Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 23.08.1991) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. August 1991 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten ist dabei vornehmlich, ob er trotz der hohen tariflichen Einstufung des von ihm wahrgenommenen Beamtendienstpostens keinen Berufsschutz als Facharbeiter genießt, weil die tarifliche Bewertung dieses Berufs auf qualitätsfremden (sozialen) Gründen beruht.
Der 1933 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Nach dem Besuch von drei Klassen der Volksschule war er in Italien erwerbstätig. Eine Berufsausbildung hat er nicht abgeschlossen. Seit April 1962 ist der Kläger als Arbeiter bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt. Zunächst wurde er als Rangierarbeiter eingesetzt. Nach einem vierwöchigen verwendungsbezogenen Einweisungslehrgang und bestandener Rangierleiterprüfung war er ab Februar 1972 als Rangierleiter Mitfahrer auf einer Rangierlok. Diese Tätigkeit verrichtete der Kläger in Ermangelung einer Laufbahnkraft auf einem Beamtendienstposten des einfachen Dienstes. Nach Bewährung und mehr als sechsjähriger Eisenbahndienstzeit wurde er ab April 1978 in die Lohngruppe IIa des Abschn C, Unterabschn B, des maßgeblichen Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) eingruppiert. Da der Kläger nach bahnärztlicher Feststellung rangierdienstuntauglich geworden war, wurde er vom 17. Mai 1984 an bei gleicher Entlohnung auf eine Tätigkeit als Bahnhofsarbeiter umgesetzt. Zuletzt arbeitete er im Hausreinigungsdienst einer Hochbaubahnmeisterei.
Den im November 1986 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 9. März 1987 ab, weil der Kläger weder berufs-(bu) noch erwerbsunfähig (eu) sei. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Darmstadt vom 22. März 1989 und des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 23. August 1991). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Auch wenn der Kläger aufgrund seines eingeschränkten körperlichen Leistungsvermögens seinen bisherigen Beruf, dh seine bis zur Rangierdienstuntauglichkeit im Mai 1984 ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Rangierleiter, nicht mehr verrichten könne, sei er nicht bu iS des § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Aufgrund seines beruflichen Werdeganges, seiner dadurch erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten sei der Kläger in die dritte Stufe des von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Vier-Stufen-Schemas mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters – unterer Bereich – einzustufen. Er habe keinen Ausbildungsberuf zum Facharbeiter und keinen Beruf mit einer Regelausbildung von zwei Jahren zum gehobenen Angelernten erlernt. Auch habe er als Rangierleiter keine Tätigkeit ausgeübt, die eine über die bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgehende echte berufliche Ausbildung vorausgesetzt habe. Daß der Kläger in die Lohngruppe IIa des LTV eingruppiert worden sei, rechtfertige keine Einstufung in die zweite Stufe des Vier-Stufen-Schemas mit dem Leitberuf des Facharbeiters, auch wenn der 5b Senat des BSG die nach Lohngruppe IV des LTV eingestuften Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn grundsätzlich als Facharbeiter beurteile. Abgesehen davon, daß die tarifliche Eingruppierung einer Tätigkeit lediglich ein Indiz für ihre Qualität sei und etwas anderes dann gelte, wenn die Einstufung im wesentlichen nicht auf die Qualität der Berufstätigkeit zurückzuführen sei, sondern auf anderen Erwägungen beruhe, genüge allein die Bezifferung der Lohngruppe nicht zur ordnungsgemäßen Einordnung in die als Anl 1 des LTV geführte Lohngruppeneinteilung. Als Rangierleiter sei der Kläger in die für Beamtendiensttuer vorgesehene Lohngruppe IIa des Abschn C Unterabschn B der Lohngruppeneinteilung und nicht in die für qualifizierte Facharbeiter, zB Fernmelde-, Signalmechaniker oder Feuerschmiede, Energieanlagenelektroniker mit mehrjähriger Berufserfahrung, vorgesehene Lohngruppe IIa des Abschn B der Lohngruppeneinteilung eingestuft worden. Ferner erfolge diese Eingruppierung eines Beamtendiensttuers auch aus sozialen Gründen. Um ihn einem Beamten des einfachen Dienstes sozial gleichzustellen, bedürfe es bei der Entlohnung eines die gleiche Tätigkeit verrichtenden Arbeiters im Vergleich zur Besoldung des Beamten einer höheren Bewertung. Von dem Lohn des Arbeiters seien nämlich Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten.
Eine Zuordnung des Klägers zum Leitberuf des angelernten Arbeiters – oberer Bereich – mit der Folge einer Notwendigkeit der Benennung mindestens einer konkreten Verweisungstätigkeit, die sich durch Qualitätsmerkmale auszeichne, sei nicht möglich. Die besondere Verantwortung und Zuverlässigkeit eines Rangierleiters seien eher Charaktereigenschaften. Sie seien nicht das in erster Linie die Qualität eines Berufes ausmachende Wissen und Können. Die an sich ungelernte Arbeit eines Rangierleiters werde durch diese Anforderungen an den Charakter der Arbeitnehmer nicht zur beruflichen Tätigkeit eines gehobenen Angelernten.
Anhaltspunkte dafür, daß die von dem Landesarbeitsamt Hessen beispielhaft genannten Verweisungstätigkeiten des Montierers in der Metall- oder Elektroindustrie, des Warensortierers oder des Warenaufmachers/Versandfertigmachers den Kläger körperlich oder geistig überforderten sowie zu einem ihm unzumutbaren sozialen Abstieg führten, ergäben sich weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus dem Inhalt der Akten. Sie entsprächen seinem Arbeitsschicksal.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend:
Entgegen der Rechtsauffassung des LSG sei der Rangierleiter aufgrund tariflicher Eingruppierung der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Die weitere Rechtsauffassung des LSG, die Eingruppierung eines Beamtendiensttuers erfolge auch aus sozialen Gründen, werde im angefochtenen Urteil nicht mit nachprüfbaren Tatsachen belegt. Hierbei handele es sich lediglich um eine unbeachtliche Vermutung und fehlerhafte Rechtsauslegung des maßgeblichen Tarifvertrages. Sollte es sich um eine Tatsachenfeststellung und nicht um eine Subsumtion handeln, so sei sie verfahrensfehlerhaft zustandegekommen. Gerügt werde eine Verletzung der §§ 62, 128 Abs 2 und § 136 Nr 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Offensichtlich gehe das LSG von der Tatsache aus, die Tarifvertragsparteien hätten bei der Zuordnung von Beamtentätigkeiten in das Tarifgefüge eine soziale Gleichstellung der Arbeiter, die solche Tätigkeiten verrichteten, mit den Beamten und nicht mit den übrigen Arbeitern des Tarifvertrages verfolgt. Worauf sich diese Annahme gründe, werde in den Entscheidungsgründen nicht mitgeteilt. Aus dem Tarifvertrag lasse sich eine solche Tatsache nicht herleiten; auch von den Tarifvertragsparteien sei dem LSG eine derartige Auskunft nicht erteilt worden. Das LSG habe somit die Quelle seines Wissens nicht offengelegt. Überdies habe er hiervon erst aus den Urteilsgründen erfahren. Das rechtliche Gehör sei zu diesem erheblichen Punkt nicht gewahrt worden. Folglich sei das Revisionsgericht nicht an diese Feststellung gebunden.
Auf die ihm im angefochtenen Urteil angesonnenen Verweisungstätigkeiten müsse er sich als Facharbeiter nicht zumutbar verweisen lassen. Eine zumutbare Verweisungstätigkeit werde von ihm nicht ausgeübt. Es sei auch nicht ersichtlich, welche zumutbare Tätigkeit er als 59Jähriger noch ausüben könnte, ohne wissens- und könnensmäßig überfordert zu sein.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Darmstadt vom 22. März 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. März 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab November 1986 Versichertenrente wegen BU zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Hessischen LSG vom 23. August 1991 zurückzuweisen.
Zur Begründung macht sie geltend:
Aufgrund der neueren Rechtsprechung des BSG sei der Kläger mit seinem Hauptberuf als Rangierleiter dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Da er als Rangierleiter wegen Beschwerden von Seiten des Bewegungsapparates nicht mehr einsatzfähig sei, müsse geprüft werden, ob er zumutbare Verweisungstätigkeiten noch vollschichtig ausüben könne. Nach der Stellungnahme des beratenden Arztes vom 29. Juli 1992 könne der Kläger in den Verweisungstätigkeiten als Amtsgehilfe, als Schriftgutsortierer und auch als Transportgeräteführer (hier speziell als Fahrstuhlführer) leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Die genannten Tätigkeiten seien von Tarifverträgen erfaßt und entsprächen ihrer tariflichen Einstufung nach mindestens dem Leitberuf angelernter Arbeiter im oberen Bereich.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und auch dahingehend begründet, daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Ob dem Kläger die begehrte BU-Rente zusteht, läßt sich ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen. Insbesondere bedarf es einer ergänzenden Sachaufklärung zur Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers.
Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU richtet sich noch nach § 1246 RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1986 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden ist und sich auch auf einen Zeitraum vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29 S 102).
BU ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist bei Prüfung der BU Ausgangspunkt der Beurteilung der „bisherige Beruf” des Versicherten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 107). Dieser ist zuerst zu ermitteln und sodann zu prüfen, ob ihn der Versicherte ohne wesentliche Einschränkung weiterhin ausüben kann. Ist der Versicherte nämlich in seinem Beruf noch ausreichend erwerbsfähig iS des § 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO, so ist er nicht bu, ohne daß es auf eine Erwerbsfähigkeit in weiteren sog Verweisungstätigkeiten ankommt (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126).
Bisheriger Beruf iS des § 1246 Abs 2 RVO ist, wie das BSG in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164), in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 66). Bei anderen Fallgestaltungen hat das BSG darauf abgehoben, daß als Hauptberuf nicht unbedingt die letzte, sondern diejenige Berufstätigkeit zugrunde zu legen ist, die der Versicherte bei im wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft eine nennenswerte Zeit ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 130 mwN). Insbesondere zu den Schwierigkeiten, die sich für die Feststellung des bisherigen Berufs bei einem Wechsel von einer qualitativ höherwertigen zu einer geringerwertigen Tätigkeit ergeben, hat das BSG in mehreren Entscheidungen Stellung genommen (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 158 mwN).
Hier hat das LSG die bis Mai 1984 verrichtete Rangierleitertätigkeit des Klägers zu Recht als dessen bisherigen Beruf angesehen. Denn es ist davon auszugehen, daß sich der Kläger von dem Rangierleiterberuf grundsätzlich nicht gelöst hat, da gesundheitliche Gründe für die Aufgabe dieser Arbeit bestimmend waren (vgl zB BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO). Ferner ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der berufungsgerichtlichen Feststellungen, daß die in der Zeit danach ausgeübten Tätigkeiten als Bahnhofsarbeiter und Büroreiniger qualitativ niedriger einzustufen sind und die „gleiche Entlohnung” des Klägers lediglich auf einer Verdienstsicherung beruhte. Auch die Beteiligten halten im übrigen die Rangierleitertätigkeit übereinstimmend für den Hauptberuf des Klägers. Nach den Ausführungen des LSG steht damit zugleich fest, daß der Kläger seinen bisherigen Beruf wegen gesundheitlicher Leistungseinschränkungen nicht mehr ausüben kann.
Für die somit erforderliche Suche nach einer geeigneten Verweisungstätigkeit ist zunächst die Wertigkeit des bisherigen Berufs zu ermitteln. Denn dem Versicherten ist insofern nur ein gewisser sozialer Abstieg zumutbar. Zur Erleichterung der Bewertung des bisherigen Berufs hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zu Erreichung einer bestimmten beruflichen Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde (vgl zB BSGE 55, 45, 46 f). Dementsprechend werden die Gruppen von oben nach unten durch folgende Leitberufe charakterisiert:
- Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion/besonders hoch qualifizierter Facharbeiter,
- Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren),
- angelernter Arbeiter (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und - ungelernter Arbeiter.
Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Raster erfolgt nicht ausschließlich nach der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend sind vielmehr die Qualifikationsanforderungen der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt also auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale umschrieben wird.
Das LSG hat den Kläger lediglich als angelernten Arbeiter unteren Ranges eingestuft. Gegen diese Beurteilung ergeben sich Bedenken. Jedenfalls reichen die bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht aus, um eine derartige Bewertung zu bestätigen. Allerdings ist dem LSG zuzugeben, daß der Beruf eines Rangierleiters nicht ohne weiteres einer höheren Stufe des Schemas zugeordnet werden kann. Denn der Kläger besitzt weder einen Ausbildungsabschluß als Facharbeiter noch hat er eine vergleichbare bahninterne Prüfung abgelegt. Eine Gleichstellung mit einem Facharbeiter aufgrund vollwertiger Ausübung einer Facharbeitertätigkeit scheidet ebenfalls aus. Denn der Kläger verfügt nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) nicht über die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Facharbeiters.
Dem Kläger kann jedoch aufgrund der tarifvertraglichen Einstufung seiner Rangierleitertätigkeit Berufsschutz als Facharbeiter zustehen. Ausgehend von der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 111, 116, 122, 123, 164) hat der erkennende Senat dazu in mehreren Entscheidungen Anwendungsgrundsätze entwickelt (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 21, 22). Danach sind allgemeine tarifvertragliche Regelungen für die Bewertung einer Tätigkeit in unterschiedlichem Maße von Bedeutung. Es kommt insoweit darauf an, ob der bisherige Beruf des Versicherten im Tarifvertrag konkret bezeichnet ist oder ob die Tarifstufen nur nach abstrakten Tätigkeitsmerkmalen gebildet sind. Je konkreter die berufsbezogenen Bezeichnungen im Tarifvertrag ausgefallen sind, desto aussagekräftiger ist die jeweilige tarifvertragliche Einstufung für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs des Versicherten.
Nach den Feststellungen des LSG richtete sich die Entlohnung des Klägers als Rangierleiter nach dem LTV. Maßgebend für die weitere Prüfung ist die Fassung des LTV, die im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus der Rangierleitertätigkeit im Mai 1984 gegolten hat (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 S 88). Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, ob das LSG diese Fassung herangezogen hat. Bei den vorinstanzlichen Akten befindet sich jedenfalls nur ein Auszug aus dem LTV vom Stand 1. September 1989. Schon aus diesem Grunde ist eine Zurückverweisung der Sache an das LSG angezeigt. Denn es sind im Hinblick auf die einschlägige Fassung des LTV Feststellungen zu treffen, die das BSG nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG).
Sofern der danach maßgebliche LTV im wesentlichen der vom LSG herangezogenen Fassung entspricht, kann er bei der Einstufung des bisherigen Berufs Bedeutung erlangen, weil er sich im Grundsatz an der qualitativen Wertigkeit der danach zu entlohnenden Tätigkeiten orientiert (vgl bereits Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 41/91 –). Gemäß § 6 Abs 1 LTV wird der Lohn nach dem Wert der zu leistenden Arbeit und nach den besonderen Umständen, unter denen die Arbeiten verrichtet werden, nach dem Lebensalter und der Dienstzeit bemessen. Die Tätigkeiten werden nach ihrer Art und Bedeutung in die Lohngruppen Is bis VIII eingereiht. Das Nähere bestimmt die Lohngruppeneinteilung in Anl 1 (vgl § 7 LTV). Die lohngruppenmäßige Einstufung regelt sich für die Arbeitertätigkeiten nach Abschn B und für die Beamtentätigkeiten des einfachen und mittleren Dienstes nach Abschn C Unterabschn B dieser Anlage (vgl Anl 1 Abschn A Abs 1 LTV).
Die in Abschn B aufgeführten Lohngruppen spiegeln insofern qualitätsbezogene Abstufungen wieder, als sie vom qualifizierten Facharbeiter als Gruppenführer (Lohngruppe B I) über den qualifizierten Facharbeiter (Lohngruppen B II bis IV) zum Arbeiter (Lohngruppen B V bis VII) absteigen. In diesem Schema wird die Lohngruppe B IV dadurch, daß dort die am niedrigsten eingestuften qualifizierten Facharbeiter, dh Arbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung von mindestens zweieinhalb Jahren (vgl Anl 1 Abschn A Abs 2 LTV), eingeordnet sind, als Facharbeiterlohngruppe gekennzeichnet (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 115, 116). Die lohngruppenmäßige Einstufung der Beamtentätigkeiten des einfachen und mittleren Dienstes ergibt sich aus einer in Abschn C Unterabschn B der Anl 1 enthaltenen Übersicht. Auch diese erscheint als nach Qualitätsstufen geordnet. So gibt es zB die Unterscheidungen Amtsmeister (Lohngruppe CB II) und Oberamtsmeister (Lohngruppe CB IIa) sowie Betriebsaufseher (Lohngruppe CB IV) und Betriebshauptaufseher (Lohngruppe CB II). Diese tarifvertraglichen Regelungen können daher als Anknüpfungspunkt für eine Bewertung des bisherigen Berufs iS von § 1246 Abs 2 RVO dienen.
Soweit es die Rangierleitertätigkeit des Klägers betrifft, richtet sich ihre Einstufung, wie das LSG festgestellt hat, nach Anl 1 Abschn C Unterabschn B LTV, da es sich um eine Beamtentätigkeit handelt. Auch eine Einstufung nach diesem Abschnitt der Lohngruppeneinteilung kann einen Berufsschutz als Facharbeiter bewirken, wenn sie mindestens nach Lohngruppe IV erfolgt. Insofern ist es unerheblich, daß gelernte Facharbeiter ausdrücklich nur in den Lohngruppen IV und höher des Abschn B aufgeführt sind. Denn aufgrund der Einheitlichkeit des LTV ist davon auszugehen, daß alle Personen, die – nach welchem Abschnitt der Lohngruppeneinteilung auch immer – nach Lohngruppe IV eingestuft sind, grundsätzlich (abgesehen von etwaigen Zulagen) den gleichen (Facharbeiter-)Lohn erhalten sollen. Auf die technische Ausgestaltung dieser Gleichstellung im LTV kommt es dabei nicht an (vgl dazu allgemein BSG, Urteile vom 14. Mai 1991 – 5 RJ 41/90 – und vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 11/90 –).
Das LSG hat seiner Beurteilung die letzte Eingruppierung des Klägers als Rangierleiter nach Lohngruppe CB IIa LTV zugrunde gelegt, obwohl er diese Stufe erst „nach Bewährung und mehr als sechsjähriger Eisenbahndienstzeit” erreicht hatte. Dem kann nicht gefolgt werden, da ein lediglich vom Zeitablauf abhängiger sog Bewährungsaufstieg ohne Einfluß auf die qualitative Wertigkeit der verrichteten Tätigkeit ist und daher bei der hier erforderlichen Bewertung des Berufs unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl Senatsurteil vom 28. Mai 1991 – 13/5 RJ 29/89 -Umdruck S 8). Da das Berufungsurteil nicht erkennen läßt, in welche Lohngruppe die Rangierleitertätigkeit des Klägers ohne Rücksicht auf einen Bewährungsaufstieg einzustufen ist, muß dieser Punkt vom LSG noch geklärt werden. Hinzu kommt, daß „Rangierleiter” unter dieser Bezeichnung in Anl 1 LTV nicht aufgeführt sind. Das LSG wird dazu ergänzend festzustellen haben, ob die offizielle Dienstbezeichnung des Klägers – vor seinem Bewährungsaufstieg – „Betriebsaufseher” (vgl Lohngruppe CB IV) oder „Betriebshauptaufseher” (vgl Lohngruppe CB II) im Rangierdienst war.
Sollte der bisherige Beruf des Klägers in einer Lohngruppe des LTV konkret benannt sein, käme dieser tarifvertraglichen Einordnung im Rahmen des § 1246 Abs 2 RVO eine besondere Aussagekraft zu. Nach der Rechtsprechung des 5. und 5b Senats des BSG zur Einstufung von sog „Beamtendiensttuern” im Bereich der Deutschen Bundesbahn (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 115, 116, 164), der sich der 13. Senat in Abweichung von Entscheidungen des 4. Senats (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 132, 149) angeschlossen hat (Senatsurteile vom 29. Oktober 1991 – 13/5 RJ 19/90 – und vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 41/91 –), wäre grundsätzlich davon auszugehen, daß die letzte Tätigkeit des Klägers einem Facharbeiterberuf gleichgestellt war, wenn diese mindestens in Lohngruppe IV LTV einzuordnen war und er selbst zu Recht entsprechend entlohnt wurde. Dem kann nicht mit dem LSG entgegengehalten werden, die besondere Verantwortung und Zuverlässigkeit eines Rangierleiters seien eher Charaktereigenschaften, die eine an sich ungelernte Arbeit nicht als berufliche Tätigkeit eines Facharbeiters oder gehobenen angelernten Arbeiters erscheinen lassen könnten. Denn es ist den Tarifvertragsparteien unbenommen, den Umfang der mit einer Tätigkeit verbundenen Verantwortung und die Anforderungen an Zuverlässigkeit und Genauigkeit bei der tarifvertraglichen Einstufung eines Berufes in die Bewertung mit einzubeziehen. Es handelt sich dabei um Anforderungen an die Berufstätigkeit, die deren Qualität und Wertigkeit bestimmen. Insbesondere der Umfang der Verantwortung hat deshalb von jeher in der tariflichen Praxis – und darüber hinaus -bei der Entgeltbemessung eine erhebliche Rolle gespielt (vgl Senatsurteil vom 25. August 1993 – 13 RJ 21/92 –).
Die tarifvertragliche Einstufung wäre allerdings dann nicht für den Berufsschutz des Klägers in der Rentenversicherung maßgebend, wenn sie auf qualitätsfremden Gründen beruhte (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 S 88 mwN). Soweit das LSG in diesem Zusammenhang auf soziale Gründe hinweist, beziehen sich diese Ausführungen zunächst nur auf die Einstufung von Beamtendiensttuern in die Lohngruppe CB IIa. Nachdem von der Einstufung des Klägers in Lohngruppe CB IIa die Rede gewesen ist, heißt es nämlich auf S 10 des Berufungsurteils:
„Ferner erfolgt diese Eingruppierung eines Beamtendiensttuers auch aus sozialen Gründen.”
Streng genommen muß diese Aussage also nicht auch für andere Einstufungen nach dem Abschn C Unterabschn B zutreffen. Da zudem auch nicht festgestellt worden ist, daß Entsprechendes bereits für den LTV in der Fassung von 1984 galt, braucht der Senat auf die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge des Klägers nicht näher einzugehen. Das LSG muß den Sachverhalt in dieser Hinsicht ohnehin weiter aufklären.
Sollte es auch für die hier maßgebliche Einstufung eines Rangierleiters nach dem LTV von 1984 zutreffen, daß die Lohngruppeneinteilung im Abschn C Unterabschn B durch das Bestreben der Tarifvertragsparteien beeinflußt worden ist, Beamtendiensttuern durch einen finanziellen Ausgleich für die Sozialversicherungsbeitragsabzüge dasselbe Nettolohnniveau zu verschaffen wie ihren beamteten Kollegen auf entsprechenden Dienstposten, wäre es nach Auffassung des erkennenden Senats rechtlich nicht zu beanstanden, darin soziale, dh qualitätsfremde, Gründe zu sehen, die einer uneingeschränkten Geltung dieser tarifvertraglichen Eingruppierung bei der Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers entgegenstehen würden. Auch wenn Beamte für sich genommen abgestuft nach den qualitativen Anforderungen ihrer jeweiligen Tätigkeit besoldet werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 116 S 372) und sich die Lohnstufeneinteilung nach Abschn B der Anl 1 des LTV ebenfalls an Qualitätsmerkmalen orientiert, könnten doch bei der Verknüpfung von Lohngruppen und Besoldungsgruppen im Abschn C Unterabschn B der Anl 1 des LTV soziale Erwägungen bestimmend gewesen sein. Das wäre dann der Fall, wenn aus den genannten Gründen in diesem Teil des LTV einem bestimmten Beamtendienstposten eine Lohngruppe zugeordnet worden ist, die im Vergleich zu der Bewertung der in Abschn B der Anl 1 des LTV erfaßten Arbeitertätigkeiten gemessen an ihren qualitativen Anforderungen als deutlich überhöht erscheint.
Mit dieser Beurteilung setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des 5. und 5b Senats des BSG. Dieser hat zwar Beamtendiensttuern bei der Deutschen Bundesbahn, die mindestens nach Lohngruppe IV des LTV eingruppiert waren, bislang durchwegs den Berufsschutz als Facharbeiter zugebilligt. Das Vorliegen von qualitätsfremden Gründen, die für die tarifvertragliche Einstufung der betreffenden Tätigkeit bestimmend gewesen sein könnten, hat er jedoch jeweils nur in Fällen verneint, wo es an konkreten entgegenstehenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts oder entsprechenden Revisionsangriffen der Beklagten mangelte (vgl BSG, Urteile vom 15. Juli 1982 – 5b RJ 86 und 90/81 –, vom 1. Dezember 1983 – 5b RJ 80/82, 46 und 68/83 –, BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 115, 116, BSG, Urteil vom 28. März 1984 – 5b RJ 88/83 –, BSG SozR 2200 § 1246 Nr 164).
Sofern das LSG bei seiner erneuten Befassung mit dieser Frage zu dem Ergebnis gelangt, die hier maßgebliche tarifliche Einstufung von Rangierleitern nach dem LTV beruhe in dieser Höhe auf sozialen, also qualitätsfremden, Erwägungen der Tarifvertragsparteien, wird es weiter zu prüfen haben, ob dem LTV gleichwohl hinreichende Anhaltspunkte für eine Bewertung dieser Tätigkeit zu entnehmen sind. Möglicherweise läßt sich der „Beamtendiensttuer-Bonus” aus der Entlohnung nach Abschn C Unterabschn B der Anl 1 herausrechnen, um zu einer qualitätsbezogenen Einstufung zu gelangen. Auch ein Blick auf die Einstufung vergleichbarer Arbeitertätigkeiten nach Abschn B der Anl 1 mag insofern hilfreich sein.
Sollte der Kläger nach alledem keinen Berufsschutz als Facharbeiter beanspruchen können, wäre noch zu prüfen, ob er als gehobener Angelernter angesehen werden kann. Auch insofern kann dem LTV Bedeutung zukommen, wenn man der sozialen Komponente, die bei der Einstufung von Beamtendiensttuern möglicherweise eine Rolle spielt, angemessen Rechnung trägt. Insbesondere könnte an Hand von typischen Tätigkeiten, die nach dem Anl 1 Abschn B des LTV knapp unterhalb der Facharbeiterlohngruppe IV eingestuft sind, untersucht werden, ob eine qualitative Gleichwertigkeit mit Rangierleitern festgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang können auch die Anforderungen an das Verantwortungsbewußtsein und die Zuverlässigkeit des Arbeiters erheblich ins Gewicht fallen. Jedenfalls kann man diese Merkmale nicht mit dem bloßem Hinweis darauf, daß es sich lediglich um Charkatereigenschaften handele, im Rahmen der Bewertung des Berufes disqualifizieren. Vielmehr ist dabei alles zu berücksichtigen, was nach dem Willen der Tarifvertragsparteien für die qualitative Wertigkeit der Tätigkeit von Bedeutung ist. Auch die Gewichtung eines qualitätsbezogenen Merkmals wird sich regelmäßig an dem Tarifvertrag zu orientieren haben.
Entsprechend dem Ergebnis der Beurteilung des bisherigen Berufs des Klägers wird das LSG dann noch nach geeigneten Verweisungstätigkeiten zu suchen haben. Dabei ist besonders darauf zu achten, daß der Kläger den fachlichen und gesundheitlichen Anforderungen einer derartigen Tätigkeit auch voll entsprechen kann. Dies erfordert geeignete Ermittlungen von medizinischer und auch berufskundlicher Seite (vgl dazu zuletzt Senatsurteil vom 17. Juni 1993 – 13 RJ 33/92 –). Im übrigen reicht die mit der zuletzt tatsächlich verrichteten Arbeit als Büroreiniger verbundene Entlohnung nach Lohngruppe IIa LTV grundsätzlich nicht aus, um diese als sozial zumutbare Verweisungstätigkeit erscheinen zu lassen, sofern diese Eingruppierung lediglich auf einer tarifvertraglichen Lohnsicherung beruhte (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 154 mwN).
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen