Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Kläger neben der Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, durch den eine Leistung abgelehnt worden ist, auch die Leistungsklage erhoben und hebt das SG den Verwaltungsakt auf, ohne über die Leistungsklage eine Entscheidung zu treffen, so wird auf die Berufung der beklagten Verwaltung nur die Anfechtungsklage Gegenstand des Berufungsverfahrens.

2. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Berufungsbeklagten auf die Möglichkeit der Anschlußberufung hinzuweisen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei Streitigkeiten über Einnahmegarantien der Kassenärzte wirken nur Ärzte als ehrenamtliche Richter der Sozialgerichtsbarkeit mit.

 

Normenkette

SGG § 54 Fassung: 1953-09-03, § 106 Fassung: 1953-09-03, § 112 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juli 1958 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der im Jahre 1873 geborene bisherige Kläger, Dr. H M, war seit 1919 Kassenarzt und hatte am 1. Oktober 1954 zu Gunsten seiner Tochter auf die Zulassung verzichtet. Dr. M ist am 14. April 1960 gestorben. Seine Ehefrau hat als Rechtsnachfolgerin des Klägers den Rechtsstreit aufgenommen.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem bisherigen Kläger ein Anspruch auf "Einnahmegarantie" gegen die Beklagte zustand. Die Vertreterversammlung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beschloß am 7. Dezember 1955 in Ergänzung des Honorarverteilungsmaßstabs Bestimmungen über die Gewährung einer Einnahmegarantie, wonach der Finanzausschuß der Beklagten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einzelnen Ärzten auf deren Antrag eine Einnahmegarantie bis zum Höchstbetrag von 1500.- DM vierteljährlich gewähren konnte. Die Einnahmegarantie-Bestimmungen traten am 1. Januar 1956 in Kraft. Sie wurden ergänzt durch die von der Vertreterversammlung am 5. September 1956 erlassenen "Richtlinien für die Gewährung der Einnahmegarantie", die u. a. folgenden Wortlaut hatten:

"1. Die Einnahmegarantie der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg ist eine soziale Maßnahme, die im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabs durchgeführt wird und die insbesondere zur Sicherung der Existenz bei invaliden und alten Kassenärzten vorübergehend oder dauernd in Kraft treten kann. An der RVO-kassenärztlichen Versorgung beteiligte Ärzte sind den Kassenärzten dabei gleichgestellt.

Als soziale Gemeinschaftsaufgabe soll die Einnahmegarantie so lange im Rahmen des Möglichen eine Lücke schließen, als eine Versorgungseinrichtung für Kassenärzte nicht besteht.

Die für die Einnahmegarantie benötigten Mittel werden in Höhe des jeweiligen Bedarfs vom kassenärztlichen Honorar durch prozentualen Abzug vom Gesamthonorar abgezweigt. Der Abzug vom Gesamthonorar darf einen von der Vertreterversammlung jeweils festzulegenden prozentualen Höchstbetrag nicht übersteigen. Übersteigt der Gesamtbedarf die entsprechend dem Höchstbetrag zur Verfügung stehenden Mittel, so ist die Einnahmegarantie entsprechend zu kürzen. Die Durchführung einer sozialen Gemeinschaftsaufgabe auf dieser Grundlage schließt aus, einen Rechtsanspruch auf die vorgesehenen Leistungen festzulegen und eine Rückerstattung einbehaltener Honorarteile für den Fall vorzulegen, daß Leistungen bestimmungsgemäß nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt werden können.

16. Die Gewährung der Einnahmegarantie ist gemäß dem Beschluß der Vertreterversammlung vom 7.12.1955 vom 1.1.1956 möglich und kann bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen von solchen Ärzten beantragt werden, die am 1.1.1956 den Rechtsstatus eines Kassenarztes oder eines an der RVO-Kassenpraxis beteiligten Arztes besaßen. Bei Verzicht auf die Kassenpraxis vor diesem Zeitpunkt ist die Gewährung der Einnahmegarantie nicht möglich. In Härtefällen kann der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg eine von dieser Bestimmung abweichende Entscheidung treffen."

Auf den Antrag des Dr. M vom 21. April 1956, ihm die Einnahmegarantie nach den Einnahmegarantie-Bestimmungen zu gewähren, teilte die beklagte KV am 6. Juni 1956 mit, der Finanzausschuß habe den Antrag abgelehnt, weil Dr. M schon vor Inkrafttreten der Einnahmegarantie-Bestimmungen auf die Kassenzulassung verzichtet habe. Gleichzeitig wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß die Einführung einer Härteklausel vorgesehen sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger bei der KV Widerspruch ein und machte geltend, eine Beschränkung der Einnahmegarantie auf solche Ärzte, die nach dem 1. Januar 1956 ihre kassenärztliche Tätigkeit beendet hätten, ergebe sich aus den Einnahmegarantie-Bestimmungen nicht. Daraufhin teilte der Hauptgeschäftsführer der Beklagten dem Kläger durch Schreiben vom 11. Juli 1956 mit, der Finanzausschuß habe am 5. Juli 1956 den Widerspruch zurückgewiesen. Mit der Einnahmegarantie sei eine völlig neue Einrichtung geschaffen worden, die zwangsläufig eine Begrenzung erfordere. Die Begrenzung ergebe sich aus dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Einnahmegarantie-Bestimmungen am 1. Januar 1956.

Am 31. Juli 1956 erhob Dr. M gegen die KV Nord-Württemberg Klage beim Sozialgericht (SG) Stuttgart und beantragte,

den Bescheid vom 6. Juni 1956 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Juli 1956 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab Antragstellung die beantragte Einnahmegarantie zu gewähren.

Die beklagte KV beantragte Klageabweisung.

Das SG hob mit Urteil vom 26. November 1957 den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 1956 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11. Juli 1956 auf: Die beklagte KV habe bei der Entscheidung über den Antrag des Klägers die Grenzen ihres freien Ermessens überschritten. Die rechtmäßige Ausübung des Ermessens erfordere eine gleichmäßige Behandlung aller gleichgelagerten Fälle. Da feststehe, daß die Beklagte zumindest in dem Falle des Dr. D, der dem des Klägers weitgehend gleiche, die Einnahmegarantie gewährt habe, sei der angefochtene Bescheid wegen ungleichmäßiger Ausübung des Ermessens aufzuheben. Damit solle die Beklagte Gelegenheit erhalten, den Anspruch des Klägers auch im Hinblick auf die nach dem Erlaß des Widerspruchsbescheides in Kraft getretenen Einnahmegarantie-Richtlinien vom 5. September 1956 zu überprüfen und ihre Entscheidung über die Gewährung der Einnahmegarantie an den Kläger nach ihren in gleichgelagerten Fällen ergangenen Beschlüssen auszurichten.

Gegen dieses Urteil legte die beklagte KV Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein und beantragte,

in Abänderung des SG-Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragte,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertrat die Auffassung, das angefochtene Urteil habe nur den Hilfsanspruch zugesprochen. Trotzdem falle auch der Hauptanspruch - nämlich die Beklagte zur Gewährung der Einnahmegarantie zu verurteilen - der Berufungsinstanz an und sei in erster Linie zu prüfen. Sachlich habe das SG zu Unrecht angenommen, die Gewährung der Einnahmegarantie sei eine Ermessensentscheidung. Auf die Einnahmegarantie bestehe sowohl nach den Einnahmegarantie-Bestimmungen als auch nach den Einnahmegarantie-Richtlinien vom 5. September 1956 ein Rechtsanspruch.

Das LSG hob mit Urteil vom 15. Juli 1958 das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Zur Begründung führte das LSG aus: Gegenstand des Berufungsverfahrens sei nur noch der Antrag auf Aufhebung der Bescheide vom 6. Juni und vom 11. Juli 1956. Den weiteren Antrag des Klägers auf Verurteilung zur Gewährung der Einnahmegarantie habe das SG - wie den Gründen seines Urteils zu entnehmen sei - abgewiesen. Da nur die Beklagte Berufung eingelegt habe, sei nur noch die Anfechtung der Bescheide Streitgegenstand des Berufungsverfahrens. - Die Klage sei nicht begründet, weil der angefochtene Bescheid des Finanzausschusses nicht rechtswidrig sei. Bei der Nachprüfung dieses Bescheides seien allein die Einnahmegarantie-Bestimmungen zugrunde zu legen. Weder aus dem Aufhebungsbeschluß der Vertreterversammlung noch aus Wortlaut und Inhalt der neuen Einnahmegarantie-Richtlinien ergebe sich, daß die Einnahmegarantie-Bestimmungen rückwirkend beseitigt werden sollten. Die neuen Einnahmegarantie-Richtlinien seien daher frühestens am 5. September 1956 wirksam geworden. Auf die Einnahmegarantie bestehe weder nach den Einnahmegarantie-Bestimmungen noch nach den Einnahmegarantie-Richtlinien ein Rechtsanspruch.

Die Beklagte habe bei der Ablehnung des Antrages auf Gewährung der Einnahmegarantie nicht ermessensfehlerhaft gehandelt.

Die Einnahmegarantie-Bestimmungen beträfen nach Wortlaut und Sinn nur Ärzte, die beim Inkrafttreten am 1. Januar 1956 noch Mitglieder der KV gewesen seien. Der Kläger sei am 1. Januar 1956 nicht mehr Mitglied der KV gewesen und habe auch zur Beklagten in keinem Rechtsverhältnis gestanden. Der Kläger gehöre somit nicht zu dem von den Einnahmegarantie-Bestimmungen begünstigten Personenkreis. Daher habe der Finanzausschuß dem Antrag des Klägers nicht stattgeben dürfen. Eine echte Ermessensabwägung habe unter diesen Umständen nicht vorgenommen werden können.

Zwar habe die beklagte KV einem anderen Arzt - Dr. D -, der ebenfalls vor dem 1. Januar 1956 als Kassenarzt ausgeschieden sei, die Einnahmegarantie zugestanden. Deswegen sei die Beklagte aber nicht verpflichtet gewesen, auch dem Kläger die Einnahmegarantie zu gewähren. Die gleichmäßige Übung einer Verwaltungsbehörde, die sich im übrigen noch nicht in einem einzigen Fall offenbare, könne zu gleichen künftigen Handlungen nur dann verpflichten, wenn sich die gleichmäßige Verwaltungsübung in Ausübung eines freien Ermessens entwickelt habe. Das SG habe übersehen, daß die Vertreterversammlung in den Einnahmegarantie-Bestimmungen das Ermessen insoweit gebunden habe, als eine Einnahmegarantie an vor dem 1. Januar 1956 ausgeschiedene Kassenärzte nicht vorgesehen sei. Wenn die Beklagte in Verkennung der Tragweite des Abs. 4 Satz 3 der Einnahmegarantie-Bestimmungen dem Dr. D gleichwohl die Einnahmegarantie zugestanden habe, so könne daraus nur gefolgert werden, daß diese Einnahmegarantie zu Unrecht gewährt worden sei.

Gegen das am 24. Juli 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. August 1958 Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und in erster Linie nach den Klaganträgen zu erkennen,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das LSG Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Er rügt als Verfahrensmängel:

Das LSG habe verkannt, daß es sich bei dem Klagebegehren um eine Vornahmeklage und nicht um eine Anfechtungsklage handele. Nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 537 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei der Hauptantrag auf Verurteilung der beklagten KV zur Gewährung der Einkommensgarantie auch ohne Berufungseinlegung durch den Kläger dem Berufungsgericht angefallen. Bei einer anderen, von der ständigen Praxis abweichenden Rechtsansicht sei das LSG nach §§ 106, 112 SGG verpflichtet gewesen, darauf hinzuwirken, daß der Kläger den Mangel seines Antrages durch Anschlußberufung behebt. Durch diese Unterlassung habe das LSG dem Kläger das rechtliche Gehör versagt.

Durch die falsche Würdigung der Klage als Anfechtungsklage habe das Berufungsgericht zu Unrecht seiner Entscheidung nicht das zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung geltende Recht, nämlich die Einnahmegarantie-Richtlinien vom 5. September 1956, zugrunde gelegt. Selbst wenn eine reine Anfechtungsklage in Frage stehe, habe das LSG die neuen Einnahmegarantie-Richtlinien anwenden müssen, denn die fortgesetzte Klageeinlassung der Beklagten ersetze einen neuen ablehnenden Bescheid. Insofern seien die §§ 96, 128 Abs. 1 SGG verletzt. Eine Verletzung dieser Vorschriften liege auch darin, daß das LSG einen Beschluß des Vorstandes der Beklagten, durch den deren Prozeßbevollmächtigter angewiesen wurde, eine vergleichsweise Festsetzung der Einnahmegarantie auf monatlich 300,- DM abzulehnen, nicht als ablehnenden Bescheid gewertet habe. Wenn das LSG die Ansicht vertrete, der neue Antrag des Klägers sei noch nicht beschieden, so habe es auf den Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes oder auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage hinwirken müssen. Insoweit liege ein Verstoß gegen §§ 106, 112 SGG und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 62 SGG vor.

Die beklagte KV beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Mit Bescheid vom 7. Januar 1959 hat die beklagte KV den Antrag des Klägers auf Einkommensgarantie auch nach den Einnahmegarantie-Richtlinien abgelehnt. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger ebenfalls Klage erhoben. Er hat mitgeteilt, das vor dem SG Stuttgart anhängige Verfahren sei jedoch so lange gehemmt, bis im Revisionsverfahren geklärt sei, ob der auf die Einnahmegarantie-Richtlinien gestützte Klageanspruch bereits rechtshängig ist.

II.

Der Senat hat vorab geprüft, ob er im vorliegenden Verfahren mit zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Beisitzern richtig besetzt ist (vgl. BSG 5, 50; 11, 1; 11, 102; 15, 169). Nach §§ 12 Abs. 3, 33, 40 SGG wirken in den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Kassenarztrechts je ein Sozialrichter (Landessozialrichter, Bundessozialrichter) aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte mit, außer wenn es sich um "Angelegenheiten der Kassenärzte" handelt, bei denen nur Ärzte als ehrenamtliche Beisitzer teilnehmen. Ein Fall dieser Art liegt hier vor. Nach der Rechtsprechung des Senats sind unter "Angelegenheiten der Kassenärzte" solche Streitsachen zu verstehen, die nach der gesetzlichen Regelung in den Bereich der kassenärztlichen Selbstverwaltung fallen. Entscheidend ist demnach, ob eine Angelegenheit im Verwaltungsverfahren von der kassenärztlichen Selbstverwaltung zu erledigen ist oder ob für sie die Organe der "gemeinsamen Selbstverwaltung" der Krankenkassen und der Kassenärzte zuständig sind. Bei der von der Vertreterversammlung der beklagten KV beschlossenen Einnahmegarantie handelt es sich nach Ziff. 1 der Einnahmegarantie-Richtlinien um eine soziale Maßnahme, die im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabes durchgeführt wird. Da für die Verteilung der Gesamtvergütung nach § 368 n Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die KV zuständig ist und sowohl nach Ziff. 1 und 4 der Einnahmegarantie-Bestimmungen als auch nach Ziff. 2, 16 und 18 der Einnahmegarantie-Richtlinien der Finanz- bzw. Versorgungsausschuß und der Vorstand der beklagten KV über die Gewährung der Einkommensgarantie entscheiden, handelt es sich im vorliegenden Fall um eine Angelegenheit der Kassenärzte. Der Senat hatte deshalb - wie geschehen - in der Besetzung mit zwei Bundessozialrichtern aus dem Kreise der Kassenärzte zu entscheiden.

Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht statthaft. Nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG findet die Revision - wenn sie vom Berufungsgericht nicht zugelassen worden ist - nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und wenn dieser Fehler auch tatsächlich vorliegt (BSG 1, 150, 152 f). Mit ihrem Angriff, das LSG habe zu Unrecht nicht über die Leistungsklage entschieden, rügt die Revision sinngemäß eine Verletzung des § 123 SGG, wonach das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entscheidet. Diese Rüge geht jedoch fehl, denn das LSG hat über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entschieden, soweit sie ihm zur Entscheidung angefallen waren.

Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung in der Berufungsinstanz ist innerhalb der Berufungsanträge der von dem angefochtenen Urteil rechtskraftfähig anerkannte oder aberkannte Anspruch, dagegen fallen Ansprüche, über die das angefochtene Urteil überhaupt nicht entschieden hat, der Berufungsinstanz nicht an (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., S. 681; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 26. Aufl. § 537 Anm. 1 B). Der Streitgegenstand, der dem LSG angefallen ist, wird demnach einerseits durch den Urteilsausspruch des SG und andererseits durch die Berufungsanträge begrenzt. Das SG hatte im vorliegenden Falle nur die angefochtenen Bescheide der beklagten KV aufgehoben, über den Antrag, die Beklagte zur Gewährung der Einnahmegarantie zu verurteilen, jedoch keine Entscheidung getroffen. Dies ergibt sich aus der Urteilsformel. Die Darlegung des SG in den Gründen des Urteils, auf die Einnahmegarantie bestehe kein Rechtsanspruch, es handele sich vielmehr um eine Ermessensleistung der beklagten KV, läßt zwar den Schluß zu, daß das SG den Leistungsanspruch für unbegründet gehalten hat; auch aus den Gründen des Urteils ergibt sich aber nicht, daß das SG über die Leistungsklage eine - abweisende - Entscheidung treffen wollte. Entgegen der Ansicht des LSG ist somit davon auszugehen, daß das SG die Leistungsklage nicht abgewiesen, sondern übergangen hat. Dem LSG ist dieser übergangene Leistungsanspruch nicht angefallen, denn der damalige Kläger hat weder (Anschluß-) Berufung eingelegt noch für den Fall des versehentlichen Übergehens des Anspruchs die Ergänzung des sozialgerichtlichen Urteils nach § 140 Abs. 1 SGG beantragt. Das Fehlen einer Anschlußberufung würde im übrigen auch dann ausschließen, daß der Leistungsanspruch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, wenn man mit dem LSG annehmen wollte, das SG habe die Leistungsklage - ohne es im Tenor auszudrücken - abgewiesen. Die Rechtshängigkeit der Leistungsklage war damit erloschen (vgl. Rosenberg aaO S. 264, 682; Baumbach/Lauterbach aaO § 321 Anm. 3 A, § 537 Anm. 1 B; Wieczorek, ZPO, § 321 Anm. C I b, § 536 Anm. B II a 3; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand 1.6.1962, § 140 Anm. 1).

Die Leistungsklage ist dem LSG auch nicht durch die Berufungsanträge der beklagten KV zur Entscheidung angefallen. Zwar hat die Beklagte ganz allgemein die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage beantragt. Ihre Anträge sind aber dahingehend zu verstehen, daß sie die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils nur insoweit begehrte, als das SG dem Klageantrag durch Aufhebung der angefochtenen Bescheide entsprochen hatte. Ein weitergehendes Berufungsbegehren der Beklagten ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil die beklagte KV durch das Urteil des SG insoweit nicht beschwert war, als der Leistungsanspruch übergangen oder - wenn man der Ansicht des LSG folgen wollte - abgewiesen worden ist.

Die Ansicht der Klägerin, die Leistungsklage sei dem Berufungsgericht zur Entscheidung angefallen, weil das SG nur den "Hilfsanspruch" zuerkannt habe, ist irrig. Zwar wird ein Hilfsanspruch Gegenstand des Berufungsverfahrens, wenn in der ersten Instanz der Hauptanspruch zuerkannt worden ist und der Beklagte Berufung einlegt (vgl. hierzu Rosenberg aaO S. 461; Baumbach/Lauterbach aaO § 537 Anm. 1 C a). Das gleiche kann aber nicht ohne weiteres für den umgekehrten Fall gelten (RG in HRR 1938, 1531, aA wohl Baumbach/Lauterbach aaO § 537 Anm. 1 C b; Rosenberg aaO S. 681). Würde der Hauptanspruch - wie die Klägerin meint - dem Berufungsgericht auch ohne Anschlußberufung des Klägers anfallen, wenn der Beklagte in der ersten Instanz nach dem Hilfsanspruch verurteilt worden ist und allein der Beklagte Berufung einlegt, so könnte das Berufungsurteil zu einer grundsätzlich unzulässigen reformatio in peius führen (vgl. Peters/Sautter/Wolff aaO § 143 Anm. 1 c). Diese Frage kann indessen dahinstehen, denn die im sozialgerichtlichen Verfahren zusammengefaßt erhobenen Klagen auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und auf Verurteilung zur Gewährung einer Leistung (§ 54 Abs. 4 SGG) stehen grundsätzlich nicht in einem Eventualverhältnis zueinander. Wenn es auch richtig sein mag, daß sich bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage das Interesse des Klägers auf die Verurteilung zur Gewährung der geforderten Leistung konzentriert, so folgt daraus doch nicht, daß der Aufhebungsanspruch nur hilfsweise - für den Fall der Abweisung der Leistungsklage - geltend gemacht wird. Beide Ansprüche stehen vielmehr gleichrangig nebeneinander.

Der Senat hat schließlich noch geprüft, ob dem LSG durch die Berufung der beklagten KV eine Verpflichtungsklage i. S. des § 54 Abs. 1 und 2 SGG angefallen ist. Nach Ansicht des SG und auch des LSG handelt es sich bei der Einnahmegarantie um eine Ermessensleistung. Da der Kläger hiernach neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide grundsätzlich nicht die Verurteilung zur Gewährung der Einnahmegarantie verlangen konnte, lag es nahe, neben der Leistungsklage eine - hier in der Tat hilfsweise erhobene - Verpflichtungsklage anzunehmen (§ 123 SGG). Es kann dahinstehen, ob das SG das Begehren des Klägers auch als Verpflichtungsanspruch verstanden hat, denn es hat über den - möglicherweise im Leistungsantrag enthaltenen - Antrag auf Verurteilung zum Erlaß eines neuen Bescheides, ebenso wie über die Leistungsklage, keine Entscheidung getroffen. Wenn in den Urteilsgründen ausgeführt wird, durch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide solle der beklagten KV Gelegenheit gegeben werden, den Anspruch des Klägers noch einmal zu überprüfen, so liegt darin keine Verurteilung zum Erlaß eines neuen Bescheides, sondern nur ein Hinweis auf die ohnehin bestehende Verpflichtung der beklagten KV, dem damaligen Kläger Dr. M einen neuen Bescheid zu erteilen. Ebenso wie der Leistungsanspruch wäre auch der bei Ermessensleistungen grundsätzlich allein zulässige Verpflichtungsanspruch dem LSG durch die Berufung der Beklagten nicht zur Entscheidung angefallen; die Aufhebungsklage steht auch zur Verpflichtungsklage nicht in einem Eventualverhältnis. Da das LSG daher nur über die Anfechtungsklage zu entscheiden hatte, bestehen keine verfahrensrechtlichen Bedenken dagegen, daß es bei seiner Entscheidung nur die Einnahmegarantie- Bestimmungen, nicht aber auch die inzwischen in Kraft getretenen Einnahmegarantie-Richtlinien angewandt hat.

Auch die weitere Rüge des Klägers, das LSG habe das Vorbringen der Beklagten zu Unrecht nicht als Erlaß eines neuen ablehnenden Bescheides aufgefaßt, vermag die Statthaftigkeit der Revision nicht zu begründen. Eine Verletzung der §§ 96, 128 SGG liegt nicht vor. Nach § 96 SGG wird ein nach Klageerhebung erlassener Verwaltungsakt, der den angefochtenen Bescheid abändert oder ersetzt, Gegenstand des Verfahrens, wobei dem Gericht eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts mitzuteilen ist. Abgesehen davon, daß die beklagte KV während des Berufungsverfahrens einen neuen Verwaltungsakt jedenfalls nicht ausdrücklich erlassen hat, können auch ihre Anträge auf Klageabweisung nicht einem neuen ablehnenden Bescheid gleichgestellt werden. Da die Beklagte im Prozeß durch ihren ersten Vorsitzenden vertreten wird (§ 10 Abs. 2 der Satzung der Beklagten vom 5. Sept. 1956) und über die Anträge auf Gewährung der Einnahmegarantie nach Nr. 2 und 16 Satz 3 der Einnahmegarantie-Richtlinien der Vorstand bzw. der Versorgungsausschuß zu entscheiden hat, könnten die Berufungsanträge der Beklagten allenfalls dann als ablehnender Bescheid angesehen werden, wenn die zuständigen Organe über den Antrag des Klägers einen entsprechenden Beschluß gefaßt hätten. Dies ist jedoch während des Berufungsverfahrens nicht geschehen. Die von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung geäußerten Bedenken, ob nach Nr. 16 Satz 3 der Einnahmegarantie-Richtlinien einem Arzt, der vor dem 1. Januar 1956 seinen Status als Kassenarzt verloren hat, die Einnahmegarantie überhaupt gewährt werden könne, lassen vielmehr erkennen, daß der Vorstand der KV im Zeitpunkt der Berufungsbegründung jedenfalls noch keine Entscheidung über den Antrag des Klägers getroffen hatte. Auch der Vorstandsbeschluß vom 25. Februar 1958 kann nicht als neuer Bescheid gewertet werden, denn er befaßt sich nur mit der Ablehnung des vom Kläger vorgeschlagenen Vergleiches und enthält die Anweisung, gegen das Urteil des SG Berufung einzulegen. Der in der gleichen Sitzung gefaßte Beschluß, die Angelegenheit Dr. M "für die Tagesordnung einer der nächsten Vorstandssitzungen vorzumerken" spricht außerdem dafür, daß die Entscheidung über den Antrag des Klägers zurückgestellt wurde. Da somit während des Berufungsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt nicht ergangen ist, hat das LSG seine Entscheidung zutreffend auf die Nachprüfung der Bescheide vom 6. Juni 1956 und vom 11. Juli 1956 beschränkt.

Die Statthaftigkeit der Revision kann auch nicht damit begründet werden, das LSG habe auf Grund seiner Aufklärungs- und Förderungspflicht auf den Erlaß eines neuen Bescheides hinwirken müssen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können zwar die Verwaltungsbehörde zum Erlaß eines Verwaltungsaktes verurteilen, wenn die Behörde untätig bleibt. Eine solche Entscheidung setzt aber neben dem Antrag auf Erlaß eines Bescheides die Erhebung einer Untätigkeitsklage voraus (§ 54 Abs. 1, 88 Abs. 1 SGG). Der damalige Kläger hat eine solche Untätigkeitsklage nicht erhoben. Abgesehen von der Möglichkeit, die Verwaltungsbehörde im Rahmen einer Verpflichtungs- oder Untätigkeitsklage zum Erlaß eines Verwaltungsaktes zu verurteilen, sind die Gerichte nach § 106 SGG nicht verpflichtet, die Behörden zum Erlaß eines Bescheides anzuhalten.

Ebenso war das LSG auch nicht verpflichtet, den damaligen Kläger zu veranlassen, seinen Leistungsanspruch im Rahmen einer Anschlußberufung geltend zu machen. Nach §§ 106, 122 SGG hat der Vorsitzende zwar darauf hinzuwirken, daß unklare Anträge erläutert und sachdienliche Anträge gestellt werden. Wenn aber - wie hier - ein sachdienlicher und klarer Antrag auf Zurückweisung der Berufung gestellt worden ist, so fehlte ein Anlaß zur Aufklärung, denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, eine Partei - zumal wenn sie durch einen Rechtsanwalt vertreten ist - zu weitergehenden Anträgen zu veranlassen, wenn die gestellten Anträge dem Sachstreit gerecht wurden (vgl. BSG in SozR SGG § 112 Da 1 Nr. 2; Baumbach/Lauterbach aaO § 139 Anm. 2 D). Im vorliegenden Streit hatte aber der Kläger durch das Urteil des SG erreicht, daß die Verwaltung erneut, und zwar unter Anwendung der neuen Richtlinien - also unter Berücksichtigung der Härteklausel -, über die Einnahmegarantie zu entscheiden hatte. Unter diesen Umständen konnte es das LSG als ein sachdienliches Verhalten des Klägers ansehen, wenn er von der Einlegung der Anschlußberufung absah. Daran ändert es auch nichts, daß der Kläger rechtsirrtümlich davon ausging, die Leistungsklage falle dem Berufungsgericht ohne Anschlußberufung zur Entscheidung an. Wenn nämlich der von einem Rechtsanwalt vertretene Kläger eine von seiner Rechtsauffassung abweichende, ihm ungünstige Auslegung nicht in Betracht zieht und es unterläßt, vorsorglich im Sinne dieser ungünstigen Auslegung zu handeln - hier Anschlußberufung einzulegen -, so handelt er grundsätzlich auf eigene Gefahr (vgl. auch BSG in SozR SGG § 164 Da 4 Nr. 17). Aus §§ 106, 112 SGG kann jedenfalls dann, wenn ein klarer und sachdienlicher Antrag gestellt worden ist, eine Verpflichtung des Vorsitzenden zur Rechtsberatung und Rechtsbelehrung eines durch einen Anwalt vertretenen Klägers nicht hergeleitet werden (vgl. Baumbach/Lauterbach aaO § 139 Anm. 2 D).

Durch die Unterlassung des LSG, auf die Möglichkeit einer Anschlußberufung hinzuweisen, wurde dem Kläger auch nicht das rechtliche Gehör versagt, denn er hat sich zu der umstrittenen Frage, ob der Leistungsanspruch dem LSG anfällt, im Berufungsverfahren eingehend geäußert.

Da die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen, ist die Revision nicht statthaft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324178

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