Orientierungssatz
Rentenversicherungsbeiträge, die gemäß G131 § 74 Abs 3 als freiwillige Beiträge "gelten" haben ihren Charakter als Pflichtbeiträge, wie sie für die Anrechnung vorausgehender Ersatzzeiten verlangt werden, verloren.
Normenkette
G131 § 74 Abs. 3 Fassung: 1965-10-13
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 1. Oktober 1965 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Feststellung des Altersruhegeldes des Klägers die Zeiten seines Kriegsdienstes im zweiten Weltkrieg und der anschließenden Kriegsgefangenschaft (bis Juni 1947) als Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzurechnen sind. Der Kläger, geboren am 7. März 1897, war bis Kriegsende Berufsoffizier in der früheren Wehrmacht. Nach der Kriegsgefangenschaft war er seit November 1947 als Versicherungsangestellter tätig; in dieser Zeit wurden für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet. Dem Kläger wird Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes (G 131) gewährt; die Kriegszeit, die Zeit der Kriegsgefangenschaft und die Zeit bis 31. März 1951 werden hierbei als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 31. Juli 1963 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld, rechnete dabei aber die Zeit des Kriegsdienstes im zweiten Weltkrieg und die anschließende Kriegsgefangenschaft nicht als Ersatzzeit an. Der Kläger berief sich darauf, daß er innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 AVG eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe und somit die Voraussetzungen für die Anrechnung der streitigen Zeiten als Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG erfüllt seien. Das Sozialgericht (SG) Hamburg wies die Klage durch Urteil vom 10. Dezember 1964 ab. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 1. Oktober 1965 zurück: Der Kläger begehre mit der Anrechnung der streitigen Ersatzzeiten eine doppelte Versorgung auf Grund des gleichen Dienstverhältnisses für den gleichen Zeitraum. Darauf bestehe bei sinnvoller Auslegung der §§ 28 Abs. 2 Buchst. a AVG, 74 G 131 kein Anspruch; durch § 74 G 131 sei "klargestellt", daß die Beschäftigung der unter dieses Gesetz fallenden Personen vom 8. Mai 1945 bis 31. März 1951 versicherungsfrei gewesen sei; die Ersatzzeitenregelung des § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG passe für den Personenkreis des Klägers nicht. Das LSG ließ die Revision zu.
Mit der fristgemäß und formgerecht eingelegten Revision beantragte der Kläger,
das Urteil des LSG Hamburg vom 1. Oktober 1965 und das Urteil des SG Hamburg vom 10. Dezember 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Feststellung des Altersruhegeldes des Klägers die Zeit des Kriegsdienstes im zweiten Weltkrieg und die Zeit der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeit zu berücksichtigen.
Der Kläger rügte, das LSG habe § 28 AVG und § 74 G 131 verletzt.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), sie ist jedoch unbegründet.
Streitig ist, ob bei der Feststellung des Altersruhegeldes des Klägers (§ 25 Abs. 1 AVG) die Zeit seines Kriegsdienstes im zweiten Weltkrieg und die Zeit der Kriegsgefangenschaft (bis Juni 1947) als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anzurechnen ist, obwohl diese Zeit auch als Dienstzeit bei der Feststellung des Ruhegehalts des Klägers (eines früheren Berufsoffiziers) nach G 131 berücksichtigt worden ist. Das LSG hat dies zu Recht und mit zutreffender Begründung verneint.
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AVG sind ua Zeiten des militärischen Dienstes während des Krieges sowie die Kriegsgefangenschaft (ausnahmsweise) auch ohne vorhergehende Versicherungszeiten als Ersatzzeiten anzurechnen, wenn "innerhalb von zwei (nach dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 innerhalb von drei) Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit ... eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist". Für diese Beschäftigung müssen Beiträge entrichtet worden sein (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 17. Februar 1964, BSG 20, 184, 186). Die Beschäftigung des Klägers (seit 1947) ist zwar - damals - als rentenversicherungspflichtige Beschäftigung angesehen worden, es sind deshalb auch Beiträge entrichtet worden; durch § 74 Abs. 1 G 131 ist jedoch "klargestellt" worden, daß die Beschäftigung der unter dieses Gesetz fallenden Personen in der Zeit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (8. Mai 1945 bis 31. März 1951) versicherungsfrei gewesen ist (Urteil des BSG vom 8. Juli 1959, BSG 10, 163, 165). Das Gesetz hat hieraus die Folgerung gezogen, daß die entrichteten Beiträge zu erstatten sind oder daß sie, wenn ihre Erstattung nicht beantragt wird, in freiwillige Beiträge umgewandelt werden. Auch diese Zeit (bis 31. März 1951) ist als ruhegehaltfähige Dienstzeit bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers nach dem G 131 berücksichtigt worden. Dies rechtfertigt die Annahme, daß die von dem Kläger (bis 31. März 1951) geleisteten Beiträge ihren Charakter als Pflichtbeiträge, wie sie für die Anrechnung vorausgehender Ersatzzeiten verlangt werden, verloren haben. Die Beschäftigung des Klägers (bis 31. März 1951) ist damit nicht als eine - mit Pflichtbeiträgen belegte - rentenversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG zu werten, sie ermöglicht keine Anrechnung vorausgehender Ersatzzeiten nach dieser Vorschrift (Urteil des BSG vom 9. Februar 1965, BSG 22, 246, 249). Dieses Ergebnis wird auch noch von folgenden Erwägungen getragen: Wenn das G 131 in § 74 Beamte zur Wiederverwendung (§ 5 Abs. 2 G 131) - und frühere Berufssoldaten (§ 53) - für Beschäftigungen bis zur gesetzlichen Klärung ihrer Ansprüche (1. April 1951) aus der Pflichtversicherung herausgenommen hat, so steht dem gegenüber, daß es diesen Personen auf Grund ihres früheren Rechtsstatus einen Anspruch oder eine Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung gewährt hat. Aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ist zu entnehmen, daß durch § 74 G 131 auch eine Doppelversorgung in der Richtung vermieden werden soll, daß die bei der beamtenrechtlichen Versorgung als Dienstzeit berücksichtigte Zeit des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft nochmals als versicherungsrechtliche Ersatzzeit angerechnet wird (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 10.4.1964 zur Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst nach § 4 Abs. 7 VerfolgtenG , BSG 20, 293, 296). Eine Anrechnung der Kriegszeit als Ersatzzeit - neben der Berücksichtigung dieser Zeit als versorgungsrechtliche Dienstzeit - widerspräche auch dem Zweck der Ersatzzeitenregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AVG. Diese besteht darin, versicherungsrechtliche Nachteile auszugleichen, die einem "Versicherten" dadurch entstanden sind, daß er infolge des Kriegs oder der Kriegsgefangenschaft vorübergehend keine Beschäftigung ausüben und damit keine Beiträge entrichten konnte; dieser Zweck erfordert nicht, daß auch Personen, denen diese Zeit schon als Dienstzeit versorgungsrechtlich honoriert wird, insoweit noch eine versicherungsrechtliche Ersatzzeit anzurechnen ist, weil hier keine Beitragszeit entgangen ist, die "zu ersetzen wäre", um eine "Versorgungslücke" zu schließen. Der Gedanke, daß bei Zusammentreffen von Leistungen der Rentenversicherung mit einer Beamtenversorgung aus "Ersatzzeittatbeständen" nicht doppelt Nutzen gezogen werden darf und daß in diesen Fällen grundsätzlich die beamtenrechtliche Versorgung den Vorrang hat, muß jedenfalls insoweit Geltung haben, als gesetzliche Vorschriften nicht eindeutig andere Lösungen zulassen; das aber ist hier nicht der Fall.
Da das LSG zutreffend entschieden hat, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen