Leitsatz (amtlich)
1. Das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung iS des SGG § 55 Abs 1 wird bei Klagen gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger auch auf Leistung klagen könnte.
2. Der Unterschied zwischen dem Wohnungsgeldzuschuß von verheirateten und ledigen Angestellten ist ein Zuschlag, der "mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt" wird und daher nicht auf den für die Versicherungspflicht maßgebenden Jahresarbeitsverdienst anzurechnen ist (RVO § 165 Abs 4, AVG AVG 5, § 3 SVAG BE § 9 Abs 2 S 2). Dem steht nicht entgegen, daß nach dem maßgebenden Tarifvertrag auch ledige Angestellte vom 40. Lebensjahr an den gleichen - höheren - Wohnungsgeldzuschuß erhalten wie verheiratete Angestellte.
Normenkette
SGG § 55 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 165 Abs. 4 Fassung: 1952-08-13; AVG § 3 Fassung: 1952-08-13; SVAnpG BE § 9 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1950-12-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Mai 1956 und des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 1955 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger, der das 40. Lebensjahr überschritten hat und seit Mitte Mai 1954 Beamter ist, war vorher bei einer Verwaltungsstelle in B... als Angestellter beschäftigt. Er erhielt seine Vergütung nach der Tarifordnung für Angestellte des öffentlichen Dienstes (TO A). Sein Gehalt, das in den Monaten Januar bis März 1954 monatlich 809,35 DM brutto betrug, setzte sich zusammen aus einer Grundvergütung von 650,35 DM, einem Wohnungsgeldzuschuß (WGZ) von 104,- DM und dem Kinderzuschlag für zwei Kinder von 55.- DM. Der WGZ in dieser Höhe stand auch ledigen Angestellten der gleichen Tarifklasse zu, sofern sie das 40. Lebensjahr überschritten hatten, während der WGZ für Ledige unter 40 Jahren 78.- DM monatlich betrug. Vom 1. April 1954 an erhöhte sich das Gehalt des Klägers auf monatlich 839,19 DM. Der Kläger forderte von der Versicherungsanstalt B..., der Rechtsvorgängerin der beklagten Krankenkasse, die Rückzahlung der von seinem Arbeitseinkommen für die Monate Januar bis März 1954 einbehaltenen Beiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung von monatlich 47,50 DM = 142,50 DM. Er hielt sich nicht für versicherungspflichtig, weil sein Monatsgehalt einschließlich des WGZ, aber ohne die Kinderzuschläge, 754,35 DM betragen und sein Jahresarbeitsverdienst (JAV) damit die Versicherungsgrenze von 9.000 DM (= monatlich 750 DM) überschritten habe. Der Versicherungsträger lehnte die Rückzahlung ab und vertrat die Auffassung, der einem verheirateten Angestellten gewährte höhere WGZ stelle, soweit er den WGZ eines ledigen Angestellten übersteige, einen Zuschlag zum Arbeitsverdienst dar, der mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werde; da dieser Zuschlag (in Höhe von 104 - 78 = 26 DM) für die Jahresarbeitsverdienstgrenze nach § 165 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1954 nicht angerechnet werden könne, habe der Verdienst des Klägers unter 750 DM monatlich gelegen, die Beiträge seien daher zu Recht entrichtet worden. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Der Kläger erhob darauf Klage beim Sozialgericht Berlin mit dem Antrag, den Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1954 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die für die Monate Januar bis März 1954 entrichteten Beiträge zur Angestelltenversicherung und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 142,50 DM zurückzuerstatten und "die Beiträge zur Krankenversicherung für die gleiche Zeit auf die freiwilligen Beiträge anzurechnen". In der mündlichen Verhandlung beantragte er, unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids festzustellen, daß er in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1954 sozialversicherungsfrei gewesen sei. Das Sozialgericht gab diesem Antrag statt (Urteil vom 21.11.1955): Der dem Kläger gewährte WGZ enthalte keinen Zuschlag im Sinne des § 165 Abs. 4 RVO in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945. Maßgebend sei der vom Senator des Innern und den Gewerkschaften in Berlin abgeschlossene Tarifvertrag vom 25. September 1953, der davon ausgehe, daß grundsätzlich alle Angestellten den vollen WGZ erhielten; auch aus den Ausführungsbestimmungen zum Berliner Besoldungsgesetz ergebe sich, daß bei der Feststellung des Familienstandes nur die Kinder berücksichtigt würden. Die Berufung wurde zugelassen. Das Landessozialgericht hat nach Beiladung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die von der beklagten Krankenkasse eingelegte Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen: Die Berufung sei nach § 143 SGG zulässig, ohne daß es auf die vom Sozialgericht ausgesprochene Zulassung ankomme, weil die Versicherungspflicht des Klägers streitig sei. Der Kläger sei nach § 9 des Berliner Sozialversicherungsanpassungsgesetzes vom 3. Dezember 1950 (VOBl. I S. 542) - BSVAG -, § 69 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in der Fassung vom 12. Oktober 1929 (RGBl. I S. 162), § 1 AVG in der Fassung vom 28. Mai 1924 (RGBl. I S. 563) in der Kranken-, Arbeitslosen- und Angestelltenversicherung nicht versicherungspflichtig, wenn sein regelmäßiger JAV 9.000 DM übersteige. Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BSVAG würden für die JAV-Grenze Zuschläge nicht angerechnet, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden. Der WGZ des Klägers enthalte jedoch keinen solchen Zuschlag. Das Reichsversicherungsamt habe in seiner Entscheidung Nr. 4023 (AN. 1931 S. 160 = EuM. 29 S. 397) die Auffassung vertreten, daß nach dem damaligen Rechtszustand der WGZ der verheirateten und der ledigen Beamten nur Aufwendungen für die Wohnung nach den allgemeinen Wohnungskosten in den verschiedenen Orten ausgleichen solle und nicht wegen des Familienstandes gewährt werde. In seiner späteren Rechtsprechung (EuM. Bd. 43 S. 121 und Nr. 5536 in AN. 1943 S. 342) habe das Reichsversicherungsamt diese Ansicht aufgegeben und als entscheidend angesehen, ob nach der für das Dienstverhältnis maßgebenden Regelung der Zuschlag mit Rücksicht auf den Familienstand oder auf Angehörige des Bediensteten gewährt werde. Das Reichsversicherungsamt sei davon ausgegangen, daß durch § 5 des Gesetzes vom 13. Dezember 1935 über die 24. Änderung des Besoldungsgesetzes (RGBl. I S. 1489) eine Trennung zwischen der Höhe des WGZ des verheirateten und des ledigen Beamten geschaffen und damit klargestellt worden sei, daß der Differenzbetrag im WGZ nicht nur den unterschiedlichen Wohnungsbedarf ausgleichen solle. Der WGZ der Angestellten des öffentlichen Dienstes sei in der Bundesrepublik durch den Tarifvertrag vom 25. November 1952 (GMBl. 1953 S. 31) und in Berlin durch den entsprechenden Tarifvertrag vom 25. September 1953 (Dienstbl. des Senats von Berlin I 1954 S. 105) neu geregelt worden. Die Bestimmungen, auf die das Reichsversicherungsamt seine neueren Entscheidungen gegründet habe, hätten sich seit dem Tarifvertrag vom 25. September 1953 geändert; denn dieser Tarifvertrag gehe - der Regelung in der Bundesrepublik folgend - davon aus, daß grundsätzlich allen Angestellten der volle WGZ zustehe. Der nach dem neuen Tarifrecht zu zahlende WGZ sei nach dem Aufbau des Besoldungsrechte, dem dieser Tarifvertrag folge, grundsätzlich ein Zuschlag zur Deckung der durch die Inanspruchnahme der Wohnung entstandenen Ausgaben. Der Familienstand werde nach der tariflichen Regelung erst dann bedeutsam, wenn verheiratete, verwitwete oder geschiedene Angestellte drei oder mehr Kinder hätten. Da der Kläger nur den vollen WGZ ohne eine von seinem Familienstand abhängige Erhöhung bezogen habe, habe sein JAV schon vor dem 1. Januar 1954 die Grenze des § 9 BSVAG überstiegen.
Die Beklagte beantragt mit der frist- und formgerecht eingelegten Revision, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie ist der Meinung, auch der nach dem Tarifvertrag vom 25. September 1953 gewährte WGZ eines verheirateten Angestellten enthalte einen Zuschlag, der mit Rücksicht auf den Familienstand gewährt werde. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung haben sich der Revision der Beklagten angeschlossen, und zwar die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit dem Bemerken, daß einem neuerdings gestellten Antrag des Klägers auf Rückzahlung der zur Angestelltenversicherung gezahlten Beiträge nach der Zweiten Novelle zum Gesetz 131 zu entsprechen sei.
II.
Die Revision ist begründet.
Der Kläger hatte ursprünglich mit der Klage neben der Aufhebung des ihn belastenden Widerspruchsbescheides die Verurteilung der beklagten Krankenkasse zur Rückerstattung der nach seiner Meinung in den Monaten Januar bis März 1954 zu Unrecht von seinem Gehalt einbehaltenen, an die Beklagte abgeführten Beiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung (142,50 DM) und "zur Anrechnung der zur Krankenversicherung entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge" beantragt; er hatte damit eine mit einer Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage erhoben (§ 54 Absätze 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Dem in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht anstelle des Leistungsantrags erhobenen Feststellungsantrag haben die übrigen Beteiligten nicht widersprochen, so daß gegen die insoweit vorliegende Änderung der Klage keine Bedenken bestehen (§ 99 SGG). Der Kläger erstrebt neben der Aufhebung des Widerspruchsbescheids nunmehr die Feststellung, daß er in der Zeit vom 1. Januar 1954 bis zum 31. März 1954 versicherungsfrei gewesen sei. Da die Höhe der für diese Zeit entrichteten Beiträge feststeht, könnte es zweifelhaft sein, ob der Kläger, der auf Rückerstattung der auf ihn entfallenden Beiträge klagen könnte, an der von ihm begehrten Feststellung des Nichtbestehens eines Versicherungsverhältnisses ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 55 Abs. 1 SGG hat. Schon im zivilprozessualen Verfahren, in dem ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Zivilprozeßordnung (ZPO) regelmäßig verneint wird, wenn eine Leistungsklage möglich ist, wird die Feststellungsklage jedoch als zulässig angesehen, wenn zu erwarten ist, daß der Beklagte, insbesondere eine Behörde oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, den obsiegenden Kläger auch ohne Leistungsurteil befriedigen wird (RGZ. 92 S. 378; 129 S. 34; 146 S. 163, HRR 1931 Nr. 1382; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl. S. 392 mit weiteren Nachweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 256 ZPO bestehen gegen die Zulässigkeit eines Feststellungsverfahrens keine prozessualen Bedenken, wenn dieses Verfahren nach den Besonderheiten des einzelnen Falles zu einer abschließenden oder prozeßwirtschaftlich sinnvollen Entscheidung der zwischen den Parteien bestehenden Streitigkeit führt (BGHZ. 2 S. 250 = Lindenmaier-Möhring Nr. 1 zu § 256 ZPO). Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesverwaltungsgericht für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in einem Fall angeschlossen, in dem beide Parteien Körperschaften des öffentlichen Rechts waren (DÖV 1957 S. 426). Der Senat hat keine Bedenken, im sozialgerichtlichen Verfahren bei Klagen gegen eine Behörde oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung (§ 55 Abs. 1 SGG) nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger an sich auf Leistung klagen könnte. Die Feststellungsklage muß vielmehr in einem Rechtsstreit, der sich gegen eine Behörde oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts richtet, grundsätzlich als zulässig angesehen werden, weil davon auszugehen ist, daß die Behörde oder die Körperschaft des öffentlichen Rechts den Kläger im Falle seines Obsiegens auch ohne Leistungsurteil befriedigen wird. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen daher keine Bedenken.
Das Landessozialgericht hat die Berufung mit Recht als zulässig angesehen (§ 143 SGG). Es handelt sich um einen Streit über die Versicherungspflicht, bei dem die Berufung nach §§ 144 ff. nicht ausgeschlossen ist. Der Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht bedurfte es daher, wie das Landessozialgericht zutreffend angenommen hat, nicht.
Die Versicherungspflicht des Klägers, der als Angestellter einer Verwaltungsdienststelle in Berlin tätig ist, regelt sich in der Krankenversicherung für die hier streitige Zeit (1. Januar 1954 bis 31. März 1954) nach § 9 BSVAG vom 3. Dezember 1950 in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 10. August 1951 (GVBl. S. 586) und des Gesetzes über die Einführung einer Einkommensgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 2≪!X!≫. Februar 1953 (GVBl. S. 150). Danach ist Voraussetzung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung u.a., daß der regelmäßige JAV der unter § 9 Abs. 1 Nr. 1 BSVAG fallenden Angestellten 9.000 DM nicht übersteigt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BSVAG). Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BSVAG werden für die JAV-Grenze Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, nicht angerechnet. Die durch das Gesetz über die Einführung einer Einkommensgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung in § 9 Abs. 2 BSVAG eingefügte Vorschrift, wonach für die JAV-Grenze Zuschläge nicht angerechnet werden, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, stimmt wörtlich überein mit § 165 Abs. 4 RVO i.d.F. der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 und mit § 165 Abs. 4 RVO in der seit dem 1. August 1956 für das gesamte Bundesgebiet und das Land Berlin geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 1 und Art. 3 und 4 des Gesetzes über Krankenversicherung der Rentner vom 12. Juni 1956 - BGBl. I S. 500). Da dieser Rechtszustand bewußt und gewollt zum Zweck der Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts im Bundesgebiet und in Berlin geschaffen worden ist, bestehen gegen die Revisibilität der hier streitigen Rechtsnorm keine Bedenken (vgl. BSG. 2 S. 106 [110] mit weiteren Nachweisen).
Die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung während der hier streitigen Zeit ist nach Art. I § 69 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Arbeitslosenversicherung in Berlin vom 26. Februar 1953 (GVBl. 1953 S. 150) zu beurteilen, das am 1. April 1953 in Kraft getreten ist. Danach ist für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert, wer auf Grund der Reichsversicherungsordnung oder des Reichsknappschaftsgesetzes für den Fall der Krankheit pflichtversichert ist oder wer auf Grund des Angestelltenversicherungsgesetzes pflichtversichert ist und der Pflicht zur Krankenversicherung nur deshalb nicht unterliegt, weil er die Verdienstgrenze der Krankenversicherung überschritten hat, sofern er nicht nach den §§ 70 bis 75c AVAVG von der Versicherungspflicht ausgenommen ist. Die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung hängt also nach der hier maßgebenden Vorschrift grundsätzlich von der Krankenversicherungspflicht nach der Reichsversicherungsordnung und bei Überschreiten der für die Krankenversicherungspflicht maßgebenden Verdienstgrenze von der Versicherungspflicht auf Grund des AVG ab. Maßgebend ist also zunächst die Vorschrift des § 165 RVO i.d.F. der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945, wonach die JAV-Grenze in der Krankenversicherung für Angestellte 6.000 DM beträgt. Da das Einkommen des Klägers diese Grenze überschritt, beurteilt sich seine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung. Nach der hier maßgebenden Vorschrift des § 1 Abs. 3 AVG i.d.F. der Ersten Vereinfachungsverordnung betrug die JAV-Grenze 9.000 DM Nach § 1 Abs. 6 AVG i.d.F. der Ersten Vereinfachungsverordnung gilt jedoch § 165 Abs. 4 RVO entsprechend, d.h. für die JAV-Grenze werden auch hier Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, nicht angerechnet (vgl. auch § 3 Satz 2 AVG i.d.F. der Verordnung vom 17. Mai 1934, RGBl. I S. 419).
Die Versicherungspflicht des Klägers während der hier streitigen Zeit hängt demnach in der Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Angestelltenversicherung davon ab, ob sein JAV die Grenze von 9.000 DM überschritten hat. Es kommt also darauf an, ob der in seiner Vergütung enthaltene WGZ in voller Höhe (104.- DM monatlich) auf den JAV anzurechnen ist oder ob der Unterschiedsbetrag zwischen dem vollen WGZ und dem "einfachen" WGZ (monatlich 78.- DM), der einem gleichgestellten ledigen Angestellten unter 40 Jahren zusteht, außer Betracht bleiben muß.
Der Senat vermag sich der Auffassung des Landessozialgerichts, der Unterschiedsbetrag zwischen dem einem verheirateten Angestellten zu gewährenden WGZ und dem WGZ, der einem Ledigen bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres zusteht, werde nicht mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt und könne daher nicht als Zuschlag im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 3 BSVAG, § 165 Abs. 4 RVO, § 1 Abs. 6 AVG i.d.F. der Ersten Vereinfachungsverordnung angesehen werden, nicht anzuschließen.
Das Landessozialgericht weist zutreffend darauf hin, daß das Reichsversicherungsamt die enge Auslegung, die es zunächst der im wesentlichen mit § 165 Abs. 4 RVO n.F. übereinstimmenden Vorschrift des § 165 Abs. 2 Satz 2 RVO a.F. gegeben hatte (Beschl. vom 15.11.1928, EuM. 23 S. 347; Entscheidung Nr. 4023 vom 11.12.1930, AN. 1931 S. 160 = EuM. 29 S. 397), in den Entscheidungen vom 4. Mai 1938 (EuM. 43 S. 121) und vom 26. Mai 1943 (AN. 1943 S. 342) aufgegeben hat. Das Reichsversicherungsamt sah nunmehr alle Bar- und Sachbezüge, die dem Familienstand Rechnung trugen, also alle Mehrbezüge, die Verheirateten, Verwitweten oder Geschiedenen gegenüber Ledigen gewährt wurden, als Zuschlag im Sinne des § 165 Abs. 2 Satz 2 RVO a.F. an. Ein Anlaß, von dieser Auffassung abzuweichen, die auch im Schrifttum allgemein gebilligt wird (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd. 2, § 165 Anm. 15; Koch-Hartmann-von Altrock-Fürst, AVG, § 1 Anm. C III 1 a; Dersch, Grundriß der gesamten Rentenversicherung, S. 89; Faller, BKK 1953 S. 384; vgl. auch Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. März 1957, AP., AVG § 3 Nr. 1 mit zustimmender Anmerkung von Neumann-Duesberg), besteht nicht, da sie dem Schutzgedanken des § 165 Abs. 4 RVO und der oben angegebenen gleichlautenden Vorschriften entspricht.
Nach § 6 TO A i.d.F. des Berliner Tarifvertrags vom 25. September 1953 (Dienstbl. des Senators von Berlin Teil I 1954 S. 105) bestimmt sich der WGZ nach dem dienstlichen Wohnsitz des Angestellten und nach der in der Anlage 1 zur TO A für die einzelnen Vergütungsgruppen festgelegten Tarifklasse, die von der Vergütungsgruppe abhängt. Eine einheitliche Tarifklasse gilt für verheiratete, verwitwete und geschiedene Angestellte sowie für ledige Angestellte nach Vollendung des 40. Lebensjahres (voller WGZ). Demgegenüber erhalten ledige Angestellte bis zum vollendeten 40. Lebensjahr grundsätzlich den WGZ der nächstniedrigeren Tarifklasse (einfacher WGZ). Sie erhalten den vollen WGZ, solange sie im eigenen Haushalt ihrem unehelichen Kind Wohnung und Unterhalt gewähren (§ 6 Abs. 3 des Tarifvertrags vom 25. September 1953). Für verheiratete, verwitwete oder geschiedene Angestellte mit drei oder vier Kindern sowie für solche mit fünf oder mehr Kindern sieht der Tarifvertrag weitere Staffelungen des WGZ vor.
Es ist hiernach zwar richtig, daß ein lediger Angestellter nach Vollendung des 40. Lebensjahres den WGZ in gleicher Höhe wie ein gleichgestellter verheirateter, verwitweter oder geschiedener Angestellter auch schon in jüngeren Lebensjahren erhält. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß der volle WGZ, der einem verheirateten Angestellten ohne Rücksicht auf sein Alter zusteht, soweit er den eines Ledigen unter 40 Jahren übersteigt, nicht mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt wird. Der verheiratete Angestellte hat wegen seines Familienstandes in der Regel einen höheren Wohnraumbedarf als ein lediger. Der volle WGZ, der dem Verheirateten ohne Rücksicht auf sein Alter zustellt, soll es ihm ermöglichen, seinen durch den Familienstand bedingten größeren Wohnraumbedarf zu befriedigen. Wenn der ledige Angestellte unter 40 Jahren grundsätzlich den WGZ der nächstniedrigeren Tarifklasse erhält, so beruht dies auf seinem geringeren Wohnraumbedarf. Gerade die Ausnahmeregelung, nach der auch Ledige unter 40 Jahren den vollen WGZ erhalten, solange sie im eigenen Hausstand ihrem unehelichen Kind Wohnung und Unterhalt gewähren, ferner auch die weitere Staffelung des WGZ nach der Zahl der Kinder zeigen, daß der Tarifvertrag bei der Festsetzung der Höhe des WGZ die durch den Familienstand bedingten wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigen will. Bei dem Unterschiedsbetrag zwischen dem WGZ des Ledigen unter 40 Jahren und des Verheirateten handelt es sich mithin um einen Zuschlag, der dem Verheirateten mit Rücksicht auf seinen Familienstand gewährt wird. Diese Bedeutung des höheren WGZ für verheiratete Angestellte ändert sich nicht deshalb, weil ledige Angestellte vom 40. Lebensjahr an ebenfalls den höheren WGZ erhalten. Sie werden dadurch wegen ihres Alters und des damit in der Regel gegebenen Bedürfnisses nach einer besseren Wohnung den Verheirateten gleichgestellt. Diese Gleichstellung der Verheirateten mit älteren Ledigen hat keine Veränderung des Zweckes des den Verheirateten allgemein gewährten höheren WGZ zur Folge. Es würde sinnwidrig sein, die auch dem Schutz der Familie dienende Versicherungspflicht eines verheirateten Angestellten bei unverändertem Einkommen mit der Vollendung des 40. Lebensjahres nur deshalb fortfallen zu lassen, weil er nunmehr trotz seiner durch den Familienstand bedingten höheren sozialen Belastung das gleiche Einkommen wie ein ebenso alter Lediger bezieht. Ist der Verheiratete somit infolge Nichtanrechnung des ihm wegen seines Familienstandes gewährten höheren WGZ nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BSVAG, § 165 Abs. 4 RVO, § 1 Abs. 6 AVG, § 69 AVAVG vor Vollendung des 40. Lebensjahres versicherungspflichtig, so bleibt er es bei gleichbleibendem Arbeitsentgelt auch nach Erreichung dieses Lebensalters. Diese Auslegung der gesetzlichen Vorschriften entspricht allein ihrem sozialen Schutzgedanken (ebenso BAG. in AP., AVG § 3 Nr. 1; LSG. Bremen in Breithaupt 1958 S. 213; a.A. Bayer. LSG. in Breithaupt 1957 S. 97).
Der dem Kläger in der hier streitigen Zeit gezahlte WGZ von 104.- DM monatlich ist daher nicht in voller Höhe, sondern nur in Höhe von 78.- DM monatlich auf den JAV anzurechnen. Der Kläger hat mithin die JAV-Grenze von 9.000 DM nicht überschritten und unterlag der Versicherungspflicht. Seine Klage ist daher unter Aufhebung der Urteile der beiden Vorinstanzen abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen