Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Unfalles. Unfall aus innerer Ursache
Orientierungssatz
Soweit bei der Begriffsbestimmung des Unfalls auch gefordert wird, das Ereignis müsse "von außen" auf den Menschen einwirken, soll damit lediglich ausgedrückt werden, daß ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist. Für eine Einwirkung von außen genügt es zudem, daß zB der Boden beim Auffall des Versicherten gegen seinen Körper stößt.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 12.02.1981; Aktenzeichen L 3 U 35/80) |
SG Berlin (Entscheidung vom 05.05.1980; Aktenzeichen S 69 U 172/79) |
Tatbestand
Die Klägerin ist am 9. August 1977 in einer Schule, in der sie als Küchenhilfe beschäftigt war, auf einer Treppe zu Fall gekommen und hat sich dabei einen Kompressionsbruch des 11. Brustwirbelkörpers zugezogen. Der Beklagte lehnte die Gewährung einer Entschädigung ab, weil sich der Unfall aus innerer Ursache ereignet und die Beschaffenheit der Unfallstelle zu Art und Schwere der Verletzung nicht beigetragen habe (Bescheid vom 26. Januar 1979). Der Widerspruch der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 20. April 1979). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 9. August 1977 Entschädigungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 5. Mai 1980). Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Februar 1981). Die Erklärungen der Klägerin über das Zustandekommen des Falles auf der Treppe seien widersprüchlich. Zunächst habe sie angegeben, ihr sei schwindlig geworden. Später habe sie behauptet, ihr sei nicht bekannt, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Selbst wenn dieser Behauptung gefolgt werde, scheide ein Arbeitsunfall aus, weil keine Einwirkung von außen auf die Klägerin stattgefunden habe und die Schwere der Verletzung nicht durch die Unfallstelle bedingt gewesen sei.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und gerügt, daß das LSG keine Feststellungen darüber getroffen habe, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Selbst wenn eine innere Ursache an ihrem Sturz mitgewirkt habe, sei wesentlich für den Unfall der Umstand gewesen, daß sie betriebsbedingt mit schmutziger Wäsche auf dem Arm eine Treppe hinuntergegangen sei und deshalb keine Möglichkeit gehabt habe, den Sturz durch Festhalten am Geländer zu verhindern oder abzufangen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 12. Februar 1981 aufzuheben und die
Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 5. Mai 1980
zurückzuweisen,
hilfsweise, die Sache an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, daß das LSG den Sachverhalt so weit wie möglich aufgeklärt habe. Augenzeugen des Sturzes seien nicht vorhanden. Die Angaben der Klägerin seien widersprüchlich. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG scheide ein Sturz aus innerer Ursache nicht aus.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Wie der erkennende Senat ua in seinem Urteil vom 27. Juli 1977 - 2 RU 15/76 - (SozR 2200 § 550 Nr 35) ausgeführt hat, ist nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem und im wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung der Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 479 mit Nachweisen). Soweit daneben zum Teil auch gefordert wird, das Ereignis müsse "von außen" auf den Menschen einwirken, soll damit lediglich ausgedrückt werden, daß ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (Brackmann aaO S 479a mit Nachweisen). Für eine Einwirkung von außen genügt es zudem, daß zB der Boden beim Auffall des Versicherten gegen seinen Körper stößt. Auch dadurch wirkt ein Teil der Außenwelt auf den Körper des Versicherten ein (vgl OLG Hamm VersR 1976, 336; Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S 90; von Heinz, Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung nach der RVO, S 190, 192; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 2. Aufl, zum Umknicken des Fußes S 523, 528 ff). Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung unterliegt es keinem Zweifel, daß die Klägerin am 9. August 1977 einen Unfall erlitten hat. Ob der Unfall auch ein Arbeitsunfall war, läßt sich aufgrund der unzureichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entscheiden.
Das LSG erörtert zwar die verschiedenen Angaben der Klägerin über den Zweck des Weges, der sie an die Unfallstelle führte, ohne jedoch festzustellen, in welchem Zusammenhang der Weg mit der Tätigkeit der Klägerin als Küchenhilfe gestanden hat. Eine solche Feststellung wäre allenfalls entbehrlich, wenn ein Arbeitsunfall schon deshalb nicht angenommen werden könnte, weil der Unfall infolge nicht betriebsbedingter krankhafter Erscheinungen der Klägerin eingetreten wäre und zur Schwere der Verletzungen keine besonderen Gefahren mitgewirkt hätten, denen die Klägerin auf dem Weg ausgesetzt war (vgl BSG SozR Nr 18 zu § 543 RVO aF; SozR 2200 § 550 Nr 35). Den Ausführungen des LSG ist nicht zu entnehmen, ob das Gericht einen Sturz aus innerer Ursache ausschließt oder bejaht. Einerseits hält das LSG die Erklärung der Klägerin, wie es zu dem Unfall gekommen sei, sei ihr nicht bekannt, als "noch am ehesten einfühlbar". Andererseits hat das LSG die Überzeugung gewonnen, daß kein Unfall aus äußerer Ursache vorliege. Da jedoch für einen Unfall aus äußerer Ursache schon genügt, daß die Klägerin bei dem Sturz auf den Boden aufgeschlagen ist, kann der ursächliche Zusammenhang des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit ua (nur) dann verneint werden, wenn festgestellt werden kann, daß er infolge nicht betriebsbedingter krankhafter Erscheinungen, also aus innerer Ursache eingetreten ist. Läßt sich eine solche Feststellung nicht treffen, bedarf es zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhanges des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin insoweit nicht noch des Nachweises, daß zur Schwere der Verletzung besondere Gefahren mitgewirkt haben, denen die Klägerin auf ihrem Weg ausgesetzt war.
Da der Senat die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, mußte die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückverwiesen werden.
Fundstellen