Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtzeitigkeit der Anzeige
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Anzeige von Arbeitsausfall im Rahmen des Schlechtwettergeldverfahrens handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die nur durch Zugang beim Arbeitsamt wirksam werden kann.
Für den Zugang der Anzeige gilt jedoch keine Frist. Der Bauunternehmer hat nur unverzüglich - dh ohne schuldhaftes Zögern - zu veranlassen, daß die Anzeige (am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche) zur Post gegeben wird. Das Risiko der Verzögerung oder des Verlustes auf dem Postwege geht nicht zu seinen Lasten.
Normenkette
AFG § 84 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-18; BGB § 130 Fassung: 1896-08-18; WinterbauAnO § 15 Abs. 3 Fassung: 1972-07-04
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 1975 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob für den Nachweis der Schlechtwetteranzeige nach § 15 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (Winterbau-Anordnung - WA -) vom 4. Juli 1972 (ANBA 1972, 511) iVm § 84 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) der Nachweis der Aufgabe bei der Post ausreicht.
Auf den am 8. März 1973 eingegangenen Antrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 28. März 1973 der Klägerin Schlechtwettergeld (SWG) für den Monat Februar 1973. Sie lehnte es ab, für die Tage 26. bis 28. Februar bezüglich der Baustelle Schwabach-Limbach das SWG in Höhe von 785,60 DM zu gewähren, weil hierfür eine Anzeige über witterungsbedingten Arbeitsausfall von der Klägerin nicht erstattet worden sei. Mit Schreiben vom 3. April 1973 wandte sich die Klägerin gegen die Streichung dieser (im Antrag als Ausfalltage aufgeführten) Tage und gab an, sie sei sich keines Verschuldens bewußt. Gleichzeitig bat sie um Nachforschung über den Verbleib der Meldung beim Arbeitsamt N. Diesem Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1973 nicht ab. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Nürnberg die Beklagte unter Aufhebung ihrer Entscheidung verurteilt, für den streitigen Zeitraum SWG zu gewähren (Urteil vom 23. April 1974). Das SG hat es auf Grund der Aussage der Zeugin Elisabeth R als erwiesen angesehen, daß die Sammelanzeige am 2. März 1973 in den Postkasten eingeworfen worden sei. Sich auf die Fristversäumnis zu berufen, sei eine unzulässige Rechtsausübung mit der rechtlichen Folge, daß der geltend gemachte SWG-Anspruch zu bejahen sei. Auf die - zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1975). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch auf SWG setze die unverzügliche Anzeige des witterungsbedingten Arbeitsausfalles beim Arbeitsamt voraus. Die Bestimmung über die Anzeige sei nicht nur eine formelle, den Anspruch auslösende Rechtsnorm, sondern auch eine materielle, den Anspruch begründende Voraussetzung für die Gewährung von SWG. Die Anzeige sei eine Willenserklärung oder zumindest eine auf einen Rechtserfolg gerichtete "geschäftsähnliche" Handlung, die analog den Vorschriften über Willenserklärungen (§ 130 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) erst im Zeitpunkt ihres Zugangs wirksam werde. Sie könne daher erst dann als erstattet angesehen werden, wenn sie tatsächlich dem Arbeitsamt zugegangen sei. Wenn auch nicht auszuschließen sei, daß die Sammelanzeige in den Besitz des Beklagten gelangt und dort verlorengegangen sei, sei doch entscheidend, daß die Klägerin den Eingang beim Arbeitsamt nicht beweisen könne. Auch wenn man davon ausgehe, daß die Zeugin R die Schlechtwettermeldung am letzten Arbeitstag der betreffenden Arbeitswoche in den Briefkasten geworfen habe, sei damit noch nicht der Beweis ihres Zugangs beim Arbeitsamt erbracht. Denn ebenso gut wie die Anzeige in den Besitz der Beklagten gelangt und dort verlorengegangen sein könne, könne sie auch auf dem Postweg verlorengegangen sein. Das Risiko des Postweges könne nicht der Beklagten angelastet werden.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt sinngemäß eine Verletzung des § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG und des § 15 Abs. 3 WA.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil des SG zu bestätigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Schlechtwetteranzeige - sei es die Einzelanzeige nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG oder die Sammelanzeige nach § 15 Abs. 3 WA - um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die ihre gesetzliche Wirkung grundsätzlich erst dann entfalten kann, wenn sie dem Adressaten zugegangen ist (Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 157/74 -; BSG SozR Nr. 1 zu § 143 e AVAVG). Die Anzeige ist demnach erst in dem Zeitpunkt erstattet worden, in dem das Arbeitsamt durch sie Kenntnis von dem Arbeitsausfall erhalten hat. Jedoch läßt sich weder aus der gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers, die Anzeige unverzüglich zu erstatten, noch aus der rechtlichen Natur der Anzeige als einer empfangsbedürftigen Willenserklärung der vom LSG gezogene Schluß ziehen, die Klägerin habe das Risiko des von ihr gewählten Übermittlungsweges und mithin die Folgen der Nichtbeweisbarkeit des Zuganges zu tragen.
Das LSG hat hierbei übersehen, daß die Unverzüglichkeit der Anzeigeerstattung nicht die Bedeutung einer zeitlichen Begrenzung der mit der Anzeige verbundenen Rechtswirkung hat. Das wäre etwa bei einer Ausschlußfrist der Fall, für die es ausschließlich auf den fristgerechten Eingang der Willenserklärung ankommt. Für die Frage, ob eine Schlechtwetteranzeige "unverzüglich" erstattet worden ist, ist es letztlich nicht entscheidend - wenn auch in der Regel der wichtigste Hinweis -, wann sie tatsächlich beim Arbeitsamt eingeht. Auch die verspätet eingegangene Anzeige, sofern dies nicht auf eine säumige Absendung zurückzuführen ist, oder auch eine auf dem Übermittlungsweg verlorengegangene, aber nach Kenntnis des Verlustes unverzüglich wiederholte Anzeige entfalten ungeachtet der Verspätung ihre für den Anspruch auf Erstattung des SWG erforderliche materiell-rechtliche Wirkung. Die beiden für den Anspruch bedeutsamen rechtlichen Kriterien der Anzeige, nämlich Unverzüglichkeit einerseits und Zugangsbedürftigkeit andererseits, sind getrennt zu betrachten. Daraus folgt, daß bei Nichtbeweisbarkeit des Zuganges der Anzeige deren unverzügliche Absendung keineswegs als rechtsunerheblich außer Betracht bleiben, bzw. von vornherein als ebenfalls unbewiesen angesehen werden darf. Standen nach dem früheren Rechtszustand des § 143 e des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), wonach der Arbeitgeber gehalten war, für die Übermittlung der Anzeige einen Weg zu wählen, der den Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt noch am gleichen Tag sicherstellte (BSG SozR Nr. 1 zu § 143 e AVAVG), unverzügliche Erstattung und Zugang der Anzeige noch in einer engen Wechselwirkung, so hat sich dies durch die Bestimmung der jetzt obligatorischen Schriftform für die Erstattung der Anzeige (§ 14 Abs. 3 WA) in dem Sinne geändert, daß der Anzeigeerstattung ersichtlich eine selbständige Bedeutung zukommt. Die Schriftlichkeit der Anzeige besagt, daß sie in aller Regel auf dem für Schriftsachen üblichen Weg der Briefpost zu übermitteln ist. Von dieser Übermittlungsart braucht grundsätzlich nicht abgegangen zu werden, es sei denn, eine Übermittlung durch Boten oder die persönliche Abgabe würde sich im Einzelfall - etwa wegen der Nähe des Arbeitsamtes - anbieten. Der Absender ist auch nicht gehalten, die Anzeige mit Einschreiben oder gegen Rückschein zu übersenden, da diese Versendungsarten keine bessere Garantie gegen den Verlust der Sendung bieten als die Versendung mit einfacher Post und im übrigen unerwünschte Verzögerungen der Zustellung bewirken kann. Daß sich die Aufgabe zur Post und damit die Unverzüglichkeit der Anzeige bei den qualifizierten Versendungsarten leichter nachweisen lassen, ist nicht entscheidend, zumal sich die mindere Beweisbarkeit nicht zum Nachteil der Beklagten auswirkt. Da außerhalb der üblichen Dienststunden jedenfalls bei den kleineren Postämtern Einschreibe- und Rückscheinbriefe nicht mehr aufgegeben werden können, würde zudem das Verlangen, sich dieser Versendungsarten zu bedienen, die Möglichkeit, eine Briefsendung noch rechtzeitig aufzugeben, erheblich einschränken. Benutzt sonach der Anzeigende für die Übermittlung der Sammelanzeige die übliche Versendungsart der einfachen Briefpost und gibt er den Brief noch rechtzeitig am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche zur Post, so ist er seiner Obliegenheit der unverzüglichen Anzeige nachgekommen. Der Nachweis hierfür ist - wie die Beklagte in der Durchführungsanweisung Nr. 30.1. im Runderlaß des Präsidenten der BA Nr. 346/72.4 geregelt hat - dann erbracht, wenn der Brief den Poststempel des maßgeblichen letzten Arbeitstages trägt. Die Beklagte geht hierbei von der richtigen Erkenntnis aus, daß es für die Frage der Unverzüglichkeit auf die Tatsache der Aufgabe zur Post ankommt. Dieser tatsächliche Vorgang ist jedoch nicht nur durch den Poststempel beweisbar, sondern auch durch andere Beweismittel und Erkenntnismöglichkeiten. Ist aber die unverzügliche Erstattung der Anzeige durch Aufgabe der Briefsendung bei der Post am maßgeblichen Tage nachgewiesen, so kann der Anspruch auf Erstattung von SWG nicht mehr allein daran scheitern, daß die Anzeige nicht bei der Beklagten angekommen ist, denn der Verlust einer Sendung auf dem Postweg ist dem Absender, der hierauf keinen Einfluß hat, nicht anzulasten. Zur Entfaltung der materiellen Wirkung bedarf es dann allerdings einer unverzüglichen Wiederholung der Anzeige. Diesem Erfordernis ist die Klägerin mit dem am 8. März 1973 eingegangenen SWG-Antrag nachgekommen (Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 157/74 -).
Zur Frage der Aufgabe der Anzeige zur Post hat das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - jedoch keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Es hat auch das Ergebnis der Beweisaufnahme des SG keiner tatsächlichen Würdigung unterzogen und es nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, da es das von der Zeugin R bekundete Einwerfen der Anzeige in den Briefkasten für rechtlich unbeachtlich hielt. Das Revisionsgericht kann daher nicht davon ausgehen, daß das LSG die vom SG festgestellte Tatsache als bewiesen angesehen hat. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen - sie setzen eine Beweiswürdigung voraus -, die das Bundessozialgericht nicht selber treffen kann, muß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen