Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Entschädigung gesundheitlicher Schädigungen durch einen während der Ausübung des militärischen Dienstes bei der Nationalen Volksarmee in der DDR erlittenen Unfalls. notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Handelt es sich bei einem Unfall um eine Schädigung iS des § 1 BVG oder um eine Wehrdienstbeschädigung iS des § 81 SVG usw, für die nach diesen Gesetzen grundsätzlich Versorgung gewährt wird, und wenn als möglicher Versicherungsgrund iS des § 539 Abs 1 Nr 1 oder Abs 2 RVO ausschließlich das Wehrdienst- oder Soldatendienstverhältnis zum Staat vorliegt, dann besteht Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung.

2. Für einen Unfall während der Ausübung des militärischen Dienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in der DDR besteht Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO, da nach dem hier insoweit maßgebenden § 5 Abs 2 FRG dem Verletzten, hätte er sich zur Zeit seines Wehrdienstes im Geltungsbereich des FRG aufgehalten, für die geltend gemachte Gesundheitsstörung rechtlich und tatsächlich Soldatenversorgung gewährt worden wäre.

3. Nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG ist dann, wenn sich im Verfahren ergibt, daß bei Ablehnung des gegen den Unfallversicherungsträger erhobenen Anspruchs in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, das Land beizuladen.

4. Unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Gehör hat das BSG von einer abschließenden, das LSG über die Notwendigkeit einer Beiladung hinaus nach § 170 Abs 5 SGG bindenden Entscheidung in der Sache abzusehen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 2; BVG §§ 1, 80, 82 Abs 2, § 89 Abs 1; SVG §§ 80-81; FRG § 5 Abs 2, § 7; RVO § 539 Abs 1 Nr 1, § 541 Abs 1 Nr 2, § 548; SGG §§ 182, 170 Abs 5, § 62

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.06.1986; Aktenzeichen L 17 U 215/83)

SG Detmold (Entscheidung vom 02.11.1983; Aktenzeichen S 8 U 298/82)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Entschädigung gesundheitlicher Schädigungen durch einen während der Ausübung des militärischen Dienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) in der DDR erlittenen Unfall.

Als Soldat zur Ableistung des Grundwehrdienstes fuhr der Kläger am 15. September 1965 einen Schützenpanzerwagen bei einer militärischen Übung. Während der Fahrt kam das Fahrzeug von der Straße ab und stürzte eine Böschung hinunter. Dabei erlitt der Kläger rechts einen Oberschenkelbruch und eine Radiusfraktur. Mit dem Unfall-Rentenbescheid des FDGB-Kreisvorstandes P.   , Verwaltung der Sozialversicherung, vom 25. Mai 1966 wurde ihm wegen eines Körperschadens von 50 % eine Unfall-Teilrente gewährt. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland am 6. Mai 1982 beantragte der Kläger einen Monat später deswegen Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Das lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20. September 1982, Widerspruchsbescheid vom 24. November 1982). Auch vor dem Sozialgericht (SG) Detmold hat der Kläger keinen Erfolg gehabt (Urteil vom 2. November 1983).

Während des Berufungsverfahrens hat das Versorgungsamt B.        es abgelehnt, dem Kläger wegen desselben Unfalls Versorgung nach § 82 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren, weil die DDR nicht Vertreibungsgebiet iS dieser Vorschrift sei (Bescheid vom 5. April 1984). Die dagegen gerichtete Klage ist noch bei dem SG anhängig.

Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Folgen des Unfalls vom 15. September 1965 Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren (Urteil vom 4. Juni 1986): Die Versorgungsverwaltung sei nicht am Verfahren zu beteiligen. Denn der Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei vor dem in Betracht kommenden Leistungsanspruch nach dem BVG vorrangig. Für Schädigungen im Zusammenhang mit der Erfüllung des gesetzlichen Wehrdienstes in der NVA der DDR komme lediglich ein Härteausgleich nach § 89 BVG in Betracht. Indessen sei ein Härtefall iS dieser Vorschrift ausgeschlossen, wenn dem Verletzten Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehe. Das sei hier der Fall. Der Kläger habe auch als Soldat in einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Unter diesen Voraussetzungen hätte er auch an dem nach § 7 Fremdrentengesetz (FRG) maßgeblichen Ort einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 RVO erlitten. Denn bei den im Herkunftsland gegebenen Verhältnissen wäre der Kläger im Geltungsbereich der RVO zum Unfallzeitpunkt nicht nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungsfrei gewesen. Es sei geboten, diese Frage eng am Wortlaut des § 541 Abs 1 RVO zu prüfen. Im Gegensatz zur Nr 1 aaO nehme die Nr 2 aaO Personen von der Versicherungspflicht erst dann aus, wenn ihnen für Unfälle Versorgung nach dem BVG oder den das BVG für anwendbar erklärenden Gesetzen tatsächlich gewährt werde. Danach fehle es im vorliegenden Fall an der Versicherungsfreiheit des Klägers, weil er keine Aussicht auf Versorgung nach dem BVG habe. Soldatenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sei von vornherein nur auf Unfälle beschränkt, die sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ereigneten.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe es unterlassen, das von ihm selbst als leistungspflichtig in Betracht gezogene Land Nordrhein-Westfalen zum Verfahren beizuladen. Ein Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung stehe dem Kläger nicht zu. Das LSG habe auch die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs des Klägers nach § 89 BVG verkannt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Veranlassung des Senats unter Hinweis auf das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 6. Februar 1969 über "Gewährung von Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs 1 BVG bei Schädigungen im Zusammenhang mit einer Dienstleistung in Erfüllung gesetzlichen Wehrdienstes in der 'Nationalen Volksarmee' der DDR" hat das Versorgungsamt B.        auf den Versorgungsantrag vom 8. Februar 1984 auch den Anspruch des Klägers auf Härteausgleich nach § 89 BVG sachlich überprüft. Mit Bescheid vom 5. Juli 1989 hat es die Gewährung von Versorgung im Wege des Härteausgleichs abgelehnt, weil die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nur mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH zu bewerten seien und der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung auch kein wirtschaftliches Bedürfnis an der Gewährung von Heilbehandlung nach dem BVG habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zu dem Verfahren ist das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen, als Leistungsträger der sozialen Entschädigung notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 Alternative 2 SGG). Diese Beiladung ist im Revisionsverfahren unzulässig (§ 168 SGG).

Nach § 75 Abs 2 Alternative 2 SGG ist dann, wenn sich im Verfahren ergibt, daß bei Ablehnung des gegen die Beklagte erhobenen Anspruchs in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, das Land beizuladen. Diese Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung sind entgegen der sachlich-rechtlichen Auffassung des LSG aus der Sicht des Senats erfüllt.

Wird der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verneint, so kommt ein Anspruch des Klägers gegen das Land Nordrhein-Westfalen als Träger der Versorgung in Betracht. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte und Ansprüche des Klägers gegen das Land Nordrhein-Westfalen schließen sich gegenseitig aus, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ebenfalls Voraussetzung für eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 2 SGG ist (BSG SozR 5090 § 6 Nr 4).

Aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts vermag der Senat der Rechtsauffassung des LSG nicht beizutreten, die Beklagte sei leistungspflichtig, und deshalb komme eine Leistungspflicht des Landes Nordrhein-Westfalen als Träger der Kriegsopferversorgung nicht in Betracht.

In Ausnahme zu dem in § 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch, IV. Buch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, verankerten Territorialitätsprinzip wird gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 4 Satz 1 FRG nach den für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden bundesrechtlichen Vorschriften auch ein außerhalb des Geltungsbereichs des FRG eingetretener Arbeitsunfall entschädigt, wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt. Jedoch gelten Unfälle, gegen die der Verletzte an dem für das anzuwendende Recht maßgeblichen Ort (§ 7 FRG) nicht versichert gewesen wäre, nach § 5 Abs 2 FRG nicht als Arbeitsunfälle iS des Abs 1 aaO, es sei denn, der Verletzte hätte sich an diesem Ort gegen Unfälle dieser Art freiwillig versichern können. § 7 FRG schreibt vor, daß für Voraussetzungen, Art, Höhe und Dauer der Leistungen im übrigen die Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung gelten, die anzuwenden wären, wenn sich der Unfall dort, wo sich der Berechtigte im Geltungsbereich des FRG zur Zeit der Anmeldung des Anspruchs gewöhnlich aufhält, ereignet hätte. Hätte sich der Unfall des Klägers nicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik Deutschland ereignet, wäre die geltend gemachte gesundheitliche Schädigung eine Wehrdienstbeschädigung gewesen, für die Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG gewährt wird (§ 80 SVG). Nach § 81 Abs 1 Alternative 2 SVG ist Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden ist.

Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs 2 FRG erfüllt sind, legt das LSG zwar zutreffend die für das Unfallgeschehen maßgeblichen Verhältnisse des Herkunftslandes zugrunde. Aber diese führen nur zu der Erkenntnis, daß nach dem für das anzuwendende Recht maßgeblichen Ort alle Voraussetzungen der §§ 80, 81 SVG erfüllt gewesen wären, unter denen grundsätzlich und ausschließlich Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG gewährt wird.

Damit liegen die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO vor: "Versicherungsfrei sind Personen hinsichtlich der Arbeitsunfälle, für die ihnen Versorgung nach dem BVG oder solchen Gesetzen gewährt wird, die das BVG für anwendbar erklären, es sei denn, daß der Arbeitsunfall zugleich die Folge einer Schädigung iS dieser Gesetze ist." Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, - mit Ausnahme der zweiten, hier nicht in Betracht kommenden Alternative - gegenüber der Unfallversicherung den Vorrang der sozialen Entschädigung grundsätzlich nur nach den konkreten Umständen des einzelnen Unfalles anzuordnen. Wenn es sich dabei um eine Schädigung iS des § 1 BVG oder um eine Wehrdienstbeschädigung iS des § 81 SVG usw handelt, für die nach diesen Gesetzen grundsätzlich Versorgung gewährt wird, und wenn als möglicher Versicherungsgrund iS des § 539 Abs 1 Nr 1 oder Abs 2 RVO ausschließlich das Wehrdienst- oder Soldatendienstverhältnis zum Staat vorliegt, dann besteht Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies trifft auch für die rechtliche Beurteilung von Entschädigungsansprüchen des Klägers zu, da nach dem hier insoweit maßgebenden § 5 Abs 2 FRG dem Kläger, hätte er sich zur Zeit seines Wehrdienstes im Geltungsbereich des FRG aufgehalten, für die geltend gemachte Gesundheitsstörung rechtlich und tatsächlich Soldatenversorgung gewährt worden wäre. Der Senat kann es deshalb, da der Kläger bei einem Aufenthalt im Zeitpunkt seines geltend gemachten Unfalles in der Bundesrepublik auch tatsächlich Versorgung erhalten hätte, dahinstehen lassen, ob der Auffassung des LSG zu folgen ist, daß es für die Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO auch auf die tatsächliche Gewährung von Versorgung ankomme.

Dabei wäre zu bedenken, daß zu dieser Auslegung nicht schon der Gesetzeswortlaut zwingt. Die Formulierung: "für die ihnen ... Versorgung gewährt wird" entspricht der Ausdrucksweise in § 1 Abs 1 BVG: "wer durch ... eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält ... Versorgung" (vgl auch § 80 SVG). Beide Ausdrucksformen könnten jeweils die Anspruchsvoraussetzungen und nicht die Tatsache der Leistung im Einzelfall meinen. Nicht anders ist der Bericht des BT-Ausschusses für Sozialpolitik zu verstehen, es müsse im Einzelfall entschieden werden, ob Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 2 RVO bestehe (BT-Drucks IV/938 neu, zu § 541 Abs 1 Nr 2, S 5). Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, Bd II, S 478i) ist in seiner Meinung zuzustimmen, der Nachsatz des § 541 Abs 1 Nr 2 RVO (es sei denn, ... s oben) lege die Folgerung nahe, daß von der Unfallversicherung nur diejenigen Personen ausgeschlossen seien, bei denen der Arbeitsunfall zugleich eine gesundheitsschädigende Einwirkung iS des BVG sei. Aber daraus muß nicht zugleich folgen, für die Anwendung des § 541 Abs 1 Nr 2 RVO sei es zusätzlich erforderlich, daß die Versorgung bereits gewährt werde (aA Brackmann, aaO, S 478k), wie der zu entscheidende Fall eines ausschließlichen Wehrdienstverhältnisses deutlich zeigt. Sinn und Zweck des Gesetzes stehen der auch vom LSG vorgenommenen gegenteiligen Auslegung wohl ebenfalls entgegen. Sie weitete die gesetzliche Unfallversicherung zur subsidiären Soldaten- und Kriegsopferversorgung aus. Sie räumte allen durch Unfall Beschädigten mit Schädigungsfolgen, die nicht heilbehandlungsbedürftig sind, einen Anspruch auf Verletztenrente ein, wenn der rentenberechtigende Grad der MdE zwar nicht mehr nach dem BVG (§ 31), aber noch nach § 581 RVO erreicht wird. Das verkehrte den Sinn und Zweck des Gesetzes in sein Gegenteil.

Der Senat hat jedoch auch hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs des Klägers gegen die Beklagte von einer abschließenden, das LSG über die Notwendigkeit einer Beiladung des Landes Nordrhein-Westfalen hinaus nach § 170 Abs 5 SGG bindenden eigenen Entscheidung in der Sache selbst abgesehen (s § 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Bei einer rechtskräftigen Ablehnung des Entschädigungsanspruchs des Klägers gegen die Beklagte könnte auch das Land Nordrhein-Westfalen dem Kläger nicht mehr entgegenhalten, die Beklagte sei als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Entschädigung des Klägers zuständig (s § 182 SGG). Der an diesem Verfahren - noch - nicht beteiligte Träger der Versorgung wäre vielmehr an die Gründe der Entscheidung des Senats gebunden (s Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 182 Rdnr 2; Brackmann, aaO, S 260), ohne daß ihm rechtlich ausreichend die Möglichkeit gegeben war, auch seine Auffassung über die umstrittene Zuständigkeit der Beklagten darzulegen. Vor allem im Rahmen des § 75 Abs 2 Alternative 2 SGG dient die Beiladung nicht nur dem Interesse des Verletzten an einer möglichst abschließenden Entscheidung über seinen Entschädigungsanspruch, sondern auch der Wahrung des Rechts auf Gehör für den anderen Sozialleistungsträger. Aus diesem Grund hat der Senat das Urteil des LSG in vollem Umfang aufgehoben und - bis auf die Verpflichtung zur Beiladung - auch über den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in der Sache für das LSG bindend entschieden. Dies ist auch deshalb untunlich iS des § 170 Abs 2 Satz 2 SGG, weil hinsichtlich eines Anspruchs auf Versorgung der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif ist.

Statt der Beklagten kommt das Land Nordrhein-Westfalen als leistungspflichtig in Betracht. Die Leistungsansprüche des Klägers wegen seines Unfalls vom 15. September 1965, wie ihn als Unfall das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG), bezeichnen die ernsthafte Möglichkeit, daß es sich um eine Angelegenheit der Versorgung nach dem BVG handelt und das Land Nordrhein-Westfalen leistungspflichtig ist (s BSG SozR 1500 § 75 Nr 74). Wie oben bereits dargelegt, schließt ein solcher Versorgungsanspruch den Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus (§ 541 Abs 1 Nr 2 RVO; vgl BSG SozR 5090 § 6 Nr 4).

Der Senat vermag dem LSG nicht dahin zu folgen, daß der Versorgungsanspruch des Klägers auch nach § 89 BVG von vornherein ausgeschlossen sei. Die in § 89 Abs 1 BVG geforderte besondere Härte muß sich, wie es das Gesetz ausdrücklich vorschreibt, im Einzelfall aus den Vorschriften des BVG ergeben und nicht aus einem Vergleich mit Ansprüchen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit dem BMA vertritt auch der Senat die Auffassung, daß es im Hinblick auf den Grundgedanken des § 82 Abs 2 BVG als eine besondere Härte iS des § 89 Abs 1 BVG angesehen werden muß, ehemalige Angehörige der NVA allein wegen der fehlenden Vertriebeneneigenschaft von der Versorgung auszuschließen (BMA, Rundschreiben vom 6. Februar 1969 - V 3-5241-2773/68 -, Schreiben an den Senat in diesem Verfahren vom 16. September 1987). Das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Meinung des BMA angeschlossen (Schreiben vom 9. Dezember 1987 in diesem Verfahren).

Ob dem Kläger kein Anspruch auf Versorgung nach § 89 Abs 1 BVG zusteht oder ob der noch nicht bestandskräftige Ablehnungsbescheid des Versorgungsamts B.        vom 5. Juli 1989 rechtswidrig und in fehlerhafter Ausübung des eingeräumten Ermessens ergangen ist, kann ohne tatsächliche Feststellungen des LSG über die Schädigungsfolgen nicht beurteilt werden. Das LSG wird sie im Anschluß an die Beiladung des Landes Nordrhein-Westfalen nachzuholen haben. Der Bescheid vom 5. Juli 1989 wird auch insoweit zu überprüfen sein, als es das Versorgungsamt wesentlich darauf abstellt, dem Kläger fehle das wirtschaftliche Bedürfnis an der Gewährung von Heilbehandlung für seine Schädigungsfolgen, weil ihm insoweit auch Ansprüche gegen die Krankenkasse aus der gesetzlichen Krankenversicherung zuständen. Diese Auffassung ist kaum mit den Grundsätzen unseres gegliederten Sozialleistungssystems in Einklang zu bringen. Darüber hinaus wird auch dem Hinweis der Beklagten auf das Rundschreiben des BMA vom 29. Oktober 1970 - V 3-5241-1208/70 - (Bl 71 der BSG-Akten) nachzugehen sein, wonach in Fällen dieser Art die Gewährung des Härteausgleichs nicht mehr davon abhängig zu machen sei, daß persönliche Ausschließungsgründe fehlten.

Die Rechtshängigkeit der gegen die Bescheide der Versorgungsverwaltung erhobenen Klage steht weder der Zurückverweisung noch einer möglichen Verurteilung des beizuladenden Landes durch das LSG gemäß § 75 Abs 5 SGG entgegen. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Beiladungspflicht gemäß § 75 Abs 2 Alternative 2 SGG, der darin liegt, bei Wahrung des rechtlichen Gehörs des anderen als leistungspflichtig in Betracht kommenden Sozialleistungsträgers aus prozeßökonomischen Gründen eine umfassende Klärung in einem Rechtszug zu ermöglichen und das Zustandekommen widersprüchlicher Entscheidungen zu verhindern (vgl BSG SozR 2200 § 1239 Nr 2).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660593

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