Orientierungssatz
Die deutsch-belgische Vereinbarung laut Protokoll vom 1956-08-29 enthält keine "anderweitige Vereinbarung" iS des Schlussprotokolls zum AllgAbk Belgien SozSich vom 1957-12-07 Art 3 Abs 1. Das Protokoll vom 1956-08-29 regelt ausschließlich bestimmte von Belgien gegen die BRD erhobene Zahlungsansprüche. Zwar läßt das Protokoll die Auffassung der vertragschließenden Parteien erkennen, daß Personen, die am 1940-05-10 in den Gebieten Eupen, Malmedy und Moresnet der belgischen Staatsbahngesellschaft SNCB angehörten und in der Folge von 1940 bis 1944 von der deutschen Reichsbahn beschäftigt worden sind, aus den in der genannten Zeit bei der früheren Reichsbahnversicherungsanstalt zurückgelegten Versicherungszeiten Ansprüche nur noch gegen den Pensionsfond der SNCB herleiten könnten; diese Auffassung gehört jedoch nicht zu der in der Vereinbarung getroffenen Regelung.
Normenkette
SozSichAbkSchlProt BEL Art. 3 Abs. 1 Buchst. c
Tenor
Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. November 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Unter den Beteiligten liegt in Streit, ob der Kläger die Wartezeit für die von ihm beanspruchte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt hat. Im einzelnen ist streitig, ob für ihn für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 ein wirksamer "Brückenbeitrag" in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 entrichtet ist und deshalb die bis 1920 zur deutschen Rentenversicherung geleisteten Beiträge auf die Wartezeit angerechnet werden können.
Der am 5. September 1895 geborene Kläger, belgischer Staatsangehöriger, wohnt in seinem Geburtsort L (K) nahe E/Belgien. Dort hat er sich auch während seines Berufslebens überwiegend, darunter auch am 1. Januar 1920, aufgehalten. Sein Wohnort war bis zum Ende des ersten Weltkrieges unter der Bezeichnung M (N) deutsch-belgisches Kondominat. Im Versailler Frieden hat Deutschland die volle Souveränität Belgiens über dieses Gebiet anerkannt. In den Jahren 1940 bis 1944 gehörte L zum vorübergehend in das damalige Deutsche Reich einbezogenen Kreis E.
Für den Kläger sind für eine Beschäftigung in Deutschland bis 4. Juli 1920 350 Wochenbeiträge zur beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) R und 6 Monatsbeiträge zur A Knappschaft entrichtet worden. In der Folge war er seit dem Jahre 1920 bei der belgischen Staatsbahngesellschaft SNCB beschäftigt. Vom 2. September 1940 bis 15. September 1944 arbeitete er für die deutsche Reichsbahn und entrichtete Beiträge zur ehemaligen Reichsbahn-Versicherungsanstalt; im Jahre 1942 wurde er außerdem in Durchführung der Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den Gebieten E, M und M vom 9. Mai 1941 (RGBl I, 271) und eines dazu ergangenen Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 7. Februar 1942 (AN 1942, II 137) nachversichert. Der Kläger erhält in Belgien vom Pensionsfond für die Bediensteten der belgischen Staatsbahn eine Pension, der sowohl die bei der belgischen wie die von 1940 bis 1944 bei der deutschen Eisenbahn verbrachten Dienstzeiten zugrunde gelegt sind.
Seinen mit einem ärztlichen Attest gestützten Antrag vom 27. Januar 1958 auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 1958 ab, weil auf die Wartezeit anrechenbare Beiträge nicht vorhanden seien. Sie war der Meinung, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis 30. November 1948 keine rechtsgültigen Beiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet habe, weil seine deutschen Beschäftigungszeiten nach 1923 bei der Bemessung seiner Pension von der Nationalgesellschaft der belgischen Staatsbahnen berücksichtigt worden seien.
Der gegen den Versagungsbescheid erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 29. März 1966 stattgegeben und die beigeladene Bundesbahn-Versicherungsanstalt verpflichtet, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Januar 1958 zu gewähren. Die Berufung gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 3. November 1967 zurückgewiesen. Es war der Auffassung, für den Kläger sei der erforderliche Brückenbeitrag in den Jahren 1940 bis 1944 entrichtet worden und ihm seien deshalb die vor dem 1. Januar 1924 entrichteten Beiträge auf die Wartezeit anzurechnen. Die bei der Reichsbahnversicherungsanstalt während dieser Zeitspanne zurückgelegten Versicherungszeiten seien als deutsche Beitragszeiten zu berücksichtigen, weil im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) des Schlußprotokolls zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien vom 7. Dezember 1957 "nichts anderes vereinbart" sei. Das deutsch-belgische Protokoll vom 29. August 1956 enthalte keine wirksame anderweitige Vereinbarung im Sinne der genannten Vorschrift, weil es sich hierbei um keinen völkerrechtlichen Vertrag handele, welcher überdies der - vorliegend nicht erteilten - Zustimmung der deutschen gesetzgebenden Körperschaften in der Form des Bundesgesetzes bedürfte.
Mit der zugelassenen Revision bringt die Beigeladene im wesentlichen vor, als anderweitige Vereinbarung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) des Schlußprotokolls zum deutsch-belgischen Abkommen werde deutscherseits das - in einem Protokoll festgehaltene - Ergebnis der deutschbelgischen Ausgleichsverhandlungen vom 29. August 1956 angesehen. Hiernach könnten Ansprüche aus "Reichsbahn-Versicherungszeiten" in den Jahren 1940 bis 1944 wie auch aus Zeiten, für die eine Nachversicherung durchgeführt worden sei, gegen deutsche Versicherungsträger nicht mehr geltend gemacht werden. Es würde gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn Zeiten, die nach einer protokollarischen Vereinbarung durch Zahlung von über 6 Millionen DM in die Versorgungslast der belgischen Staatsbahnen übergegangen seien, nochmals in der deutschen Rentenversicherung berücksichtigt werden müßten. Es sei gerade Zweck des Protokolls gewesen, alle Ansprüche aus der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen an die Reichsbahn-Versicherungsanstalt abzugelten.
Die Beigeladene beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt diesem Antrag bei und schließt sich auch dem übrigen Vorbringen der Beigeladenen an.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die zugelassene Revision der Beigeladenen ist nicht begründet.
Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beurteilt sich unterschiedlich für Zeiten etwaigen Leistungsbezugs vor dem 1. Januar 1959 einerseits und nach dem 31. Dezember 1958 andererseits.
Für eine Leistungszeit ab 1. Januar 1959 gilt folgendes: Nach § 1247 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhält Rente wegen Erwerbsunfähigkeit der Versicherte, der erwerbsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Der Umstand, daß der Kläger belgischer Staatsangehöriger mit dem Wohnsitz in Belgien ist, hindert ihn nicht, einen deutschen Rentenversicherungsträger nach dieser Vorschrift auf Leistungen in Anspruch zu nehmen. (Verordnung Nr. 3 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (EWG-VO Nr. 3), die auch für Leistungsansprüche aus Versicherungsfällen vor ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1959 gilt (Art. 5, 53 Abs. 1 und 3, 56 EWG-VO Nr. 3)). Die EWG-VO findet auf den Kläger Anwendung, weil er im Sinne von deren Art. 4 Abs. 1 als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EWG Arbeitnehmer ist, für den in Ansehung des erhobenen Anspruches aus der gesetzlichen Rentenversicherung die Rechtsvorschriften zumindest eines Mitgliedstaates, der Bundesrepublik Deutschland, gelten oder galten, wie unten im einzelnen noch näher dargelegt ist. Ihn begünstigt daher Art. 8 aaO, nach welchem Personen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates wohnen und auf welche die Verordnung Anwendung findet, die gleichen Pflichten und Rechte aus den die soziale Sicherheit betreffenden Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates wie dessen eigene Staatsangehörige haben. Nach Art. 10 Abs. 1 EWG-VO Nr. 3 darf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erworbene Rente nicht deshalb zum Ruhen gebracht werden, weil der Berechtigte im Hoheitsgebiet eines anderen als dem des Mitgliedstaates wohnt, in dem der verpflichtete Träger seinen Wohnsitz hat.
Die Prüfung, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 1247 RVO erfüllt, ergibt im einzelnen:
Das LSG hat - u. a. unter Bezug auf ein vom Kläger vorgelegtes ärztliches Attest - unangefochten festgestellt, daß der Kläger erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO sei. Zwar ist dem angefochtenen Urteil ausdrücklich nichts darüber zu entnehmen, wann beim Kläger Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Nachdem aber der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit erst nach dem 31. Dezember 1956 eintreten kann (Art. 2 §§ 5 ff des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -; BSG 13, 259, 262), kann weiter als ausreichend festgestellt erachtet werden, daß der Kläger zwischen dem 1. Januar 1957 und dem 1. Januar 1958 - von da ab hat ihm das SG mit Billigung des LSG Versichertenrente zugesprochen - erwerbsunfähig geworden ist.
Die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist nach § 1247 Abs. 3 RVO erfüllt, wenn vor Eintritt des Versicherungsfalles eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Gemäß § 1249 Abs. 1 RVO werden auf die Wartezeit u. a. für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit die ab 1. Januar 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten (§ 1250 RVO) angerechnet. Ist zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 mindestens ein Beitrag für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 entrichtet, so werden auch die vor dem 1. Januar 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet (Satz 2 aaO in der bis zum 31. Juni 1965 geltenden Fassung; Satz 2 Buchst. a) aaO in der ab 1. Juli 1965 geltenden Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1965).
Es bedarf keiner näheren Erörterung, daß der Kläger mit den in den deutschen Rentenversicherungen bis 1920 und von 1940 bis 1944 zurückgelegten Versicherungszeiten diesen Tatbestand des § 1249 RVO erfüllt. Die Beklagte glaubt indessen, daß Bestimmungen des deutschbelgischen Vertragswerkes die Berücksichtigung der nach dem 31. Dezember 1923 zurückgelegten Versicherungszeiten im Rahmen des § 1249 RVO hinderten. Darin kann ihr nicht gefolgt werden.
Es trifft zu, daß auf den vorliegenden Fall Art. 3 Abs. 1 des Schlußprotokolls zum Allgemeinen Abkommen vom 7. Dezember 1957 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über soziale Sicherheit anzuwenden ist. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. e) EWG-VO Nr. 3 sind ungeachtet der Verordnung die Bestimmungen der Abkommen über soziale Sicherheit anwendbar, die im Anhang D zur EWG-VO Nr. 3 aufgeführt sind. In Anhang D, Abschnitt "Belgien - Bundesrepublik Deutschland", ist unter Nr. 4 Art. 3 des Schlußprotokolls angeführt; dieses ist mit dem deutsch-belgischen Abkommen zusammen am 1. Januar 1959 in Kraft getreten, aber auch auf vorher eingetretene Versicherungsfälle anwendbar (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 des Schlußprotokolls, Art. 54 Abs. 3 des Abkommens). Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) des Schlußprotokolls bestimmt zunächst, daß bei Anwendung der Bestimmungen des - von der EWG-VO Nr. 3 abgelösten - Allgemeinen Abkommens Beitragszeiten, welche von Personen, die am 1. Januar 1920 ihren Wohnsitz in Neutral-Moresnet hatten, vor diesem Zeitpunkt in einer deutschen Rentenversicherung zurückgelegt worden sind, als deutsche Beitragszeiten gelten. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß die vom Kläger vor dem 1. Januar 1920 bei der Beklagten und bei der Aachener Knappschaft zurückgelegten Versicherungszeiten ihren Charakter als deutsche, von der Beigeladenen nach §§ 1249, 1250 RVO zu berücksichtigende Versicherungszeiten auch nach Inkrafttreten des deutsch-belgischen Vertragswerkes nicht geändert haben; diese Zeiten stehen überdies gemäß Art. 3 Abs. 2 des Schlußprotokolls Beitragszeiten gleich, die im Bundesgebiet zurückgelegt sind.
Dasselbe gilt nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Satz 1 des Schlußprotokolls bezüglich der zwischen dem 1. Januar 1941 bzw. dem 1. Juli 1940 und dem 30. September 1944 in einer deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten für Personen mit dem Wohnsitz in den Kreisen Eupen, Malmedy und St. Vith, "soweit nicht etwas anderes bestimmt ist". Die Beigeladene und die Beklagte glauben, daß dies durch die deutsch-belgische Vereinbarung vom 29. August 1956, die in dem Protokoll vom gleichen Tage festgehalten ist, geschehen sei. Das ist jedoch nicht der Fall.
Bei der Prüfung, was unter einer solchen "anderweitigen Vereinbarung" zu verstehen ist, ist davon auszugehen, daß Art. 3 Abs. 1 des Schlußprotokolls nach seinem evidenten Gesamtinhalt allein die Frage regelt, ob trotz wiederholter Veränderungen in der staatlichen Zugehörigkeit der Gebiete E, M und St. V einschließlich des früheren M die von den dortigen Einwohnern in einer deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten weiterhin als solche oder etwa - nachdem die genannten Gebiete und ihre Einwohner endgültig belgisch geworden sind - als belgische Versicherungszeiten (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) des Schlußprotokolls) zu behandeln sind. Art. 3 Abs. 1 des Schlußprotokolls bestimmt hiernach allein die endgültige Zuordnung der in diesen Gebieten zurückgelegten Versicherungszeiten zur Rentenversicherung eines der beiden Vertragsstaaten (vgl. dazu die Denkschrift zum Abkommen, zu den Zusatzvereinbarungen, zum Schlußprotokoll und zum Zusatzprotokoll unter Nr. 1/2, BT-Drucks. IV 870 S. 51). Daß das Schlußprotokoll beabsichtigt oder auch nur in Kauf genommen hätte, die Bewohner der Gebiete E, M, St. V und Moresnet durch eine "anderweitige Regelung" nach Eintritt des Versicherungsfalles der Ansprüche aus ursprünglich deutschen Versicherungszeiten - beim Kläger kämen die bis 4. Juli 1920 zurückgelegten Beitragszeiten in Betracht - ersatzlos verlustig gehen zu lassen, kann dagegen ohne Bedenken verneint werden.
Eine vom Regelfall des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c abweichende Zuordnung der zwischen dem 1. Juli 1940 und dem 30. September 1944 von Personen u. a. mit dem Wohnsitz im Kreis Eupen in einer deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Versicherungszeiten trifft das deutsch-belgische Protokoll vom 29. August 1956 nicht. Diese Vereinbarung regelt vielmehr eine Reihe verschiedener, gegen die Bundesrepublik Deutschland erhobener "belgischer Forderungen" auf Zahlung bestimmter Geldsummen. Zu diesen belgischen Geldforderungen gehört nach Nr. 2 a) des Protokolls der Anspruch der belgischen Staatsbahn-Gesellschaft SNCB - richtig wohl: ihres Pensionsfonds - gegen die Bundesrepublik Deutschland "bezüglich der Bewertung des Zeitraumes von 1940 bis 1945 bei der Berechnung der Alters- und Hinterbliebenenrente der in Punkt 1) genannten Personen". Punkt 1) der Vereinbarung nennt die Personen, "die am 10. Mai 1940 in den von der damaligen deutschen Regierung zu Unrecht annektierten Gebieten von E, M und M der SNCB angehörten und nach diesem Zeitpunkt von der Reichsbahn beschäftigt worden sind". Zu den belgischen Forderungen zählen nach Nr. 2 b) des Protokolls vom 29. August 1956 ferner "alle etwaigen sonstigen Ansprüche aus der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen an die Reichsbahn-Versicherungsanstalt durch die in Punkt 1) genannten Personen". Zu diesem Personenkreis gehört zwar der Kläger. Indessen handelt es sich bei den zitierten Formulierungen im Protokoll vom 29. August 1956 allein um die Motivierung, um die Anführung des Rechtsgrundes der von belgischer Seite gegen die Bundesrepublik erhobenen Geldforderungen. Mit den im Protokoll festgehaltenen Formulierungen ist dagegen keine Regelung dahin getroffen, daß die im genannten Zeitraum von dem umrissenen Personenkreis bei der Reichbahn-Versicherungsanstalt zurückgelegten Beitragszeiten bei Anwendung des Allgemeinen deutsch-belgischen Abkommens als belgische Versicherungszeiten zu gelten hätten. Eine solche Annahme verbietet sich schon deshalb, weil die "Bewertung des Zeitraumes von 1940 bis 1945 bei der Berechnung der Alters- und Hinterbliebenenrenten der in Punkt 1) genannten Personen" durch den Pensionsfonds der SNCB allein ein von diesem tatsächlich geübtes Verfahren beschreibt. Allenfalls läßt das Protokoll vom 29. August 1956 in diesen Formulierungen erkennen, daß die am Abschluß der Vereinbarung Beteiligten der Auffassung waren, das vom Pensionsfond der SNCB praktizierte Verfahren der Berücksichtigung ursprünglich deutscher Beitragszeiten werde die Geltendmachung weiterer Ansprüche aus diesen Versicherungszeiten gegen einen deutschen Versicherungsträger ausschließen. Einer bloßen Rechtsauffassung kann aber kein verbindlicher Charakter beigemessen werden, da sie nicht Inhalt der Vereinbarung geworden ist.
Auch die Art, wie die Vereinbarung vom 29. August 1956 im Protokoll vom gleichen Tage schriftlich niedergelegt ist, spricht entschieden dagegen, daß es sich hierbei um eine zwischenstaatliche Abmachung über wesentliche, beide Vertragsstaaten betreffende Fragen auf dem Gebiet der sozialen Sicherung handeln könnte. Die sehr knappen, sprachlich wenig prägnanten, eher flüchtig und skizzenhaft wirkenden Formulierungen des Protokolls mögen genügen, um die Motive bestimmter Geldforderungen anzudeuten; als angemessener schriftlicher Ausdruck eines internationalen Vertrages zur Regelung sozialversicherungsrechtlicher Probleme lassen sie sich nicht ansehen. In die gleiche Richtung weist der weitere Umstand, daß das Protokoll vom 29. August 1956 weder anläßlich der Verkündung des Zustimmungsgesetzes zum Allgemeinen deutsch-belgischen Abkommen über Sozialversicherung nebst Schlußprotokoll am 29. Mai 1963 (BGBl II S. 404) mit dem gesamten Vertragswerk noch zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht worden ist. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, wenn es sich um eine vertragliche Regelung gehandelt hätte, die vom Schlußprotokoll zum Allgemeinen Abkommen ausdrücklich in Bezug genommen wird.
Stellt aber nach allem die deutsch-belgische Vereinbarung laut Protokoll vom 29. August 1956 keine "anderweitige Regelung" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Schlußprotokolls zum Allgemeinen Abkommen dar, so ist nicht zu prüfen, ob sie den Anforderungen entspräche, die das Grundgesetz an die innerstaatliche Wirksamkeit einer zwischenstaatlichen Vereinbarung stellt. Ungeprüft kann auch bleiben, ob die streitigen, zur Reichsbahn-Versicherungsanstalt zurückgelegten Versicherungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit für eine deutsche Versichertenrente gemäß Art. 27 Abs. 1 i. V. m. Art. 26 Abs. 1 EWG-VO Nr. 3 - diese Bestimmungen haben die entsprechenden Vorschriften des Allgemeinen deutschbelgischen Abkommens (Art. 28 Abs. 1, Art. 22 Abs. 2) abgelöst - nicht auch dann mit den weiteren deutschen Versicherungszeiten zusammengerechnet werden könnten, wenn das Protokoll vom 29. August 1956 eine anderweitige Vereinbarung in dem von der Beklagten und der Beigeladenen behaupteten Sinn enthielte, oder ob dem etwa die Besonderheiten des für die Bediensteten der belgischen Staatsbahn geltenden Rechts der sozialen Sicherung gegen Invalidität, Alter und Tod entgegenstünden.
Mangels einer anderweitigen Vereinbarung gelten die vom Kläger zwischen dem 1. Juli 1940 und dem 30. September 1944 in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten als deutsche Versicherungszeiten. Zusammen mit ihnen sind gemäß § 1249 RVO auch die bis 1920 in der deutschen Rentenversicherung verbrachten Zeiten auf die Wartezeit anrechenbar. Der Kläger hat demnach die Wartezeit nach § 1247 Abs. 3 RVO erfüllt und kann, nachdem er auch erwerbsunfähig ist, von der Beigeladenen die begehrte Versichertenrente beanspruchen.
Für Zeiten vor dem 1. Januar 1959 beurteilt sich die Rechtslage wie folgt:
Der Kläger kann die beteiligten Versicherungsträger aus § 1247 RVO grundsätzlich dann in Anspruch nehmen, wenn er allein schon nach den innerstaatlichen deutschen Rechtsvorschriften einen Leistungsanspruch hat. Dies folgt aus der 3. Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen deutsch-belgischen Abkommen über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens vom 7. Dezember 1957. Diese Zusatzvereinbarung ist gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. e) EWG-VO Nr. 3 und gemäß dessen Anhang D, Abschnitt "Belgien-Bundesrepublik Deutschland", Nr. 3 von den supranationalen Rechtsvorschriften nicht beeinträchtigt und daher weiterhin anwendbares Recht. Art. 1 der 3. Zusatzvereinbarung bestimmt, daß dann, wenn für einen Angehörigen eines der Vertragsstaaten, der dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ein Rentenanspruch bereits nach innerstaatlichem Recht gegeben ist (vgl. auch Art. 2 der 3. Zusatzvereinbarung), gewisse Vorschriften des Allgemeinen Abkommens bereits mit Wirkung ab 1. Oktober 1944 gelten. Zu ihnen gehört Art. 4 Abs. 1 des Abkommens, der bestimmt, daß die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, die die Entstehung von Ansprüchen oder die Gewährung von Leistungen oder Leistungsteilen vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt abhängig machen, auf Personen, die im anderen Staat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, keine Anwendung finden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Letzteres ist durch Art. 43 des Allgemeinen deutsch-belgischen Abkommens, der ebenfalls in Art. 1 der 3. Zusatzvereinbarung genannt ist, geschehen: Danach berührt Art. 4 Abs. 1 des Abkommens nicht die deutschen Rechtsvorschriften, nach denen Ansprüche auf Leistungen aus Beitragszeiten und gleichgestellten Zeiten, die u. a. bei stillgelegten Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, nur den Personen zustehen, die sich ständig im Gebiet der Bundesrepublik aufhalten. Damit erklärt das Abkommen § 1 Abs. 1 und 2 des bis 31. Dezember 1958 in Kraft gewesenen Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 (vgl. Art. 1 - Einführungssatz -, Art. 7 § 3 Abs. 1 Satz 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG -) für weiterhin anwendbar. Nach dieser Bestimmung haben Personen, die u. a. in einer gesetzlichen Rentenversicherung bei einem stillgelegten deutschen Versicherungsträger versichert waren, einen Leistungsanspruch gegen den zuständigen Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin nur, wenn sie sich in den genannten Gebieten aufhalten. Für den vorliegenden Fall bedarf es jedoch keiner Entscheidung, ob die Reichsbahn-Versicherungsanstalt, zu der der Kläger in den Jahren 1940 bis 1944 die umstrittenen Beiträge entrichtet hat, als stillgelegter deutscher Versicherungsträger angesehen werden muß (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 FAG; Hoernigk/Jahn/Wickenhagen, Kommentar zum FAG, 2. Aufl. 1956, Anm. 12 bei § 1 Abs. 2 S. 49; RVO-Gesamtkommentar, Anm. 2 zu § 1360). Nach Art. 3 Abs. 2 des Schlußprotokolls zum Allgemeinen deutsch-belgischen Abkommen, welches in Art. 1 der 3. Zusatzvereinbarung gleichfalls als ab 1. Oktober 1944 geltend angeführt ist, stehen die Beitragszeiten, die nach Abs. 1 Buchst. b) und c) als deutsche Beitragszeiten gelten, bei Anwendung u. a. des Allgemeinen Abkommens den Beitragszeiten gleich, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, also bei einem dort bestehenden Versicherungsträger (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 a FAG), zurückgelegt worden sind.
Kann aber der Kläger seinen Anspruch auch für Leistungszeiten vor dem 1. Januar 1959 ungeachtet seiner belgischen Staatsangehörigkeit und seines Wohnsitzes in Belgien uneingeschränkt auf die §§ 1247, 1249 RVO stützen, so gilt im übrigen, was bei der Prüfung dieser gesetzlichen Tatbestände bereits oben entwickelt und dargelegt worden ist. Auch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1958 beansprucht der Kläger demnach zu Recht von der Beigeladenen Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, weil allein schon nach den innerstaatlichen Vorschriften der Bundesrepublik die Wartezeit für den erhobenen Anspruch erfüllt ist.
Im Ergebnis war daher das angefochtene Urteil des LSG nicht zu beanstanden und mithin die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen