Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 27.01.1984) |
SG Osnabrück (Urteil vom 23.02.1983) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. Januar 1984 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 23. Februar 1983 wird zurückgewiesen.
Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Zahlungen zu leisten hat.
Der im Mai 1911 geborene und im Januar 1982 verstorbene Versicherte, der 155 Monate Beitragszeiten, 63 Monate Ersatzzeiten und 155 Monate Ausfallzeiten zurückgelegt hatte, bezog vom 1. Juni 1975 bis zu seinem Tode von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Die klagende Witwe verlangte im Mai 1982 die Zahlung der Differenz zu einem Altersruhegeld für die Zeit ab 1. Juni 1976; dabei berief sie sich darauf, daß die Rente von da an von Amts wegen in ein Altersruhegeld hätte umgewandelt werden müssen. Die Beklagte lehnte das Begehren unter Hinweis auf § 59 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ab. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg, die Klage wurde vom Sozialgericht (SG) abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte, der Klägerin für ihren verstorbenen Ehemann anstelle gezahlter Rente wegen BU für die Zeit vom 1. Juni 1976 bis 31. Januar 1982 Altersruhegeld zu zahlen. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte sei gegenüber der Klägerin zur Überprüfung des Anspruchs auf Altersruhegeld verpflichtet; entsprechend den vom 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 11. August 1983 – 1 RA 53/82 – entwickelten Grundsätzen könne sie als Sonderrechtsnachfolgerin – zwar nicht, wie dort, nach § 44, wohl aber – nach § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) die Überprüfung betreiben. Die Vollendung des 65. Lebensjahres und das daraus folgende Gebot zur Rentenumwandlung in ein Altersruhegeld (§ 31 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes – AVG–) hätten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB X dargestellt, die zur Aufhebung des ursprünglichen Rentenbescheides mit Wirkung von der Änderung an verpflichtet habe. Aufgrund dieser Verpflichtung gelte ein Verwaltungsverfahren zur Zeit des Todes des Versicherten als anhängig gewesen, so daß der Anspruch nicht nach § 59 SGB I untergegangen sei. Mit der Verjährungseinrede könne die Beklagte nach Treu und Glauben nicht durchdringen.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 56, 59 SGB I. Nach ihrer Ansicht ist das Erfordernis des im Zeitpunkt des Todes anhängigen Verwaltungsverfahrens nur erfüllt, wenn der Berechtigte zu Lebzeiten einen entsprechenden Antrag gestellt hat oder wenn das Verfahren vor seinem Tode von Amts wegen eingeleitet worden ist. Die zu § 59 SGB I ergangenen Entscheidungen des 1. und des 5a Senats des BSG beträfen Fälle, in denen Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen seien; hier sei der Rentenbescheid über die BU-Rente dagegen rechtmäßig gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet; die Klägerin hat entgegen der Annahme des LSG keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte Altersruhegeld des Versicherten an sie zahlt.
Einen solchen Anspruch könnte die Klägerin nur haben, wenn ihr eine materiell-rechtliche Vorschrift den Anspruch geben würde. Als Rechtsgrundlage hierfür kommen allein die §§ 56, 59 SGB I in Betracht. Nach § 59 Satz 2 SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen jedoch (nur) mit dem Tode des Berechtigten (Versicherten), wenn sie zu diesem Zeitpunkt weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Das Gesetz macht damit die materielle Rechtsfolge des Anspruchsübergangs von zwei alternativ im Zeitpunkt des Todes des Versicherten erreichten Verfahrenslagen abhängig. Nur bei verfahrensmäßig schon so „gefestigten” Ansprüchen hält nämlich der Gesetzgeber „aus rechtssystematischen und verwaltungspraktischen Gründen” (BT-Drucks 7/868 S 33) den Übergang von Geldleistungen auf Rechtsnachfolger für angebracht. Aufgrund dieses § 59 Satz 2 SGB I ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Altersruhegeld mit dem Tode des Versicherten erloschen. Denn zu diesem Zeitpunkt war ein Anspruch des Versicherten auf Altersruhegeld nicht festgestellt und auch kein Verwaltungsverfahren darüber anhängig.
Allerdings hätte die Beklagte noch zu Lebzeiten des Versicherten von Amts wegen ein Verfahren über den Anspruch auf Altersruhegeld anhängig machen und den Anspruch feststellen müssen. Das ergab sich zwar nicht, wie das LSG meint, aus § 48 SGB X, sondern aus § 31 Abs. 2 AVG, der schon als Sondervorschrift iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X aF und ab 1. Juli 1983 des § 37 SGB I nF den Vorrang hatte, so daß auf weitere Bedenken gegen die Anwendung des § 48 SGB X nicht eingegangen werden muß. Nach § 31 Abs. 2 AVG ist, wenn der Empfänger einer Rente wegen BU die Voraussetzungen für ein Altersruhegeld erfüllt, die Rente im Falle des § 25 Abs. 5 AVG, dh mit Vollendung des 65. Lebensjahres, sofern der Versicherte nicht etwas anderes bestimmt, von Amts wegen in das Altersruhegeld umzuwandeln. Da der Versicherte keine andere Bestimmung getroffen hatte, war die Beklagte zur Umwandlung der BU-Rente in ein Altersruhegeld mit Wirkung zum 1. Juni 1976 verpflichtet.
Diese Verpflichtung konnte indessen das Erlöschen des Anspruchs mit dem Tode des Versicherten nicht verhindern. § 59 Satz 2 SGB I stellt nicht darauf ab, welche Verfahrenslage im Zeitpunkt des Todes hätte bestehen können oder müssen; maßgebend ist nur die in diesem Zeitpunkt tatsächlich bestandene Verfahrenslage. Der Gesetzgeber hat dabei einen Anspruchsübergang für den Fall, daß Verfahrensmaßnahmen unterblieben waren, nicht vorgesehen. Anhaltspunkte dafür, daß das Gesetz eine Lücke enthalte, wenn der Versicherungsträger für das Unterbleiben (allein oder mit-) verantwortlich ist, sind nicht erkennbar. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit und der materiellen Gerechtigkeit lassen sich jedenfalls nicht dafür ins Feld führen. Sie können im Rahmen des § 59 Satz 2 SGB I nicht maßgebend sein, weil der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift notwendigerweise begründete Ansprüche abschneidet (unbegründete könnten nicht übergehen).
Ein Anspruchsübergang läßt sich auch nicht mit den an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 11. August 1983 anknüpfenden Erwägungen des LSG rechtfertigen. Das LSG meint, die Klägerin dürfe noch das Umwandlungsverfahren betreiben, die vorzunehmende Umwandlung müsse aber auf die Zeit vor dem Tode des Versicherten zurückwirken. Dem ist schon entgegenzuhalten, daß damit immer noch nicht eine der Bedingungen des § 59 Satz 2 SGB I für den Anspruchsübergang erfüllt wäre; es bliebe auch dann dabei, daß im Zeitpunkt des Todes des Versicherten das Altersruhegeld nicht festgestellt (die BU-Rente nicht in ein solches umgewandelt) und ein Verfahren über den Anspruch (ein Umwandlungsverfahren) nicht anhängig war. Verfehlt ist aber außerdem die Prämisse, daß die Klägerin das Umwandlungsverfahren noch betreiben dürfe. Es trifft zwar zu, daß § 31 Abs. 2 AVG nicht nur, wie es dem Wortlaut nach scheinen könnte, den Versicherungsträger verpflichtet, sondern auch dem Versicherten ein Recht auf Umwandlung gibt und ferner, daß dieses Recht nicht entfällt, wenn der Versicherungsträger die Umwandlung zum gebotenen Zeitpunkt – Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten – versäumt. Das bedeutet aber nicht, daß jetzt noch der Klägerin das Recht auf Rentenumwandlung zustünde. Die Rentenumwandlung ist nur ein verfahrensmäßiges Mittel, um den materiellen Anspruch auf das Altersruhegeld zu verwirklichen. Deshalb muß sich die Statthaftigkeit dieser Verfahrensmaßnahme nach dem materiellen Recht richten und nicht umgekehrt. Ein Recht auf Rentenumwandlung kann infolgedessen nur solange bestehen, wie der materielle Anspruch auf das Altersruhegeld besteht. Wenn dieser erloschen ist, kann das Recht auf Umwandlung nicht für sich fortdauern. Da – wie schon dargetan – der Anspruch auf das Altersruhegeld gemäß § 59 Satz 2 SGB I erloschen ist, kann somit ein Umwandlungsverfahren nicht mehr betrieben werden.
Mit der hier getroffenen Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von den Urteilen des 5a Senats vom 25. Februar 1981 (SozR 2200 § 627 Nr. 8) und des 1. Senats vom 11. August 1983 (SozR 1200 § 59 Nr. 4) und vom 16. Februar 1984 – 1 RJ 54/83 – ab. In diesen Entscheidungen ging es um die Frage, ob nach dem Tode des Versicherten noch die Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte durch eine Neufeststellung nach den §§ 627, 1300 der Reichsversicherungsordnung aF (RVO) oder durch Rücknahme dieser Verwaltungsakte nach § 44 SGB X (und richtige Rentenfeststellung) von Rechtsnachfolgern verlangt werden kann. Bei der hier streitigen Rentenumwandlung ist dagegen kein rechtswidriger Verwaltungsakt zu korrigieren, so daß es sich nicht um die gleiche Rechtsfrage iS des § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) handelt.
Da der Senat schließlich auch gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 59 Satz 2 SGB I (Einschränkung des Erbrechts, Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) keine Bedenken hat, war nach alledem das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und das klageabweisende Urteil des SG zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen