Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfallzeit. Überbrückungstatbestand
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich muß ein enger Zusammenhang zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und Ausfallzeit bestehen, wobei die Arbeitslosigkeit nicht stets zeitlich lückenlos an das Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung anschließen muß. Vielmehr genügt es, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Beginn der Arbeitslosigkeit ein oder mehrere aufeinanderfolgende Zeitabschnitte liegen, die ihrerseits als Ausfallzeit in Betracht kommen (vgl BSG 1981-09-22 1 RJ 94/78).
2. Nach der Rechtsprechung des BSG können Zeiten vor der Meldung beim Arbeitsamt, in denen der Versicherte durch von ihm nicht zu vertretende Umstände daran gehindert war, aufgrund einer sonst wahrscheinlich von ihm ausgeübten entgeltlichen Beschäftigung Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten, den an sich gestörten zeitlichen Zusammenhang überbrücken und den Anschluß der Arbeitslosigkeit an die frühere versicherungspflichtige Beschäftigung herstellen (vgl BSG vom 1973-12-11 GS 1/73 = BSGE 37, 10, 17 mwN). Das gleiche muß für den Anschluß an eine vorangegangene Ausfallzeit gelten.
Normenkette
RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 18.01.1979; Aktenzeichen L 2 Kn 23/77) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 01.12.1976; Aktenzeichen S 3 (11) Kn 145/75) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Berücksichtigung einer Ausfallzeit bei der Rentenberechnung.
Der Kläger, zuletzt beschäftigt als Pförtner, war ab 6. November 1972 arbeitsunfähig krank. Er bezog Krankengeld bis zum Ablauf der Berechtigungszeit am 3. Juni 1974. Auf seinen Antrag vom 11. Dezember 1972 gewährte ihm die Beklagte mit den Bescheiden vom 25. März 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 25. März bis zum 12. September 1973 und von da ab Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Der Widerspruch, mit dem der Kläger Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer begehrte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 1974 zurückgewiesen. Daraufhin meldete der Kläger sich am 27. August 1974 beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender und erhielt Arbeitslosengeld (Alg) bzw ab 25. Februar 1975 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Mit Bescheid vom 10. September 1975 gewährte die Beklagte dem Kläger auf seinen entsprechenden Antrag hin ab 1. September 1975 Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres und einer Arbeitslosigkeit von 52 Wochen. Dabei berücksichtigte sie die Zeit des Krankengeldbezuges vom 18. Dezember 1972 bis zum 3. Juni 1974 als Ausfallzeit.
Ebenso wie der Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1975) ist die Klage des Klägers, mit der er die Zeit vom 1. Juli 1974 bis zum 30. August 1975 als Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit geltend gemacht hat, erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 1. Dezember 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verpflichtet, entsprechend dem in der Berufungsinstanz eingeschränkten Antrag des Klägers auch die Zeit ab 27. August 1974 als Ausfallzeit (Arbeitslosigkeit) bei der Rentenberechnung anzusetzen (Urteil vom 18. Januar 1979). Es hat im wesentlichen ausgeführt, erst nach Kenntnis des Widerspruchsbescheides habe der Kläger hinreichend sicher sein können, daß eine leichte Erwerbstätigkeit für ihn kein schwerwiegendes gesundheitliches Risiko darstellen würde. Deshalb könne die Lücke zwischen den durch den Bezug von Kranken- und Arbeitslosengeld belegten Zeiten als überbrückt angesehen werden.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 1259 Abs 1 Nr 3 Reichsversicherungsordnung (RVO). Die hier entscheidende Frage, ob die am 6. November 1972 eingetretene Unterbrechung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch über den 3. Juni 1974 hinaus bestanden habe, könne nicht deshalb bejaht werden, weil dem Kläger die Nutzung einer eventuellen Arbeitsgelegenheit nicht habe zugemutet werden können. Sein Verhalten lasse vielmehr den Schluß zu, daß er das Erwerbsleben habe beenden wollen. Primär sei es ihm mit der Meldung beim Arbeitsamt darum gegangen, die Leistung nach § 48 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) zu erhalten. Auch habe er sich nicht auf einen Erfolg seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25. März 1974 verlassen dürfen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung
des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Der Kläger bezieht von der Beklagten Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 2 RKG, das als Gesamtleistung berechnet und festgestellt worden ist (§§ 99 ff, 101 Abs 2 RKG). Vor der hier geltend gemachten Ausfallzeit ist der letzte Beitrag nicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung, sondern zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Deshalb richtet sich das Begehren des Klägers nach § 1259 RVO (§§ 101 Abs 3, 5 RKG, 1310 Abs 3 RVO). Zu Recht hat das LSG entschieden, daß die - in der Berufungsinstanz allein noch streitige - Zeit ab 27. August 1974 als Ausfallzeit gemäß § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen ist. Da der Kläger von diesem Zeitpunkt an beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet war und Alg bzw Alhi bezogen hat, kommt es allein darauf an, ob der Anschluß an die vorausgegangene, nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO bereits angerechnete Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit, welche die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers unterbrochen hat, gewahrt ist. Das ist mit dem LSG zu bejahen, weil der Zeitraum zwischen dem 3. Juni und dem 27. August 1974 als überbrückt anzusehen ist.
Grundsätzlich muß ein enger Zusammenhang zwischen versicherungspflichtiger Beschäftigung und Ausfallzeit bestehen, wobei die Arbeitslosigkeit nicht stets zeitlich lückenlos an das Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung anschließen muß. Vielmehr genügt es, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Beginn der Arbeitslosigkeit ein oder mehrere aufeinanderfolgende Zeitabschnitte liegen, die ihrerseits als Ausfallzeit in Betracht kommen (vgl Urteil des BSG vom 1981-09-22 - 1 RJ 94/78 -).
Das LSG hat im Falle des Klägers die Frage unentschieden gelassen, ob er nach der Aussteuerung und dem Ende der Barleistungen in der Krankenversicherung am 3. Juni 1974 weiterhin arbeitsunfähig war. Es hat insoweit auf widersprechende ärztliche Äußerungen hingewiesen. Auch das Verhalten der beteiligten Versicherungsträger zeigt eine unterschiedliche Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers. Während die Beklagte Erwerbsunfähigkeit über den 12. September 1973 hinaus auch deshalb verneint hat, weil der Kläger leichte Pförtnertätigkeiten verrichten könne, hat die zuständige AOK - ausgehend von der zuletzt ausgeübten Beschäftigung als Pförtner - Arbeitsunfähigkeit über den genannten Zeitpunkt hinaus bejaht und Krankengeld gezahlt. Dem LSG ist darin beizupflichten, daß diese Unklarheit und die fehlende Abstimmung zwischen den Versicherungsträgern geeignet ist, die verhältnismäßig kurze Zeit von weniger als drei Monaten Dauer zwischen den beiden Ausfallzeiten zu überbrücken. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) können Zeiten vor der Meldung beim Arbeitsamt, in denen der Versicherte durch von ihm nicht zu vertretende Umstände daran gehindert war, aufgrund einer sonst wahrscheinlich von ihm ausgeübten entgeltlichen Beschäftigung Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten, den an sich gestörten zeitlichen Zusammenhang überbrücken und den Anschluß der Arbeitslosigkeit an die frühere versicherungspflichtige Beschäftigung herstellen (vgl BSGE 37, 10, 17 mwN). Das gleiche muß für den Anschluß an eine vorangegangene Ausfallzeit gelten. Auch im Falle des Klägers ist die frühere Meldung beim Arbeitsamt aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen unterblieben.
Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, sie habe dem Kläger im Bescheid vom 25. März 1974 deutlich zu erkennen gegeben, daß sie über den 12. September 1973 hinaus einen Zustand der Erwerbsunfähigkeit verneine. Es habe ihm also oblegen, Fehlzeiten nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse zu vermeiden. Mit dieser Argumentation läßt sich die Überbrückung der beiden Ausfallzeiten im Falle des Klägers nicht ablehnen. Wie das LSG dargelegt hat, konnte der Kläger durchaus aufgrund der Äußerungen seines behandelnden Arztes und des Verhaltens der Krankenkasse davon ausgehen, weiterhin arbeitsunfähig zu sein, zumal noch im Widerspruchsverfahren bei der Beklagten ein weiteres ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers für erforderlich gehalten wurde. Bei einer solchen - zu begründeten Zweifeln an die eigene Arbeitsfähigkeit Anlaß gebenden - Sachlage kann von einem Versicherten weder eine Arbeitsaufnahme noch eine Meldung beim Arbeitsamt verlangt werden. Eine angemessene, hier nicht überschrittene Zeit für eine Klärung, die durch die Untersuchung im Widerspruchsverfahren erfolgt ist, muß dem Kläger zugebilligt werden.
Soweit die Beklagte vorträgt, das Verhalten des Klägers lasse nur den Schluß zu, daß er das Erwerbsleben habe beenden wollen, hat sie die gegenteiligen Feststellungen des LSG nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen. Im übrigen geht es nicht an, daß die Beklagte unsubstantiiert behauptet, dem Kläger sei es mit seiner Meldung beim Arbeitsamt nur darum gegangen, die Rentenleistung nach § 48 Abs 2 RKG zu erhalten. Damit unterstellt sie gewissermaßen einen zu Unrecht erfolgten Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung. Nach der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des BSG ist in rückschauender Betrachtungsweise zu entscheiden, ob eine Ausfallzeit zu berücksichtigen ist, wenn eine neben der Arbeitsunfähigkeit zunächst bestehende Erwerbsunfähigkeit vor Eintritt eines neuen Versicherungsfalles wieder behoben ist (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 15. Oktober 1981 - 5b/5 RJ 24/77 - mwN und Urteil des 1. Senats aaO. Von daher ist das LSG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß die am 6. November 1972 mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Klägers eingetretene Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung während des noch streitigen Zeitraums fortbestanden hat.
Die demnach unbegründete Revision der Beklagten mußte zurückgewiesen werden (§ 179 Abs 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen