Leitsatz (amtlich)
Für die Erhaltung der Anwartschaft im Sinne von AnVNG Art 2 § 41 sind regelmäßig nur die vor dem 1957-01-01 entrichteten Beiträge, nicht dagegen auch solche Beiträge zu berücksichtigen, die in der Zeit vom 1957-01-01 bis zur Verkündung des Gesetzes (1957-02-26) für die Jahre 1955 oder 1956 entrichtet worden sind. (Anschluß BSG 1959-07-01 4 RJ 249/58 = BSGE 10, 139; Anschluß BSG 1961-11-23 12/4 RJ 102/61 = BSGE 15, 271).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 41 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 42 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 26. November 1959 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin bezieht seit dem 1. März 1958 eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte berechnete die Rente nach den seit dem 1. Januar 1957 gültigen Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG - §§ 30 ff). In dem der Klägerin erteilten Bescheid vermerkte sie, eine Berechnung nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht sei nicht möglich, weil nach dem 31. Dezember 1956 nicht mindestens neun Beiträge für jedes Kalenderjahr vor dem Jahr des Versicherungsfalls entrichtet worden seien. Die Klägerin dagegen ist der Ansicht, daß ihre Rente nach den für sie günstigeren Vorschriften des alten Rechts hätte berechnet werden müssen.
Das Sozialgericht (SG) Bremen wies die Klage ab: die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen sei zu diesem Zeitpunkt nicht erhalten gewesen, weil die Klägerin Beiträge für die Jahre 1955 und 1956 erst im Jahre 1957 entrichtet habe; auch seien für 1957 nicht die erforderlichen neun Monatsbeiträge entrichtet worden. Das Landessozialgericht (LSG) Bremen hob dieses Urteil auf und verurteilte die Beklagte, die Rente nach Art. 2 § 41 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) zu berechnen. Bei der Prüfung der Frage, ob aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt erhalten war, seien auch die im Jahre 1957 bis zum Inkrafttreten des AnVNG für Zeiten vorher entrichteten Beiträge zu berücksichtigen; der gegenteiligen Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) könne nicht gefolgt werden. Auch hätten für 1957 nicht neun Monatsbeiträge entrichtet zu werden brauchen, weil der Versicherungsfall "jedenfalls" schon 1957 eingetreten sei. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie rügte die Verletzung von Art. 2 § 41 AnVNG.
Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig und begründet. Der Auffassung des LSG, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 2 § 41 AnVNG seien bei der Klägerin gegeben, weshalb ihre Rente nach den für sie günstigeren Vorschriften des bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Rechts zu berechnen sei, kann der Senat nicht folgen. Zu der wörtlich gleichlautenden Vorschrift in Art. 2 § 42 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) haben der 4. und der 12. Senat des BSG entschieden, daß für die Erhaltung der Anwartschaft im Sinne dieser Vorschrift regelmäßig nur die vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträge berücksichtigt werden können. Hierbei seien Beiträge, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zur Verkündung des ArVNG (26. Februar 1957) für die Jahre 1955 oder 1956 entrichtet sind, nicht anders zu behandeln als später entrichtete (BSG 10, 139; 15, 271; Urteil vom 16. Mai 1963 4 RJ 97/61 - abgedr. im "Sozialrecht" Bl. Aa 21 Nr. 13 zu Art. 2 § 42 ArVNG -). Diese Auffassung wird in erster Linie aus dem Wortlaut des Gesetzes hergeleitet, der es auf die "vor dem 1. Januar 1957 entrichteten" Beiträge abstellt. Sie wird aber auch mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift begründet. Art. 2 § 42 ArVNG geht von der Fiktion des Eintritts des Versicherungsfalls zum 1. Januar 1957 aus; dies ergibt sich u. a. daraus, daß er auf die Erhaltung der Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt abstellt und daß er für die Rentenberechnung, insofern sie nach altem Recht erfolgt, nur die bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt. Er verlangt deshalb, daß der Rentenberechtigte zu diesem Zeitpunkt tatsächlich versichert war. Das aber trifft nicht zu bei demjenigen, der zum 1. Januar 1957 die Anwartschaft aus früheren Beiträgen nicht erhalten hat. Durchgreifende rechtsstaatliche Bedenken gegen die Rückwirkung des Gesetzes sind auch in Anbetracht ihrer Folgen nicht zu erheben. Das Risiko, daß inzwischen - d. h. vor Nachentrichtung der Beiträge - eine gesetzliche Neuregelung möglicherweise den endgültigen Verlust der Anwartschaft herbeiführt, geht zu Lasten der Versicherten (vgl. BSG aaO). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung trotz der vom LSG hiergegen erhobenen Bedenken nach eigener Prüfung der Rechtslage für die Auslegung des Art. 2 § 41 AnVNG an. Danach kommt es für die Prüfung, ob die Anwartschaft am 1. Januar 1957 erhalten war, allein auf die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Beiträge des Versicherten an. Ein Sachverhalt, der nach der bisherigen Rechtsprechung ausnahmsweise eine andere Beurteilung zulassen könnte, wie rechtzeitige Bereiterklärung und Nachbringung der Beiträge (SozR Aa 10 Nr. 6 zu Art. 2 § 42 ArVNG), schuldlose Verhinderung an der rechtzeitigen Beitragsleistung (BSG 18, 1), am 31. Dezember 1956 anhängiges Rentenverfahren (SozR Aa 15 Nr. 9 zu Art. 2 § 42 ArVNG), liegt nicht vor. Vielmehr hat nach den Feststellungen des LSG die Klägerin die Beitragsmarken für die Jahre 1955 und 1956 ohne besonderen Grund erst in der Zeit vom 1. Januar bis 23. Februar 1957 erworben und verwendet.
Danach war die Anwartschaft aus den früher entrichteten Beiträgen der Klägerin - weil auch keine Halbdeckung vorlag - am 1. Januar 1957 nach den bis zu diesem Tage geltenden Vorschriften (§ 32 AVG aF i. V. m. § 1264 Abs. 1 RVO aF) nicht erhalten. Auf Art. 2 § 41 AnVNG läßt sich deshalb der Anspruch der Klägerin auf eine nach früherem Recht berechnete und um den Sonderzuschuß erhöhte Rente nicht stützen. Das von der gegenteiligen Rechtsauffassung ausgehende Urteil des LSG muß daher aufgehoben werden.
Der Senat kann den Rechtsstreit nicht selbst entscheiden. Wie sich nämlich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, hat die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht, daß bei ihr der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit bereits im Jahre 1956 eingetreten und daß auch aus diesem Grunde ihre Rente nach früherem Recht zu berechnen sei (Art. 2 § 6 AnVNG). Auf dieses Vorbringen ist das LSG, weil es nach seiner Rechtsauffassung nicht darauf ankam, nicht eingegangen. Die Feststellung in dem angefochtenen Urteil, die Klägerin sei "jedenfalls" ab Oktober 1957 bereits berufsunfähig gewesen, läßt nicht mit hinreichender Sicherheit den wirklichen Beginn dieses Zustandes erkennen, zumal das LSG die Feststellung nur getroffen hat, um darzutun, daß es der Notwendigkeit, für das Jahr 1957 mindestens neun Monatsbeiträge zu entrichten (Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG), nicht bedurfte. Diese Notwendigkeit entfiele um so mehr, wenn die Behauptung der Klägerin zuträfe, sie sei schon 1956 berufsunfähig gewesen. Ob dies der Fall war, kann aber der Senat nicht selbst feststellen, da hierfür möglicherweise noch Rückfragen bei Ärzten, also weitere Ermittlungen tatsächlicher Art, erforderlich sind. Der Rechtsstreit muß daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden; das LSG wird in seinem abschließenden Urteil auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden haben (§ 170 Abs. 2 SGG).
Fundstellen