Leitsatz (amtlich)

1. Auf die besondere Wartezeit für die Bergmannsrente nach Vollendung des 50. Lebensjahres sind Ersatzzeiten nicht anzurechnen, wenn zwar früher einmal anrechenbare Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, der letzte Beitrag vor Beginn der Ersatzzeit aber nicht in diesem Versicherungszweig, sondern zur Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten erbracht worden ist.

2. Die Tatsache, daß eine knappschaftlich versicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung einer Ersatzzeit aufgenommen worden ist, bleibt unberücksichtigt, wenn vor der Ersatzzeit Versicherungszeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung oder in der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten zurückgelegt worden sind.

 

Normenkette

RKG § 49 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 50 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 1961 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger hat nach Vollendung des 50. Lebensjahres die Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) beantragt. Die Beklagte hat jedoch die begehrte Leistung abgelehnt, weil der Kläger weder eine knappschaftliche Versicherungszeit von dreihundert Kalendermonaten zurückgelegt, noch während dieser Zeit mindestens 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet habe.

In der knappschaftlichen Rentenversicherung ist für den Kläger eine Beitragszeit von 297 Monaten nachgewiesen. Ein Teil der Beiträge ist in den Jahren von 1920 bis 1936 aufgebracht worden; der andere Teil wurde in den Jahren von 1947 bis 1959 entrichtet. Dazwischen gehörte der Kläger für mehrere Jahre auf Grund einer Angestelltentätigkeit außerhalb des Bergbaues der Angestelltenversicherung an, stand von 1940 bis 1943 im Kriegsdienst und war ferner von 1945 bis 1947 interniert.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Zeiten des militärischen Dienstes und der Internierung auf die Wartezeit für die Bergmannsrente als Ersatzzeiten anzurechnen seien. Die Beklagte verneint diese Frage, weil der Kläger vor Beginn der Ersatzzeiten nicht Mitglied der Knappschaftsversicherung, sondern Angehöriger der Angestelltenversicherung gewesen sei.

Zweitens geht es darum, ob die von dem Kläger ausgeübte Tätigkeit eines "Wetter- und Fahrsteigers" als der Hauerarbeit gleichgestellte Arbeit im Sinne des § 49 Abs. 2 RKG angesehen werden kann. Von der Beklagten sind bislang nur 138 Monate als Zeiten mit Hauerarbeiten oder gleichgestellten Arbeiten anerkannt worden. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, daß das Wirkungsfeld des Wetterfahrsteigers hinsichtlich seiner Leistungs- und Kräfteanforderungen an sich nicht mit der Hauerarbeit zu vergleichen und auch nicht von der Hauerarbeitenverordnung (HaVO) vom 4. März 1958 (BGBl I 137) erfaßt wird. Gleichwohl glaubt der Kläger für sich die Gleichbehandlung beanspruchen zu können, weil er praktisch die Aufgaben eines Wettersteigers wahrgenommen und den Rang des Fahrsteigers nur deshalb erhalten habe, um gegenüber nachgeordneten Betriebsangehörigen mit der erforderlichen beruflichen Autorität auftreten zu können.

Der Aufhebungs- und Leistungsklage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen (Urteil vom 21.1.1960) stattgegeben; das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.2.1961) hat hingegen das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage aus dem Grunde abgewiesen, daß der letzte Beitrag vor den Kriegsdienst- und Internierungszeiten zur Angestelltenversicherung und nicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sei (§ 50 Abs. 3 RKG).

Gegen das am 28. März 1961 zugestellte Urteil des LSG, das die Revision zugelassen hat, hat der Kläger am 21. April 1961 das Rechtsmittel der Revision eingelegt und diese vornehmlich damit begründet, daß die Ersatzzeiten schon deshalb auch in der Knappschaftsversicherung für die Wartezeit berücksichtigt werden müßten, weil er innerhalb von zwei Jahren nach seiner Freilassung aus der Internierung eine knappschaftlich versicherte Beschäftigung aufgenommen habe. Er meint, das LSG habe den § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG zu eng ausgelegt. Wenn es dort heiße, Ersatzzeiten würden unter Umständen auch ohne vorhergehende Beitragszeiten angerechnet, dann werde damit nicht verlangt, daß der Versicherte vor dem Ende der Ersatzzeiten überhaupt noch nicht der Versicherung angehört haben dürfe. Vielmehr werde lediglich zum Ausdruck gebracht, daß der letzte Beitrag nicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung geleistet sein dürfe. Es sei nicht einzusehen, weshalb der Kläger lediglich deshalb keinen Anspruch auf die Bergmannsrente haben solle, weil er zwischen seiner ersten Zugehörigkeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung und dem Anfang der Kriegsdienstzeit in der Angestelltenversicherung versichert gewesen sei. Allein wegen der Tatsache, daß er einmal zur Angestelltenversicherung Beiträge erbracht habe, könne er unmöglich schlechter behandelt werden, als er gestellt wäre, wenn er in der entsprechenden Zeit überhaupt nicht der Rentenversicherung angehört hätte.

Der Kläger beantragt,

das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;

hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist statthaft, da das LSG sie zugelassen hat. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Sache hat keinen Erfolg.

Dem Kläger steht - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - der Anspruch auf die Bergmannsrente schon deshalb nicht zu, weil er die nach §§ 49 Abs. 2, 50 Abs. 3 und 4 RKG erforderliche Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten nicht zurückgelegt hat. Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind für den Kläger insgesamt nur 297 Monatsbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung aufgebracht worden. Gleichwohl wäre der Wartezeitbedingung von 300 Monaten dann genügt, wenn dem Kläger zusätzlich Ersatzzeiten gutgebracht werden könnten. Dazu bietet das Gesetz jedoch keine Handhabe.

Eine der in § 51 RKG aufgeführten Ersatzzeiten kann nur dann als knappschaftliche Versicherungszeit gewertet werden, wenn der letzte Beitrag vor Beginn der Ersatzzeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung geflossen ist. Hieran fehlt es. Die in Betracht kommende Ersatzzeittatsache, nämlich der Kriegsdienst des Klägers, begann im August 1940; sie folgte auf die Zeit einer im Jahre 1936 aufgenommenen und bis 1939 fortgesetzten Beschäftigung, derentwegen der Kläger eben nicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung, sondern in der Angestelltenversicherung versichert war. Damit entfällt die rechtliche Möglichkeit, den Kriegsdienst und ebenso die nachfolgende Internierungszeit in die knappschaftliche Versicherungszeit miteinzubeziehen. Hierfür ist unerheblich, daß der Kläger früher, und zwar von 1920 bis 1936 knappschaftlich versichert war. Dieses für den Kläger nachteilige Ergebnis folgt aus der Konstruktion des Gesetzes, welches im Hinblick auf die Ersatzzeiten nicht nur den Fortbestand eines Versicherungsverhältnisses fingiert, sondern zugleich unterstellt, daß der Versicherte während der Ersatzzeit in demjenigen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung verblieben wäre, zu dem er vor der Ersatzzeit zuletzt in Rechtsbeziehungen gestanden hatte. Diese gesetzgeberische Erwägung ist für das Verständnis des § 50 Abs. 3 RKG, aber auch nur hierfür ausschlaggebend. Sieht man nämlich von der Eigentümlichkeit dieser Vorschrift ab, dann kommt der Zuordnung einer Ersatzzeit zu dem einen oder anderen Versicherungszweig nur eine nachrangige, den Anspruch des Versicherten grundsätzlich nicht berührende Bedeutung zu. Anders verhält es sich jedoch, soweit es die Wartezeit für die Bergmannsrente betrifft. Die in § 50 Abs. 3 RKG aufgenommene Klausel, daß Ersatzzeiten in dem Versicherungszweig als zurückgelegt gelten, zu dem vor der Ersatzzeit der letzte Beitrag aufgewendet worden ist, wird zwar in den §§ 104 Abs. 2 Satz 2 RKG, 1314 Abs. 2 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und 93 Abs. 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wiederholt. In diesen Vorschriften geht das Gesetz aber lediglich auf das Innenverhältnis zwischen mehreren Versicherungsträgern ein, die gemeinsam aus einer Wanderversicherung verpflichtet sind. Es wird der finanzielle Ausgleich zwischen den beteiligten Versicherungsträgern geordnet. Im übrigen gilt generell der Satz, daß die in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie die in der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitrags- und Ersatzzeiten einfach zusammengerechnet werden; aus allen Versicherungszeiten, einschließlich der Ersatzzeiten, wird schlechthin die Summe gezogen. Ein und dieselbe Ersatzzeit kann sowohl hier wie dort zur Auffüllung der Versicherungszeit dienen. Hat zB ein Versicherter nicht die Gesamtleistung des Wanderversicherungsrechts, sondern bloß die Leistung aus einer einzelnen Versicherung beantragt, so wird die Anrechenbarkeit einer Ersatzzeit in dieser in Anspruch genommenen Versicherung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der letzte Beitrag an den anderen Versicherungszweig gezahlt war. Die Verbindung zwischen Beitragszeit und Ersatzzeit in einem Versicherungszweig ist nicht durch eine Beitragsleistung an einen anderen Zweig abgerissen. Die Ersatzzeit läßt sich einmal diesem und einmal jenem Versicherungszweig zuschlagen; sie ist "übertragbar".

Im Knappschaftsrecht gilt dagegen für Ersatzzeiten eine Sonderregelung, die ihresgleichen im Recht der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung nicht hat. Diese Regelung, die in § 50 Abs. 3 Satz 1 RKG ihren Niederschlag gefunden hat, entspringt einer unmißverständlichen Absicht des Gesetzes. Zum Unterschied von der sonst auswechselbaren Anknüpfung soll die Zuordnung einer Ersatzzeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung streng an eine vorangehende Beitragsgegebenheit gekoppelt sein. Das ist um so mehr anzunehmen, als die Rentenversicherungsgesetze an verschiedenen Stellen des Abschnitts über die Wanderversicherung auf die besondere Ersatzzeitenordnung des Knappschaftsrechts verweisen (vgl. die §§ 100 Abs. 1 Satz 2 RKG, 1309 Abs. 1 Satz 2 RVO, 88 Abs. 1 Satz 2 AVG; auch: §§ 1310 Abs. 6 Satz 3, 1311 Abs. 2, 1312 Abs. 2 RVO sowie die entsprechenden Bestimmungen des RKG und AVG). Damit wird noch der Charakter der knappschaftlichen Spezialregelung unterstrichen, durch welche die allgemeinen Vorschriften verdrängt werden.

Die Sondernorm des § 50 Abs. 3 Satz 1 RKG verbietet demnach die Anrechnung der auf eine Angestelltentätigkeit folgenden Ersatzzeit auf die Wartezeit für die Bergmannsrente.

Diesem Ergebnis versucht die Revision vergeblich mit dem Hinweis auf Satz 2 des § 50 Abs. 3 RKG zu begegnen. Der Kläger hat zwar innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende seiner Internierung eine knappschaftlich versicherte Beschäftigung aufgenommen. Diese Tatsache wäre aber nur dann von Belang, wenn keine Versicherungszeiten vorausgingen. Der Kläger stand jedoch am Anfang und am Schluß der Ersatzzeiten noch in einem rechtswirksamen Versicherungsverhältnis sowohl zur Angestelltenversicherung als auch zur knappschaftlichen Rentenversicherung. Diese rechtliche Gegebenheit stellt das Gegenteil der negativen Tatbestandsvoraussetzung des § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG dar. Denn diese Vorschrift greift nur ein, wenn es bislang an jeder beständigen Rechtsbeziehung zu einer der in Betracht kommenden gesetzlichen Rentenversicherungen fehlt. Läßt sich indessen hinsichtlich einer Ersatzzeit an eine frühere Beitragszeit anknüpfen, dann ist kein Sachverhalt gegeben, der unter die Ausnahmevorschrift des § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG fällt. Dann besteht kein Anlaß für ein Abweichen von dem Prinzip, daß Ersatzzeiten grundsätzlich nur einem "Versicherten" zugute kommen können, daß aber ein Versicherungsverhältnis nicht mit Ersatzzeiten eingeleitet werden kann. Von diesem Grundsatz ist das Gesetz allein im Hinblick darauf abgegangen, daß - vornehmlich junge - Personen durch Kriegsdienst, Verschleppung, Haft und ähnliche Umstände vorher an der Aufnahme einer Berufsarbeit gehindert gewesen waren. Wer hingegen bereits vorher im Berufsleben stand und deshalb versichert war, gilt auch während eines in § 51 RKG festgelegten Ersatzzeitgeschehens weiterhin in dem bis dahin maßgeblichen Bereich als versichert. Gegenüber der Fiktion, von der das Gesetz in § 50 Abs. 2 bis 4 RKG allgemein ausgeht, daß ohne die vorliegenden Ersatztatsachen eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und die bestehende Versicherung aufrechterhalten worden wäre, bleibt für die Annahme eines unter § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG fallenden Sachverhalts kein Raum. Die Fortdauer des einmal begründeten Rechtszustandes wird so lange unwiderleglich vermutet, bis seine Änderung erkennbar in Erscheinung getreten ist. Dies war im Falle des Klägers nicht schon zu Beginn des Kriegsdienstes, sondern erst im Jahre 1947 der Fall, als er wieder an einen Arbeitsplatz in einem bergbaulichen Betrieb zurückkehrte.

Da somit die Ersatzzeiten nicht auf die für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG erforderliche Wartezeit angerechnet werden können, ist diese nicht erfüllt. Deshalb hat der Kläger keinen Anspruch auf die Bergmannsrente. Die Revision war mithin allein schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 42

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