Leitsatz (amtlich)

1. Bescheide des HVGBG, eines eingetragenen Vereins des bürgerlichen Rechts, nach UVNG Art 3 § 6 idF des FinÄndG 1967 sind gemäß SGG § 54 anfechtbare Verwaltungsakte.

2. Zum Lastenausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften und der See-Berufsgenossenschaft nach UVNG Art 3 Fassung: 1967-12-21 (hier: Auslegung der Vorschriften über den Kreis der ausgleichspflichtigen Berufsgenossenschaften - UVNG Art 3 § 3 Abs 1 und 3 iVm Art 3 § 1 Abs 2 Fassung: 1967-12-21).

3. Eine BG, deren Rentenlastsatz das 1 1/2fache des durchschnittlichen Rentenlastsatzes von UVNG Art 3 § 3 übersteigt, ist solange nicht ausgleichsberechtigt und deshalb iVm UVNG Art 3 § 3 Abs 1 und 3 ausgleichspflichtig, als die Summe ihrer eigenen Rentenleistungen und der anteiligen Ausgleichslast auch die in UVNG Art 3 § 1 Abs 2 S 2 genannten Grenzen nicht überschreitet.

Diese Regelung verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften angewandte Umlageverfahren entspricht Wortlaut und Zweck des Gesetzes sowie den Grundsätzen einer möglichst gleichmäßigen und angemessenen Lastenverteilung (solidarischer Lastenausgleich).

 

Normenkette

UVNG Art. 3 § 1 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1967-12-21, § 3 Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, Abs. 3 Fassung: 1967-12-21, § 6 S. 2 Fassung: 1967-12-21, § 1 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1967-12-21; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 193 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin für die Jahre 1968 und 1969 verpflichtet ist, gemäß Art 3 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes idF des Art 2 § 4 des Finanzänderungsgesetzes 1967 (UVNG nF) sich an der Umlage zum Ausgleich der Lasten der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) zu beteiligen und gegebenenfalls, ob ihre Ausgleichspflicht dem Grunde nach in dem Umfange besteht, in dem sie von dem Beklagten in Anspruch genommen worden ist.

Der Beklagte errechnete nach den Grundsätzen des Art 3 UVNG nF einen bei der Bergbau-BG auszugleichenden Betrag für 1968 von 500.437.399,- DM und für 1969 von 516.761.740,- DM. Diesen Betrag verteilte er entsprechend den Lohnsummen auf die übrigen gewerblichen Berufsgenossenschaften (Anlage 1 zu § 646 Abs 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -) und die See-Berufsgenossenschaft. Er forderte dementsprechend von der Klägerin zunächst für das Jahr 1968 einen Betrag von 61.320.941,- DM (Bescheid vom 31. März 1969), den er auf 60.366,687,- DM berichtigte (Bescheid vom 1. April 1970) und einen Betrag von angeblich 64.275.411,- DM für das Jahr 1969 (Bescheid vom 31. März 1970).

Die Klägerin hat gegen beide Bescheide Klagen erhoben, weil das Ausgleichsverfahren des Art 3 UVNG gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoße und im übrigen das Verteilungsverfahren des Beklagten nicht dem Gesetz entspreche. Das Sozialgericht (SG) hat beide Klagen miteinander verbunden und sie nach Beiladung der anderen BGen abgewiesen (Urteil vom 11./21. Oktober 1971). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin unter Änderung der Kostenentscheidung des SG zurückgewiesen (Urteil vom 22. Juni 1976). Es hält das Lastenausgleichsverfahren des Art 3 UVNG nF nicht für verfassungswidrig und die von dem Beklagten als öffentlich-rechtlicher "Beliehener" angewendete Methode der Verteilung der Ausgleichslast auf die übrigen zum Ausgleich verpflichteten Berufsgenossenschaften - auch unter Würdigung eines Gutachtens des Prof. Dr. T - für gesetzmäßig. Insbesondere sei es entgegen der Auffassung der Klägerin zulässig, eine Berufsgenossenschaft zum Ausgleich heranzuziehen, deren Rentenlastsatz zwar innerhalb des Fünfjahreszeitraumes des § 1 Abs 2 Satz 1 des UVNG nF auf mehr als das Eineinhalbfache des durchschnittlichen Rentenlastsatzes gestiegen sei, die aber die in Satz 2 gesetzten Grenzen nicht erreiche; die obere Grenze der Belastbarkeit sei erst dann erreicht, wenn die Summe der eigenen Rentenleistungen und der Ausgleichsanteil 0,008 ihres Rentenlastsatzes oder 0,015 ihres Entschädigungslastsatzes zu übersteigen drohe; dies seien die Grenzwerte der Belastung (Art 3 § 1 Abs 2 Satz 2 iVm § 3 Abs 3 UVNG nF). Dieses Verfahren entspreche sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und der Entstehungsgeschichte der gesamten Regelung des Art 3 UVNG nF, während die von der Klägerin für richtig gehaltene Auslegung zudem dazu führe, daß Berufsgenossenschaften, die im Verhältnis zu ihrer Lohnsumme hohe Lasten zu tragen hätten, in höherem Maße mit Ausgleichsanteilen belastet würden als solche mit niedriger Belastung. Auch sei es unter Umständen nicht möglich, eine Ausgleichslast überhaupt oder vollen Umfangs auf die übrigen nicht ausgleichsberechtigten Berufsgenossenschaften zu verteilen. Das würde aber dem Sinn und Zweck der getroffenen Regelung widersprechen und außerdem den Gesichtspunkt der Praktikabilität außer acht lassen.

Mit ihrer von dem LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Rechtsstandpunkt unter Hinweis auf die Kritik von Herzog (DVZ 1969, 269 ff) und auf ein Rechtsgutachten des Prof. Dr. S weiter. Insbesondere sieht sie nach wie vor die obere Grenze der Belastbarkeit einer ausgleichspflichtigen Berufsgenossenschaft allein in der in Art 3 § 1 Abs 2 Satz 1 UVNG nF gesetzten Grenze. Werde diese überschritten, sei die BG dem Grundsatz nach ausgleichsberechtigt. Die in Satz 2 genannten Werte (0,008 bzw 0,015 ihres Rentenlastsatzes bzw ihres Entschädigungslastsatzes) sagten lediglich etwas darüber aus, wie lange eine dem Grunde nach ausgleichsberechtigte Berufsgenossenschaft keinen Ausgleich erhalte. Für ihre Rechtsauffassung spreche der eindeutige Gesetzeswortlaut.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 1976 - mit Ausnahme seiner Kostenentscheidung - und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11. Oktober 1971 sowie den Bescheid des Beklagten vom 31. März 1969 idF vom 1. April 1970 und den weiteren Bescheid vom 31. März 1970 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend; ausgleichspflichtig seien alle Berufsgenossenschaften, bis sie ausgleichsberechtigt seien.

Die Beigeladene zu 28) schließt sich dem Antrag der Revisionsklägerin an. Die übrigen Beigeladenen haben keine Anträge gestellt. Die Württembergische Bau-Berufsgenossenschaft sowie die Bergbau-Berufsgenossenschaft teilen die Auffassung des Beklagten; letztere hat das Ergebnis von statistischen Untersuchungen mitgeteilt, wonach allein die seitherige Handhabung des Beklagten zu angemessenen und praktikablen Ergebnissen führe und die Gefahr, daß die Ausgleichslast nicht gedeckt werden könne, vermieden werde.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil des LSG, mit dem es die Berufung der klagenden BG in der Sache zurückgewiesen hat, ist nicht zu beanstanden.

Die streitbefangenen Bescheide des beklagten Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eV, womit dieser von der Klägerin Ausgleichsbeträge für 1968 in Höhe von 60.366.687,- DM und für 1969 in Höhe von 64.275.411,- DM fordert, sind Rechtens.

Zutreffend und von keiner Seite in Zweifel gezogen hat das LSG die sachliche Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bejaht, weil es sich bei dem streitigen Lastenausgleich der gewerblichen und der See-Berufsgenossenschaft um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung handelt (§ 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Beklagte ist zwar weder Behörde noch ein sonstiger öffentlicher Rechtsträger, er nimmt aber als eingetragener Verein des bürgerlichen Rechts insoweit ihm gesetzlich übertragene öffentlich-rechtliche Funktionen wahr (Art 3 § 6 des UVNG vom 30. April 1963 - BGBl I 241 - idF des Art 2 § 4 des Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes vom 21. Dezember 1967 - BGBl I 1259 - (Finanzänderungsgesetz 1967) - UVNG nF -), als er die Ausgleichslast auf die Berufsgenossenschaften "umzulegen" hat. Die von ihm zu diesem Zweck erlassenen Anforderungsbescheide sind deshalb gemäß § 54 SGG anfechtbare Verwaltungsakte (vgl auch BSGE 23, 105, 119 zu § 193 Abs 4 SGG).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den in Art 3 UVNG nF geregelten Lastenausgleich bestehen nicht. Ebenso wie Art 3 UVNG aF (Verteilung der sogenannten Bergbau-Altlast auf die übrigen gewerblichen BGen und die See-BG - vgl BVerfGE 23, 12 ff -) verstößt auch Art 3 UVNG nF nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem Entscheidungssatz seines Beschlusses vom 5. März 1974 (BVerfGE 36, 383, 384) zwar nur ausgesprochen, Art 3 § 1 Abs 1 Nr 1 UVNG nF sei mit dem Grundgesetz vereinbar, jedoch hat es in den Gründen dargelegt, selbst die Zusammenfassung der gesamten gesetzlichen Unfallversicherung bei einem einzigen öffentlich-rechtlich organisierten Versicherungsträger mit der Folge eines zeitlich unbegrenzten totalen Lastenausgleichs wäre verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Lasten einzelner BGen, die aus Strukturkrisen und möglicherweise auch aus typischen Unfallrisiken eines Gewerbezweiges herrührten, dürften deshalb auch in gewissem Umfang auf andere BGen und ihre Mitglieder verlagert werden. Jede BG und letztlich damit auch jedes ihrer Mitglieder könne in den Genuß des Lastenausgleichs kommen, wenn sie einen Ausgleichstatbestand erfülle (aaO S 393, 394). Bei der ohnehin im Jahre 1962 schon rund zwölfmal so hohen Belastung der Bergbau-BG gegenüber den übrigen BGen und dem weiteren Anstieg dieser Belastung bis 1967 sei der Gesetzgeber, ohne willkürlich zu handeln, zum Eingreifen berechtigt gewesen (aaO s 395). Der Gesetzgeber habe es nicht bei der "Altlastregelung" des Art 3 UVNG aF zu belassen brauchen, weil die neue Regelung alle Lasten erfasse und dadurch allen gewerblichen BGen und der See-BG zugute komme (aaO S 396). Die neue Regelung greife nur maßvoll in die Eigenständigkeit der einzelnen BGen ein, führe zu tragbaren Ausgleichsbelastungen und sei so angelegt, daß sie zeitlich mit dem Ende einer Strukturkrise auslaufe (aaO S 397). Dabei waren dem BVerfG die sich für die ausgleichspflichtigen Berufsgenossenschaften ergebenden Belastungen des ersten Ausgleichsjahres (1968) bekannt, die etwa bei der am höchsten belasteten Verwaltungs-BG ebenso hoch waren wie ihre Eigenbelastung (vgl die Stellungnahme des erkennenden Senats vom 23. Februar 1973 - 8/2 S 3/72 -). Schließlich sieht das BVerfG auch keinen Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze darin, daß nur die in der Anlage l zu § 646 RVO genannten BGen und die See-BG - dh also weder die landwirtschaftlichen BGen noch die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand - zu einer Ausgleichsgemeinschaft zusammengefaßt worden sind (aaO S 399, 400). Danach hält die Ausgleichsregelung des Art 3 UVNG nF in ihren Grundzügen einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand, und die Bedenken von S in seinem von der Klägerin in Bezug genommenen Gutachten, das auch dem BVerfG vorgelegen hat (aaO S 390), sind insoweit entkräftet.

Der Klägerin kann aber auch nicht darin gefolgt werden, daß die von dem Beklagten angewendete Methode der Verteilung der Ausgleichslast auf die ausgleichspflichtigen BGen nicht dem Gesetz entspreche. Nur dies ist jetzt noch Streitgegenstand. Sie stimmt vielmehr auch nach Auffassung des erkennenden Senats sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes überein.

Art 3 § 1 UVNG nF bestimmt zunächst, daß die in der Ausgleichsgemeinschaft zusammengefaßten BGen Leistungsanteile untereinander auszugleichen haben, wenn die Belastung einer oder mehrerer BGen bestimmte Grenzen übersteigt (§ 1 Abs 1 letzter Satzteil aaO), wobei der Ausgleichsanteil der ausgleichspflichtigen BGen dem Verhältnis ihrer jeweiligen Lohnsumme zu der Lohnsumme aller ausgleichspflichtigen BGen entspricht (§ 3 Abs 2 aaO). § 1 aaO legt ferner die Belastungsgrenze fest, bei deren Übersteigen eine BG ausgleichsberechtigt wird. Dabei sind drei Grenzwerte nebeneinander bestimmt worden, und die Ausgleichsberechtigung tritt bereits ein, wenn einer dieser Werte erreicht ist (§ 1 Abs 3 aaO). § 1 Abs 1 aaO erklärt das Viereinhalbfache des durchschnittlichen Rentenlastsatzes - RLS - (= Verhältnis der Aufwendungen für Renten, Abfindungen und Sterbegeld zu den beitragspflichtigen Entgelten - § 2 Abs 1 aaO -) aller in Betracht kommenden BGen bzw das Fünffache des durchschnittlichen Entschädigungslastsatzes - ELS - ("Verhältnis der Aufwendungen für Heilbehandlung, Berufshilfe, Renten, Sterbegeld, Beihilfen und Abfindungen zu den beitragspflichtigen Entgelten - § 2 Abs 2 aaO -) zum maßgebenden und hinreichend eindeutigen Grenzwert. Demgegenüber enthält Abs 2 aaO einen mehrfach modifizierten Wert, der gleichrangig neben die Werte des Abs 1 tritt ("... so gilt Abs 1 entsprechend"). Dieser Wert ist einmal dadurch gekennzeichnet, daß der RLS einer BG sich innerhalb eines näher bezeichneten Fünfjahreszeitraums auf mehr als das Eineinhalbfache des RLS erhöht, "den sie bei Zugrundelegung der Veränderung des durchschnittlichen Rentenlastsatzes der Berufsgenossenschaften erreicht hätte". § 1 Abs 2 Satz 2 bestimmt jedoch, daß ein Ausgleich unterbleibt, solange der RLS einer BG 0,008 oder ihr ELS 0,015 nicht übersteigt. Damit ist die Grenze, oberhalb derer eine BG im Sinne des Abs 2 aaO ausgleichsberechtigt wird, an zwei Voraussetzungen geknüpft; nämlich zum einen an den (relativen) überdurchschnittlichen Anstieg des RLS und zum anderen an die (absoluten) Werte ihres RLS bzw ELS.Satz 2 bestimmt sonach - entgegen der Meinung der Klägerin - ebenfalls eine "Grenze", und zwar dergestalt, daß ein überdurchschnittliches Ansteigen des RLS der BG noch keinen Ausgleichsanspruch gibt, wenn die genannten Dezimalwerte des RLS odes des ELS nicht überschritten werden. Anders kann der materiell-rechtliche Inhalt des Satzes 2 aaO nicht verstanden werden, insbesondere nicht dahin, daß ein Ausgleichsanspruch "dem Grunde nach" bereits dann entstünde, wenn ein überdurchschnittliches Ansteigen des RLS im Sinne des Satzes 1 aaO eingetreten ist. Wenn ein "Ausgleich unterbleibt", dh nicht stattfindet, besteht kein Ausgleichsanspruch. Es gibt somit grundsätzlich entweder eine Ausgleichspflicht oder eine Ausgleichsberechtigung. Der denkbare Ausnahmefall, daß eine BG beide Grenzen der Sätze 1 und 2 genau erreicht und deshalb weder ausgleichspflichtig noch - berechtigt ist, bedarf hier keiner Erörterung.

Die vom LSG und der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung entspricht auch dem erkennbaren Zweck der Ausgleichsregelung. Während die Werte des Abs 1 und des Abs 2 Satz 1 aaO nur eine Aussage über die relative Belastung einer BG gegenüber den anderen BGen machen, stellen die Werte des Abs 2 Satz 2 auf die absolute Belastung ab. Letztere ist aber wesentlich mitentscheidend für die Leistungsfähigkeit einer BG. Die Kombination zwischen relativer und absoluter Belastung in Abs 2 aaO ist sinnvoll, weil der gegenüber den Grenzwerten des Abs 1 aaO (viereinhalbfacher RLS bzw fünffacher ELS) verhältnismäßig niedrige relative Wert des Abs 2 Satz 1 (Anstieg auf das Eineinhalbfache des durchschnittlichen RLS) nur in Verbindung mit einer bestimmten absoluten Belastung einen gleichwertigen Ausgleichstatbestand schafft; andererseits soll eine verhältnismäßig hohe absolute Belastung iS des Satzes 2 erst dann zur Ausgleichsberechtigung führen, wenn sie auch (relativ) die Grenze des Abs 2 Satz 1 aaO überschreitet.

In Art 3 § 3 UVNG nF ist sodann mit der Modifikation des § 5 aaO (zu berücksichtigender Freibetrag) die Ausgleichsverpflichtung der nicht ausgleichsberechtigten BGen dahin geregelt, daß nach § 3 Abs 1 aaO die nicht ausgleichsberechtigten BGen ausgleichspflichtig sind. Danach haben die nicht im Sinne von § 1 aaO ausgleichsberechtigten BGen die nach § 1 aaO festzustellende Ausgleichslast zu tragen. Verteilungsmaßstab ist das Verhältnis der Lohnsummen (§ 3 Abs 2 aaO). Dabei darf aber eine BG nur so hoch belastet werden, daß ihre eigene Rentenlast zusammen mit dem auf sie entfallenden Ausgleichsanteil die Grenzen des § 1 aaO nicht übersteigt (§ 3 Abs 3 aaO). Die Ausgleichsanteile sind deshalb bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Satz 1 aaO entsprechend zu kürzen und der danach nicht gedeckte Teil der Ausgleichslast erneut im Verhältnis der Lohnsummen auf die verbleibenden BGen zu verteilen, die die Belastungsgrenze des § 3 Abs 3 aaO noch nicht erreicht haben. Nötigenfalls ist dieses Verfahren so oft zu wiederholen, bis die gesamte Ausgleichslast verteilt ist.

Nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs 3 aaO ist für die Grenze der Belastbarkeit uneingeschränkt der § 1 aaO in Bezug genommen. Dh sobald die Belastung einer BG mit eigenen Rentenleistungen und einem Ausgleichslastanteil eine der Grenzen des § 1 Abs 2 übersteigt, ist ihr Ausgleichslastanteil entsprechend zu kürzen. Insoweit wird dem für sie nachteiligen Umstand, daß sich der Rentenlastsatz auf mehr als das Eineinhalbfache (durchschnittlich) erhöht hat - Art 3 § 1 Abs 2 Satz 1 -, Rechnung getragen. Anderseits ist sie aber - weil nach Art 3 § 1 Abs 2 Satz 2 nicht ausgleichsberechtigt- bis zur Erreichung der Grenzen des Satzes 2 ausgleichspflichtig (Art 3 § 1 Abs 3). Diese vom Gesetz gezogenen Grenzen geben das Maß an, bis zu dem es einer BG zugemutet wird, die erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufzubringen. Hält der Gesetzgeber eine BG daher in diesem Umfang für "belastbar", entspricht es dem Solidaritätsausgleich (vgl dazu Schimanski, Der Kompass 1968, 44, 46), daß weniger belastete BGen mit entsprechend höheren Ausgleichsanteilen belastet werden. Eine andersartige Begrenzung der Ausgleichsverpflichtung, etwa in dem von der Klägerin für richtig gehaltenen Sinne, hätte im Gesetzestext zum Ausdruck kommen müssen. Dies ist nicht geschehen, vielmehr ist infolge der uneingeschränkten Bezugnahme in § 3 Abs 3 aaO auf § 1 aaO die gesamte Regelung dieses Paragraphen und damit auch die des Abs 2 Satz 2 anzuwenden.

Die von der Klägerin im Anschluß an Herzog (Deutsche Versicherungszeitschrift 1969 S 269 ff) vertretene Auffassung würde im übrigen zu der Regelung des solidarischen Lastenausgleichs der gewerblichen BGen und der See-BG in Art 3 UVNG nF in Widerspruch stehen. Wäre nämlich für die Grenze der Ausgleichspflicht im Sinne von § 3 Abs 3 aaO im Falle des § 1 Abs 2 aaO nur dessen Satz 1 maßgeblich, dh würde eine BG nur so weit zum Ausgleich verpflichtet sein, als die Summe ihrer eigenen Rentenleistungen und des Ausgleichslastanteils einen Anstieg ihres RLS auf das Eineinhalbfache des durchschnittlichen RLS im Sinne des § 1 Abs 2 Satz 1 aaO bewirkt, obwohl der eigene RLS 0,008 oder ihr ELS 0,015 nicht übersteigt, so führte das zu einer Verringerung des Ausgleichsanteils der Klägerin und auch anderer BGen (vgl die Tabelle bei Herzog aaO S 274, die rechnerisch von keinem der Beteiligten bestritten wird). Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß einzelne oder sogar alle nicht ausgleichsberechtigten BGen nicht ausgleichspflichtig sind; nämlich dann, wenn sie zwar keine der Grenzen des § 1 Abs 1 aaO erreichen, ihr Rentenlastsatz aber überdurchschnittlich im Sinne des § 1 Abs 2 Satz 1 aaO angestiegen ist, ohne daß ihr RLS 0,008 oder ihr ELS 0,015 übersteigt. Eine solche Möglichkeit ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten nicht auszuschließen. Demgemäß räumt auch Herzog aaO S 273 ein, daß bei seiner Auslegung des Art 3 UVNG nF das "Ausgleichsverfahren sehr hart an der Grenze der Durchführbarkeit" liege. Sonach könnte der Fall eintreten, daß entweder die wenigen verbliebenen ausgleichspflichtigen BGen die Ausgleichslast nicht mehr voll tragen könnten oder ein Ausgleich überhaupt nicht möglich wäre, weil zwar ausgleichsberechtigte, aber keine ausgleichspflichtigen BGen vorhanden wären. Die Möglichkeiten zu tragbaren Ausgleichsbelastungen (vgl BVerfGe 36, 397) würden damit zumindest gegenüber denjenigen erheblich eingeschränkt sein, wie sie sich bei der von dem Beklagten angewendeten Berechnungsmethode unter Berücksichtigung auch der Werte des § 1 Abs 2 Satz 2 aaO ergeben; ja sie würden gegebenenfalls sogar ganz entfallen. Damit würde aber der vom Gesetz angestrebte Zweck des solidarischen Lastenausgleichs unter den betroffenen BGen ernstlich in Frage gestellt.

Die von der Klägerin für richtig gehaltenen Maßstäbe der Verteilung der Ausgleichslast würden aber auch, wenn sie einen vollen Ausgleich wie in den Jahren seit 1968 noch zulassen, aus einem anderen Grunde zu nicht vertretbaren Ergebnissen führen. Wäre allein der überdurchschnittliche Anstieg des RLS im Sinne von § 1 Abs 2 Satz 1 aaO für die Begrenzung der Ausgleichspflicht (§ 3 Abs 3 aaO) maßgebend, so würde das dazu führen, daß BGen, die absolut (dh gemessen an dem Verhältnis ihrer beitragspflichtigen Entgelte zu den Leistungen, wonach sich der RLS oder ELS im Sinne von § 2 aaO errechnet) niedrige Belastungen haben, niedriger mit Ausgleichsleistungen belastet werden als solche mit absolut höherer Belastung. Im Ergebnis würde daher die Leistungsfähigkeit leistungsschwacher BGen weiter vermindert, während leistungsstarke BGen in ihrer Leistungsfähigkeit demgegenüber verhältnismäßig gering beeinträchtigt würden. Ein solidarischer Lastenausgleich muß jedoch zu einer möglichst gleichmäßigen und angemessenen Lastenverteilung führen. Wenn das Gesetz daher in § 1 Abs 2 Satz 2 auch die absolute Belastung einer BG als Maßstab dafür heranzieht, in welchem Umfang sie belastbar ist bzw sie ausgleichsberechtigt wird, müssen diese Werte auch bei der Verteilung der Ausgleichslast beachtet werden.

Wenn die Klägerin demgegenüber - im wesentlich gestützt auf das Rechtsgutachten von Prof. Dr. S - ihren Rechtsstandpunkt damit begründete, die hier vertretene Auffassung führe zu "unverhältnismäßig schweren" Belastungen einzelner BGen, weil sie gegebenenfalls Ausgleichsbeträge aufbringen müßten, die einen wesentlichen Teil ihrer Belastung für eigene Aufgaben ausmachten, diesem Teil sogar gleichkämen, wie etwa bei der Verwaltungs-BG im Jahr 1968, so daß auch ihr Interesse etwa an einer möglichst effektiven Unfallverhütung erlahmen könne (vgl S 29, 30, 43 des Gutachtens), so wendet sie sich damit gegen die Regelung des solidarischen Lastenausgleichs in Art 3 UVNG nF insgesamt. Sie kann damit um so weniger die Anwendung des Gesetzes durch den Beklagten angreifen, weil - wie oben dargelegt - gerade ihre Auffassung zu einer noch stärkeren Belastung bereits hochbelasteter BGen führen würde. Daß die streitige Regelung verfassungskonform ist, ist oben näher dargelegt. Ob eine andere Regelung zweckmäßiger wäre, unterliegt nicht der Entscheidung der Gerichte. Jedenfalls haben die tatsächlichen Verhältnisse dem BVerfG (aaO) keinen Anlaß gegeben, den Lastenausgleich nach Art 3 UVNG nF zu beanstanden, obwohl ihm die sich für die ausgleichspflichtigen BGen daraus ergebenden Belastungen bekannt waren. Danach - wie auch nach den obigen Ausführungen des erkennenden Senats - verstößt die Ausgleichspraxis des Beklagten entgegen der Auffassung von Salzwedel nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

In Übereinstimmung mit dem LSG hält auch der erkennende Senat in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 4 SGG die außergerichtlichen Kosten des Beklagten nicht für erstattungsfähig. Er nimmt auch im gerichtlichen Verfahren die ihm gesetzlich übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben wahr und ist deshalb hinsichtlich seiner außergerichtlichen Aufwendungen Behörden bzw Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts gleichgestellt (BSGE 23, 105, 119 ).

 

Fundstellen

BSGE, 282

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