Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisbarkeit eines Facharbeiters. rechtliches Gehör
Orientierungssatz
1. Ein Facharbeiter kann zumutbar auf die Tätigkeiten eines qualifizierten Pförtners oder eines Museums-, Schloß- oder Galerieaufsehers mit Inkassobefugnis verwiesen werden. Ihrer tariflichen Einstufung nach stehen diese Tätigkeiten einer angelernten Tätigkeit gleich.
2. Weitere Voraussetzung der Verweisbarkeit ist jedoch, daß er den Verweisungstätigkeiten einmal nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und zum anderen nach seinem beruflichen Wissen und Können gewachsen ist.
3. Wird dies ohne eine Beweisaufnahme und somit aufgrund eigener Gerichtskunde - deren Verwertung grundsätzlich zulässig ist - bejaht, so muß sie jedoch zuvor in den Rechtsstreit eingeführt und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Unterbleibt die Einführung, ist der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23; GG Art 103 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.10.1980; Aktenzeichen L 5 J 134/79) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 05.03.1979; Aktenzeichen S 5 J 249/78) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente).
Der am 20. Juni 1922 geborene Kläger war von 1937 bis 1949 mit Unterbrechungen durch Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft als Arbeiter, daran anschließend bis 1961 als Schiffsbauhelfer und seither als Schiffsbauer tätig. Ende Oktober 1977 mußte er seine Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen. Seit April 1979 ist er erneut arbeitsunfähig krank.
Seinen Antrag vom 11. November 1977 auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte nach Beiziehung verschiedener ärztlicher Unterlagen und einer chirurgischen, neurologischen und internistischen Untersuchung des Klägers mit Bescheid vom 10. April 1978 ab. Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. März 1979). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat nach weiterer Sachaufklärung u.a. durch Anhörung ärztlicher Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 7. Oktober 1980) und zur Begründung ausgeführt:
Der Kläger sei nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig. Nach den internistischen, chirurgisch-orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen Befunden sowie unter Berücksichtigung einer Hörminderung könne er insgesamt noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus unter Vermeidung wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten, nicht in Nässe und Kälte, ohne Zeitdruck und ohne Streßsituationen verrichten. Seinen langjährig ausgeübten Beruf des Schiffsbauers, aufgrund dessen er den Berufsschutz eines Facharbeiters genieße, könne er nicht mehr ausüben. Er müsse sich jedoch auf andere Tätigkeiten verweisen lassen.Als Verweisungstätigkeiten für Facharbeiter, die wegen ihres eingeschränkten Leistungsvermögens nur noch leichte Arbeiten verrichten könnten, kämen allgemein qualifizierte Kontroll- und Aufsichtstätigkeiten in Betracht. Zur Konkretisierung derartiger Tätigkeiten könnten insbesondere die Tarifverträge aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes herangezogen werden, weil die öffentliche Hand einer der größten Arbeitgeber sei und die entsprechenden Tarifverträge insoweit auch für andere Wirtschaftsbereiche als repräsentativ angesehen werden könnten. Als für den Kläger zumutbare und geeignete Verweisungstätigkeiten kämen diejenigen des besonders qualifizierten Pförtners oder des mit der Erhebung von Eintrittsgeldern beauftragten Museums-, Schloß- und Galerieaufsehers in Betracht. Sie seien im Tarifvertrag über das Lohngruppenverzeichnis (LGrTV) zum Manteltarifvertrag der Arbeiter der Länder (MTL II) vom 11. Juli 1966 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein -ABl.-SH. S 476) unter Lohngruppe (LGr) V (gleichbedeutend mit angelernten Tätigkeiten) erwähnt. Die allgemeine Tätigkeit eines Pförtners sei dem Senat aus eigener Anschauung hinreichend bekannt. Seine wesentlichen Aufgaben seien die Kontrolle der Besucher, die Freigabe des Eingangs und die Erteilung von Auskünften an fragende Besucher aufgrund eigener Kenntnis der Betriebsorganisation. Die besondere Qualifikation des Pförtners in der LGr V bestehe darin, daß er daneben in nicht unerheblichem Umfange mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt sei oder im Fernsprechvermittlungsdienst mehr als einen Amtsanschluß zu bedienen habe. Das Leistungsvermögen des Klägers reiche zur Ausfüllung eines derartigen Arbeitsplatzes aus. Es handele sich um eine leichte körperliche Tätigkeit, welche im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ohne Einflüsse von Nässe und Kälte verrichtet werden könne. Die erforderlichen Kenntnisse des Behördenaufbaues und des Betriebsablaufs könne ein als Facharbeiter qualifizierter Versicherter mit durchschnittlicher Auffassungsgabe in einer betrieblichen Einweisungszeit von weniger als 3 Monaten erwerben. Auch der Kläger vermöge diesen Anforderungen zu entsprechen. Seine Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei nicht über das altersübliche Maß eingeschränkt. Die Tätigkeiten eines Museums-, Schloß- und Galerieaufsehers mit Inkassofunktion seien ebenfalls körperlich leichter Art, im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten, vor Kälte und Nässe geschützt und nicht mit besonderen Anforderungen an das Hörvermögen verbunden. Der Aufseher müsse einen Überblick über die ihm anvertrauten Objekte besitzen und ggf. Auskunft über räumliche Zuordnungen erteilen können. Diese Kenntnisse könne sich ein als Facharbeiter qualifizierter Versicherter mit durchschnittlicher Auffassungsgabe ebenfalls in weniger als drei Monaten aneignen. Die sich aus dem Umgang mit einkassierten Eintrittsgeldern ergebende besondere Verantwortung wirke sich dabei nicht als Streßsituation aus.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der Art. 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und §§ 62, 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Unabhängig davon, ob er (Kläger) sich als Facharbeiter sozial zumutbar auf die vom LSG genannten Tätigkeiten verweisen lassen müsse, seien jedenfalls die entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerhaft zustandegekommen. Das LSG sei zu den Feststellungen über die Art der Tätigkeiten und über die Möglichkeit des Erwerbs der erforderlichen Kenntnisse ohne Beweisaufnahme gelangt und habe sie somit aufgrund eigener Gerichtskunde getroffen. Das sei zwar grundsätzlich zulässig. Das Tatsachengericht müsse jedoch eine Gerichtskunde in den Prozeß einführen und zum Gegenstand der Verhandlung machen. Anderenfalls werde der Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör und zugleich § 128 Abs 2 SGG verletzt. Das sei auch vorliegend geschehen. Das LSG habe seine Gerichtskunde bezüglich der Anforderungen an die in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten und der Dauer der Einarbeitung nicht in den Rechtsstreit eingeführt und den Beteiligten nicht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hierauf könne das angefochtene Urteil beruhen. Bei prozeßordnungsgemäßer Einführung seiner Gerichtskunde und aufgrund der Stellungnahmen der Beteiligten dazu wäre das LSG zu einer anderen Entscheidung gelangt oder zumindest zu weiterer Sachaufklärung veranlaßt worden. Er (Kläger) hätte unter Beweisantritt dargelegt, daß ein berufs- und branchenfremder Arbeiter für die Verweisungstätigkeiten eine Einarbeitungszeit von mehr als drei Monaten benötige und daß er durch diese Tätigkeiten wissens- und könnensmäßig überfordert sei. Ein berufskundlicher Sachverständiger hätte dies bestätigt.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. Oktober 1980 und des Sozialgerichts Lübeck vom 5. März 1979 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 10. April 1978 zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 1977 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu leisten; hilfsweise: das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. Oktober 1980 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Das Vorliegen des von der Revision gerügten Verfahrensfehlers sei nicht hinreichend erwiesen. Im übrigen könne das angefochtene Urteil nicht darauf beruhen.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne des Hilfsantrages begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist, nachdem der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in der Revisionsinstanz nicht mehr verfolgt, nur noch der von ihm erhobene Anspruch auf BU-Rente. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 1246 RVO. Danach erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist (§ 1246 Abs 1 RVO). Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO).
Bei der Frage ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem "bisherigen Beruf" auszugehen. Er ist, sofern der Versicherte zu seiner Ausübung aus den in § 1246 Abs 2 Satz 1 RVO genannten gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande ist, von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung des Kreises der Tätigkeiten, auf die der Versicherte gemäß § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO unter Verneinung von Berufsunfähigkeit zumutbar verwiesen werden darf. Dabei bestimmt sich der Kreis der zumutbaren Tätigkeiten hauptsächlich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes des Versicherten im Betrieb. Dieser qualitative Wert spiegelt sich relativ zuverlässig in der tariflichen Einstufung der jeweiligen Tätigkeit wider. Sie ist daher ein geeignetes Hilfsmittel zur Feststellung der Qualität des bisherigen Berufes und damit zugleich zur Bestimmung des Kreises der nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Auf der Grundlage der tariflichen Bewertung lassen sich in der Arbeitswelt mehrere durch unterschiedliche "Leitberufe" charakterisierte Gruppen von Arbeiterberufen auffinden. Es sind die Gruppen mit den Leitberufen des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" bzw des "besonders hoch qualifizierten Facharbeiters", des "Facharbeiters" (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von wenigstens 2 Jahren), des "angelernten Arbeiters" (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von wenger als zwei Jahren) und des "ungelernten Arbeiters". Grundsätzlich darf im Rahmen des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe verwiesen werden, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern. Darüber hinaus darf ein Facharbeiter auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn sie wegen ihrer Qualität - nicht jedoch wegen etwaiger Nachteile oder Erschwernisse - tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre qualitative Gleichstellung mit einem sonstigen Ausbildungsberuf gerechtfertigt ist (vgl zu alledem Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 S 267 f mit eingehenden weiteren Nachweisen).
Das LSG (S. 11 des angefochtenen Urteils) ist davon ausgegangen, daß der Kläger mit seinem bisherigen Beruf des Bootsbauers wenigstens aufgrund dessen langjähriger Ausübung in die Arbeitergruppe mit dem Leitberuf des "Facharbeiters" einzuordnen sei. Dagegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben und von den Beteiligten nicht erhoben worden. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, der Kläger könne mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in seinem bisherigen Beruf nicht mehr eingesetzt werden. Diese Feststellung ist mangels dagegen erhobener zulässiger und begründeter Revisionsrügen für den Senat bindend (§ 163 SGG).
Das LSG hat sodann ausgeführt, der Kläger könne auf die in LGr V des LGrTV zum MTL II vom 11. Juli 1966 erwähnten Tätigkeiten eines besonders qualifizierten Pförtners oder eines Museums-, Schloß- und Galerieaufsehers mit Inkassofunktion verwiesen werden. In diesem Umfange kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist verfahrensfehlerhaft zustandegekommen.
Bezüglich der tariflichen Einstufung der Tätigkeiten eines besonders qualifizierten Pförtners und eines Museums-, Schloß- und Galerieaufsehers mit Inkassofunktion bedarf es zunächst einer Klarstellung (so bereits Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 S 270 f.): Das LSG hat den qualitativen Wert der in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten unter Heranziehung des LGrTV zum MTL II in seiner ursprünglichen Fassung vom 11. Juli 1966 ermittelt. Der Kläger begehrt BU-Rente ab 1. Dezember 1977. Zu diesem Zeitpunkt hat der LGrTV zum MTL II in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr gegolten. Vielmehr sind durch den Änderungstarifvertrag Nr 6 vom 19. Juni 1975 (ABl.-SH S 948) die Lohngruppen II bis IX neu gefaßt und durch den Änderungstarifvertrag Nr 7 vom 10. September 1980 (Abl.-SH 1981, 26) hierzu weitere Änderungen vorgenommen worden. Nach der nunmehr geltenden Fassung gehören zur LGr V vor allem Arbeiter mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von weniger als zweieinhalb Jahren, die in ihrem oder einem diesem verwandten Beruf beschäftigt werden (Nr 1), sowie angelernte Arbeiter der LGr IV Nr 1, die Arbeiten verrichten, die an das Überlegungsvermögen und das fachliche Geschick des Arbeiters Anforderungen stellen, die über das Maß dessen hinausgehen, das von einem solchen Arbeiter üblicherweise verlangt werden kann (Nr 2). Zur LGr V zählen ferner Pförtner a), die in nicht unerheblichem Umfange mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt werden oder b) mit Fernsprechvermittlungsdienst bei mehr als einem Amtsanschluß (Nr 4.29), ferner Pförtner a) an verkehrsreichen Eingängen oder b) mit einfachem Fernsprechvermittlungsdienst nach dreijähriger Bewährung als solche in der LGr IV (Nr 4.30) sowie Galerieaufseher, Museumsaufseher, Schloßaufseher und Schloßführer, zu deren Tätigkeit auch das Erheben von Eintrittsgeld gehört (Nrn 15.4.1, 15.4.3, 15.4.6, 15.4.8). Auf der Grundlage dieser tariflichen Regelung ist das Urteil des LSG dahin zu verstehen, daß es den Kläger als auf die unter die LGr V fallenden Tätigkeiten Nrn 4.29, 15.4.1, 15.4.3 und 15.4.6 verweisbar erachtet.
Derartige Tätigkeiten sind einem Versicherten mit dem bisherigen Beruf eines Facharbeiters zumutbar. Das haben für die sogen. qualifizierte Pförtnertätigkeit (LGr V, Nr 4.29) der 4. Senat des BSG (BSG SozR 2200 § 1241 d Nr 5 S 17) und der erkennende Senat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 S 271) bereits entschieden. Für die Tätigkeiten des Galerie-, Museums- oder Schloßaufsehers mit Inkassobefugnis (LGr V, Nrn 15.4.1, 15.4.3, 15.4.6) kann nichts anderes gelten. Auch diese Tätigkeiten unterfallen der LGr V und stehen damit ihrer qualitativen Bewertung nach der Tätigkeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von unter zweieinhalb Jahren (LGr V Nr 1) gleich (vgl Urteil des BSG vom 8. September 1982 - 5b RJ 16/81 -).
Allein aus dieser qualitativen Bewertung der vom LSG benannten Verweisungstätigkeiten folgt jedoch noch nicht, daß speziell und konkret der Kläger auf sie verwiesen werden darf. Dafür ist weitere Voraussetzung, daß er den Verweisungstätigkeiten einmal nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und zum anderen nach seinem beruflichen Wissen und Können gewachsen ist. Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine das Revisionsgericht bindenden und damit eine abschließende Sachentscheidung ermöglichenden Feststellungen. Allerdings hat das LSG festgestellt, die in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten seien körperlich leicht und könnten in wechselnden Körperhaltungen unter Schutz vor Nässe und Kälte ausgeübt werden. Die erforderlichen Kenntnisse könne der Kläger mit der Qualifikation eines Facharbeiters in weniger als drei Monaten erwerben. Indes greifen die hiergegen von der Revision erhobenen Verfahrensrügen durch. Das LSG hat seine Feststellungen zu den leistungsmäßigen Anforderungen an die Verweisungstätigkeiten, zur Fähigkeit des Klägers zu ihrer Ausübung und zur Dauer der erforderlichen Einweisung bzw. Einarbeitung ohne eine Beweisaufnahme getroffen. Um allgemeinkundige Tatsachen handelt es sich dabei nicht. Dazu gehören lediglich solche Tatsachen, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder sich durch Benutzung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können (BSG SozR 1500 § 128 Nr 15 S 10 mwN). Eine regelmäßige Kenntnis der Anforderungen an die Tätigkeiten des qualifizierten Pförtners bzw des Galerie-, Museums- oder Schloßaufsehers mit Inkassobefugnis und der Dauer der für diese Tätigkeiten erforderlichen Einweisung oder Einarbeitung besteht nicht. Das LSG kann somit die genannten Feststellungen nur aufgrund einer Gerichtskunde getroffen haben. Die Verwertung gerichtskundiger Tatsachen ist grundsätzlich zulässig. Sie müssen jedoch in den Rechtsstreit eingeführt und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Geschieht dies nicht, so verletzt das Tatsachengericht den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und durch Verwertung von Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können, zugleich § 128 Abs 2 SGG (BSG SozR 1500 § 128 Nr 4 S 3; § 62 Nr 3 S 2; BSGE 44, 288, 290; BSG SozR 1500 § 128 Nr 15 S 10; jeweils mwN).
Das gilt auch im vorliegenden Fall. Den Akten lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß das LSG seine Gerichtskunde hinsichtlich der Anforderungen an die Verweisungstätigkeiten und der Dauer der erforderlichen Einarbeitung bzw Einweisung in das Berufungsverfahren eingeführt und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht hat. Das angefochtene Urteil kann auf diesem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß bei prozeßordnungsgemäßer Einführung der gerichtskundigen Tatsachen in den Rechtsstreit das Vorbringen der Beteiligten hierzu zu einer anderen Sachentscheidung geführt oder dem LSG zumindest Anlaß zu weiterer Sachaufklärung geboten hätte.
Die verfahrensfehlerfrei zu treffenden Feststellungen liegen auf tatsächlichem Gebiet. Dem Senat ist ihre Nachholung verwehrt. Dies führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Sollte das LSG bei seiner erneuten Sachentscheidung abermals zu dem Ergebnis gelangen, daß der Kläger nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und nach seinem beruflichen Wissen und Können bzw aufgrund einer Einarbeitung von weniger als drei Monaten zur Ausübung der Verweisungstätigkeiten eines qualifizierten Pförtners oder eines Galerie-, Museums- oder Schloßaufsehers mit Inkassobefugnis imstande ist, so wird es weiter zu prüfen haben, ob dem Kläger für diese Tätigkeiten ein Arbeitsmarkt offensteht. Zwar bedarf es einer Prüfung, ob es für die Verweisungstätigkeit in ausreichendem Umfange Arbeitsplätze gibt, der Arbeitsmarkt also dem Versicherten offensteht, bei Vollzeittätigkeiten jedenfalls dann nicht, wenn sie von Tarifverträgen erfaßt sind. Etwas anderes gilt jedoch ua dann, wenn die Verweisungstätigkeit tariflich nicht erfaßt ist oder trotz ihrer tariflichen Erfassung in der Arbeitswelt entweder allein ihrer Art nach oder jedenfalls als Eingangsstelle für Berufsfremde nur vereinzelt vorkommt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 82 S 255; § 1247 Nr 33 S 68). Das gilt für die Tätigkeiten sowohl des qualifizierten Pförtners (vgl BSG SozR 2200 § 1241 d Nr 5 S 18) als auch des Galerie-, Museums- oder Schloßaufsehers mit Inkassobefugnis (hierzu eingehend Urteil des BSG vom 8. September 1982 - 5b RJ 16/81 -). Im Falle der Rechtserheblichkeit dieser Frage wird daher das LSG Ermittlungen und Feststellungen zur Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze treffen müssen.
Ihm obliegt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens.
Fundstellen