom 1. Dezember 1977 bis 30. November 1980, stand der Kläger zwar 180 Kalendertage in einer entgeltlichen Beschäftigung, die an sich nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG die Beitragspflicht begründete; indessen sind nach § 169 Nr 1 AFG iVm § 172 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Personen beitragsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer sonstigen der wissenschaftlichen oder fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Entgelt beschäftigt sind. Beitragsfreiheit nach diesen Vorschriften setzt voraus, daß der Betreffende trotz der ausgeübten Erwerbstätigkeit seinem Erscheinungsbild nach Student geblieben ist, das Studium also die Hauptsache, die Beschäftigung nur die Nebensache ist (BSGE 50, 25 = SozR 2200 § 172 Nr 14). Eine Beschäftigung im Umfange von mehr als 20 Wochenstunden stellt zwar ein gewichtiges Indiz für die Zuordnung zum Kreis der Arbeitnehmer dar; indessen kann nach den besonderen Umständen das Studium gleichwohl die prägende Bedeutung behalten haben (BSGE aaO; SozR 2200 § 1228 Nr 9; Urteil vom 19. Februar 1987 - 12 RK 9/85 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Wenn auch nach der Fallgestaltung solche Umstände fehlen dürften, bedarf es doch noch einer entsprechenden tatsächlichen Feststellung durch das LSG.
Keinerlei Feststellungen hat das LSG zu den Fragen getroffen, ob der Kläger arbeitslos war (§ 101 AFG) und ob er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand (§ 103 AFG), insbesondere, ob die Examensvorbereitungen ihn hinderten, eine zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Die Beklagte verkennt den Inhalt des angefochtenen Urteils, wenn ihr Vorbringen nach dem Beschluß des BVerfG dahin zu verstehen sein sollte, daß das LSG die Verfügbarkeit des Klägers verneint habe. Das ist nämlich nicht geschehen. Das LSG hat seine Entscheidung in Anwendung des inzwischen für nichtig erklärten § 118a Abs 1 AFG allein darauf abgestellt, ob üblicherweise die volle Arbeitskraft durch eine Ausbildung in Anspruch genommen werde, wie sie der Kläger eingeschlagen hat. Letzteres, aber auch nur das, hat das LSG in tatsächlicher Hinsicht bejaht. Eine Prüfung dagegen, ob der Kläger aufgrund seiner individuellen Situation in der hier streitigen Zeit in der Lage war, neben etwa erforderlichen Examensvorbereitungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Beschäftigung auszuüben, hat das LSG nicht vorgenommen. Hierauf kam es nach der Rechtsauffassung des LSG auch nicht mehr an.
Da somit nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG eine abschließende Entscheidung, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zusteht, nicht möglich ist, muß gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.
Fundstellen