Leitsatz (amtlich)
Ein Beteiligter, der im Revisionsverfahren nicht durch einen gemäß SGG § 166 vor dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, kann gleichwohl als Revisionsbeklagter wirksam erklären, daß er mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden ist.
Leitsatz (redaktionell)
Zulässigkeit der Berufung bei Ablehnung eines Erstattungsantrages nach RVO § 1303 Abs 1:
Bei der Erstattung von rechtmäßig entrichteten Beiträgen zur Arbeiterrentenversicherung nach RVO § 1303 Abs 1 handelt es sich um eine einmalige Leistung des Versicherungsträgers. Eine Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte ist deshalb nach SGG § 144 Abs 1 auch dann nicht zulässig, wenn der Streitwert mehr als 50,- DM beträgt. Die Vorschrift des SGG § 149, die sich nur auf die Erstattung irrtümlich oder ohne Rechtsgrund entrichtete Beiträge bezieht, findet auf die Beitragserstattung nach RVO § 1303 Abs 1 keine Anwendung, weil Beiträge nach dieser Vorschrift nicht irrtümlich oder ohne Rechtsgrund, sondern rechtmäßig entrichtet worden sind.
Normenkette
SGG § 124 Fassung: 1953-09-03, § 166 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1303 Abs. 1; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 149
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. November 1959 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. November 1957 wird als unzulässig verworfen.
Kosten der Berufung und der Revision sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Erstattung der für sie zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge. Eine Weiterversicherung erschien ihr unter den Bedingungen des seit dem 1. Januar 1957 geltenden Rechts nicht mehr zweckmäßig. Da sie mit den bislang zurückgelegten Versicherungszeiten nicht einmal die sogen. kleine Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt hatte, war ihr der finanzielle Aufwand, den sie zur Verwirklichung des Anspruchs auf das Altersruhegeld hätte erbringen müssen, zu hoch. - Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. Mai 1957 die beantragte Beitragserstattung ab.
Die dagegen von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage wies das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 13. November 1957 zurück; mit der - von dem SG nicht zugelassenen - Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatte die Klägerin indessen Erfolg. Das LSG sah sich nicht gehindert, eine Entscheidung zur Hauptsache zu fällen, weil es die Berufung für statthaft hielt. Es war der Ansicht, in Fällen einer Beitragserstattung richte sich die Zulässigkeit des Rechtsmittels nur nach § 149 SGG. Gehe es daher in der Berufungsinstanz um einen Streitgegenstand, dessen Wert lediglich 50,- DM oder weniger betrage, dann sei das Rechtsmittel nicht eröffnet. Die Summe der hier zurückgeforderten Beiträge übersteige jedoch diese Wertgrenze.
Materiell-rechtlich müsse die Klägerin mit ihrer Klage durchdringen. Es sei ihr das Wahlrecht zwischen der Fortsetzung der Versicherung gemäß Art. 2 § 4 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) oder dem Recht auf Rückzahlung von Beiträgen nach Maßgabe des § 1303 Abs. 1 RVO zuzugestehen. Wenn auch die Klägerin auf Grund der übergangsrechtlichen Vorschrift des Art. 2 § 4 Abs. 1 ArVNG zur Weiterversicherung befugt sei, so reiche doch dieser Umstand allein nicht aus, ihr die Beitragserstattung zu verweigern. Zwar sei es der leitende Gedanke des Gesetzes, dem Versicherten die Rückvergütung von Beiträgen in den Fällen anzubieten, in denen er nicht das Recht habe, fortan freiwillig Beiträge zu leisten. Es treffe auch zu, daß Art. 2 § 4 ArVNG genauso wie § 1233 RVO das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge inhaltlich gleich gestalte. Allein um dieser übereinstimmenden Rechtsfolge willen sei es aber nicht gerechtfertigt anzunehmen, daß derjenige, der nach Art. 2 § 4 ArVNG die Versicherung fortzusetzen vermöge, ebensowenig wie der nach § 1233 RVO zur Weiterversicherung Berechtigte eine Beitragserstattung verlangen könne. Für den nach § 1233 RVO Berechtigten werde es regelmäßig viel lohnender sein, der Versicherung auch in der Zukunft anzugehören. Denn er müsse innerhalb von zehn Jahren während einer Zeit von mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet haben; er werde damit im allgemeinen bereits den vollen Versicherungsschutz bei Eintritt des Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsfähigkeit und des Todes genießen. Eine gleichermaßen gefestigte Rechtsposition komme indessen den Versicherungsberechtigten des Art. 2 § 4 ArVNG nicht ohne weiteres zu. Die unterschiedliche Interessenlage gestatte es nicht, die Fälle des § 1233 RVO und des Art. 2 § 4 ArVNG gleichzubehandeln.
Die Beklagte hat das ihr am 2. März 1960 zugestellte Urteil am 31. März 1960 mit der Revision angefochten; begründet hat sie das Rechtsmittel mit dem am 27. April 1960 bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz. Das LSG hatte die Revision zugelassen. - Die Beklagte wendet sich aus sachlich-rechtlichen Erwägungen gegen das Berufungsurteil und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 13. November 1957 - Aktenzeichen: S 10 J 271/57 - als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im gegenwärtigen Rechtszug nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Beide Beteiligten haben erklärt, daß sie mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.
Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil das Einverständnis beider Prozeßbeteiligter vorlag. Daß die Klägerin ihre Einwilligung hierzu persönlich und nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten erklärt hat, steht der Wirksamkeit ihres Verzichts auf mündliche Verhandlung nicht entgegen; denn Nachteile können der Klägerin nicht daraus erwachsen, weil im sozialgerichtlichen Verfahren an das Ausbleiben eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsmäßiger Ladung keine Säumnisfolgen geknüpft werden. Diese von der zivilprozessualen Rechtslage verschiedene Situation rechtfertigt eine Beurteilung, welche von den im Zivilprozeß insoweit geltenden Rechtsgrundsätzen abweicht (ebenso BVerwG am 24.2.1961 in Deutsches Verwaltungsblatt 1961, 518). Für eine erleichterte Zulässigkeit der Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG spricht in erster Linie der Zweck dieser Vorschrift. Diese Bestimmung dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens sowie der Entlastung des Gerichts. Andererseits fehlt es an einem inneren Grunde für die Forderung, diese Prozeßhandlung unerläßlich dem Vertretungszwang zu unterwerfen; denn derjenigen Prozeßpartei, die nicht beabsichtigt, ihre Interessen durch einen Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung wahrnehmen zu lassen, kann nur daran gelegen sein, daß diese Verhandlung überhaupt unterbleibt. Dagegen spricht auch nicht, daß - nach bislang umstrittener Auffassung - das erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unwiderruflich sein soll. Selbst wenn dieser von dem Bundesgerichtshof - BGH - (zuletzt am 12.7.1962, NJW 1962, 1819) vertretenen Ansicht gefolgt werden müßte, sollte doch deshalb die hier für zweckmäßig und prozeßwirtschaftlich angesehene Lösung nicht ausgeschlossen sein; denn einmal hält auch der BGH den Widerruf dann für beachtlich, wenn sich die Prozeßlage wesentlich geändert haben sollte (vgl. BGHZ 11, 27, 32), und zum anderen ist das Gericht durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien nicht zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gezwungen. Diese Erklärungen geben dem Gericht nur die Befugnis dazu. Auf den einleuchtend begründeten Widerruf wird das Gericht jedoch im Rahmen seines pflichtgemäß auszuübenden Ermessens in jedem Falle eingehen.
Unter diesen Umständen war der Senat ermächtigt, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu erlassen.
Die von dem LSG zugelassene und daher statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist aus einem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt begründet.
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung bei Ansprüchen auf eine einmalige Leistung nicht zulässig, es sei denn, das SG läßt von sich aus das Rechtsmittel nach § 151 Nr. 1 SGG zu. Das ist hier nicht geschehen. Deshalb war die Vorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG als Hindernis einer sachlich-rechtlichen Berufsentscheidung zu beachten. Der Anspruch der Klägerin, der auf die Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge gerichtet ist, verwirklicht den Begriff der "einmaligen Leistung" im Sinne dieser Bestimmung. Das hat das erkennende Gericht in BSG 10, 186 klargestellt. Dort ist dargelegt worden, daß die Beitragserstattung nach § 1303 RVO eine Regelleistung des Versicherungsträgers (vgl. § 1235 Nr. 4 RVO) und damit eine "Leistung" im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG ist und daß sie in dieser Eigenschaft als Gegensatz zur Rückforderung zu Unrecht bewirkter Beiträge gesehen werden muß. Dieser Unterscheidung zwischen Ansprüchen auf eine Regelleistung und der Rückforderung ungerechtfertigter Zahlungen folgt die Systematik der Berufungsausschließungsgründe. § 149 SGG, der allerdings einfach von der "Rückerstattung" von Beiträgen spricht, könnte wohl seinem Wortlaut nach irreführen. Aus dem Zusammenhang, in den § 149 hineingestellt ist, wird indessen deutlich, daß sich der Tatbestand dieser Gesetzesbestimmung nicht mit den Voraussetzungen der voraufgehenden Berufungseinschränkungen deckt; § 149 SGG fügt lediglich der Ordnung der §§ 144 bis 148 SGG eine Gruppe vorher nicht geregelter Rechtsmittelschranken hinzu. Da jedoch die Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge unter das Merkmal der einmaligen Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG fällt, vermag sich § 149 SGG nur auf die Rückgewähr irrtümlich oder ohne Rechtsgrund erbrachter Beiträge zu beziehen.
Dieser zunächst von dem 3. Senat des BSG begründeten Auffassung schließt sich der erkennende Senat mit der für den vorliegenden Fall daraus zu ziehenden Schlußfolgerung an, daß der hier um die Erstattung rechtsgültig aufgewendeter Beiträge geführte Rechtsstreit dem § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unterzuordnen ist. Das bedeutet, daß der Klägerin das Rechtsmittel der von dem SG nicht zugelassenen Berufung nicht eröffnet war.
Das Berufungsgericht hat allerdings gemeint, die Rechtsprechung des BSG zur Systematik der Berufungsausschließungsgründe sei in bezug auf die Erstattung von Beiträgen nicht einheitlich; der 1. Senat des BSG habe in einem anderen Sinne entschieden und einen Sachverhalt, wie den vorliegenden, nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, sondern nach § 149 SGG beurteilt. Das ist richtig. Der 1. Senat ist jedoch inzwischen von dieser seiner älteren Judikatur abgerückt und hat sich in seinem Urteil vom 9. Juni 1960 (SozR G 131 § 74 Bl. Aa 4 Nr. 9) ausdrücklich zur Anwendung des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG auf die gesetzlich normierten Leistungsfälle einer Beitragserstattung bekannt.
Es ist somit davon auszugehen, daß das Berufungsgericht nicht in eine Erörterung des materiellen Streitverhältnisses hätte eintreten dürfen. Die Berufung hätte als unzulässig verworfen werden müssen. Das mit der Revision angefochtene Urteil des LSG konnte infolgedessen keinen Bestand haben. Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, daß die materiell-rechtlich zugrunde liegende Rechtsfrage von dem BSG inzwischen in einer anderen Sache (BSG 14, 33) im Ergebnis im Sinne des sozialgerichtlichen Urteils entschieden worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen