Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Einkünften aus Hausbesitz. Bruchteilseigentum
Leitsatz (redaktionell)
Bei Bruchteilseigentum an einem Hausgrundstück ist auf den anteiligen Einheitswert, der sich für den Eigentumsanteil des Versorgungsberechtigten ergibt, abzustellen.
Normenkette
BVG § 33 DV § 12 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11
Tenor
Auf die Revision der Klägerinnen werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. Juli 1964 und des Sozialgerichts Marburg vom 31. Januar 1963 aufgehoben; in Abänderung der Bescheide vom 4. Dezember 1961 und 1. Februar 1962 wird der Beklagte verurteilt, einen neuen Bescheid über die Gewährung der Ausgleichsrente zu erteilen, bei dem die Einkünfte aus Hausbesitz insoweit unberücksichtigt bleiben, als der dem Bruchteilseigentum entsprechende anteilige Einheitswert des Grundstücks nicht höher als 6000,- DM ist.
Der Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
Die Klägerinnen sind die Rechtsnachfolgerinnen der am 6. Januar 1965 verstorbenen E H (H.). Diese war zu 5/8 Miteigentümerin eines Wohnneubaues mit einem Einheitswert von ab 1. Januar 1961 6.600,- DM (früher 3.900,- DM). Am 9. Oktober 1961 erteilte das Versorgungsamt (VersorgA) an H. einen Neufeststellungsbescheid, mit dem es ab 1. Januar 1961 bei der Errechnung der Witwen-Ausgleichsrente einen Betrag von 7,63 DM für Einkommen aus Hausbesitz in Abzug brachte. Mit ihrem Widerspruch machte H. geltend, daß ihre volljährigen Kinder L und I Miteigentümer des Hausbesitzes seien, weshalb der anteilige Einheitswert unter 6.000,- DM liege und daher eine Anrechnung von Einkünften aus Hausbesitz entfalle. Darauf rechnete das VersorgA mit Bescheid vom 4. Dezember 1961 nur Einkünfte entsprechend dem Eigentumsanteil von 5/8 (4,75 DM) an und erhöhte die Ausgleichsrente von 19,- DM auf 21,- DM monatlich. Widerspruch (Bescheid vom 1. Februar 1962) und Klage (Urteil des Sozialgerichts vom 31. Januar 1963) blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) wies die zugelassene Berufung mit Urteil vom 28. Juli 1964 zurück. Es führte aus, § 12 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vom 11. Januar 1961 (BGBl I, 19) - DVO - besage nicht, daß bei einem Grundstück mit einem Einheitswert von über 6.000,- DM Einkünfte dann unberücksichtigt blieben, wenn an dem Grundstück nur ein Bruchteilseigentum bestehe. Auf die Anrechnung von Einkommen sei in § 12 Abs. 1 DVO deshalb verzichtet worden, weil bei einem Einheitswert bis zu 6.000,- DM im allgemeinen kaum mit nennenswerten Einkünften zu rechnen sei. Die gleiche Auffassung habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) im Rundschreiben vom 29. März 1961 (BVBl 1961, 58 ff) vertreten. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sei auf den Gesamteinheitswert des Grundstücks und nicht den Anteil des Versorgungsberechtigten abgestellt worden.
Mit der zugelassenen Revision rügen die Klägerinnen, die das durch den Tod der H. unterbrochene Verfahren aufgenommen haben, Verletzung des § 12 Abs. 1 DVO; ihr seien zu Unrecht Einkünfte aus Hausbesitz in Höhe von 4,75 DM angerechnet worden. Ein anteiliger Hausbesitz könne nur zu einem anteiligen Einheitswert führen. Der Verordnungstext lasse nicht erkennen, daß die Regelung nur zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung erfolgt sei. Im übrigen würde durch die vom LSG für richtig gehaltene Anrechnung geringster Einkünfte aus Hausbesitz eine solche Verwaltungsvereinfachung vereitelt. In § 12 Abs. 2, 3 u. 9 DVO sei klar zum Ausdruck gebracht, daß es auf das Eigentum des Schwerbeschädigten (Versorgungsberechtigten) am Hausgrundstück ankomme. Die Klägerinnen beantragen, unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie in Abänderung der Bescheide vom 4. Dezember 1961 und 1. Februar 1962 den Beklagten zu verurteilen, bei der Berechnung der Ausgleichsrente das Einkommen aus Hausbesitz ab 1. Januar 1961 außer Ansatz zu lassen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die Entscheidung des LSG sei zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und daher zulässig; sie ist auch sachlich begründet. Das LSG hat § 12 Abs. 1 DVO unzutreffend angewandt. Diese Vorschrift bestimmt, daß Einkünfte aus Hausbesitz bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben, wenn der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher als 6.000,- DM ist. Aufgrund der in § 41 Abs. 4 BVG enthaltenen und durch die DVO ausgeübten Ermächtigung ergibt sich aus § 12 DVO auch für die Berechnung der Witwen-Ausgleichsrente, was als Einkommen der Witwe gilt. Es bedarf daher nicht des Hinweises auf die Absätze 2, 3 u. 9 des § 12 DVO, die von eigenem Einfamilienhaus, eigenem Mehrfamilienhaus und einer eigengenutzten Eigentumswohnung sprechen, um klarzustellen, daß es sich bei den in § 12 Abs. 1 DVO erwähnten Einkünften aus Hausbesitz um solche der Witwe handeln muß.
Ziel dieser Vorschrift ist eine Verwaltungsvereinfachung (so auch Rundschrb . des BMA vom 29. März 1961 - Va 2 - 5214 - 2116/61 - BVBl 1961, 58; ferner Kanneberg, Der Versorgungsbeamte 1961, 4). Die Praxis hatte gezeigt, daß ein wesentliches Einkommen aus einem Hausbesitz mit einem Einheitswert bis zu 6.000,- DM nicht erzielt wird, weshalb sich der Arbeitsaufwand in diesen Fällen nicht lohnte (Kanneberg aaO). Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 DVO ist sonach, verhältnismäßig geringe Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz unberücksichtigt zu lassen (vgl. van Nois /Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil, 2. Aufl. S. 108).
§ 12 Abs. 1 DVO stellt auf Grundstücke ab, deren Einheitswert nicht höher als 6.000,- DM ist. Bei einer nur den Wortlaut, nicht den Zweck der Vorschrift berücksichtigenden Auslegung könnte der Eindruck entstehen, daß damit nur der Gesamtwert des oder der Grundstücke gemeint sei, nicht aber der Wert des Anteils der Witwe (oder des Schwerbeschädigten) an diesem Grundstück. In diesem Sinne spricht das genannte Rundschreiben des BMA vom 29. März 1961 davon, daß der Verordnungstext auf den Einheitswert der Grundstücke und nicht auf den Eigentumsanteil des Schwerbeschädigten an den Grundstücken abstelle. Der hier - und anscheinend auch von van Nois /Vorberg aaO - vertretenen Auffassung (vgl. ferner Kanneberg aaO), Einkünfte aus Hausbesitz seien auch dann zu berücksichtigen, wenn "der Anteil des Schwerbeschädigten" zwar unter 6.000,- DM liegt, jedoch der Einheitswert des gesamten Grundbesitzes höher als 6.000,- DM ist (ebenso Kolb, KOV 1962, 156), kann jedoch nicht zugestimmt werden. Diese Meinung beachtet nicht hinreichend den Sinn und Zweck der Bestimmung und auch nicht den Umstand, daß es sich bei § 12 Abs. 1 DVO um eine Einkommensanrechnungsvorschrift handelt, die der Feststellung der Einkommensverhältnisse des einzelnen Ausgleichsrentenberechtigten dient. Für die Einkommensverhältnisse des Versorgungsberechtigten ist es von entscheidender Bedeutung, ob er Alleineigentümer oder nur Bruchteilseigentümer eines Grundstücks mit einem bestimmten Einheitswert ist. Da der Wert eines Bruchteils oder auch eines ideellen Anteils stets geringer ist als der des Ganzen, kann bei Ermittlung des Einkommens aus einem Grundstück mit gleichem Einheitswert (6.000,- DM) der Bruchteilseigentümer nicht dem Alleineigentümer gleichgestellt werden. Denn es würde, wie van Nois /Vorberg einräumen, "schwer verständlich" erscheinen (aaO) und überdies unbillig sein, wenn man z. B. einem Versorgungsberechtigten, der zu 1/10, d. h. mit einem anteiligen Einheitswert von 610,- DM Miteigentümer eines Grundstücks im Einheitswert von 6.100,- ist, die hieraus fließenden geringen Einkünfte anrechnen wollte, einem anderen Versorgungsberechtigten mit Alleineigentum an einem Hausgrundstück im Einheitswert von 6.000,- DM jedoch nicht. Dabei kann unerörtert bleiben, ob eine solche unterschiedliche Behandlung auch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes verstieße, denn jedenfalls stünde sie mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, verhältnismäßig geringe Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz unberücksichtigt zu lassen, nicht in Einklang. Denn wenn der Gesamteinheitswert über 6.000,- DM liegt, kann diese scheinbare Überschreitung der in § 12 Abs. 1 DVO gesetzten Wertgrenze dadurch wieder ausgeglichen werden, daß der Einheitswert des Eigentumsanteils des Versorgungsberechtigten - wie hier - ganz beträchtlich darunter liegt. Aber auch abgesehen hiervon ist nicht hinreichend ersichtlich, daß bei einem Bruchteilseigentum mit einem anteiligen Einheitswert bis zu 6000,- DM regelmäßig ganz unverhältnismäßig höhere Einkünfte zu erwarten sind als bei einem entsprechenden Alleineigentum. Insbesondere wird man nicht annehmen dürfen, bei einer Beteiligung an einem Einheitswert bis zu 6.000,- DM werde kein nennenswerter, bei einem darüber liegenden Grundstückswert aber bereits ein beträchtlicher Gewinn erzielt. In diesem Zusammenhang etwa als Beispiel die Rendite aus einem "Hochhaus in zentraler Stadtlage" in Betracht zu ziehen, erscheint im Hinblick auf die generelle Regelung in § 12 Abs. 1 DVO, die nur von Durchschnittsverhältnissen ausgehen kann, abwegig. Im übrigen wird in einem solchen Fall in aller Regel auch der anteilige Einheitswert über 6.000,- DM liegen oder der Miteigentümer solcher wertvollen Hausgrundstücke als Ausgleichsrentenempfänger kaum in Betracht kommen.
Unter Würdigung dieser Gesichtspunkte kann sonach die strittige Vorschrift nicht in dem vom Beklagten aufgefaßten Sinn ausgelegt werden. Ein solches Ergebnis, das auch van Nois /Vorberg aaO als "unbefriedigend" bezeichnen, müßte nur in Kauf genommen werden, wenn die Vorschrift keine andere Auslegung zuließe. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Wort "insgesamt" bedeutet nicht, daß bei Anteilseigentum der Gesamteinheitswert des Grundstücks maßgebend sein soll. Die Bestimmung, daß der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher als 6.000,- DM sein darf, besagt nur, daß bei Eigentum an mehreren Grundstücken nicht auf den Einheitswert jedes einzelnen, sondern aller im Eigentum des Versorgungsberechtigten stehenden Grundstücke abzustellen ist (so auch Kanneberg aaO, S. 4). Darüber hinaus ist es nicht nur denkgesetzlich zulässig, sondern auch aus praktischen Erwägungen, die zu der DVO-Bestimmung geführt haben, geboten, im Falle des Miteigentums an einem nicht parzellierten Grundstück, für das nur ein Gesamteinheitswert festgesetzt ist, den Wert des Bruchteilseigentums in einem "anteiligen Einheitswert" auszudrücken und nach diesem anteiligen Wert zu verfahren. Demgemäß ist im Fall des § 12 Abs. 1 DVO bei Miteigentum an einem Hausgrundstück auf den "anteiligen Einheitswert", der sich für den Eigentumsanteil des Versorgungsberechtigten ergibt, abzustellen. Aus dem Umstand, daß in der DVO zu dem Eigentumsanteil überhaupt nichts gesagt worden ist, muß geschlossen werden, daß § 12 Abs. 1 DVO nur für das Alleineigentum des Versorgungsberechtigten eine ausdrückliche Regelung geben wollte und daß die Fälle des Miteigentums, dem Gedanken dieser Bestimmung entsprechend, sinngemäß dahin zu behandeln sind, daß auch für sie eine Anrechnung erst dann erfolgt, wenn der anteilige Einheitswert höher als 6.000,- DM ist. In gleichem Sinne hat auch der Hessische Minister für Arbeits-, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 1961 - I e - 5052/5075/5250 - für den Fall des Miteigentums an Hausbesitz ausgesprochen, daß bei § 12 Abs. 1 DVO von dem Anteil des Versorgungsberechtigten am Einheitswert auszugehen ist (vgl. Der Sozialberater 1961, 65).
Nach alledem war unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie in Abänderung der Bescheide des Beklagten vom 4. Dezember 1961 und 1. Februar 1962 dieser zu verurteilen, einen neuen Bescheid über die Gewährung der Ausgleichsrente zu erteilen, bei dem die Einkünfte aus Hausbesitz insoweit unberücksichtigt bleiben, als der dem Bruchteilseigentum entsprechende anteilige Einheitswert des Grundstücks nicht höher als 6.000,- DM ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen