Entscheidungsstichwort (Thema)
Herstellungsanspruch. Verwirklichung sozialer Rechte
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 WGSVG für Beschäftigungszeiten iS von § 16 FRG (Fortführung von BSG 14.5.1981 12 RK 73/79 = SozR 5070 § 10 Nr 16 und BSG 15.5.1984 12 RK 9/83 = SozR 5070 § 10 Nr 25).
2. Zum Herstellungsanspruch wegen objektiv unrichtiger Information (Nachfrist für den Antrag auf Nachentrichtung von weiteren Beiträgen, Kausalität der Fehlinformation).
Orientierungssatz
1. Zur Frage der Bedeutung des SGB 1 § 2 Abs 2 Halbs 2 für das Verwaltungsverfahren.
2. Ein Herstellungsanspruch kann nicht auf Ersatz eines wirtschaftlichen Schaden gerichtet sein; das gilt jedenfalls dann, wenn dieser Schaden, nicht durch ein seiner Art nach zulässiges Verwaltungshandeln ausgleichbar ist und im übrigen in seiner Höhe von einer Vielzahl von Umständen abhängt, insbesondere davon, in welchem Umfang die Versicherte infolge späterer Zahlung der Nachentrichtungssumme Aufwendungen erspart oder Vorteile (zB Zinsen) gehabt hätte.
Normenkette
WGSVG §§ 9-10; FRG § 16 Fassung: 1960-02-25; SGB 1 § 2 Abs 2 Halbs 2 Fassung: 1975-12-11, § 13 Fassung: 1975-12-11, § 14 Fassung: 1975-12-11
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 21.05.1985; Aktenzeichen L 12/16 An 15/82) |
SG Berlin (Entscheidung vom 04.10.1982; Aktenzeichen S 14 An 1562/82) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin aufgrund eines Herstellungsanspruchs berechtigt ist, nach § 10 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) Beiträge für Beschäftigungszeiten iS des § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) nachzuentrichten.
Die Klägerin (geboren 1923 in Mährisch-Ostrau) gehört zum Personenkreis der rassisch Verfolgten des Nationalsozialismus iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Im Jahre 1949 wanderte sie nach Israel aus, wo sie seitdem als israelische Staatsangehörige lebt. 1973 beantragte sie bei der Beklagten die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 WGSVG. Mit Schreiben vom 7. April 1977 teilte ihr die Beklagte informatorisch mit, daß sie für folgende Zeiten Beiträge entrichten könne: Für je 2 Monate der Jahre 1940 bis 1942 sowie für die Zeit von Februar 1948 bis Januar 1971.
Die Klägerin konkretisierte daraufhin ihr Nachentrichtungsbegehren mit Schreiben vom 13. Oktober 1977 wie folgt: 13 Beiträge der Klasse 600 (108 DM) für die Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Oktober 1953 und 73 Beiträge der Klasse 100 (18 DM) für die Zeit vom 1. Januar 1965 bis 31. Januar 1971. Die Beklagte entsprach diesem Begehren mit Bescheid vom 7. November 1977. Die Beiträge (2.718 DM) wurden von der Klägerin entrichtet.
Mit Bescheid vom 2. März 1978 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab 1. März 1974. Dabei berücksichtigte sie die Zeit vom 10. Oktober 1939 bis 30. Juni 1943 als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit iS von § 16 FRG und kürzte sie auf 5/6 (dadurch entfielen je 2 Monate der Jahre 1940 bis 1942, die die Beklagte vorher als mit Beiträgen belegbar bezeichnet hatte). Die Beschäftigungszeit wurde demgemäß mit 39 (später berichtigt: 40) Beitragsmonaten angerechnet.
Im März 1982 beantragte die Klägerin, auch für die nach § 16 FRG anerkannte Beschäftigungszeit 39 Beiträge der Klasse 600 zu je 108 DM (Beitragssatz von 1975) nachentrichten zu dürfen; zur Begründung verwies sie auf das Urteil des Senats vom 14. Mai 1981 - 12 RK 73/79 - (SozR 5070 § 10 Nr 16). Die Beklagte lehnte den Antrag ab, da das Nachentrichtungsverfahren mit dem Bescheid vom 7. November 1977 abgeschlossen worden sei; ihr früherer Bescheid sei zu Recht ergangen, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) gebe keinen Anlaß, ihn aufzuheben (Bescheid vom 14. April 1982). Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg: Auch über einen Herstellungsanspruch könne ihrem verspäteten weiteren Nachentrichtungsbegehren nicht entsprochen werden, da sie im April 1977 nicht falsch beraten worden sei; die damalige Rechtsauffassung der Beklagten über die Nichtbelegbarkeit von Beschäftigungszeiten sei vertretbar gewesen, der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Beratung sei maßgebend (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1982).
Auf die Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Urteil vom 4. Oktober 1982 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin berechtigt sei, für die Zeit von Oktober 1939 bis Juni 1943 Beiträge nachzuentrichten, jedoch zumindest in Höhe des im Jahre 1982 geltenden Mindestbeitrags einer freiwilligen Versicherung (74 DM).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Berlin (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; die Anschlußberufung der Klägerin hat es zurückgewiesen (Urteil vom 21. Mai 1985). Nach Ansicht des LSG kommt wegen des Ablaufs der gesetzlichen Antragsfrist (31. Dezember 1975) eine Nachentrichtung nur im Wege eines Herstellungsanspruchs in Betracht. Dessen Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Zwar liege ein Beratungsfehler vor, weil sich die Auskunft der Beklagten über die belegungsfähigen Zeiten später aufgrund der Rechtsprechung des BSG als unzutreffend erwiesen habe. Dieser Fehler sei aber für das Nachentrichtungsverhalten der Klägerin nicht kausal geworden: Obwohl von einem sachkundigen Bevollmächtigten vertreten, habe sie nämlich 1977 von den für die Nachentrichtung zur Verfügung stehenden Zeiten (insgesamt 282 Kalendermonate) nur 86 mit Beiträgen belegt und dabei alle Zeiten vor Oktober 1952 ungenutzt gelassen. Es könne nicht angenommen werden, daß sie bei Kenntnis der Belegungsfähigkeit auch der Beschäftigungszeiten gerade für sie Beiträge nachentrichtet hätte. Eine "abstrakte" Einschränkung ihrer Dispositionsfreiheit durch die unrichtige Auskunft reiche nicht aus, einen Herstellungsanspruch zu begründen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, für die Frage der Kausalität komme es nicht allein auf die zahlenmäßige Gegenüberstellung der früher von ihr mit Beiträgen belegten und der nicht genutzten Zeiträume an. Der Verlust der Dispositionsfreiheit müsse zur Begründung ihres Klagebegehrens genügen. Nur so könne der Zustand wiederhergestellt werden, der bestanden hätte, wenn sie von Anfang an richtig informiert worden wäre. Im übrigen verweist die Klägerin auf die Nachteile, die sich bei Nichtbelegung der Beschäftigungszeiten für sie aus den Vorschriften über die Zahlung von Renten ins Ausland, insbesondere aus § 99 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), ergäben.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 21. Mai 1985 und des Bescheides der Beklagten vom 14. April 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1982 sowie unter Abänderung des Urteils des SG Berlin vom 4. Oktober 1982 zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 10 WGSVG in der Klasse 600 zu 108 DM monatlich (Beitragssatz 1975) für die Zeit vom 1. Oktober 1939 bis 30. Juni 1943 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß § 99 AVG erst 1982 die Fassung erhalten habe, auf die sich die Klägerin beziehe. Für die Kausalitätsprüfung sei auf die bei Abschluß des Verwaltungsverfahrens geltenden Zahlungsvorschriften (§§ 97/98 AVG aF) abzustellen. Danach seien bei der Berechnung der zu zahlenden Rente die Ersatzzeiten voll und die pauschale Ausfallzeit lediglich gekürzt um zwei Monate zu berücksichtigen gewesen. Die Beklagte hat ferner anhand von Probeberechnungen ausgeführt, daß die Klägerin, wenn sie 1977 die damals zur Nachentrichtung zugelassenen Zeiten mit den jetzt angebotenen Beiträgen der Klasse 600 belegt hätte, ein besseres Ergebnis hätte erzielen können als durch eine Entrichtung dieser Beiträge für die der nunmehr streitigen Beschäftigungszeiten (419,30 DM Rente statt 395,20 DM). Nur eine Entrichtung von Beiträgen der Klasse 100 für die ersten fünf Jahre, in die auch ein Teil der Beschäftigungszeiten falle, hätte ein günstigeres Ergebnis erbracht als die Entrichtung einer gleichen Zahl von Beiträgen dieser Klasse für die schon damals belegbaren Zeiten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Der erkennende Senat hält an seiner Auffassung fest, daß eine Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 9, 10 WGSVG auch für solche Zeiten zulässig ist, die nach § 16 FRG als Beschäftigungszeiten anerkannt worden sind (Urteile vom 14. Mai 1981 und 15. Mai 1984, SozR 5070 § 10 Nrn 16 und 25). Mit der Kritik, die Schmidinger an dieser Auffassung geübt hat (SozVers 1982, 47), hat sich der Senat schon in dem Urteil vom 15. Mai 1984 (aaO Nr 25) auseinandergesetzt. Auch die neuerlichen Einwände von Hötzel (DAngVers 1985, 149, 204) vermögen den Senat nicht zu überzeugen.
Daß nach § 16 FRG eine im Vertreibungsgebiet verrichtete Beschäftigung unter bestimmten Voraussetzungen einer im Inland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, "für die (deutsche) Beiträge entrichtet sind", gleichsteht, eine Beschäftigungszeit also wie eine im Inland zurückgelegte Beitragszeit behandelt wird, zwingt nicht dazu, Beschäftigungszeiten allgemein, dh auch für andere als im FRG geregelte Rechtsbeziehungen, inländischen Beitragszeiten gleichzustellen. Ob eine solche Gleichstellung zulässig und geboten ist, hängt vielmehr vor allem davon ab, ob sie der Systematik des betreffenden Rechtsgebiets und den dort vom Gesetzgeber verfolgten Zwecken entspricht oder wenigstens mit ihnen vereinbar ist. Das gilt insbesondere für eine Anwendung der Gleichstellungsregel im Rahmen des § 10 WGSVG, der eine Beitragsnachentrichtung für Zeiten ausschließt, die "bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind" (Abs 1 Satz 1, letzter Halbsatz).
Das WGSVG und namentlich dessen §§ 9 und 10 bezwecken eine möglichst umfassende Entschädigung der Verfolgten, wobei die ausgewanderten und im Ausland verbliebenen Verfolgten gegenüber den nach Deutschland zurückgekehrten grundsätzlich nicht benachteiligt werden sollen (vgl dazu BT-Drucks VI/715 S 10 sowie VI/1449 S 1 unter I 2 und S 3 zu §§ 9, 9a; ferner Urteil des Senats vom 12. Oktober 1979, SozR 5070 § 10a Nr 2, S 3 f). Diesen Zielen dient, wie der Senat in den genannten Urteilen ausgeführt hat, auch eine Beitragsnachentrichtung für die fraglichen Beschäftigungszeiten, selbst wenn dadurch noch keine vollständige Entschädigung aller Verfolgten erreicht wird und sie untereinander nicht völlig gleichbehandelt werden. Andererseits würde ein Ausschluß der Beitragsnachentrichtung für Beschäftigungszeiten - durch ihre Gleichstellung mit Beitragszeiten - den genannten Zielen erkennbar zuwiderlaufen.
Gegen eine Zulassung der Beitragsnachentrichtung für Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG spricht nicht, daß eine Nachentrichtung für fremde Beitragszeiten, die nach § 15 FRG deutschen Beitragszeiten gleichstehen, nicht zulässig ist. Für beide Fremdzeiten (Beschäftigungszeiten und Beitragszeiten) galten früher und gelten auch jetzt noch unterschiedliche Regelungen, was die Auszahlung der auf sie entfallenden Rententeile in das Ausland betrifft. So war und ist für Beschäftigungszeiten, eben weil ihnen keine Beitragsleistung zugrunde liegt, im Gegensatz zu den Beitragszeiten iS des § 15 FRG eine Rentenzahlung ins Ausland grundsätzlich ausgeschlossen (§ 1319 Abs 2 Satz 1 RVO aF = § 98 Abs 2 Satz 1 AVG aF; § 1320 Abs 1 Satz 3 RVO = § 99 Abs 1 Satz 3 AVG, beide idF des RAG 1982). Ein im Ausland wohnender Verfolgter kann deshalb seine Rente für Beschäftigungszeiten, wenn überhaupt, in der Regel nur dadurch zahlbar machen, daß er für diese Zeiten Beiträge nachentrichtet.
Soweit der Gesetzgeber im übrigen eine Beitragsnachentrichtung für Zeiten zugelassen hat, die - aus welchen Gründen auch immer - "nicht bereits mit Beiträgen belegt" sind (§ 10 Abs 1 Satz 1, letzter Halbsatz WGSVG), und dabei den Nachentrichtungsberechtigten die Wahl der Beitragsklasse überlassen hat, sind die Berechtigten, wenn sie nunmehr eine für sie günstige hohe Beitragsklasse wählen, schon dadurch gegenüber denjenigen bevorzugt, die früher Beiträge in einer niedrigen Klasse entrichtet haben, sie aber nachträglich nicht mehr aufstocken dürfen, obwohl dies für sie zweckmäßig wäre (vgl dazu BSGE 49, 76, 80 f und SozR 2200 § 1233 Nr 20 sowie BVerfG in SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 13). Diese Bevorzugung der Nachentrichtungsberechtigten gegenüber Versicherten mit Beitragszeiten beruht letztlich darauf, daß eine Beitragsnachentrichtung, wie sie der Gesetzgeber nach dem Kriege in einer Reihe von Vorschriften zur Schließung von Beitragslücken zugelassen hat, Zeiten, die bereits mit Beiträgen belegt sind, schon begrifflich nicht erfassen kann. Damit sind den Nachentrichtungsberechtigten zugleich mit der Befugnis, den Zeitraum der Nachentrichtung und die Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge selbst zu bestimmen, notwendig weitergehende Möglichkeiten der Beeinflussung ihrer künftigen Versicherungsleistungen eingeräumt worden als den Inhabern von - grundsätzlich nicht mehr veränderbaren - Beitragszeiten.
Daß § 10 WGSVG eine Beitragsnachentrichtung auch für Ersatzzeiten ausschließt, diese also gegenüber Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG schlechter gestellt sind, ist zwar im Ergebnis nicht voll befriedigend, entspricht indessen dem Wesen der - den Beitragszeiten gesetzlich gleichgestellten - Ersatzzeiten. Wenn dadurch in einzelnen Rechtsbereichen sozialpolitisch unerwünschte Folgen eintreten, müssen diese aus systematischen Gründen in Kauf genommen werden.
Ist somit trotz der von Schmidinger und neuerdings von Hötzel erhobenen Einwände weiterhin daran festzuhalten, daß Verfolgte auch für Zeiten, die als Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG anerkannt worden sind, Beiträge nach § 10 WGSVG nachentrichten dürfen, so gilt dies auch für die bei der Klägerin anerkannte Beschäftigungszeit (10. Oktober 1939 bis 30. Juni 1943, wobei je 2 Monate der Jahre 1940 bis 1942 wegen Kürzung der Beschäftigungszeit auf 5/6 ausgenommen sind). Da indes im Jahre 1982, als die Klägerin die Beitragsnachentrichtung für die genannte Zeit beantragte, die Frist für einen Nachentrichtungsantrag lange verstrichen war - er hätte, wie der erste Antrag der Klägerin, bis zum 31. Dezember 1975 gestellt werden müssen -, kann die Klägerin mit dem von ihr beanspruchten Nachentrichtungsrecht nur aufgrund eines Herstellungsanspruchs Erfolg haben.
Ein solcher Anspruch könnte allerdings begründet sein. Die Mitteilung der Beklagten vom 7. April 1977 über die mit Beiträgen belegbaren Monate war objektiv unrichtig, weil sie nicht die nach § 16 FRG anzurechnenden Beschäftigungszeiten umfaßte. Sie entsprach zwar der damals herrschenden Auffassung; durch die spätere Rechtsprechung des Senats hat sie sich jedoch nachträglich als unrichtig erwiesen. Daß die früher unrichtige Beurteilung der Rechtslage den Bediensteten der Beklagten dabei nicht als schuldhaft vorzuwerfen ist, schließt einen Herstellungsanspruch nicht aus, wie der erkennende Senat wiederholt entschieden (BSGE 49, 76; SozR 5070 § 10 Nr 25). Der Herstellungsanspruch ist nämlich seinem Wesen nach nicht Sanktion für ein subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten der Verwaltung, sondern soll lediglich die Erfüllung des Gesetzes sicherstellen, indem er die Verwaltung verpflichtet, eine früher unzutreffende Rechtsanwendung nachträglich zu korrigieren (BSGE 49, 76, 78 ff). Das erscheint im Sozialrecht besonders geboten, weil die hier in Betracht kommenden Leistungsansprüche und sonstigen Rechte in der Regel der Befriedigung existentieller Bedürfnisse der Berechtigten dienen (zur existentiellen Bedeutung sozialversicherungsrechtlicher Positionen vgl auch Urteil des BVerfG vom 16. Juli 1985 - 1 BvL 5/80 ua -). Demgemäß soll nach § 2 Abs 2, 2. Halbs SGB 1 das Verwaltungsverfahren im Sozialrecht sicherstellen, daß die Rechte der einzelnen "möglichst weitgehend verwirklicht werden", was vor allem durch Information und Beratung zu geschehen hat (§§ 13 ff SGB 1). Auf die zentrale Bedeutung einer ausreichenden Information und Beratung für das Funktionieren des sozialen Leistungssystems hat der erkennende Senat schon wiederholt hingewiesen (BSG SozR 1200 § 14 Nr 16 S 34 ff mwN). Der Senat hat darüber hinaus die Notwendigkeit von Information und Beratung der Versicherten sowie eines Ausgleichs von Informations- oder Beratungsfehlern über den Herstellungsanspruch auch aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, weil andernfalls die Gewährung von Sozialleistungen von Zufälligkeiten abhinge, was dem Zweck und der Bedeutung dieser Leistungen unangemessen wäre (SozR 5070 § 10 Nr 19).
Enthält hiernach die Anerkennung eines Herstellungsanspruchs keinen Vorwurf für die Verwaltung und mutet sie ihr auch keine Leistungen zu, die sie ohne die unrichtige Rechtsanwendung nicht hätte zu erbringen brauchen - die Verwaltung soll lediglich diejenigen Leistungen gewähren bzw Rechte einräumen, die sie bei zutreffender Rechtsanwendung von Anfang an hätte gewähren müssen -, so kann es entgegen den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid hier nicht darauf ankommen, ob die Beklagte schon bei Erlaß des ersten Nachentrichtungsbescheides im April 1977 Zweifel an ihrer Rechtsauffassung hätte haben und dann auf sie hätte hinweisen müssen oder ob ihre frühere Auffassung nach ihrem damaligen Erkenntnisstand vertretbar war. Diese Frage wäre nur dann von Bedeutung, wenn sich die Beklagte von Amts wegen zu einer Beratung hätte gedrängt fühlen müssen, was hier nicht zutrifft (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nr 16, S 30 f).
Ein Herstellungsanspruch der Klägerin ist allerdings nur begründet, wenn die Auskunft der Beklagten im Informationsschreiben vom 7. April 1977 auch ursächlich dafür war, daß die Klägerin seinerzeit keine Beiträge für die streitigen Zeiten entrichtet hat. Der Herstellungsanspruch soll, wie dargelegt, nur sicherstellen, daß die sozialen Rechte denjenigen, für die sie bestimmt sind, auch zuteil werden; sie sollen nicht an einem Fehler der Verwaltung scheitern. Deshalb ist der Versicherte grundsätzlich so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn die Verwaltung nicht fehlerhaft gehandelt hätte. Der Herstellungsanspruch ist aber kein Mittel zur Korrektur von Fehlern des Berechtigten selbst, gleichviel worauf diese beruhen. Der Versicherte darf sich also nicht infolge eines Verwaltungsfehlers eine - ihm sonst nicht zustehende oder von ihm nicht genutzte - Möglichkeit zur Korrektur eines eigenen früheren Verhaltens verschaffen. Deshalb ist der Herstellungsanspruch auf die Beseitigung von Folgen beschränkt, die durch den Verwaltungsfehler verursacht worden sind. Demgemäß hat der erkennende Senat die Nachentrichtung von Beiträgen für Beschäftigungszeiten in einem Falle zugelassen, in dem der Berechtigte früher alle ihm für eine Nachentrichtung genannten Zeiten mit Beiträgen belegt hatte; hier war die Kausalität zwischen der unvollständigen Information des Versicherungsträgers und der Nichtentrichtung weiterer Beiträge offensichtlich (Urteil vom 15. Mai 1984 - 12 RK 9/83 - SozR 5070 § 10 Nr 25). Umgekehrt hat der Senat in einem anderen Fall, in dem der Kläger früher nur für einen geringen Teil der ihm als belegbar bezeichneten Zeit Beiträge nachentrichtet und größere Zeiträume vor, zwischen und nach den Beschäftigungszeiten ungenutzt gelassen hatte, einen Anspruch auf Nachentrichtung weiterer Beiträge abgelehnt, weil nicht feststellbar war, daß der Kläger sich seinerzeit anders verhalten hätte, wenn er die Möglichkeit der Nachentrichtung für Beschäftigungszeiten gekannt hätte (Urteil vom 15. Mai 1984 - 12 RK 26/83 -).
Im vorliegenden Fall, dessen Sachverhalt sich mit keinem der beiden entschiedenen Fälle deckt, kann zunächst die Kausalität nicht schon damit begründet werden, daß die Klägerin, wie sie meint, durch die objektiv unrichtige Mitteilung der Beklagten vom 7. April 1977 seinerzeit in ihrer "Dispositionsfreiheit" eingeschränkt worden sei und diese ihr deshalb neu eröffnet werden müsse. Für die Klägerin kommt eine erneute Einräumung oder Verlängerung einer Nachentrichtungsfrist nicht in Betracht, im Gegensatz etwa zu Fällen, in denen nachträglich - nach Ablauf der regulären Antragsfrist - der Kreis der nachentrichtungsberechtigten Personen durch Gesetz oder - was sich im Ergebnis ähnlich auswirkt - durch richterliche Rechtsfortbildung erweitert worden ist (vgl das Urteil des Senats vom 24. Oktober 1985 in der Sache 12 RK 48/84). Hier geht es vielmehr nur darum, den Nachteil auszugleichen, den die Klägerin möglicherweise dadurch erlitten hat, daß sie eine ihr günstige Nachentrichtungsmöglichkeit seinerzeit wegen der unrichtigen Auskunft der Beklagten nicht wahrgenommen hat.
Welche Möglichkeiten sich der Klägerin bei einer zutreffenden Information geboten hätten, ergibt sich aus einer im Revisionsverfahren von der Beklagten vorgelegten Vergleichsberechnung, um die der Senat die Beklagte ersucht hatte. Ob die Beklagte auch ohne ein solches Ersuchen zu ihrer Vorlage verpflichtet gewesen wäre, ob und inwieweit sie insbesondere in ähnlichen Fällen entsprechenden Anträgen der Versicherten stattzugeben hätte, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Grundsätzlich wird sich der Versicherungsträger an dem bisherigen Nachentrichtungsverhalten des Berechtigten orientieren können; er wird also, wenn der Berechtigte, wie hier die Klägerin, den Nachentrichtungsantrag früher ohne eine vorherige Beratung durch den Versicherungsträger gestellt hatte, nach Klärung von zusätzlichen Nachentrichtungsmöglichkeiten (hier: für Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG) ein neues Nachentrichtungsangebot des Berechtigten abwarten dürfen. Im übrigen wird sich die Vergleichsberechnung in der Regel auf diejenigen Beitragsklassen beschränken können, die der Berechtigte schon früher gewählt hatte. Der Versicherungsträger wird ferner Art und Umfang einer Vergleichsberechnung danach ausrichten dürfen, ob der Berechtigte, nachdem hier durch die Rechtsprechung des Senats das Nachentrichtungsrecht auch für Beschäftigungszeiten klargestellt war, die Entrichtung von weiteren Beiträgen beantragt oder aber sich für eine - insoweit grundsätzlich zulässige (vgl Urteil des Senats vom 25. Oktober 1985 in der Sache 12 RK 42/85) - Umbuchung von bereits entrichteten Beiträgen entschieden hatte.
Nach dem Antrag, den die Klägerin schon in ihrem an die Beklagte gerichteten Schriftsatz vom 23. März 1982 gestellt hatte und den sie im Gerichtsverfahren wiederholt hat, nämlich zur Nachentrichtung von weiteren 39 Beiträgen der Klasse 600 für die Beschäftigungszeit vom 1. Oktober 1939 bis zum 30. Juni 1943 zugelassen zu werden, scheidet hier die Möglichkeit einer Umbuchung von Beiträgen aus. Zu entscheiden ist vielmehr allein darüber, ob die Klägerin, wenn sie im April 1977 von der Beklagten nicht unrichtig informiert worden wäre, schon damals weitere Beiträge für die genannte Zeit und in der genannten Höhe nachentrichtet hätte. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob die Klägerin seinerzeit durch die Fehlinformation der Beklagten von der jetzt beanspruchten Nachentrichtung abgehalten, diese Fehlinformation also für das frühere Nachentrichtungsverhalten der Klägerin kausal geworden ist. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um eine Tatfrage, deren Beantwortung grundsätzlich den Gerichten der Tatsacheninstanzen obliegt. Für die insoweit noch zu treffenden Feststellungen wird zu berücksichtigen sein, daß die Klägerin einen erheblichen Teil derjenigen Zeiten, die sie schon nach dem Informationsschreiben der Beklagten vom April 1977 mit Beiträgen hätte belegen können (je 2 Monate der Jahre 1940 bis 1942 sowie die Zeit von Februar 1948 bis Januar 1971), damals nicht belegt, sondern alle Zeiten vor Oktober 1952 ausgespart hatte. Dabei wäre die Belegung der ausgesparten Zeiten für sie nach der von der Beklagten im Revisionsverfahren vorgelegten Vergleichsberechnung, deren Richtigkeit bisher allerdings nicht überprüft worden ist, anscheinend günstiger gewesen als eine Belegung der jetzt streitigen Beschäftigungszeiten. Warum die Klägerin trotzdem von der Belegung jener Zeiten abgesehen hat und jetzt darauf besteht, gerade für die Beschäftigungszeiten Beiträge nachzuentrichten, ist nicht ohne weiteres ersichtlich und müßte von ihr noch dargelegt werden. Über die Glaubwürdigkeit einer solchen Darlegung hätte dann das LSG nach seinem tatrichterlichen Beweiswürdigungsermessen zu entscheiden.
Soweit die Klägerin schließlich eine Entscheidung dahin beantragt hat, daß sie - im Falle der Zulassung zur Nachentrichtung der streitigen Beiträge in der Klasse 600 - diese nach dem Beitragssatz des Jahres 1975 (108 DM) nachentrichten dürfe, ist ihr Begehren nicht begründet. Denn ein Herstellungsanspruch kann nicht auf Ersatz eines wirtschaftlichen Schadens, auf den der Antrag der Klägerin in Wahrheit zielt, gerichtet sein; das gilt jedenfalls dann, wenn dieser Schaden, wie hier, nicht durch ein seiner Art nach zulässiges Verwaltungshandeln ausgleichbar ist und im übrigen in seiner Höhe von einer Vielzahl von Umständen abhängt, insbesondere davon, in welchem Umfang die Klägerin infolge späterer Zahlung der Nachentrichtungssumme Aufwendungen erspart oder Vorteile (zB Zinsen) gehabt hätte.
Das LSG wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.
Fundstellen