Orientierungssatz
Zur Frage, ob ein Praktikum, das vor dem Beginn des Studiums an einer Hochschule abgeleistet sein muß, zur Hochschulausbildung iS des RVO § 1259 Abs 1 Nr 4 gehört.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. August 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Altersruhegeldes, das die Beklagte dem Kläger seit Februar 1960 gewährt, insbesondere über die Frage, ob die Zeit von April 1919 bis März 1921, die der Kläger als landwirtschaftlicher Eleve vor dem Beginn seines Studiums an einer landwirtschaftlichen Hochschule zurückgelegt hat, als Ausfallzeit anzurechnen ist (§§ 35, 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Die Beklagte hat bei der Rentenberechnung zwar die Zeit des Hochschulstudiums, nicht aber auch die Elevenzeit des Klägers als Ausfallzeit berücksichtigt. Der Kläger machte geltend, die zweijährige praktische Tätigkeit in der Landwirtschaft sei Voraussetzung für die spätere Zulassung zum Hochschulstudium gewesen und deshalb als Teil derselben anzusehen. Er sei als Eleve nach dem damaligen Recht versicherungsfrei gewesen und müssen für den dadurch eingetretenen Beitragsausfall durch Anrechnung einer Ausfallzeit entschädigt werden.
Das Sozialgericht wies die Klage ab (Urteil vom 22.3.1962); das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 3.8.1962). Beide Gerichte hielten es nach dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes für ausgeschlossen, daß außerhalb des eigentlichen Hochschulstudiums liegende Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG angerechnet werden.
Das LSG ließ die Revision zu.
Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm die Zeit seiner praktischen Berufsausbildung von 1919 bis 1921 bei der Berechnung des Altersruhegeldes als Ausfallzeit anzurechnen. Zur Begründung trug er vor, die Renten-Neuregelungsgesetze hätten mit ihren Verbesserungen und Vergünstigungen nicht nur die heute arbeitende Generation erfassen wollen, sondern gerade auch diejenigen alten Menschen, die - wie der Kläger - in ihrer Jugend eine für die Rentenberechnung nach heutigem Recht maßgebliche Arbeitsleistung erbracht hätten. Deshalb sei nicht eine enge, sondern eine weite, die Belange des jetzt rentenberechtigten Personenkreises und den Gleichheitsgrundsatz berücksichtigende Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG geboten. Diese Vorschrift betreffe schon nach ihrem Wortlaut nicht nur das eigentliche Hochschulstudium - sonst hätte das Gesetz diesen Ausdruck verwendet -, sondern die über das bloße Studium hinausgehende gesamte Hochschulausbildung. Bei der Mehrzahl der anderen akademischen Berufsausbildungen werde die Zeit der praktischen Ausbildung in den Einrichtungen der Hochschulen oder während der Hochschulferien durchgeführt und später als Ausfallzeit angerechnet. Der Kläger dürfe nicht schlechter gestellt werden, weil er den praktischen Teil der Ausbildung schon vor dem Beginn des Hochschulstudiums habe zurücklegen müssen.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.
Beide Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Der Senat hat sich bereits in einem früheren Rechtsstreit, in dem es ebenfalls um die Berücksichtigung der Praktikantenzeit eines Diplom-Landwirts als Ausfallzeit ging, mit der Frage befaßt, ob ein Praktikum, das vor dem Beginn des Studiums an einer Hochschule abgeleistet sein muß, zur Hochschulausbildung gehört; er hat in seinem Urteil vom 19. Juli 1963 - 1 RA 282/61 - (abgedr. im SozR Bl. Aa 11 Nr. 8 zu § 1259 RVO) entschieden, solche Praktikantenjahre seien keine Zeiten einer Hochschulausbildung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG und könnten daher nicht als Ausfallzeiten angerechnet werden. Dabei hat der Senat bereits aus dem Gebrauch des Wortes "Hochschulausbildung" im Gesetz geschlossen, daß damit nur die Ausbildungszeiten erfaßt werden sollte, die an der Hochschule selbst verbracht worden sind. Wenn auch das Wort "Ausbildung" einen weiteren Begriff darstelle als das Wort "Studium", so werde doch durch die Verbindung der beiden Worte "Ausbildung" und Hochschule" eine hinreichend klare Abgrenzung gegeben. Der Senat hat die aus der Wortfassung sich ergebende Begrenzung auch als sinnvoll angesehen, weil nach dem vom 1. Januar 1957 an geltenden Recht für die Beschäftigung eines Praktikanten - anders als nach dem früheren Recht (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) - im allgemeinen keine Versicherungsfreiheit mehr besteht, Praktikantenzeiten deshalb heute zu den anrechnungsfähigen Versicherungsjahren zählen und es für sie nicht des Umwegs über die Regelung von Ausfallzeiten wie für die Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung bedürfe. Es bestehe daher für das geltende Recht keine Notwendigkeit, in den Begriff "Hochschulausbildung" auch die Ausbildung während eines vorausgegangenen Praktikums einzubeziehen. Dies könne auch nicht für vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts liegende Zeiten geschehen, weil sonst der Begriff "Hochschulausbildung" eine unterschiedliche Bedeutung erhielte je nach dem Zeitpunkt, in dem die Praktikantenzeiten zurückgelegt worden sind. Eine solche Auslegung widerspräche dem Bestreben des Gesetzgebers nach möglichst eindeutigen und gleichmäßigen Regelungen. An dieser Auffassung hält der Senat nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit fest. Er sieht in Übereinstimmung mit dem LSG in dem Fehlen einer Sonderregelung für alte Versicherte keine unbeabsichtigte und der Ausfüllung fähige Lücke im Gesetz. Auch der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) ist nicht verletzt. Der Hinweis des Klägers auf die etwa anders liegenden Verhältnisse bei anderen Hochschulausbildungen reicht für die Annahme einer Grundrechtsverletzung - wie sie der Kläger sieht - nicht aus. Der Kläger verkennt auch, daß die von ihm begehrte Anrechnung früherer versicherungsfreier Praktikantenzeiten den älteren Versicherten eine Bevorzugung gegenüber den jüngeren brächte, weil diese - um die Anrechnung zu erreichen - während des Praktikums Beiträge entrichten müssen, während jene die Zeiten ohne Beitragsleistung als Ausfallzeiten angerechnet erhielten. Ein solches Ergebnis würde aber gerade eine nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung gleichliegender Sachverhalte und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten.
Die Revision des Klägers ist daher unbegründet (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes).
Fundstellen