Leitsatz (amtlich)
Einem nicht mehr erwerbstätigen Pfarrer in Ruhe einer Evangelisch-Lutherischen Kirche ist nach Aufhebung der behördlichen Entscheidung gemäß AVG § 6 Abs 2 (= RVO § 1229 Abs 2) über die Gewährleistung von Anwartschaften für eine lebenslängliche Versorgung und auf Hinterbliebenenversorgung nach kirchenrechtlichen Regelungen, die beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen entsprechen, der Anspruch auf Kinderzuschuß zur Rente (AVG § 39 Abs 1 S 1 = RVO § 1262 Abs 1 S 1) nicht nach AVG § 39 Abs 1 S 2 Nr 3 (= RVO § 1262 Abs 1 S 2 Nr 3) ausgeschlossen, auch wenn die ihm von der Kirche gewährten Versorgungsbezüge ebenfalls kindbezogene Leistungen enthalten.
Normenkette
AVG § 6 Abs 1 Nr 7 Fassung: 1977-06-27, § 7 Abs 1 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1229 Abs 1 Nr 6 Fassung: 1977-06-27, § 1230 Abs 1 Fassung: 1977-06-27; AVG § 8 Abs 1; RVO § 1231 Abs 1; AVG § 39 Abs 1 S 2 Nr 3; RVO § 1262 Abs 1 S 2 Nr 3; AVG § 6 Abs 2; RVO § 1229 Abs 2; AVG § 39 Abs 1 S 1; RVO § 1262 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 22.09.1981; Aktenzeichen S 9 An 1398/80) |
Tatbestand
Streitig sind Kinderzuschüsse zum Altersruhegeld des Klägers.
Der am 4. September 1914 geborene Kläger ist Pfarrer im Ruhestand (i.R.) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Vater zweier 1960 und 1961 geborener studierender Töchter. Er erhält seit 1. Oktober 1979 - Vollendung des 65. Lebensjahres - sowohl von der Kirche Ruhestandsversorgung als auch von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Ruhestandsversorgung des Klägers aufgrund der §§ 37 ff des Kirchengesetzes über die Besoldung und Versorgung der Geistlichen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (PfrBesG) vom 30. März 1977 (KABl 72, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 6. April 1981, KABl 117) ist wie folgt berechnet (der Stand zum 1. Oktober 1979 findet sich in Klammern in der zweiten Reihe):
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Grundgehalt A 14 Endstufe DM 4.423,30 (DM 3.850,95) |
Wohnungsgeld Stufe 2 DM 781,12 (DM 680,05) |
Summe DM 5.204,42 (DM 4.531,--) |
davon 75 % DM 3.903,32 (DM 3.398,25) |
Unterschiedsbetrag für kinderbezogene |
Stufe des Wohnungsgeldes |
(hier für 2 Kinder) |
gem § 38 Abs 1 b PfrBesG DM 207,84 (DM 180,96) |
Summe DM 4.111,16 (DM 3.579,21) |
./. Kürzung gem § 40 PfrBesG |
6 % bis 31.7.1982, 8% ab |
1.8.1982 DM 328,89 (DM 214,75) |
./. Rente aus der gesetz- |
lichen Rentenversicherung |
gem § 37 Abs 3 PfrBesG DM 1.734,-- (DM 1.515,80) |
von der Evangelisch-Lutherischen |
Kirche in Bayern zu |
erbringende Bruttoversorgung DM 2.048,27 (DM 1.848,66) |
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Dem mit dem streitigen Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 1980 bewilligten Altersruhegeld - ohne Kinderzuschüsse - von damals zuletzt 1.576,50 DM monatlich liegen Beiträge zugrunde, die die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern für den Kläger vom 1. März 1942 bis 31. August 1972 nachentrichtet hatte, und zwar in Anwendung von Art 1 Abs 1 ihres Kirchengesetzes über die Neuregelung der Versorgung der Pfarrer, Kirchenbeamten und Diakone (Versorgungs-Neuregelungsgesetz -VNG-) idF vom 13. Juni 1975 (KABl 166) unter "Einbeziehung der gesetzlichen Rentenversicherung." In der Begründung des Bescheids heißt es, auf Kinderzuschüsse habe der Kläger nach § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) keinen Anspruch, weil er als Versorgungsbezieher der Evangelischen Kirche zum Personenkreis des § 6 Abs 1 Nr 7 bzw des § 7 Abs 1 AVG gehöre. Den Widerspruch des Klägers hiergegen gab die Beklagte als Klage zum Sozialgericht (SG) ab.
Im angefochtenen Urteil vom 22. September 1981 hat das SG den Bescheid der Beklagten abgeändert und diese verurteilt, dem Kläger Kinderzuschüsse in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In der Begründung ist ausgeführt, der Ausschlußtatbestand des § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AVG sei nicht erfüllt. Der Kläger gehöre nicht zu den Personen iS von § 6 Abs 1 Nr 2 bis 7 oder des § 7 Abs 1 AVG. Eine Versicherungsfreiheit begründende Gewährung einer Versorgungsanwartschaft gebe es seit dem VNG nicht mehr. Auch seien in den Versorgungsbezügen des Klägers keine Beträge enthalten, die wegen der Kinder gewährt werden (Hinweis auf ein Verbot der Anrechnung von Kinderzuschüssen auf den Versorgungsanspruch).
Das SG hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen.
Die Beklagte hat die Revision eingelegt; sie trägt vor: Die Versorgungsbezüge des Klägers seitens der Evangelischen Kirche in Bayern enthielten mit dem "erhöhten Wohnungsgeld" Bezüge, die wegen der Kinder gewährt würden. Gegen die Auffassung, nach Aufhebung des Bescheids des Bayerischen Kultusministeriums über die Gewährleistung einer Anwartschaft auf Versorgung (§ 6 Abs 2 AVG) fehle es bei Pfarrern im Ruhestand an einer Möglichkeit, § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AVG anzuwenden, sei vorzubringen, daß es auf diese Formalität nicht ankommen könne; sie sei allein Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Es treffe zu, daß das von der Evangelischen Kirche gewährte Wohnungsgeld kinderbezogene Leistungen von derzeit 207,84 DM monatliche darstelle. Seine ihm von der Kirche gewährte Versorgung falle indessen nicht unter § 6 Abs 1 Nr 7 bzw § 7 Abs 1 AVG. Der Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung begründende Gewährleistungsbescheid des Bayerischen Kultusministeriums sei 1972 im Zusammenhang mit der im VNG getroffenen Neuregelung - Einbeziehung der gesetzlichen Rentenversicherung - aufgehoben worden. Würde es, wie die Beklagte meint, für die Zugehörigkeit zum Personenkreis der vorgenannten Vorschriften nicht darauf ankommen, ob der Gewährleistungsbescheid vorliege, dieser vielmehr nur Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit sei, so hätte dies zur Folge, daß der betroffene Personenkreis zwar Versicherungsbeiträge wie jeder andere Versicherte auch zu zahlen hätte, von vornherein aber nur einen beschränkten, möglicherweise sogar insgesamt subsidiären Rentenanspruch erwerben würde. Dies sei mit den Prinzipien unseres Rechtsstaates nicht zu vereinbaren.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Nach § 39 Abs 1 Satz 1 (= § 1262 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) erhöhen sich die Renten wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit oder das Altersruhegeld für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Dies gilt nach dem - durch das 20. Rentenanpassungsgesetz (RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) ab 1. Januar 1978 erweiterten - Satz 2 Nr 3 aaO ua dann nicht, wenn der Berechtigte zu den Personen iS des § 6 Abs 1 Nr 2 bis 7 (= § 1229 Abs 1 Nr 2 bis 7 RVO) oder des § 7 Abs 1 (= § 1230 Abs 1 RVO) gehört oder nach § 8 Abs 1 (= § 1231 Abs 1 RVO) von der Versicherungspflicht befreit worden ist und in den Dienst- oder Versorgungsbezügen oder dem Arbeitsentgelt Beiträge enthalten sind, die wegen des Kindes gewährt werden. Diese Vorschrift schließt den Kläger entgegen der Annahme der Beklagten nicht vom Anspruch auf Kinderzuschuß aus: Bei dem Kläger, der nach Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren nicht mehr berufstätig ist und von seinen Versorgungs- und Rentenbezügen lebt, kann nicht zur Prüfung stehen, ob er als beamtenähnliche Person "mit Dienst- oder Versorgungsbezügen oder Arbeitsentgelt" in einer abhängigen, an sich versicherungspflichtigen Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung ausnahmsweise versicherungsfrei ist (§ 6 Abs 1 Nr 2 bis 7 AVG) oder von der Versicherungspflicht zu befreien oder bereits befreit ist (§ 7 Abs 1 und § 8 Abs 1 AVG); mangels einer Berufstätigkeit, die grundsätzlich versicherungspflichtig sein könnte, ist diese Vorschrift auf den Kläger unanwendbar.
Denkbar wäre freilich, daß § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AVG - zieht man eine auch weniger glückliche Verweisungstechnik in Betracht - ua § 7 Abs 1 aaO nicht allein im vollem Umfang, sondern auch nur teilweise mit den dort angeführten personenbezogenen Tatbestandsmerkmalen im engeren Sinn - hier:"Personen, denen ... von den als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Religionsgesellschaften ... nach ... kirchenrechtlichen Regelungen eine lebenslängliche Versorgung bewilligt und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist" - in Bezug genommen ist (so wohl im Ergebnis Kaltenbach/Maier in Koch/Hartmann, AVG, Bd IV, § 39 S V 350/48 und 49). Eine solche nur teilweise Verweisung ua auf § 7 Abs 1 AVG wäre vor allem deshalb denkbar, weil es dem Gesetzgeber in § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AVG darum gegangen ist, Kinderzuschüsse dann nicht mehr zu gewähren, wenn für das Kind bereits "andere beitragsunabhängige kindbezogene Leistungen gewährt werden"; das sei der Fall, "wenn in Dienst- oder Versorgungsbezügen von Beamten oder vergleichbaren Personen Beträge enthalten sind, die mit Rücksicht auf das Kind gewährt werden" (Begründung zu einem Antrag zweier Fraktionen des Deutschen Bundestages vom 11. Mai 1977 in dem das 20.RAG betreffenden Gesetzgebungsverfahren - BT-Drucks 8/425 S 5). Der Gesetzgeber stellt also darauf ab, den "Doppelbezug" von Kinderzuschüssen und ähnlichen kindbezogenen Leistungen auszuschließen (vgl Beck, RV 1977, 221, 223). Unter diesem Gesichtspunkt könnte es gleichgültig sein, ob ein Versorgungsempfänger noch - grundsätzlich versicherungspflichtig - berufstätig ist oder nicht; entscheidend wäre allein, ob seine Versorgungsbezüge solche kindbezogenen Leistungen enthalten.
Gleichwohl scheitert die Auffassung der Beklagten daran, daß dem Kläger durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern nicht - mehr - iS von § 7 Abs 1 AVG Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist; dies nämlich wird dort neben der Bewilligung von Versorgungsbezügen ausdrücklich gefordert. Die der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Bayern iS von § 6 Abs 2 AVG erteilten Gewährleistungsbescheide vom 19. April 1962 (KMBl 1962, 163) und vom 19. Dezember 1966 (KMBl 1967, 162) hat das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus lt Bescheid vom 18. Dezember 1972 (KMBl 1973, S 29) unter ausdrücklichem Bezug auf die Einbeziehung der Pfarrer in die gesetzliche Rentenversicherung durch das Versorgungsneuregelungsgesetz in vollem Umfang und ersatzlos aufgehoben. Es wird nicht einsichtig, daß bei einem nicht mehr berufstätigen Geistlichen im Ruhestand die nach § 6 Abs 2 AVG erforderliche behördliche Entscheidung darüber entbehrlich sein könnte, ob ihm nach kirchenrechtlichen Regelungen, die beamtenähnlichen Vorschriften oder Grundsätzen entsprechen, auch Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist.
Als Versorgungsempfänger der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ohne rentenrechtliche Gewährleistung von Hinterbliebenenversorgung fällt der Kläger nicht unter § 39 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AVG. Zu Recht hat ihm daher das SG den beanspruchten Kinderzuschuß zugesprochen. Die Revision der Beklagten hiergegen ist nicht begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen