Leitsatz (amtlich)
Bezieht ein Versicherter wegen Erreichung des 65. Lebensjahres eine Invalidenrente, so löst der spätere Eintritt der Invalidität keinen selbständigen Anspruch auf Gewährung von Invalidenrente wegen Invalidität aus.
Normenkette
RVO § 1253 Fassung: 1942-06-22
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 21. April 1955 und des Bezirks-Berufungsausschusses des früheren Sozialversicherungsamtes Berlin vom 31. Oktober 1953, die Entscheidung des Beschwerdeausschusses der Beklagten vom 18. Juli 1953 und der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1953 werden aufgehoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Dem Kläger sind zwei Drittel seiner ihm im gesamten Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten von der Beklagten zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts T. vor dem Bundessozialgericht wird auf 160,- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der 1883 geborene Kläger - aus dem ersten Weltkrieg auch heute noch 40 v.H. kriegsbeschädigt - hatte bis zum Ende des zweiten Weltkriegs auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung in Berlin Beiträge zur Invalidenversicherung gezahlt. Von 1945 bis zum 31. März 1950 war er weiterhin bei der AEG-Turbinenfabrik in Berlin als Direktionsdiener beschäftigt und wurde zu dem genannten Zeitpunkt von seiner Firma wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. Für die Zeit dieser Beschäftigung waren für den Kläger Beiträge zur Versicherungsanstalt Berlin-West (VAB) entrichtet worden.
Im Januar 1950 beantragte der Kläger bei der VAB die Gewährung der Versichertenrente vom 1. April 1950 ab. In dem Antragsformular ("Rentenantrag für erwerbsunfähige Versicherte") war unter Nr. 4: "Gesundheitszustand des Versicherten" hinter den Fragen: "Seit wann besteht dauernde Erwerbsunfähigkeit? Durch welches Leiden oder Gebrechen ist dauernde Erwerbsunfähigkeit begründet?" angegeben: "Kriegsbeschädigung von 1918", während bei Nr. 5, wo Angaben über den Versicherungsverlauf gefordert wurden, vermerkt war, das letzte Beschäftigungsverhältnis sei seit dem 31. März 1950 gelöst; als Anlage hierzu war eine Bescheinigung der Arbeitgeberfirma darüber eingereicht, daß der Kläger mit Wirkung vom 1. April 1950 infolge Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt werde.
Durch Bescheid vom 27. Mai 1950 gewährte die VAB dem Kläger vom genannten Zeitpunkt ab eine "Tabellenrente" von 112,- DM monatlich nach den Bestimmungen ihrer damals gültigen Satzung. Durch Bescheid vom 20. August 1951 stellte die VAB nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 (BSVAG) - VOBl. I S. 542 -, rückwirkend vom 1. Januar 1951, die Versichertenrente auf eine aus Grundbetrag und Steigerungsbeträgen zusammengesetzte Leistung in Höhe von 112,20 DM um. Hierbei wurden die zur VAB als Einheitsbeiträge nach § 55 Abs. 4 BSVAG entrichteten 57 Monatsbeiträge als Beiträge zur Angestelltenversicherung berücksichtigt und dementsprechend nach Abs. 5 a.a.O. unter Anwendung der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Wanderversicherung 5/5 des Grundbetrags aus der Angestelltenversicherung gewährt. Zu dieser Rente trat seit dem 1. Juni 1951 nach Art. 2 des Berliner Rentenzulagegesetzes (BRZG) noch eine Zulage von 27,50 DM und vom 31. März 1953 noch 5,- DM Grundbetragserhöhung, insgesamt also 144,70 DM.
Gleichfalls vom 1. Januar 1951 ab wurde dem Kläger für die Folgen eines in Jahre 1929 erlittenen Unfalls von der Berufsgenossenschaft für Feinmechanik und Elektrotechnik, Sektion Berlin, (auf Grund des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Land Berlin vom 29. April 1952 - BGBl. O S. 253 - (UZG)) eine - durch die Versorgungsrente von 40 v.H. gestützte - Verletztenrente von 10 v.H. gleich 16,60 DM monatlich gewährt. Daraufhin wurde durch Bescheid vom 24. April 1953 die Versichertenrente umgerechnet. Unter voller Anrechnung der gezahlten Unfallrente belief sich ihr auszuzahlender Betrag nur noch auf insgesamt 128,10 DM.
II. Am 28. Februar 1953 hatte der Kläger bei der Beklagten die Neufestsetzung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt, wobei er darauf hinwies, daß er nunmehr 70 Jahre alt sei, an chronischer Knocheneiterung, Magengeschwüren und einer Schulterverletzung leide und dadurch völlig erwerbsunfähig sei.
Bei der Neuberechnung der Rente auf Grund dieses Antrags stellte die Beklagte - rechnerisch unangefochten - fest, daß die Rentenhöhe bei Annahme von Invalidität unter Anwendung der Vorschriften des Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes ( RVÜG ) vom 10. Juli 1952 monatlich nur 110,40 DM, unter Anwendung der Bestimmungen des BSVAG dagegen 115,90 DM betragen würde. Dieser Unterschied ergab sich daraus, daß bei der nach § 29 RVÜG berechneten Rente auch die zur einheitlichen Rentenversicherung gezahlten Beträge nur noch als Beiträge zur Invalidenversicherung zu rechnen und daher der gesamte Grundbetrag nur aus der Invalidenversicherung einzusetzen war, während bei der Berechnung nach dem BSVAG bei Annahme von Invalidität der volle Grundbetrag aus der Angestelltenversicherung (5/5) zu berücksichtigen gewesen wäre.
Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, die Rente des Klägers sei seinerzeit als Altersrente beantragt worden und bisher rechtskräftig als solche gewährt. Demgegenüber liege nunmehr ein völlig neuer Antrag auf Invalidenrente vor, der nach den neuen Bestimmungen des RVÜG zu bescheiden sei; sie gewährte dem Kläger darauf durch Bescheid vom 8. Juni 1953 eine Rente nach § 1253 RVO in Verbindung mit den §§ 29 und 30 RVÜG ; da eine Berechnung nach den neuen Bestimmungen eine niedrigere Rente ergebe, verbleibe es bei der Höhe der bisherigen Rente.
Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Rentenbescheid wies der Beschwerdeausschuß der Beklagten durch seine Entscheidung vom 21. Januar 1953 zurück; die erstmals als Tabellenrente festgesetzte Rente sei bereits durch rechtskräftigen Bescheid vom 20. August 1951 nach dem BSVAG in eine nach Grund- und Steigerungsbetrag berechnete Rente umgerechnet; der weitere Antrag auf Umwandlung der Altersrente in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei daher als völlig neuer Antrag zu betrachten, für den die Vorschriften des RVÜG maßgebend seien. Die zur VAB geleisteten Beiträge seien als Invalidenversicherungsbeiträge zu werten.
Der Bezirksberufungsausschuß des Sozialversicherungsamts Berlin wies durch Urteil vom 31. Oktober 1953 die Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses ebenfalls zurück.
III. Auch mit seiner weiteren Beschwerde, die nach § 128 Abs. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Inkrafttreten dieses Gesetzes als Berufung auf das Landessozialgericht in Berlin überging, drang der Kläger nicht durch.
Während des Verfahrens vor dem Landessozialgericht hatte die Beklagte durch einen weiteren Bescheid vom 28. Dezember 1954 dem Kläger auf seine Rente die Erhöhung der Unfallrente (Zuschlag und Zulage), die inzwischen eingetreten war, angerechnet und seine Invalidenrente auch insoweit zum Ruhen gebracht. Nach § 96 SGG hatte die Beklagte diesen Bescheid in beglaubigter Abschrift dem Landessozialgericht mitgeteilt.
Durch Urteil vom 21. April 1955 wies das Landessozialgericht die Berufung zurück. Das Landessozialgericht begründet seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen:
Zunächst lehnt es die Anwendung des § 96 SGG ab, da der neue Bescheid nicht an Stelle des in Streit befangenen getreten sei, sondern ihn nur hinsichtlich eines Teiles, der im vorliegenden Rechtsstreit niemals Streitgegenstand gewesen sei - nämlich hinsichtlich der Anwendung der Ruhensbestimmungen und des darauf gestützten Anspruchs auf Erstattung der überzahlten Beträge -, ergänzt habe.
In der Sache selbst vertritt das Landessozialgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) (insbesondere die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5270) die Auffassung, der nach der Vollendung des 65. Lebensjahres eingetretene Versicherungsfall der Invalidität, der im vorliegenden Fall im Urteil zeitlich nicht festgelegt wird, lasse für sich allein den Rentenanspruch entstehen und löse einen neuen selbständigen Versicherungsfall aus, der die Beklagte verpflichte, diesen Anspruch "nach den im Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit, frühestens also im Zeitpunkt der Antragstellung, geltenden Vorschriften zu verwirklichen". Da danach der Zeitpunkt des Antrags und des Eintritts des Versicherungsfalls nach dem 31. März 1952 läge, sei nach § 1253 RVO in Verbindung mit § 29 RVÜG ein völlig neuer Bescheid zu erteilen gewesen.
Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.
IV. Der Kläger hat gegen das ihm am 12. Mai 1955 zugestellte Urteil am 10. Juni 1955 Revision eingelegt und diese am 23. Juni 1955 begründet.
Er rügt die Auffassung des angefochtenen Urteils, "daß der während des Bezugs einer Altersrente gestellte Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Invalidität einen neuen Versicherungsfall auslöse", als unrichtig; er vertritt dagegen die Auffassung, daß trotzdem eine Umrechnung der gewährten Leistung zu seinen Gunsten vorgenommen werden müsse; diese Ansicht entspreche der - vom Landessozialgericht teilweise unzutreffend gewürdigten - ständigen Rechtsprechung des RVA.; solange eine Rente gezahlt werde, könne ein neuer Versicherungsfall nicht eintreten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem BSVAG neu festzustellen, hilfsweise, die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet abzuweisen.
Sie hält die Revision trotz Zulassung für unzulässig, da es sich bei dem BSVAG und dem RVÜG um nicht revisibles Berliner Recht handele. Sachlich sei die Revision nicht schlüssig begründet, da die vom RVA. für die Wanderversicherung aufgestellten Grundsätze über Beitragsberechnung in der Angestelltenversicherung im vorliegenden Fall überhaupt keine Anwendung finden könnten. Im übrigen sei die von ihr vorgenommene neue Feststellung der Rente bei Eintritt der Invalidität zulässig und zutreffend, da die zu gewährenden Leistungen rechtlich verschieden seien.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen. Die Ansicht der Beklagten, diese Zulassung sei unbeachtlich, da sie dem Gesetz widerspreche, weil die gerügten Rechtsnormen nicht revisibel seien, ist unzutreffend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, ist eine durch das Landessozialgericht ausgesprochene Revisionszulassung für das Bundessozialgericht bindend. Eine solche Bindung ist ausnahmsweise nur dann nicht anzunehmen, wenn die Zulassung offensichtlich gegen das Gesetz verstößt und dadurch übergeordnete verfahrensrechtliche Gesichtspunkte verletzt würden (so z.B. Unbeachtlichkeit wegen vorliegender Rechtskraft des zugelassenen Urteils bei endgültigen Entscheidungen der Landessozialgerichte - BSG. 1 S. 104). Im vorliegenden Falle liegt kein derartiger offensichtlicher Verstoß vor; die Frage, ob die angewandten Rechtsnormen revisibles Recht sind, gehört nach § 162 Abs. 2 SGG zu der Prüfung, ob die Revision begründet ist. Gegen die Statthaftigkeit der zugelassenen Revision bestehen daher keine Bedenken.
II. Die Revision erscheint auch begründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Landessozialgerichts zutrifft, der dem Kläger von der Beklagten während des Berufungsverfahrens auf Grund des § 1274 RVO erteilte Ruhensbescheid sei trotz des scheinbar entgegenstehenden Wortlauts des § 96 SGG nicht zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits geworden, weil er einzig einen hier nicht streitbefangenen Teil des Rentenanspruchs betreffe. Selbst wenn das Landessozialgericht rechtsirrig jenen Bescheid nicht zum Gegenstand seines Verfahrens gemacht haben sollte, würde es an der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlichen Rüge dieses Verfahrensmangels fehlen, so daß ein derartiger Mangel unbeachtet bleiben müßte.
Der Kläger hat seinen dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Antrag auf Neufestsetzung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit am 5. März 1953, also nach dem Inkrafttreten des RVÜG , gestellt. Dieses Gesetz, das auch das Landessozialgericht auf den vorliegenden Fall angewandt hat, bestimmt in seinem § 1 grundsätzlich, daß die Rentenversicherung im Land Berlin nach den in dem Bundesgebiet Deutschland geltenden Vorschriften, insbesondere nach der RVO, durchzuführen sei. Soweit Rechtsverletzungen bei der Anwendung dieser danach in Berlin geltenden bundesrechtlichen Vorschriften gerügt werden, handelt es sich demnach um Rechtsnormen, auf die die Revision nach § 162 Abs. 2 SGG gestützt werden kann (vgl. RGZ. 89 S. 361). Anders liegt es dagegen bei denjenigen Vorschriften, bei denen das RVÜG in besonderen Bestimmungen ausdrücklich "etwas anderes" vorschreibt; hier wird regelmäßig im Einzelfall zu prüfen sein, ob diese Vorschriften außerhalb des Landes Berlin im Bundesgebiet inhaltsgleich angewandt werden, andernfalls ihre Verletzung als Revisionsgrund nicht in Frage kommt.
Im vorliegenden Fall hängt die Entscheidung davon ab, ob die Ansicht des Landessozialgerichts zutrifft, bei einer Altersrente der Invalidenversicherung löse der Eintritt der Invalidität einen völlig neuen Versicherungsfall aus und verpflichte die Landesversicherungsanstalt, in einem derartigen Fall nach erneutem Antrag neu über diesen Rentenanspruch zu entscheiden. Die Nachprüfung hat daher zum Gegenstand die Frage, ob die von dem Landessozialgericht dem § 1253 RVO gegebene Auslegung zutrifft; die dieserhalb erhobene Rüge betrifft also eine der Prüfung des Bundessozialgerichts zugängliche revisible Rechtsnorm.
III. Der Revision ist zuzugeben, daß die von dem Landessozialgericht vertretene Auffassung bedenklich erscheint.
Daraus, daß nach den gesetzlichen Bestimmungen für das Versicherungsverhältnis eines in der Invalidenversicherung Versicherten mehrere Versicherungsfälle (hier insbesondere derjenige des Alters und derjenige der Invalidität) möglich sind, folgert das Landessozialgericht, daß jeder dieser Versicherungsfälle für sich allein einen Rentenanspruch entstehen lasse; jeder dieser Versicherungsfälle löse bei seinem Eintritt die Verpflichtung der Landesversicherungsanstalt aus, darüber einen besonderen Bescheid zu erteilen, der allein auf die im Zeitpunkt dieser Antragstellung gültigen Vorschriften zu stützen sei. Nach der Auffassung des Landessozialgerichts besteht diese Verpflichtung der Landesversicherungsanstalt unabhängig davon, ob - veranlaßt durch den früheren Eintritt eines anderen Versicherungsfalls in der Person desselben Versicherten - diesem bereits früher ein anderer rentenbewilligender Bescheid erteilt worden ist oder nicht.
Bei dieser Betrachtungsweise übersieht das Landessozialgericht jedoch, daß die RVO in ihrer derzeitigen Fassung nur eine einheitliche Invalidenrente kennt, daß also die wegen Invalidität gewährte Rente von der wegen Alters gewährten Rente nicht rechtlich verschieden, sondern mit ihr wesenseins ist. Die in dem angefochtenen Urteil zur Stütze mit herangezogene Grundsätzliche Entscheidung Nr. 3443 des RVA. (AN. 29 S. 229) vermag hier nicht weiterzuführen, da sie ihre Folgerung gerade aus der für die damalige Rechtslage jenes Falles zutreffenden rechtlichen und wesensmäßigen Verschiedenheit der knappschaftlichen Invalidenpension und der Alterspension aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung ableitet.
Aus der Wesenseinheit der Invalidenrente, gleichgültig ob sie wegen Invalidität oder wegen Alters gewährt wird, folgt, daß bei zeitlich aufeinanderfolgendem Eintreten beider "Versicherungsfälle" bei demselben Versicherten zwei auch rechtlich durchaus zu trennende Sachverhalte zu unterscheiden sind, je nachdem, ob der zeitlich zuerst eintretende Versicherungsfall bereits zu einer Rentengewährung geführt hat oder ob dies nicht der Fall war. Nur in dem zuletzt gedachten Fall kann die Frage auftreten, ob unabhängig von den Gründen, die zur Nichtgewährung einer Rente in dem zeitlich früheren Zeitpunkt des ersten Versicherungsfalls geführt hatten, bei Eintritt des zweiten Versicherungsfalls eine Rente nach den alsdann geltenden Bestimmungen zu gewähren ist.
In dem Fall dagegen, in dem bereits nach dem Eintritt des ersten Versicherungsfalls einem Versicherten auf Antrag eine Rente gewährt wurde, kann die folgende Verwirklichung auch des Tatbestandes des anderen "Versicherungsfalls" niemals zu der erneuten Gewährung einer Rente führen, da der Versicherte die Rente aus der Invalidenversicherung ja bereits erhält; sie kann höchstens in gewisser Weise zusätzlich auf diese schon gewährte Rente einwirken.
Nur dadurch, daß diese beiden verschiedenen Tatbestände nicht genügend auseinander gehalten wurden, kommt das angefochtene Urteil, - wie offenbar früher auch bereits das RVA. selbst -, zu der Annahme, daß die frühere Rechtsprechung des RVA. gewechselt habe. In Fällen, bei denen aus irgendwelchen Gründen der erste "Versicherungsfall" nicht zu einer Rentengewährung geführt hatte, hat das RVA. bei Eintritt des zweiten Versicherungsfalls, falls zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Bestimmungen dies gestatteten, daraufhin eine Rente zugesprochen (vgl. Grunds. Entscheidung Nr. 5257 vom 25.10.1938 (AN. 39 S. 55) und Grunds. Entscheidung Nr. 5270 vom 13.12.1938 (AN. 38 S. 115); entsprechend auch BSG. Urteil vom 29.3.1956 - 4 RJ 45/54 - (SozR. RVO § 1253 Bl. A a 1 Nr. 1)).
Wesentlich anders liegen dagegen die Verhältnisse, wenn schon der zuerst eingetretene Versicherungsfall zur Rentengewährung geführt hat. In diesem Falle kann die Erfüllung anderer, den gleichen Rentenanspruch begründender Voraussetzungen, d.h. der Eintritt eines späteren "Versicherungsfalls", seine wesentlichste Wirkung, die Leistungsgewährung, offenbar deshalb nicht nach sich ziehen, weil diese bereits ohnehin gewährt wird.
Die Frage, ob trotzdem dem Eintritt jener Voraussetzungen noch irgendwelche Wirkungen beizumessen sind, hat das RVA. in durchaus einheitlicher Grundeinstellung sinnvoll an Billigkeitsüberlegungen ausgerichtet. In der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3128 vom 17. Dezember 1927 (AN. 28 S. 111) lehnte es bei einem Altersinvalidenrentner, der nach der Gewährung der Altersrente einen Betriebsunfall erlitten hatte, die Anwendung des § 1311 Abs. 1 Satz 1 a.F. RVO mit der Begründung ab, durch den Bezug der Invalidenrente sei der Kläger aus dem Versicherungsverhältnis ausgeschieden, es sei daher kein Raum mehr für den Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität. Für den umgekehrten Fall, bei dem ein wegen Unfallfolgen invalidisierter Versicherter, dessen Invalidenrente nach § 1311 RVO zum Teil ruhte, später das 65. Lebensjahr vollendete, hatte der 3. Senat des RVA. - ebenso wie das Bayerische Landesversicherungsamt (EuM. 21 S. 419) - in konsequenter Umkehr dieser Grundsätze zunächst angenommen, für den Eintritt des Versicherungsfalls des Alters sei nach Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität ebenfalls kein Raum mehr. Der demgegenüber vom 11. Senat angerufene Große Senat des RVA. billigte in seiner Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3350 vom 12. Dezember 1928 (AN. 29 S. 64) zwar die Auffassung, daß der Versicherungsfall der Invalidität den der Vollendung des 65. Lebensjahres als solchen ausschließe, da der Versicherungsfall für die Invalidenrente nur einmal eintreten könne. Er wies jedoch darauf hin, daß beide Versicherungsfälle wesensverschieden seien und besondere Rechtswirkungen erzeugten (z.B. führt die Invalidität ohne weiteres zum Ausscheiden, bei Erreichung des Alters sei erst ein Antrag notwendig). Es sei nicht ausgeschlossen, daß nach Eintritt des Versicherungsfalls, der nur einmal eintreten könne, kraft Gesetzes bestimmte Tatsachen auf die Rente wirken und besonders hinsichtlich der Leistungen beeinflussen könnten, wie z.B. ausdrücklich entsprechende Ruhensvorschriften. § 1311 RVO enthalte nun zwar keine ausdrückliche Vorschrift der Einflußnahme des Eintritts des 65. Lebensjahres; eine entsprechende Anwendung jener Gedanken liege jedoch sehr nahe und entspreche durchaus der Billigkeit. Der Bezieher einer Invalidenrente dürfe mit Vollendung des 65. Lebensjahres nicht schlechter gestellt werden als wenn er die Rente auf Grund dieses Alters erhalten würde. Mit teilweise wörtlich übereinstimmender Begründung hat das RVA. dann in seiner Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3945 vom 5. September 1935 (AN. 36 S. 19) die Frage bejaht, daß ein wanderversicherter Altersruhegeldempfänger, der die Wartezeit für das Altersruhegeld durch Beiträge zur Angestelltenversicherung allein nicht erfüllt hatte, die neue Feststellung seines Ruhegeldes verlangen könne, wenn er nachträglich berufsunfähig werde. Unter Hinweis auf die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 3350 führt das RVA. hier aus, daß in jenem Falle die Zulässigkeit der Umwandlung der Rente ausnahmsweise bejaht worden sei, obwohl § 1311 RVO keine ausdrückliche Vorschrift darüber enthält; dieselben Erwägungen, die im Ergebnis der Billigkeit durchaus Rechnung trügen, müßten auch hinsichtlich der §§ 1544 ff. RVO gelten, wenn jemand zuerst das Altersruhegeld beziehe und später berufsunfähig werde (vgl. hierzu auch Komm. der Rentenversicherungsträger Anm. 6 a zu § 1544 c RVO).
Zu Unrecht hat sich demnach das Landessozialgericht zur Begründung seiner Auffassung auf die Rechtsprechung des RVA. berufen. In Übereinstimmung mit dem RVA. ist demgegenüber klarzustellen, daß es sich in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem bereits der erste Versicherungsfall die Rentenleistung ausgelöst hat, nur darum handeln kann, grundsätzlich oder für die einzelnen in Frage kommenden Möglichkeiten festzustellen, ob und ggf. welcher Einfluß auf die bereits laufende Rentenleistung die Tatsache ausübt, daß der Versicherte nun auch aus einem zweiten unterschiedlichen Grund zu derselben Leistung berechtigt ist. Hierbei ist entsprechend der Auffassung des RVA. davon auszugehen, daß eine Umrechnung der gewährten Rente nicht nur dann vorzunehmen ist, wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist, sondern auch dann, wenn die im späteren Zeitpunkt anzuwendenden Vorschriften zu einem für den Rentner günstigeren Ergebnis führen würden und Billigkeitserwägungen eine derartige Besserstellung geboten erscheinen lassen.
Dem Landessozialgericht ist danach der Fehler unterlaufen, in diesem Falle anzunehmen, daß bei Vorliegen eines zweiten "Versicherungsfalls" eine völlig neue Rentenbewilligung zu erfolgen habe, wobei im übrigen ungeklärt geblieben ist, aus welchem Grunde und auf welche Weise der auf Grund des ersten, in seinen tatsächlichen Voraussetzungen noch fortbestehenden "Versicherungsfalls" erteilte Rentenbescheid unwirksam geworden sein soll. Darin, daß die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils die Gewährung einer Invalidenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1253 RVO neben bzw. an Stelle der Altersinvalidenrente für zulässig halten, liegt demnach eine Gesetzesverletzung, so daß die Revision begründet ist.
IV. Bei der Entscheidung in der Sache selbst ist das Bundessozialgericht berechtigt, die Vorschriften des Berliner Rechts anzuwenden. Die Überprüfung der Rechtslage auf Grund dieser Vorschriften führt zu dem Ergebnis, daß der vom Kläger gestellte Umrechnungsantrag überhaupt wirkungslos bleiben mußte.
Die Erteilung eines völlig neuen Bescheides kommt, wie oben ausgeführt wurde, entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen nicht in Frage.
Auf der anderen Seite ist jedoch entgegen der Auffassung des Klägers auch keiner der denkbaren Gründe für eine zulässige Rentenumrechnung gegeben. Eine ausdrückliche Vorschrift, auf die die Umrechnung im vorliegenden Fall gestützt werden könnte, ergibt sich weder aus der RVO noch aus dem RVÜG ; ihr Bestehen wird auch von keiner Seite behauptet.
Ohne eine derartige ausdrückliche Vorschrift wäre eine Umrechnung jedoch nur zulässig, wenn - wie oben erörtert - bestimmte, inzwischen eingetretene Tatsachen bei neuer Rentengewährung zu einem für den Versicherten günstigeren Bescheid führen müßten und deshalb aus Billigkeitsgründen zu seinen Gunsten im Wege der Umrechnung zu berücksichtigen wären. Daran fehlt es jedoch im vorliegenden Falle. Dem Kläger ist einzuräumen, daß er einen derartigen Umrechnungsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen (Eintritt der Invalidität) während der Gültigkeitsdauer des BSVAG gehabt hätte, da nach den damals geltenden Vorschriften der Wanderversicherung für ihn durchaus eine der Entscheidung Nr. 3945 entsprechende Lage zu berücksichtigen gewesen wäre. § 28 RVÜG bestimmt jedoch, daß nach seinem Inkrafttreten eine Rentengewährung nach dem BSVAG nur noch zulässig ist, wenn sowohl der Versicherungsfall vor dem 1. April 1952 eingetreten wie auch der Antrag vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist. Nur wenn beide erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren, konnte daher bei einem Versicherten, der bei gleichem Beitragsbild wie der Kläger erstmals nach Inkrafttreten des RVÜG eine Rente begehrte, im Falle seiner Invalidität die günstigere Regelung des BSVAG angewandt werden. Hatte ein derartiger Versicherter dagegen - trotz schon länger bestehender Invalidität - mit seinem Antrag bis nach dem erwähnten Stichtag gewartet, so wäre für ihn nur die niedrigere Rente des RVÜG festzusetzen gewesen. Dann muß aber auch für den Fall, daß wegen nachträglich eingetretener Invalidität eine Umrechnung einer bereits laufenden (Alters-) Rente begehrt wird, von denselben Voraussetzungen ausgegangen werden; danach erscheint auch eine Umrechnung aus Billigkeitsgründen nur zulässig, wenn nicht nur die Invalidität vor dem Stichtag eingetreten, sondern auch der Umrechnungsantrag vorher gestellt ist. An dem letzteren Erfordernis fehlt es hier, so daß die begehrte Umrechnung unzulässig ist.
Da es demnach entscheidend darauf ankommt, daß der Umrechnungsantrag zu spät gestellt ist, bedarf es keines Eingehens darauf, daß alle Vorinstanzen eine Prüfung, zu welchem Zeitpunkt bei dem Kläger tatsächlich Invalidität eingetreten war, unterlassen haben.
V. Wenn jedoch eine Rentenumrechnung nach dem BSVAG unzulässig ist, so kommt sie überhaupt nicht in Frage, da nach dem RVÜG wegen Wegfalls der Anwendung der Wanderversicherungsvorschriften zwischen der wegen Alters und der wegen Invalidität gewährten Rente ihrer Höhe nach ohnehin kein Unterschied mehr besteht.
Es ergibt sich demnach, daß dem Kläger nach § 28 Abs. 1 RVÜG seine bisherige Rente unverändert weiter zu gewähren war; ein Umrechnungsbescheid durfte nicht erteilt werden.
Das angefochtene Urteil, das Urteil des Bezirksberufungsausschusses, die Entscheidung des Beschwerdeausschusses und der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1953 waren daher aufzuheben, während der Kläger mit seiner Klage ebenfalls keinen Erfolg haben konnte und daher insoweit abgewiesen werden mußte. Mit der Aufhebung des Bescheids vom 8. Juni 1953 wird der Bescheid vom 20. August 1951 wieder voll wirksam. Da dieser Bescheid niemals aufgehoben war, bedurfte es insoweit eines besonderen Ausspruches im Urteilstenor nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; die Festsetzung der Gebühren für den Rechtsanwalt auf § 196 Abs. 4 SGG.
Fundstellen