Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 05.05.1961)

SG Bremen (Urteil vom 10.03.1960)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 5. Mai 1961 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. März 1960 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob dem Kläger das ihm für die Zeit vom 1. Dezember 1957 an bewilligte vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bereits für die Zeit vom 1. Mai 1957 an zusteht.

Der im Jahre 1894 geborene Kläger, der eine Versicherungszeit von mehr als 180 Monaten zurückgelegt hat, war seit Ende 1955 – mit Unterbrechungen durch Notstandsarbeiten während der Zeiten vom 23. Juli 1956 bis zum 3. Oktober 1956 und vom 23. Oktober 1956 bis zum 29. Dezember 1956 – arbeitslos.

Dem im Mai 1957 gestellten Rentenantrag gab die Beklagte zwar statt, bewilligte aber das vorzeitige Altersruhegeld erst vom 1. Dezember 1957 an. Den geltend gemachten Anspruch für die vorhergehende Zeit hält sie nicht für begründet, weil die Arbeitslosigkeit des Klägers durch die im Jahre 1956 verrichteten Notstandsarbeiten unterbrochen worden sei und dadurch das nach § 1248 Abs. 2 RVO erforderliche Jahr ununterbrochener Arbeitslosigkeit erst mit dem 30. Dezember 1956 zu laufen begonnen habe.

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben und die Berufung zugelassen. Es hat die vom Kläger im Jahre 1956 verrichteten Notstandsarbeiten als gelegentliche Aushilfstätigkeiten im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO und daher als unschädliche Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit angesehen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Die beiden Notstandsbeschäftigungen von je zehn Wochen im Jahre 1956 hätten die Arbeitslosigkeit unterbrochen, so daß das Jahr der Arbeitslosigkeit erst im Dezember 1957 abgelaufen sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt unrichtige Anwendung des § 1248 Abs. 2 Sätze 1 und 4 RVO und meint, das Berufungsgericht habe den Begriff „gelegentliche Aushilfe” in Satz 4 dieser Vorschrift verkannt. Der Begriff finde seine zeitliche Abgrenzung in § 168 Abs. 1 RVO. Danach seien Beschäftigungen von weniger als dreimonatiger Dauer als gelegentliche Aushilfe anzusehen mit der Folge, daß dadurch der Zeitraum der mindestens einjährigen Arbeitslosigkeit nicht unterbrochen sei. Bei seinen Notstandsbeschäftigungen habe es sich um „gelegentliche Aushilfen” in diesem Sinne gehandelt, welche von vornherein auf eine Dauer von jeweils zehn Wochen begrenzt gewesen seien. Mit einer Wiederholung der Notstandsarbeiten nach Beendigung der ersten Beschäftigung habe er nicht rechnen können. Die zweite Notstandsbeschäftigung könne nicht als Fortsetzung der ersten betrachtet werden; mehrere Beschäftigungen oder Tätigkeiten, die für sich gesehen über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgingen, dürften nicht zusammengerechnet werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückzuverweisen, sowie der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurück zuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Entgegen der Ansicht des Klägers biete sich für die Auslegung des Begriffs „gelegentliche Aushilfe” in § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO, wenn man schon auf eine andere Vorschrift zurückgreifen wolle, eher § 1228 RVO mit einer Begrenzung von zwei Monaten als § 168 RVO an, da dieser heute nur noch für die Krankenversicherung Bedeutung habe. Darüber hinaus könnten entgegen der Ansicht des Klägers Wiederholungen von kürzeren Tätigkeiten nicht unberücksichtigt bleiben. Bei entsprechender Anwendung des § 1226 Abs. 2 a RVO sollte vielmehr die Gesamtzeit solcher Beschäftigungen nicht mehr als 50 Tage in einem Jahr umfassen dürfen.

Die zulässige Revision hatte Erfolg.

Nach § 1248 Abs. 2 RVO erhält Altersruhegeld „auf Antrag der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit erfüllt hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist, für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit. Das Altersruhegeld fällt mit dem Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit eintritt … Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht, bleibt außer Betracht”. Der Zweck dieser Vorschrift ist ebenso wie der des § 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF, der Notlage älterer arbeitsloser Versicherter, bei denen wegen der längeren Dauer ihrer Arbeitslosigkeit nicht mehr zu erwarten ist, daß sie noch einmal einen Arbeitsplatz linden werden, durch Gewährung vorzeitigen Altersruhegeldes zu steuern.

Da alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen – Stellung des Rentenantrags, Vollendung des 60. Lebensjahres und Erfüllung der Wartezeit von 180 Kalendermonaten – zweifelsohne vorliegen, hängt der Anspruch des Klägers allein davon ab, zu welchem Zeitpunkt er ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen ist. Für die Entscheidung dieser Frage kommt es darauf an, ob der Kläger, der an sich schon seit langem arbeitslos war, auch für den Zeitraum, in welchem er Notstandsarbeiten verrichtet hat, d. h. vom 23. Juli 1956 bis zum 3. Oktober 1956 und vom 23. Oktober 1956 bis zum 29. Dezember 1956, als arbeitslos anzusehen ist. Wäre das der Fall, so wäre das Jahr der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 1 RVO bereits bei Antragstellung abgelaufen gewesen, so daß dem Kläger der Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld bereits vom 1. Mai an zustände. Wäre dies dagegen nicht der Fall, so hätte das Jahr der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 1 RVO erst mit dem 30. Dezember 1956 zu laufen begonnen und daher erst im Dezember 1957 geendet, so daß der Anspruch erst vom 1. Dezember 1957 an gegeben wäre.

Wie bereits der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 24. Februar 1961 (BSG 14, 53) entschieden hat, ist zur Auslegung des Begriffs der Arbeitslosigkeit, da er weder in § 1248 Abs. 2 RVO noch in sonstigen Vorschriften der RVO näher bestimmt ist, auf das Recht der Arbeitslosenversicherung zurückzugreifen, soweit nicht Besonderheiten des Rechts der Rentenversicherung entgegenstehen. Nach § 87 a Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF, der hier noch anzuwenden ist, war arbeitslos, wer berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig zu sein pflegte, aber vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand. Der Notstandsarbeiter steht aber in einem Beschäftigungsverhältnis, wie bereits der 1. Senat des Bundessozialgerichts in dem o.a. Urteil entschieden hat (BSG 14, 53 mit Nachweisen). Danach war der Kläger während dieses Zeitraums nicht arbeitslos im Sinne des § 87 a AVAVG aF.

Die Zeiten, während welcher der Kläger im Jahre 1956 Notstandsarbeiten von je zehn Wochen Dauer verrichtet hat, gelten auch nicht etwa wegen Geringfügigkeit nach § 87 Abs. 2 i.V. mit § 75 a AVAVG aF ausnahmsweise als Zeiten der Arbeitslosigkeit. Denn als geringfügig in diesem Sinne galt eine Beschäftigung nur dann, wenn sie auf nicht mehr als wöchentlich 24 Stunden nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch Arbeitsvertrag beschränkt ist oder wenn für sie kein höheres Entgelt als 10,– DM wöchentlich oder 45,– DM monatlich vereinbart oder ortsüblich ist. Sowohl zeitlich wie auch der Höhe des Entgelts nach gehen die Notstandsarbeiten des Klägers über diese Grenzen hinaus. Während dieser Notstandsarbeiten hatte der Kläger eine übliche Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich und verdiente durchschnittlich über 90,– DM wöchentlich.

Über diese sich aus dem AVAVG ergebenden Begrenzungen des Begriffs der Arbeitslosigkeit hinaus enthält § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO eine weitere, nur für die Frage der Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes geltende Begrenzung des Begriffes. Danach bleibt eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht, außer Betracht. Wenn dieser Satz auch nicht ausdrücklich auf Satz 1 hinweist, so gilt er doch auch für die Rentengewährung und nicht nur für den Rentenwegfall nach Satz 2. Dies war in § 397 AVG aF, dem Vorbild des § 1248 Abs. 2 RVO, ausdrücklich gesagt, und es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber in § 1248 Abs. 2 RVO davon abweichen wollte; die Interessenlage ist insoweit dieselbe wie in § 397 AVG aF.

Als gelegentliche Aushilfe ist eine Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen, die nach der Natur der Sache zeitlich beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Gelegentliche Aushilfsbeschäftigung hat ihren Grund darin, daß wegen vorübergehenden Ausfalls von Angehörigen der Stammbelegschaft, wegen vorübergehend erhöhten Auftragseingangs, wegen Umorganisation des Betriebs oder aus ähnlichen Gründen vorübergehend ein erhöhter Bedarf an Arbeitskräften auftritt. Wenn auch in § 1248 Abs. 2 RVO keine zeitliche Höchstgrenze genannt ist, so trägt doch dieser Begriff eine zeitliche Begrenzung von Hause aus in sich. Denn wenn die Verrichtung einer Tätigkeit für die Dauer vorgesehen ist, kann man ihr nicht mehr den Charakter einer Aushilfstätigkeit zusprechen; sie hat dann das Gepräge einer Dauertätigkeit. Gelegentliche Aushilfsbeschäftigungen werden im Rahmen des § 1248 Abs. 2 RVO wie Zeiten der Arbeitslosigkeit behandelt, weil aus ihnen, anders als aus Dauertätigkeiten, kein Schluß darauf gezogen werden kann, daß der ältere arbeitslose Versicherte voraussichtlich noch einmal einen Dauerarbeitsplatz – der hier allein von Bedeutung sein kann, da nur er geeignet ist, Grundlage der Lebenshaltung des Versicherten zu sein – finden wird.

Es stellte sich die Frage, ob Notstandsarbeiten wegen ihrer Ähnlichkeit mit gelegentlichen Aushilfsbeschäftigungen wie diese zu behandeln sind. Dagegen könnte sprechen, daß in § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO nur gelegentliche Aushilfen genannt sind, für eine solche Auslegung könnte sprechen, daß Notstandsarbeiten ebenso wie gelegentliche Aushilfsbeschäftigungen – und zwar anders als diese ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Ausdehnung – keinen Aussagewert dafür haben, ob der ältere arbeitslose Versicherte voraussichtlich noch einmal einen Dauerarbeitsplatz finden wird. Der erkennende Senat hat diese Frage offen gelassen, hat aber entschieden, daß die Notstandsarbeit jedenfalls dann, wenn sie nicht für eine längere Zeit vergeben worden ist als für eine gelegentliche Aushilfsbeschäftigung, noch als unschädlich in diesem Sinne anzusehen, wie eine solche zu behandeln ist. Denn abgesehen von dem mangelnden Aussagewert der Notstandsarbeit für die Frage, ob der Versicherte noch einmal einen Dauerarbeitsplatz finden wird, hat die von vornherein nur für begrenzte Zeit vergebene Notstandsarbeit so viele – weitere – Ähnlichkeiten mit der zeitlich begrenzten gelegentlichen Aushilfsbeschäftigung, daß insoweit jedenfalls eine Gleichbehandlung erforderlich ist. Die Notstandsarbeit wird nämlich wie die gelegentliche Aushilfe in der Regel nur für eine von vornherein begrenzte Zeit vergeben; auch erfolgt bei Notstandsarbeiten die Einstellung von Arbeitskräften insofern zusätzlich, als der Unternehmer über den normalen Arbeitskräftebedarf hinaus, wie er sich ohne die finanzielle Förderung durch das Arbeitsamt ergeben würde, vorübergehend Arbeitskräfte eingestellt, solange diese Förderung erfolgt.

Zeitlich gesehen ist eine Beschäftigung oder Tätigkeit dann als gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO anzusehen, wenn sie auf weniger als drei Monate nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Für einen solchen Zeitraum spricht vor allem, daß Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zu § 397 AVG aF, der als Vorbild des § 1248 Abs. 2 RVO anzusehen ist, eine Dreimonatsfrist als unschädlich in diesem Sinne angesehen haben. Diese Frist ist unter Hinzuziehung des § 168 Abs. 1 RVO idF der 1. Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl. I, 41) und des § 1 der früheren V.O. vom 9. Februar 1923 (RGBl. 1, 109)/19. Dezember 1931 (RGBl I, 777) gefunden worden (Urteil des 1. Senats des BSG vom 28. Januar 1959 – SozR SozVers AVG § 397 aF Aa 1 Nr. 1; Koch-Hartmann, AVG 2. Aufl., Anm. 3 e Abs. 1 zu § 397 aF). Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber dem Begriff der gelegentlichen Aushilfstätigkeit in § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO einen anderen Inhalt geben wollte als in § 397 AVG aF; die Interessenlage hat sich nicht geändert. Es ist zwar richtig, daß § 168 Abs. 1 RVO, auf dessen Definition des Begriffs „gelegentliche Aushilfe” sich diese Auslegung des § 397 AVGaF zuletzt stützte, seit dem 1. Januar 1957 nicht mehr für die Rentenversicherung, sondern nur noch für die Krankenversicherung gilt. Es findet sich aber jetzt an keiner Stelle des Rentenversicherungsrechts mehr eine Definition des Begriffs der gelegentlichen Aushilfe, entgegen der Ansicht der Beklagten insbesondere auch nicht in § 1228 Abs. 2 RVO. In dieser Vorschrift sind nur die Begriffe „Nebenbeschäftigung” und „Nebentätigkeit” definiert. Zwar ist gesagt, daß eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die „nur gelegentlich, insbesondere zur Aushilfe für eine Zeitdauer, die im Laufe eines Jahres seit ihrem Beginn auf nicht mehr als zwei Monate oder insgesamt fünfzig Arbeitstage nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch Vertrag beschränkt ist …” eine Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit im Sinne des Abs. 1 Nr. 4 und 5 dieser Vorschrift ist. Daraus kann aber nur geschlossen werden, daß der Gesetzgeber dann, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegt, die einmal bis zu zwei Monaten oder aber bis zu fünfzig Arbeitstagen im Jahr vergeben worden ist, eine gelegentliche Aushilfe als gegeben ansieht. Dagegen kann daraus nichts für die Beantwortung der Frage entnommen werden, ob eine darüber hinausgehende Beschäftigung oder Tätigkeit, etwa eine solche von über zwei bis zu drei Monaten vor dem Gesetzgeber des § 1228 Abs. 2 RVO noch als gelegentliche Aushilfsbeschäftigung angesehen wird oder ob dies nicht der Fall ist. § 1228 RVO enthält also, anders als § 168 Abs. 1 RVO, keine vollständige Definition dieses Begriffs und ist daher ungeeignet, einen Anhaltspunkt für die Frage zu geben, ob auch Tätigkeiten, die über zwei Monate hinausgehen, noch als gelegentliche Aushilfstätigkeiten anzusehen sind. Der Umstand, daß in § 1228 Abs. 2 RVO ebenso wie in § 168 Abs. 1 RVO Fragen der Versicherungsfreiheit geregelt sind, kann allein nicht dazu führen, die in diesen Vorschriften gezogenen Grenzen bei der Auslegung des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO als maßgebend anzusehen; denn die ersteren Vorschriften dienen anderen Zwecken als die letztere. Der Grund dafür, daß bei zeitlich geringfügigen Tätigkeiten Versicherungsfreiheit besteht, ist, das Entstehen von Beitragskonten zu vermeiden, die zur freiwilligen Weiterversicherung nicht berechtigten (Koch – Hartmann aaO Anm. 3 zu § 10 AVG). Dagegen ist der Grund dafür, daß in § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO Aushilfstätigkeiten wie Zeiten der Arbeitslosigkeit behandelt werden, daß sie keinen Aussagewert dafür haben, ob der arbeitslose ältere Versicherte noch einmal einen Dauerarbeitsplatz finden wird. Soweit daher nicht, wie in § 168 Abs. 1 RVO, eine vollständige Definition des Begriffs der gelegentlichen Aushilfe gegeben ist, haben diese die Versicherungsfreiheit regelnden Vorschriften für die Auslegung des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO nur beschränkte Bedeutung, es würde ja auch der Satz 4 des § 1248 Abs. 2 RVO, wenn man die Grenze der Versicherungsfreiheit als maßgebende Grenze auch für diese Vorschrift ansehen würde, überhaupt überflüssig sein. Denn die versicherungsfreien Beschäftigungen und Tätigkeiten sind schon nach Satz 2 und wohl auch nach Satz 1 wie Zeiten der Arbeitslosigkeit zu behandeln. Es bleibt also mangels einer im Recht der Rentenversicherung vorkommenden eigenständigen Definition des Begriffs der gelegentlichen Aushilfe nur übrig, auch heute noch auf die in § 168 Abs. 1 RVO enthaltene Definition dieses Begriffs zurückzugreifen, wenn diese Vorschrift auch nur noch für die Krankenversicherung Bedeutung hat. Immerhin ist es eine in der RVO enthaltene Begriffsbestimmung, so daß es naheliegt, ihr eine Bedeutung in diesem Sinne auch für die anderen Gebiete der RVO zuzusprechen.

Beide vom Kläger in dem letzten Jahr vor der Rentenantragstellung verrichteten Notstandsarbeiten sind von vornherein auf eine Zeit von weniger als drei Monaten vergeben worden, so daß sie danach wie gelegentliche Aushilfsbeschäftigungen im Sinne des Satzes 4 des § 1248 Abs. 2 RVO zu behandeln sind. Für sich allein betrachtet ist also jede dieser Notstandsarbeiten als außer Betracht bleibende Unterbrechung der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 2 RVO anzusehen.

Allerdings mußte der Senat weiter prüfen, ob diese Notstandsarbeiten nicht deshalb anders zu behandeln sind, weil sie im letzten Jahr vor der Antragstellung zweimal ausgeübt worden sind und sie damit ihren Charakter als nur „gelegentliche” Arbeiten verloren haben könnten. Sicherlich kann es nicht auf die Zahl der Wiederholungen alleine ankommen; denn es liegt auf der Hand, daß eine mehrmalige Wiederholung einer nur sehr kurzfristigen Aushilfsbeschäftigung, etwa einer Wochenendbeschäftigung wahrend des letzten Jahres vor der Antragstellung den Charakter dieser Aushilfsbeschäftigungen als nur „gelegentlicher” nicht ändert, während vieles dafür spricht, daß eine mehrmalige Wiederholung etwa einer fast dreimonatigen Aushilfsbeschäftigung während des letzten Jahres vor der Antragstellung den Charakter dieser Beschäftigungen als nur „gelegentlicher” gefährden könnte. Es erscheint aus Gründen der Praktikabilität im Grundsatz richtig, insoweit eine absolute zeitliche Jahreshöchstgrenze anzunehmen. Für die Bestimmung dieser Höchstgrenze bietet sich auch § 1 Abs. 1 der früheren Verordnung vom 9. Februar 1923 (RBGl. I, 109) idF vom 19. Dezember 1931 (RGBl I, 777) an, in welchem eine Dreimonatsgrenze vorgesehen war, oder aber, wofür noch mehr sprechen mag, die Vorschrift des § 1228 Abs. 2 Buchst. a RVO an, in welcher eine Höchstzahl von fünfzig Arbeitstagen im Jahr vorgesehen ist. Wenn auch, wie bereits ausgeführt, nicht auf diese letzte Vorschrift zurückgegriffen werden kann, um den Begriff der gelegentlichen Aushilfe zu bestimmen, so ist es doch bedenkenlos, das in dieser Vorschrift vorgesehene Verhältnis von zwei Monaten (für die einzelne Aushilfstätigkeit) zu fünfzig Arbeitstagen (als Jahreshöchstgrenze aller Tätigkeiten) zur Bestimmung einer solchen Jahreshöchstgrenze für die Anwendung des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO heranzuziehen. Allerdings müßte, da bei Anwendung des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO anstelle der in § 1228 Abs. 2 RVO vorhergesehenen Zweimonatsfrist eine Dreimonatsfrist für die zeitliche Begrenzung der einzelnen Aushilfsbeschäftigungen angenommen wird, für § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO eine absolute zeitliche Jahreshöchstgrenze von 75 Arbeitstagen als zutreffend angesehen werden.

Freilich darf nicht verkannt werden, daß eine absolute zeitliche Höchstgrenze, wenn sie auch in aller Regel zu einem brauchbaren Ergebnis führen wird, doch in besonders gelagerten Fällen einmal ungeeignet sein kann, diese Frage zu beantworten. In solchen Fällen wird es vielmehr angebracht sein, sowohl die vor dem Beginn des letzten Jahres liegenden Umstände als auch die am Ende dieses Jahres sich abzeichnende zukünftige Entwicklung, auf die es bei der Charakterisierung einer Beschäftigung oder Tätigkeit als einer nur „gelegentlichen” in besonderem Maße ankommt, mitzuberücksichtigen. Diese Gesamtbetrachtung führt hier zu dem Ergebnis, daß die zweimaligen Notstandsarbeiten von je zehn Wochen Dauer im Jahre 1956 nicht zur Folge haben, daß diese ihren Charakter als nur „gelegentlicher” Beschäftigungen verloren haben. Wenn auch die Tatsache allein, daß es sich um Notstandsarbeiten handelt, keinen Anlaß geben kann, die Begrenzung durch eine absolute Jahreshöchstgrenze als nicht zutreffend anzusehen, so doch der besondere Umstand, daß die letzte dieser Notstandsarbeiten Ende Dezember 1956 abgelaufen ist. Zu diesem Zeitpunkt stand das Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes dicht bevor. Da dieses Gesetz für Arbeiter – erstmalig – die Gewährung von Altersruhegeld mit Vollendung des 60. Lebensjahres vorsieht, falls gewisse weitere Voraussetzungen erfüllt sind, konnte der Lebensbedarf des Klägers nunmehr durch eine solche Rente gedeckt werden. Es konnte daher schon zu diesem Zeitpunkt angenommen werden, daß das zuständige Arbeitsamt dem Kläger keine weiteren Notstandsarbeiten mehr zuweisen, ihn vielmehr auf diese neue Möglichkeit verweisen würde. Tatsächlich ist dem Kläger dann auch keine Notstandsarbeit mehr zugewiesen worden. Da also Ende des Jahres 1956 mit einer weiteren Wiederholung von Notstandsarbeiten an den Kläger nicht mehr zu rechnen war, stand bei Ablauf der letzten Notstandsarbeit im Dezember 1956 praktisch fest, daß die im Jahre 1956 verrichteten Notstandsarbeiten „gelegentliche” Beschäftigungen bleiben würden. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheit ist der erkennende Senat zu dem Ergebnis gekommen, beide im Jahre 1956 verrichteten Notstandsarbeiten, auch wenn sie je zehn Wochen gedauert haben, ausnahmsweise noch wie gelegentliche Aushilfsbeschäftigungen zu behandeln.

Dem Kläger steht somit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts das vorzeitige Altersruhegeld entsprechend dem Klageantrag zu.

Auf die Revision des Klägers mußten daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Unterschriften

Raack, Bundesrichter Schmidthals ist durch Urlaub verhindert, das Urteil zu unterschreiben. Raack, Dr. Dapprich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI929553

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