Leitsatz (amtlich)
GAL 1961 § 9 Abs 4 ist nur auf diejenigen Mitglieder einer Erbengemeinschaft anwendbar, die das landwirtschaftliche Unternehmen (mit-)betreiben und das unternehmerische Risiko (mit-)tragen.
Normenkette
GALNReglG § 9 Abs. 4 Fassung: 1963-05-23; GALNReglG 1961 § 9 Abs. 4 Fassung: 1963-05-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 1966 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Nach dem vorgelegten Erbschein des Amtsgerichts Neunburg vorm Wald vom 14. Januar 1964 waren die Kläger Miterben von je 1/18 des am 6. März 1963 in G verstorbenen Landwirts F B. Durch notariellen Vertrag vom 4. Februar 1965 setzten sie sich unter Aufhebung der Erbengemeinschaft in der Weise auseinander, daß der gesamte Grundbesitz in G Nr. 6 mit allen damit verbundenen Rechten auf die Witwe des Verstorbenen und Miterbin F B geb. F zum alleinigen Eigentum übertragen wurde.
Die Beklagte forderte jeden der Kläger mit Bescheid vom 28. April 1964 auf, ab 1. März 1963 Beiträge gemäß § 9 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL 1961/63) zu entrichten. Die von den Klägern erhobenen Widersprüche wurden durch Bescheide vom 15. Juli 1964 mit der Begründung zurückgewiesen, daß nach den ab 1. Januar 1962 geltenden Bestimmungen des GAL bei Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Unternehmens durch eine Erbengemeinschaft sämtliche Miterben beitragspflichtig zur landwirtschaftlichen Alterskasse seien. Ein Antrag auf Beitragsbefreiung nach § 9 Abs. 4 GAL 1961/63 sei nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall gestellt worden.
Die von den Klägern hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 28. April 1964 und 15. Juli 1964 aufgehoben. Das LSG ist der Auffassung, daß die Stellung der Miterben als Miteigentümer noch nicht die Beitragspflicht auslöse; vielmehr komme es auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse an. Wesentlich sei allein, wer das Risiko trage. Da die Kläger keinerlei Beziehungen zu dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Erbengemeinschaft gehabt hätten, könnten sie nicht als Mitunternehmer angesehen werden und seien daher - auch ohne Antrag - nicht beitragspflichtig.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 11. Oktober 1966 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Regensburg zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügt, das LSG habe die §§ 1 und 9 (jetzt § 14) GAL unrichtig angewendet.
Die Klägerin zu 1.) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Kläger zu 2.) und 3.) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
Rechtsgrundlage für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch ist § 9 Abs. 1 GAL in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 (BGBl I, 845), geändert durch das Gesetz vom 23. Mai 1963 (BGBl I, 353) - GAL 1961/63 - (jetzt: § 14 GAL in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1965 - BGBl I, 1449 - mit den Änderungen des Finanzplanungs- und des Finanzänderungsgesetzes - GAL 1965 -). Diese Vorschrift bestimmt, daß jeder landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 GAL vorbehaltlich der in § 9 Abs. 2, 3, 4 und 6 sowie § 28 GAL 1961/63 normierten Befreiungsmöglichkeiten beitragspflichtig ist. Streitig ist, ob die Kläger hiernach beitragspflichtig sind.
Fällt ein landwirtschaftliches Unternehmen durch Erbfall in das (Gesamt-)Eigentum einer Erbengemeinschaft, so sind nach § 9 Abs. 4 Satz 1 GAL 1961/63 von der Beitragspflicht für die Dauer von höchstens zwei Jahren nach dem Erbfall auf Antrag volljährige landwirtschaftliche Unternehmer zu befreien, die einer das landwirtschaftliche Unternehmen betreibenden Erbengemeinschaft angehören und nicht überwiegend in diesem Unternehmen tätig sind. Der Antrag ist nach § 9 Satz 2 GAL innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall bei der landwirtschaftlichen Alterskasse zu stellen. Von dieser Befreiungsmöglichkeit haben die Kläger nicht rechtzeitig Gebrauch gemacht. Denn sie haben es versäumt, innerhalb der Sechsmonatsfrist einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Die in § 9 Abs. 4 Satz 2 GAL 1961/63 vorgeschriebene und von den Klägern versäumte Antragsfrist ist allerdings mit Inkrafttreten des GAL 1965 am 1. Mai 1965 weggefallen. Diese Vorschrift wurde ersatzlos gestrichen durch Art. 1 Nr. 6 b des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des GAL vom 13. August 1965 (BGBl I, 801). Diese (günstigere) Rechtslage, die noch vor der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (11. Oktober 1966) in Kraft getreten ist, kommt den Klägern nicht zugute. Die Gerichte haben zwar grundsätzlich jede Rechtsänderung zu berücksichtigen und nach dem zur Zeit ihrer Entscheidung geltenden Recht zu urteilen (BGH, Bd. 9, 101 = NJW 1953, 941 und in MDR 1962, 392), Voraussetzung dafür ist jedoch, daß die neugeschaffene gesetzliche Regelung nach ihrem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt. Das ist hier nicht der Fall; denn Art. 1 Nr. 6 b des 3. Änderungsgesetzes zum GAL vom 13. August 1965, durch den die in Rede stehende Antragsfrist gestrichen worden ist, ist nach seinem Art. 6 § 2 Abs. 1 erst rückwirkend am 1. Mai 1965 in Kraft getreten. Da die klagenden Miterben nach der Erbauseinandersetzung durch den Vertrag vom 4. Februar 1965 nicht mehr als Beitragspflichtige in Frage kamen, bestand das streitige Rechtsverhältnis nur bis zur Erbauseinandersetzung (4. Februar 1965). Das mit diesem Zeitpunkt abgeschlossene Rechtsverhältnis wird also von der Rechtsänderung nicht erfaßt.
Voraussetzung einer Befreiung ist aber, daß die Kläger an sich überhaupt beitragspflichtig sind. Nach § 9 Abs. 1 GAL 1961/1963 ist grundsätzlich jeder landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 aaO beitragspflichtig. Nach § 1 Abs. 2 aaO ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen geht. Demgemäß spricht § 9 Abs. 4 aaO auch von der Beitragsbefreiung des "Unternehmers", die Vorschrift geht also zutreffend davon aus, daß derjenige, der kein Unternehmer ist, d.h. der nicht das Unternehmerrisiko trägt, für eine Befreiung überhaupt nicht in Betracht kommt, so daß für ihn die Möglichkeit der Anwendung des § 9 Abs. 4 aaO schon von vornherein ausscheidet.
Bei einer Erbengemeinschaft müssen nicht unbedingt alle Miterben gleichzeitig auch landwirtschaftliche Unternehmer sein, wenn dies auch in der Regel der Fall sein wird. Dem trägt § 9 Abs. 4 aaO auch dadurch Rechnung, daß er von der das landwirtschaftliche Unternehmen "betreibenden" Erbengemeinschaft spricht. Wenn auch in der Regel die Erbengemeinschaft das landwirtschaftliche Unternehmen betreiben wird und damit alle Miterben landwirtschaftliche Unternehmer sein werden, so kann es doch auch Fälle geben, in welchen nur ein oder nur einige Miterben das landwirtschaftliche Unternehmen betreiben und nur sie, nicht aber die übrigen Miterben landwirtschaftliche Unternehmer sind. Einer Befreiung nach § 9 Abs. 4 GAL 1961/63 bedarf es in diesen Fällen für die übrigen Miterben nicht, weil sie schon ohnehin nicht beitragspflichtig sind.
Im vorliegenden Fall kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß die Miterben bereits unmittelbar nach dem Tode des Erblassers der Witwe des Verstorbenen und Miterbin auf Grund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung aller Miterben das landwirtschaftliche Unternehmen wirtschaftlich mit der Maßgabe übertragen haben, daß sie allein das Unternehmen betreiben und das Unternehmerrisiko tragen soll. Der Umstand, daß ihr bei der späteren Erbauseinandersetzung das Alleineigentum an dem Unternehmen übertragen worden ist, könnte für diese Annahme sprechen. Zwar wird, wenn ein landwirtschaftliches Unternehmen durch Erbgang in das Eigentum einer Erbengemeinschaft fällt, grundsätzlich angenommen werden können, daß das Unternehmen auch durch die Erbengemeinschaft betrieben wird und ihr damit das unternehmerische Risiko zufällt, selbst dann, wenn nur ein oder nur einige Miterben tatsächlich auf dem Hof arbeiten. Doch können die Miterben durch Pachtvertrag oder durch eine ähnliche Vereinbarung das Unternehmen auf einen Dritten übertragen mit der Maßgabe, daß dieser das Unternehmen allein betreiben und auch allein das Unternehmerrisiko tragen soll. Dasselbe ist aber auch möglich zugunsten eines oder einiger der Miterben. Dann sind nur diese landwirtschaftliche Unternehmer und beitragspflichtig, nicht aber die übrigen Miterben. Hierbei kommt es - entgegen der Auffassung des LSG und der Kläger - nicht auf die tatsächlichen Beziehungen des einzelnen Miterben zum landwirtschaftlichen Unternehmen an; denn räumliche Trennung und fehlende tatsächliche Mitarbeit im Unternehmen schließen die Unternehmereigenschaft nicht aus; die fehlende tatsächliche Mitarbeit kann nur Bedeutung für die Frage haben, ob ein Miterbe, der landwirtschaftlicher Unternehmer ist, von der Beitragspflicht nach § 9 Abs. 4 GAL 1961/63 befreit werden kann.
Zu der Frage, ob die Miterben mit der Witwe des Verstorbenen schon kurz nach dem Erbfall eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben, hat das LSG - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keinerlei Feststellungen getroffen. Da der Senat gehindert ist, die für eine die Unternehmereigenschaft ausschließende Vereinbarung erforderlichen Tatsachen selbst festzustellen, muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen