Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß des Anspruchs auf stationäre Tbc-Heilbehandlung bei Auslandsaufenthalt (Griechenland) des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
RVO § 1244a Abs 9 wird von zwischenstaatlichen Verträgen, die sich auf die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer beziehen, nicht berührt (hier: Griechenland; so auch BSG 1971-02-26 4 RJ 205/69 = SozR Nr 19 zu § 1244a RVO und BSG 1971-02-26 4 RJ 363/70 = SozR Nr 20 zu § 1244a RVO und Weiterführung BSG 1970-12-02 4 RJ 481/68 = BSGE 32/122).
Leitsatz (redaktionell)
Die Anwendbarkeit des RVO § 1244a Abs 9, wonach die Rentenversicherungsträger Ansprüche auf Leistungen der Tuberkulosehilfe nur insoweit zu erfüllen haben, als sie diese im Geltungsbereich der RVO erbringen können, wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das ausländische Staatsgebiet nach einer zwischenstaatlichen Vereinbarung (zB SozSichAbk GRC) versicherungsrechtlich als Inland zu behandeln ist; mithin hat die KK für ein rentenversichertes Mitglied, das sich in Griechenland aufhält, die Kosten einer stationären Behandlung wegen Tuberkulose zu übernehmen.
Normenkette
RVO § 1244a Abs. 9 Fassung: 1959-07-23; SozSichAbk GRC Art. 5 Abs. 1 Fassung: 1961-04-25
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der griechische Staatsangehörige V T, der Beigeladene zu 2., war in Deutschland beschäftigt gewesen. Er war Mitglied der klagenden Krankenkasse; für ihn sind Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Während eines Aufenthalts in Griechenland erkrankte er an Lungentuberkulose. Deswegen wurde er von Februar bis November 1966 in einem Krankenhaus in A behandelt.
Er und der griechische Träger der Krankenversicherung forderten die Klägerin auf, die Kosten der stationären Heilbehandlung zu übernehmen. Die Klägerin verlangt ihre Freistellung von dieser Verbindlichkeit durch eine der beiden an diesem Rechtsstreit beteiligten Landesversicherungsanstalten. Die Beklagte nimmt sie als Verbindungsstelle für die Arbeiterrentenversicherung nach den deutsch-griechischen Vereinbarungen in Anspruch (Art. 50 Abs. 1 des Abkommens vom 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit - = Abkommen -, Zusatzvereinbarung vom 28. März 1962, Art. 1 Abs. 1 Buchst. b).
Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben die Klage abgewiesen (Urteil des SG Duisburg vom 30. April 1968; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1969). Sie haben das Bestehen eines Anspruchs gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger verneint, weil dieser die stationäre Behandlung wegen Tuberkulose nur im Inland zu gewähren habe (§ 1244 a Abs. 9 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Aus dem deutsch-griechischen Abkommen ergebe sich nichts anderes. Dort sei in Art. 5 Abs. 1 lediglich die Gleichstellung der beiderseitigen Staatsangehörigen festgelegt worden. Das bedeute, daß bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen ein Grieche die Leistungen der Sozialen Sicherheit in gleicher Weise wie ein Deutscher erhalte. Rentenversicherungsträger in Deutschland übernähmen aber auch für Deutsche bei Erkrankung an Tuberkulose im Ausland keine stationäre Behandlung.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und festzustellen, daß die Beigeladene zu 1. - hilfsweise: die Beklagte - für die Gewährung der in Rede stehenden stationären Heilbehandlung des Beigeladenen zu 2. zuständig ist. Sie meint, daß Art. 5 des Abkommens die Leistung über die Staatsgrenzen hinweg rechtfertige. Denn nach dieser Bestimmung genüge der Aufenthalt des Berechtigten im Hoheitsgebiet eines der beiden Vertragsstaaten, um den Anspruch sowohl nach der einen als auch nach der anderen Richtung hin entstehen zu lassen. Darin komme die territoriale Gleichstellung zum Ausdruck. Die Gleichstellung der Staatsangehörigen sei bereits an anderer Stelle, nämlich in Art. 4 des Abkommens vorgenommen worden. Dort heiße es, daß Personen, die sich gewöhnlich in einem der beiden Staaten aufhielten, in ihren Rechten und Pflichten einander gleichgestellt seien. Demgegenüber solle nach Art. 5 der Aufenthalt in einem anderen Staate der Leistung nicht entgegenstehen. Deshalb hebe diese Vertragsklausel die Schranke des Absatzes 9 von § 1244 a RVO auf. Im übrigen habe die griechische Sozialversicherungsanstalt die Sachleistung zu Recht, nämlich nach Art. 16 des Abkommens anstelle des deutschen Rentenversicherungsträgers erbracht. Dieser habe die Kosten zu erstatten. Ferner würden mit § 1244 a RVO keineswegs - wie das LSG annehme - nur gesundheitspolizeiliche Zwecke verfolgt. Vielmehr sei diese Rechtsnorm in den Katalog über die Versicherungsleistungen nach den §§ 1236 ff RVO aufgenommen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der klagenden Krankenkasse ist unbegründet. Weder die Beklagte noch die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) haben für die Kosten der stationären Heilbehandlung, die dem an Tuberkulose erkrankten Versicherten in Griechenland gewährt wurde, aufzukommen. § 1244 a Abs. 9 RVO begrenzt die Verpflichtung der Rentenversicherungsträger auf Behandlungsfälle im Inland. Diese Begrenzung ist durch das deutsch-griechische Abkommen über Soziale Sicherheit nicht beeinflußt worden.
Es kann auf sich beruhen, ob dieses Abkommen seinem Inhalte nach überhaupt die Vorschrift des § 1244 a Abs. 9 RVO betreffen kann. Bedenken ergeben sich in der Richtung, daß das Abkommen über Rehabilitationsmaßnahmen der Rentenversicherungsträger im anderen Staate nichts aussagt und solche Leistungen im allgemeinen nicht ins Ausland gewährt werden. Das gilt selbst dort, wo das ausländische Staatsgebiet nach zwischenstaatlicher Vereinbarung als Inland zu behandeln ist. So nimmt beispielsweise Art. 4 Abs. 2 des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland mit Österreich über Soziale Sicherheit (Bekanntmachung vom 10. Oktober 1969, BGBl 1969 II, 2056) die Maßnahmen der Rentenversicherungsträger zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit von dem Grundsatz der Gebietsgleichstellung aus. Im gegenwärtigen Falle kommt noch hinzu, daß das Prinzip der territorialen Gleichstellung gemäß Art. 5 des deutsch-griechischen Abkommens vielleicht enger zu verstehen ist. Es kann lediglich bedeuten, daß den in Griechenland wohnenden Griechen die Leistungen in gleicher Weise zu erbringen sind, wie einem dort wohnenden Deutschen (zum Grundsatz der territorialen Gleichbehandlung: BSG 15. Dezember 1970 - 1 RA 91/70 -). Dieser deutsche Staatsangehörige käme aber wegen der angeführten Sperrklausel nicht in den Genuß der besonderen Vorteile des § 1244 a RVO. Auf die Auslegung des Abkommens mit Griechenland kommt es indessen im Streitfalle nicht an. Denn dieses Abkommen erstreckt sich, soweit es nicht selbst anderes bestimmt, nicht auf Leistungen, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften einer Vertragspartei nicht als Leistungen der Sozialen Sicherheit gelten (Art. 36).
Für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose ist nichts Abweichendes vereinbart. Diese Maßnahmen gehören zu den innerstaatlichen Vorkehrungen gesundheitspolizeilicher Art, durch welche diese Volksseuche ausgemerzt oder wenigstens niedergehalten werden soll. Sie fallen aus den Obliegenheiten der "Sozialen Sicherheit" heraus. Dieser Ausdruck ist im Vertrag mit Griechenland nicht definiert. Seine Umschreibung folgt aber aus dem Art. 2 des Abkommens über dessen sachlichen Geltungsbereich. Damit stimmt der internationale Wortgebrauch überein, wonach der Begriff die Rechtsgebiete der Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie des Kindergeldwesens, nicht aber die der Fürsorge, Versorgung und weitere Bereiche dieser Art umfaßt (dazu: Friederichs, Juristenzeitung 1967, 278). Daß dem Begriff der Sozialen Sicherheit die Regelungen über die Tuberkulosebekämpfung durch die Rentenversicherungen nicht unterzuordnen sind, hat der erkennende Senat im einzelnen in seinem Urteil vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 481/68 - in Verbindung mit dem Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Verordnung Nr. 3 - VO -) näher begründet. Das dort Ausgeführte ist auf das deutsch-griechische Abkommen zu übernehmen, zumal dieses Abkommen im wesentlichen auf den Grundsätzen der EWG-VO'en Nr. 3 und 4 beruht (Denkschrift zum Abkommen, Bundestagsdrucksache IV/720 S. 29).
An der in dem vorbezeichneten Urteil begründeten Ansicht hält der Senat trotz der dagegen von der Revision vorgetragenen Einwendungen - nach erneuter Prüfung der Rechtslage - fest. Es ist früher dargelegt worden, daß bereits die Entstehungsgeschichte des § 1244 a RVO die dort vorgesehenen Maßnahmen als eigenständige, von den Rentenversicherungen zusätzlich zu erbringende Leistungen erscheinen läßt. - Das verkennt auch die Revision nicht. Sie meint nur, die Vorstellung des Gesetzgebers könne sich gewandelt haben. Immerhin sei die hier anzuwendende Vorschrift in den "Zweiten Abschnitt" des Vierten Buches der RVO eingefügt und damit unter die Überschrift "Leistungen aus der Versicherung" gestellt worden. Der Ausdruck "Tuberkulosebekämpfung", der nach der Ansicht des Senats auf gesundheitspolizeiliche Absichten schließen lassen, komme in § 1244 a RVO nicht vor. - Das ist - mit Einschränkungen - richtig. Was die Rentenversicherungen im Interesse und zum Wohle des einzelnen Versicherten zu leisten haben und was ihnen aus Gründen des Gemeinwohls aufgetragen ist, deckt sich in vielen Fällen weitgehend. Gleichwohl darf das Spezifische des § 1244 a RVO nicht übersehen werden. Diese Rechtsnorm ist Teil einer gesundheitspolizeilichen Gesamtordnung, mit der das Ziel verfolgt wird, eine gefährliche Volkskrankheit anzugehen. Damit wird ein der Sozialversicherung nicht typischer Zweck verfolgt. Dagegen wird auf das für das Recht der Rentenversicherungen maßgebliche Rehabilitationsziel, nämlich die Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abzuwenden oder zu beheben, nicht abgestellt. - Was den Begriff der "Tuberkulosebekämpfung" betrifft, so ist dieser für § 1244 a RVO, auch wenn er in dieser Gesetzesbestimmung nicht ausdrücklich verwendet ist, richtungweisend. Das folgt daraus, daß § 1244 a RVO Teil einer größeren gesetzlichen Gesamtkonzeption und nicht eine für sich isoliert zu betrachtende Regelung ist. Sie wird ergänzt durch die §§ 132 ff des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Welche Tragweite gerade diesen Vorschriften auch für die Obliegenheiten der Rentenversicherungen in bezug auf die Tuberkulosehilfe zukommt, ist in dem bereits erwähnten Senatsurteil vom 2. Dezember 1970 näher ausgeführt worden. Hier soll nur nochmals auf § 137 BSHG hingewiesen werden, durch den die Bundesregierung ermächtigt wird, den Trägern der Rentenversicherungen - abweichend von ihrem Recht auf Selbstverwaltung - Einzelweisungen zu erteilen. Bezeichnend ist, daß die - den § 1244 a RVO ergänzenden - Normen des BSHG unter der Überschrift "Sonderbestimmungen für sonstige zur Tuberkulosebekämpfung verpflichtete Stellen" stehen. Der Gesetzgeber war sich durchaus bewußt, daß "die Versicherungsträger nach der vorgesehenen Regelung eine Aufgabe übernehmen" sollten, "die nach der bisherigen Auffassung nicht zu den versicherungsmäßigen Aufgaben gehört". Mit dieser Begründung sah er denn auch für die Zukunft vor, daß der Rentenversicherung aus Mitteln des Bundes Ersatz ihrer Aufwendungen zu leisten sei (Ausschußbericht zu § 32 des Entwurfs eines Tbc-Hilfegesetzes, Bundestagsdrucksache III/680).
Mit dem Hinweis auf das BSHG erledigt sich zugleich der von der Revision gebrachte Gedanke, die Art der Rechtsstellung, die dem einzelnen gegen den Träger der Rentenversicherung gegeben worden sei, nämlich der Rechtsanspruch auf Leistung, deute auf den versicherungsrechtlichen Charakter dieser Position hin. Diesem Argument kann schon deshalb nicht ohne weiteres beigepflichtet werden, weil Rehabilitationsmaßnahmen im allgemeinen gerade nicht aufgrund eines Rechtsanspruchs gewährt werden, sondern in das Ermessen der Verwaltung gestellt sind. Aber auch das für die Rechtsgestaltung leitende Motiv des Gesetzes ging an dieser Stelle nicht dahin, dem einzelnen um seiner selbst willen einen gegenüber dem früheren Recht verstärkten Rechtsschutz zuzugestehen. Vielmehr war es dem Gesetzgeber darum zu tun, die Zuständigkeiten der mit der Versorgung Tbc-Kranker befaßten Stellen so entschieden und deutlich von vornherein festzulegen, daß Kompetenzkonflikte, Funktionsüberschneidungen und Erstattungsfälle nach Möglichkeit vermieden würden (Begründung zu § 24 des Regierungsentwurfs = § 23 THG, Bundestagsdrucksache III/349 S. 19; dazu auch BSG 27, 280, 284). Deshalb sollte "sichergestellt" sein, daß und wann die Rentenversicherungen den ihnen erteilten Gesetzesauftrag erfüllen werden, m. a. W. wann andere Tbc-Hilfe-Träger nicht tätig zu werden brauchten (Begründung zu § 32 des Gesetzentwurfs aaO. S. 20). Deswegen blieb die Obliegenheit der Rentenversicherungsträger aber doch gegenüber den Aufgaben des "Trägers der Tuberkulose-Hilfe" nur nebengeordnet. Die Rentenversicherungsträger gehören lediglich zu den "sonstigen zur Tuberkulosebekämpfung verpflichteten Stellen" (Überschriften der Unterabschnitte 1 und 2 des Abschnitts 13 des BSHG). Die Verantwortlichkeiten der Rentenversicherungen wurden wohl ausgebaut, aber im Prinzip in denjenigen Grenzen beibehalten, wie sie vorher bestanden oder sich aus der Natur ihres Wirkungsgebiets und ihrer Mittel ergaben. Das gilt nicht zuletzt auch für die Beschränkung der stationären Heilbehandlung auf das Inland.
Ein Anzeichen dafür, daß die Mitwirkung der Rentenversicherungen an der Tbc-Bekämpfung dem Recht der Sozialversicherung zuzuordnen sei, sieht die Revision in dem Erfordernis einer Mindestbeitragszeit (§ 1244 a Abs. 2 RVO). Diese Überlegung ist nicht zwingend. Mit dem Erfordernis eines Minimums an Beiträgen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ist lediglich der Personenkreis bezeichnet, dem die Rentenversicherungen im Falle der Erkrankung an Tuberkulose ihre Sachleistungen zuzuwenden haben. Darin ist ein Kriterium zu erblicken, daß den Wirkungsbereich der Rentenversicherungen von der Zuständigkeit des originären "Trägers der Tuberkulosehilfe" abgrenzt. Der Umfang der Mindestversicherungszeit ist im übrigen so bemessen worden, daß Scheinversicherungsverhältnisse ausgeschaltet sind (Begründung zu § 32 des Gesetzentwurfs, Bundestagsdrucksache III/349 S. 20). Mehr und anderes ist diesem Gesetzeserfordernis nicht zu entnehmen.
Hiernach sind die beteiligten LVA'en nicht leistungsverpflichtet. Die angefochtenen Urteile sind aufrechtzuerhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen