Leitsatz (redaktionell)

Die Anwendung des DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 3 Abs 4 vom 1968-02-28 hängt nicht entscheidend davon ab, ob die Aufgaben des technischen Betriebsleiters eines Zweigwerkes besondere fachliche Fähigkeiten erfordern; maßgebend ist vielmehr, ob der technische Betriebsleiter unternehmerische Funktionen ausübte. Insoweit ist bedeutsam, ob und in welchem Umfang der technische Betriebsleiter eine von dem kaufmännischen Leiter und Prokuristen des Zweigwerks und von der Geschäftsleitung des Hauptwerks unabhängige und eigenverantwortliche Tätigkeit ausübt.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 3 u 4 DV § 3 Abs. 4

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der 1923 geborene Kläger erhält Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. Als Wehrdienstbeschädigungen sind bei ihm Verlust des linken Armes und des rechten Beines sowie Versteifung des Daumengrundgelenkes rechts anerkannt.

Über den beruflichen Werdegang des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) folgendes festgestellt: Nach Besuch der Volksschule erlernte er von 1938 bis 1942 bei dem Firmenverband E. & Z./Rh. Spritzguß-Werk in K. den Beruf eines Werkzeugmachers. Von 1940 bis 1942 besuchte er in Abendkursen die Staatliche Ingenieurschule in K.. Ab 1942 sollte er mit Hilfe einer Stiftung, die ihm seine Firma verschafft habe, die gleiche Schule im Tagesunterricht besuchen. Hierzu kam es jedoch wegen seiner Einberufung zur Wehrmacht nicht mehr. Seit 1946 arbeitete der Kläger im Bereich der Fa. D., die auch Eigentümerin des vorgenannten Firmenverbandes war. 1958 bestand er die Prüfung als Industriemeister in der Fachrichtung "Kunststoffe". Seit 1965 ist er in einem Werk in T. beschäftigt.

Am 27. Februar 1965 beantragte der Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte diesen Antrag im Bescheid vom 25. Januar 1966 ab, weil sich wegen des derzeitigen Einkommens des Klägers der für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 erforderliche Einkommensverlust nicht errechne. Das VersorgA ging dabei davon aus, daß der Kläger in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten der kunststoffverarbeitenden Industrie einzustufen sei.

Auf seinen Widerspruch hin erließ das VersorgA den Teilabhilfebescheid vom 22. Juni 1966, in welchem es dem Kläger einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich ab 1. Juli 1965 zusprach, weil er von diesem Zeitpunkt an in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten in der chemischen Industrie einzuordnen sei und sich daraus der erforderliche Einkommensverlust ergebe. Weitergehende Ansprüche des Klägers, insbesondere die Zugrundelegung der Besoldungsgruppe (BesGr.) A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), wurden im Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1966 zurückgewiesen.

Auf seine Klage hin erklärte das Sozialgericht (SG) Köln im Urteil vom 5 Dezember 1967 den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide für verpflichtet, dem Kläger Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 unter Zugrundelegung der BesGr. A 14 des BBesG zu gewähren.

Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wies das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 23. Juni 1970 zurück. Wie das SG folgerte das LSG aus den erhobenen Beweisen, insbesondere den Zeugenaussagen, daß der Kläger ohne seine Kriegsbeschädigung sein Ingenieurstudium vollendet hätte. Aus den Zeugenaussagen sei auch zu entnehmen, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen nach dem Ausscheiden des früheren Stelleninhabers, Herrn W., die Stellung als technischer Betriebsleiter bei der Firma Rh. Spritzguß-Werk erhalten hätte.

Mit dieser Stellung hätte der Kläger aber nach Auffassung des LSG eine Position innegehabt, die mit der Leistungsgruppe II der Angestellten nicht ausreichend bewertet würde. Dazu ergeben sich aus dem Inhalt des angefochtenen Urteils, welches sich insoweit insbesondere auf die Aussagen des vom LSG gehörten Zeugen L. stützt, des ehemaligen kaufmännischen Betriebsleiters des Rh. Spritzguß-Werkes, folgende Feststellungen: Der Firmenverband E. und Z./Rh. Spritzguß-Werk GmbH, unter gemeinsamer Leitung stehend und seit 1933 im Besitz von D., wurde nach Kriegsende nach W./B. verlagert. Nach 1945 wurde das Rh. Spritzguß-Werk wieder in K. aufgebaut, seit 1955 beschäftigte es dort 150-180 Arbeiter. Die Geschäftsleitung verblieb mit der Fa. E. und Z. in W.; in der dortigen Spritzgußfabrik waren 300-400 Arbeiter tätig. Das Werk in K. stand unter Leitung eines kaufmännischen und eines technischen Betriebsleiters. Der kaufmännische Leiter hatte Prokura; mit seinem Namen war der Betrieb als Zweigwerk der Gesellschaft in W. im Handelsregister von K. eingetragen. Der technische Leiter hatte Handlungsvollmacht. Beide unterstanden unmittelbar dem Geschäftsführer in W.. Nach außen konnten sie das K. Werk nur durch gemeinsame Unterschrift vertreten. Der kaufmännische Leiter war zuständig für die kaufmännischen und verwaltungstechnischen Belange; er mußte die Firmenaufträge hereinholen. Der technische Leiter war für alle technischen Belange zuständig; er mußte für die Produktion der in Auftrag gegebenen Spritzgutartikel sorgen, insbesondere die erforderlichen Formen konstruieren. Arbeiter durfte er selbständig einstellen und entlassen. Für die Einstellung und Entlassung von Angestellten benötigte er die Genehmigung der Geschäftsleitung in W.. 1960 betrug das Gehalt des technischen Leiters etwa 1800,- DM monatlich mit einer jährlichen Gratifikation von 2.000,- bis 3.000,- DM.

Aus diesen Umständen folgerte das LSG, daß die Stellung des technischen Betriebsleiters die eines leitenden Angestellten mit nur eingeschränkter Dispositionsbefugnis i.S. der Leistungsgruppe II erheblich überschritten habe. Die ihm übertragenen unternehmerischen Funktionen als verantwortlicher Leiter der Produktion eines Zweigwerkes sei für das Unternehmensergebnis von besonderer Bedeutung gewesen. Daß er dem Hauptwerk unterstellt war und von dort, wie es im Urteil heißt, "seine 'generellen' Anweisungen erhielt", wertete das LSG nicht als von entscheidender Bedeutung. Eine derartige Unterstellung in bezug auf allgemeine Weisungen sei auch bei höchsten Angestellten üblich und müsse zurücktreten, wenn - wie hier - die Bedeutung der Tätigkeit eines technischen Betriebsleiters im Innenverhältnis mindestens genauso groß, wenn nicht größer als die des kaufmännischen Leiters sei. Es sei deshalb auch nicht entscheidend, daß die Tätigkeit des technischen Leiters nach außen hin nicht so in Erscheinung getreten sei wie die des kaufmännischen Leiters. Infolgedessen ist nach Auffassung des LSG im vorliegenden Fall die Berechnung des Schadensausgleichs auf der Grundlage der BesGr. A 14 BBesG vorzunehmen.

Gegen das Urteil hat der Beklagte innerhalb der gesetzlichen Fristen die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet.

Er rügt die Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und des § 3 der Durchführungsverordnung (DVO) hierzu in den jeweils gelten den Fassungen, ferner Verstöße gegen §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 60 BVG, Art. VI § 1 des Zweiten Neuordnungsgesetzes zum BVG.

Nach seiner Auffassung hätte der Kläger als technischer Leiter in dem Rh. Spritzguß-Werk nicht in dem in § 3 Abs. 3 bzw. Abs. 4 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG verlangten Umfang unternehmerische Aufgaben zu erfüllen gehabt. Hierfür wäre die Zuständigkeit für Entscheidungen erforderlich, die nach Art und Bedeutung noch als typische Aufgabe des Unternehmers bzw. der Unternehmensleitung anzusehen sei. Von den Tätigkeiten, die der Kläger als technischer Leiter hätte verrichten müssen, kämen hierfür allenfalls die Einstellung und Entlassung von Arbeitern in Betracht. Im übrigen enthalte das angefochtene Urteil keine klare Aussage, in welcher Weise der technische Leiter hier dem Hauptwerk unterstanden habe, insbesondere von wem er welche Anweisungen erhalten hätte. Falls dem Urteil entnommen werden sollte, daß er von dort nur allgemeine Anweisungen erhalten habe, rügt der Beklagte insoweit eine Verletzung von §§ 103, 128 SGG. Bei Beachtung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, insbesondere der Aussage des Zeugen L. über die Unterstellung unter den Geschäftsführer und die Genehmigungspflicht bei der Einstellung und Entlassung von Angestellten, hätte das LSG diese Schlußfolgerung nicht ziehen dürfen, sondern sich zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Deren Ergebnis, z.B. als Folge einer gezielten Befragung des Zeugen L., hätte ergeben, daß auch der technische Leiter vom Hauptwerk spezielle Anweisungen zur Erledigung bestimmter Einzelangelegenheiten, etwa in bezug auf Personalfragen von Angestellten, erhalten hätte. Eine derartige Unterordnung würde aber auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Anwendung der BesGr. A 14 BBesG entgegenstehen. Auch die vom LSG herausgehobene Bedeutung der Tätigkeit des technischen Leiters für den Unternehmenserfolg rechtfertige keine derartige Einstufung; denn dadurch werde das Erfordernis der Aufsichts- und Dispositionsbefugnis weder ersetzt noch bewiesen.

Das LSG hätte sich nach Meinung des Beklagten auch nicht damit begnügen dürfen, festzustellen, daß der Kläger ohne die Schädigung als Nachfolger des Herrn W. dessen Stellung als technischer Leiter übernommen hätte. § 3 Abs. 3 bzw. Abs. 4 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG verlange nämlich, daß sich die Überzeugung betreffend den mutmaßlichen beruflichen Werdegang auf den bereits vor der Schädigung zurückgelegten Berufsweg stütze. Im Fall des Klägers ergebe sich daraus aber nicht die Wahrscheinlichkeit, daß er technischer Betriebsleiter des Rh. Spritzguß-Werkes geworden wäre. Im übrigen hätte das LSG jedenfalls prüfen müssen, wie lange der Kläger nach dem 1. Januar 1964 eine solche Stellung überhaupt hätte innehaben können; dies sei erforderlich, weil der Berufsschadensausgleich gem. § 66 BVG in Monatsbeträgen gewährt werde, so daß auch die Frage des mutmaßlichen Durchschnittseinkommens monatlich zu ermitteln sei. Der Kläger sei nämlich (anscheinend) zur gleichen Zeit aus der Fa. Rh. Spritzguß-Werk ausgeschieden, zu der diese vom Wirtschaftszweig "kunststoffverarbeitende Industrie" in den Wirtschaftszweig "metallverarbeitende Industrie" überwechselte. Inzwischen sei die Firma offenbar sogar erloschen. Dies hätte das LSG dem Inhalt der Akten entnehmen können. Wäre das LSG dieser Frage nachgegangen, hätte es festgestellt, daß der Kläger zu dieser Zeit auch als mutmaßlicher technischer Leiter ausgeschieden wäre. Ob er dann aber bei seinem heutigen Arbeitgeber oder anderswo eine entsprechende Stellung gefunden hätte, sei jedenfalls nicht wahrscheinlich.

Schließlich beanstandet der Beklagte die Festsetzung des Leistungsbeginns auf den 1. Januar 1964 durch das SG und dessen Bestätigung durch das LSG. Der Kläger habe erst am 27. Februar 1965 den Antrag auf Berufsschadensausgleich gestellt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen stünde ihm daher gem. § 60 BVG der Anspruch allenfalls ab 1. Februar 1965 zu. Ob die Voraussetzungen des Artikels VI § 1 Abs. 2 Satz 2 des Zweiten Neuordnungsgesetzes zum BVG erfüllt sind, habe das LSG nicht geprüft. Dies zu beurteilen, reichten seine Feststellungen auch nicht aus. Der Beklagte nimmt Bezug auf das Urteil des BSG vom 6. Mai 1969 - 9 RV 752/66 -.

Der Beklagte und Revisionskläger beantragt,

unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger und Revisionsbeklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Nach seiner Auffassung ist das LSG unter ausreichender Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu der Feststellung gelangt, daß der unversehrte Kläger als Betriebsleiter eine leitende Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis bekleiden würde. Der Beklagte könne die Wahrscheinlichkeit des Aufstiegs des Klägers in diese Stellung auch nicht mehr rechtswirksam bestreiten, denn er habe dies bereits im Berufungsverfahren ausdrücklich zugestanden. Jeder gesetzlichen Grundlage entbehre schließlich die Forderung des Beklagten nach einer Feststellung der Dauer der mutmaßlichen Berufsstellung des Klägers. Auch soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung ab 1. Januar 1964 wendet, müsse ihm entgegengehalten werden, daß er sowohl im angefochtenen Erstbescheid wie im Teilabhilfebescheid und im Widerspruchsbescheid über den Anspruch des Klägers mit Wirkung ab 1. Januar 1964 entschieden habe. Schon im Klageverfahren habe also kein Streit mehr über den Leistungsbeginn bestanden. Die folgerichtige Feststellung des SG, daß nur noch über die der Berechnung des Berufsschadensausgleichs zugrunde zu legende Leistungsgruppe zu entscheiden sei, habe der Beklagte demgemäß auch im Berufungsverfahren nicht mehr bestritten. Sein jetziges Vorbringen sei daher rechtlich unbeachtlich.

Im übrigen bezieht sich der Kläger auf die Gründe des Berufungsurteils.

II

Die zulässige Revision (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Streitig ist die Frage, ob für den Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten in der chemischen Industrie zugrunde zu legen ist, wie es der Beklagte für rechtens hält, oder ob von der BesGr. A 14 zuzüglich des Ortszuschlages nach Stufe 2 und Ortsklasse A des BBesG auszugehen ist. Es geht sonach um die Anwendung von § 3 Abs. 3 der DVO 1964 bzw. § 3 Abs. 4 der DVO 1967 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Zwischen beiden Absätzen besteht inhaltlich kein Unterschied, so daß im folgenden auch eine sachliche Unterscheidung nach den jeweils in Streit stehenden Zeitabschnitten nicht erforderlich ist.

Gemäß § 3 Abs. 3 bzw. 4 DVO ist die Einstufung nach BesGr. A 14 vorzunehmen, wenn der Antragsteller einen beruflichen Werdegang nachweist, nach dem er wahrscheinlich eine leitende Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis erreicht hätte und seine Tätigkeit mit einer Eingruppierung in die Leistungsgruppe II nicht ausreichend bewertet wird.

Nach den Feststellungen des LSG wäre der Kläger ohne seine Schädigungsfolgen technischer Betriebsleiter des Rh. Spritzguß-Werkes geworden. Die Angriffe des Beklagten gegen diese Feststellung gehen fehl. Dabei kann es dahinstehen, ob er sich seines Rechts zur Erhebung dieser Rüge im Revisionsverfahren nicht bereits dadurch begeben hat, daß er diese schon vom SG getroffene Feststellung während des Berufungsverfahrens nicht nur nicht angegriffen, sondern sogar ausdrücklich als richtig angesehen hat (vgl. BSG 3, 284; 4, 60). Jedenfalls brauchte sich das LSG nicht gedrängt zu fühlen, weitere Ermittlungen anzustellen; es brauchte aus dem ihm zu dieser Frage bekannten Sachverhalt keine Anhaltspunkte zu entnehmen, daß der Kläger nicht technischer Betriebsleiter geworden wäre. Das LSG durfte diese Schlußfolgerung ohne Verstoß gegen § 103 SGG aus dem vom Kläger nachgewiesenen beruflichen Werdegang ziehen. Es ist schließlich weder in der Form des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG dargelegt noch aus dem dem LSG bekannten Sachverhalt ersichtlich, daß es bei der Beurteilung des vermutlichen Geschehensablaufs hier die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten hätte. Das LSG brauchte auch nicht zu untersuchen, ob der Kläger diese Stellung später wahrscheinlich wieder verloren hätte. Soweit der Beklagte zu diesem Punkt neue Tatsachen vorbringt, kann er damit nicht mehr gehört werden (§ 163 SGG). Es bot sich für das LSG jedenfalls weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den ihm bekannten Umständen des vorliegenden Falles ein Anlaß, der Frage nachzugehen, ob der Kläger die nach Wahrscheinlichkeitserwägungen mutmaßlich erreichte Stellung später hätte wieder aufgeben müssen.

Zu entscheiden bleibt also die Frage, ob die wahrscheinlich erreichte Stellung eines technischen Betriebsleiters der Rh. Spritzguß-Werke als eine solche i.S. von § 3 Abs. 3 bzw. 4 DVO anzusehen ist. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß es sich hierbei nicht um jede Art von leitenden Angestelltentätigkeiten handeln kann. Bereits in der Leistungsgruppe II werden leitende Angestellte mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis erfaßt. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 24, 113; BSG in BVBl 1970 S. 13 und S. 94) sind hierunter nur jene zur Spitzengruppe der leitenden Angestellten gehörenden Personen zu verstehen, die in oder unmittelbar unter der Geschäftsleitung stehend eine selbständige und selbstverantwortliche Aufsichts- und Dispositionsbefugnis besitzen, kraft deren sie unternehmerische Entscheidungen treffen dürfen, die unternehmerisches Risiko umfassen und geeignet sind, das Unternehmensergebnis wesentlich zu beeinflussen. Es muß sich also um Angestellte handeln, die in der Unternehmensführung ganz oben stehen und deren Aufsichts- und Dispositionsbefugnis zwar nicht unumschränkt, aber doch sehr umfangreich ist. Im Wesen einer solchen Funktion liegt es, daß auch Größe und Bedeutung des betreffenden Unternehmens dabei eine Rolle spielen.

Die vom LSG hier getroffenen Feststellungen zur Stellung des technischen Betriebsleiters reichten nach Auffassung des Senats nicht aus, um diese Frage im vorliegenden Rechtsstreit abschließend beantworten zu können. Für die Richtigkeit der Auffassung des LSG spricht zwar die Größe des vom technischen Leiter des Rh. Spritzguß-Werkes geleiteten Betriebsteiles. Eine Organisationseinheit, die 150-180 Arbeiter umfaßt, ist bei einer Betriebsgesamtgröße von ca. 500-600 Arbeitern als bedeutend anzusehen. Auch die Umstände, daß der technische Leiter - wie der kaufmännische Leiter - nur dem Geschäftsführer der GmbH in W. unterstand, daß er allein zuständig war für alle technischen Belange des Betriebes in K. und daß er Arbeiter selbständig einstellen und entlassen konnte, führen in diese Richtung. Grundsätzlich ist es auch kein Gegenindiz, daß er den Betrieb in K. nur gemeinsam mit dem Prokuristen nach außen vertreten durfte. Dies ist eine in der freien Wirtschaft übliche Verfahrensweise und hindert nicht die Annahme einer selbständigen Position (vgl. insbes. BSG in BVBl 1970, 94). Daß der technische Leiter dabei dem kaufmännischen Leiter trotz der graduell unterschiedlichen handelsrechtlichen Vollmachten nicht unterstellt war, ergibt sich aus den Feststellungen des LSG, die insoweit nicht angegriffen sind. Der Senat hat ferner keine Bedenken, die Aufsichts- und Dispositionsbefugnis i.S. von § 3 Abs. 3 bzw. 4 DVO auch einem leitenden technischen Angestellten zuzubilligen. Bei den Fortschritten in Technik und Wissenschaft und deren praktischer Umsetzung im modernen Industrieleben kann die Bedeutung einer Position im Betrieb auch in bezug auf ihre Leitungsfunktion nicht nur unter Beachtung der kaufmännischen oder verwaltungstechnischen Hierarchie gesehen werden.

Ob diese Annahme im Falle des technischen Betriebsleiters der Rh. Spritzguß-Werke berechtigt ist, scheitert nach Auffassung des Senats vorerst aber an folgenden Unklarheiten: Nach den Feststellungen des LSG hatte der technische Leiter mit seinem Betriebsteil die Aufgabe, die Spritzgußartikel zu produzieren, insbesondere die erforderlichen Formen zu konstruieren. Diese als Hauptinhalt der Tätigkeit dieses Leiters herausgehobene Aufgabe erweist noch nicht die selbständige Aufsichts- und Dispositionsbefugnis im angeführten Sinn. Hatte der technische Leiter dabei nur die vom kaufmännischen Leiter "hereingeholten" Aufträge nach einem etwa von der Zentrale vorgegebenen Fertigungsprogramm zu erfüllen, so stand ihm in Wahrheit sogar eine besondere Dispositionsbefugnis in bezug auf die Unternehmensaufgabe gar nicht zu. Er war dann in einer Weise von der Tätigkeit des kaufmännischen Leiters abhängig, daß er dessen "Erfüllungsgehilfe" wurde. Daran ändert es nichts, daß auch jetzt noch die Geschwindigkeit und die Qualität der Erfüllung dieser Aufgabe von den Fähigkeiten des technischen Leiters abhing. Hierbei handelte es sich dann aber nicht mehr um die unternehmerischen, sondern um die technisch-fachlichen Fähigkeiten dieses Mannes, und zwar auch in bezug auf den organisatorischen Arbeitsablauf. Die Bedeutung des Arbeitsergebnisses eines leitenden Angestellten für den Unternehmenserfolg ist durchaus ein Kriterium für seine Position im Betrieb. Dieses Ergebnis allein reicht aber nicht aus, um eine selbständige Aufsichts- und Dispositionsbefugnis i.S. von § 3 Abs. 3 bzw. 4 DVO darzutun. Ansonsten könnten viele hochspezialisierte, insbesondere technische Angestellte diesen Status beanspruchen. Hinzu kommt, daß gegen die zu fordernde weitreichende Selbständigkeit des technischen Leiters die Tatsache spricht, daß er Angestellte nicht ohne Genehmigung einstellen durfte. In dieser Richtung ist der Angriff des Beklagten gegen die Feststellung, der technische Leiter habe nur allgemeine Weisungen von der Geschäftsführung erhalten, nicht von der Hand zu weisen. Unter Beachtung gerade der Genehmigungspflicht für die Einstellung und Entlassung von Angestellten hätte das LSG der Frage der Beziehung zwischen den Leitern des K. Zweigwerkes und der Geschäftsleitung in W. intensiver nachgehen müssen.

Mangels näherer Feststellungen zu der eigentlichen Stellung des technischen Leiters in der Hierarchie des Gesamtbetriebes und seiner unternehmerischen Funktionen konnte der Fall nicht abschließend entschieden werden. Es erscheint erforderlich, im einzelnen aufzuklären, worin der eigentliche Inhalt der Tätigkeit des technischen Leiters bestand und inwieweit er dabei jenes Aufsichts- und Dispositionsrecht zum Tragen bringen konnte, das nach der oa Rechtsprechung des BSG das Wesen eines in diesem Sinn leitenden Angestellten ausmacht. Von Bedeutung kann dabei sein, in welchem Umfang er gegenüber den Funktionen des kaufmännischen Leiters unabhängig war und vom Standpunkt seines Aufgabenbereichs her diesem gegenüber durchzudringen vermochte. Hierbei kann die Frage wichtig sein, aus welchen Gründen ihm nur Handlungsvollmacht erteilt wurde, also im Verhältnis zum kaufmännischen Leiter eine geringere handelsrechtliche Position eingeräumt war; auch aus einem Vergleich der beiden Leitern zustehenden Gehälter und Tantiemen könnten rechtserhebliche Schlüsse gezogen werden. Ebenfalls wäre zu klären, wieweit die Entscheidungsbefugnis des technischen Leiters in bezug auf die Organisation der Fertigung im K. Werk reichte, ob er z.B. die nötigen Materialbeschaffungen, Maschinenreparaturen oder gar -anschaffungen selbstverständlich anordnen konnte, wieweit sein Einfluß auf die Gestaltung des Fertigungsprogramms ging, ob er auch Angestellte unter sich hatte, ggf. von welcher Qualität u. dgl. Schließlich bleibt das Verhältnis zur Geschäftsführung konkreter zu klären als bisher, insbesondere ob er stets seine Weisungen unmittelbar vom Geschäftsführer erhielt oder ob er insoweit nicht auch Anordnungen von leitenden Angestellten in der Geschäftsführung zu folgen hatte.

Bei der neuen Entscheidung über den Rechtsstreit wird sich das LSG auch mit dem Einwand des Beklagten auseinanderzusetzen haben, die Verurteilung zur Leistungsgewährung ab 1. Januar 1964 sei rechtswidrig. Mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen hierzu ist für eine Beurteilung durch das BSG kein Raum.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670519

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