Entscheidungsstichwort (Thema)
Überweisung an zuständige Berufsgenossenschaft. Unternehmerwechsel. Änderung der Unternehmensstruktur
Orientierungssatz
1. Bei einem Unternehmerwechsel ist nur eine Umschreibung des Unternehmens auf den neuen Unternehmer erforderlich, die Zuständigkeit der BG wird dadurch grundsätzlich nicht berührt.
2. Unter einer Änderung der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft iS von § 667 Abs 1 S 1 RVO können nur grundlegende Änderungen in der Unternehmensstruktur verstanden werden (vgl BSG 1979-12-18 2 RU 67/77 = BSGE 49, 222).
Normenkette
RVO § 664 Abs 3 Fassung: 1963-04-30, § 665 Fassung: 1963-04-30, § 666 Fassung: 1963-04-30, § 667 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.09.1980; Aktenzeichen L 3 U 148/79) |
SG Mainz (Entscheidung vom 02.08.1979; Aktenzeichen S 3 U 48/77) |
Tatbestand
Die klagende Berufsgenossenschaft (BG) erstrebt im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten die Überweisung des Unternehmens der Beigeladenen.
Gegenstand des Unternehmens, dessen Inhaber seit etwa 1928 in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten aufgenommen waren und dessen Verselbständigung im Jahre 1954 erfolgte, war bis zur Übernahme durch die Beigeladene im Jahre 1975 eine sogenannte Entenfarm mit Entenzucht, Entenmästerei und Entenschlachterei. Die Beigeladene errichtete eine eigene Kraftfutter- sowie eine Bettfedernfabrik. Die tiefgefrorenen Enten werden in betriebseigenen Kühlwagen vermarktet; die Entenfüße werden als Delikatesse exportiert. Auf der Farm leben rund 15.000 Zuchtenten. Wöchentlich schlüpfen etwa 35.000 Küken, welche nach acht Wochen geschlachtet werden. In dem Kraftfutterwerk - für das die Grundstoffe im Handel angekauft werden - wird der gesamte Futterbedarf der Entenfarm hergestellt; der Verkauf von darüber hinaus erzeugtem Kraftfutter ergibt einen höheren Umsatz als den aus der Entenproduktion.
Von den annähernd einhundert beschäftigten Personen arbeitet rund die Hälfte in der Schlachterei; etwa 30 sind in der Entenfarm, zehn zusammen im Kraftfutterwerk und im Fuhrpark sowie fünf in der Bettfedernfabrik beschäftigt.
Weil nach ihrer Meinung die Schlachterei das Hauptunternehmen sei und auf ihm auch der wirtschaftliche Schwerpunkt liege, bat die Klägerin um die Überweisung des Gesamtunternehmens mit Wirkung vom 1. Januar 1977. Dies lehnte die Beklagte insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 2. Juni 1889 (AN 1889 S 321 Nr 712) sowie wegen des bestehenden Katasterschutzes ab.
Das Sozialgericht (SG) hat aufgrund des Hilfsantrages der Klägerin festgestellt, daß die Klägerin der für die Beigeladene zuständige Träger der Unfallversicherung ist (Urteil vom 2. August 1979). Die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten sei zu Unrecht erfolgt. Nach dem Erwerb der Grundstücke aus der Konkursmasse der Firma "B. E." im Jahre 1975 hätte das neue Unternehmen nicht mehr als Unternehmen der Landwirtschaft angesehen werden dürfen, da die Tierhaltung nur Betriebsteil eines ansonsten gewerblichen Unternehmens gewesen sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. September 1980). Die Entenmästerei und -schlachterei sei zwar wegen fehlender Bodenbewirtschaftung kein landwirtschaftliches Unternehmen, es müsse jedoch wegen der Entscheidung des RVA aa0, die Gesetzeskraft habe, als solches angesehen werden. Die Schlachterei sei lediglich ein Bestandteil des Aufzucht- und Mastbetriebes. Der Betrieb sei auch nicht so aufgebaut, daß eine organisatorische Eingliederung in die Kraftfutterfabrik angenommen werden könne. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Nach ihrer Meinung handelt es sich bei dem Unternehmen der Beigeladenen um einen industriell und gewerblich aufgezogenen Betrieb zur Herstellung von verbrauchsfähigem Entenfleisch. Der Entscheidung des RVA aa0 könne nach Einführung des Prinzips der Gewaltenteilung und nach der seitdem erfolgten Veränderung der Struktur des Unfallrechts keine derart gewichtige Bedeutung mehr beigemessen werden. Das Gesamtunternehmen werde von der Geflügelschlachterei geprägt, für welche sie der zuständige Versicherungsträger sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 1980 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 2. August 1979 zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Meinung gilt das Unternehmen der Beigeladenen als landwirtschaftlicher Betrieb, weil die Schlachterei kein Hauptunternehmen darstelle, in welches die anderen Betriebsteile organisatorisch eingegliedert seien. Die zunehmende Rationalisierung und Technisierung auch in der Landwirtschaft verändere nicht das landwirtschaftliche Gepräge der betreffenden Unternehmen. Der Grundsatz der Katasterruhe gebiete ebenfalls die Zurückweisung des Antrages der Beklagten auf Überweisung des Betriebes der Beigeladenen, da grundlegende Veränderungen nicht eingetreten seien.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Überweisung des Unternehmens der Beigeladenen.
Das LSG ist in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, daß das Unternehmen der Beigeladenen als landwirtschaftliches Unternehmen angesehen werden muß, weil die - mit Gesetzeskraft ausgestattete - Entscheidung des RVA vom 2. Juni 1889 aa0 im vorliegenden Fall eingreift. Nach ihr gelten sog Viehhaltungsbetriebe, in welchen Vieh ohne gleichzeitige Bodenbewirtschaftung ua zum Zwecke der Aufzucht oder der Mast gehalten wird, als landwirtschaftliche Betriebe, soweit nicht die Einfügung in ein gewerbliches Unternehmen gegeben ist. Das LSG hat die weitere Gültigkeit dieser Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht -BSG- (SozR Nr 7 zu § 776 RVO) angenommen. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken der Revision übersehen, daß vorkonstitutionelles Recht und frühere Gesetzgebungskompetenzen unangetastet geblieben sind, soweit dieses Recht dem Grundgesetz (GG) nicht widerspricht (Art 122, 123 GG). Von der Verfassungswidrigkeit der Entscheidung des RVA geht indes auch die Revision nicht aus (weitere entsprechende Entscheidungen des RVA sind aufgeführt in BSG SozR Nr 3 zu § 235 RVO und Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, herausgegeben von den Mitgliedern des RVA, 2. Aufl, Band III 1930, § 915 Anm 6; s auch BSGE 14, 78, 81). Die Revision meint ferner, die Anwendung der vom RVA aa0 festgelegten Grundsätze führe hier zu dem gegenteiligen Ergebnis, weil die Viehhaltung der Beigeladenen in den Schlachtereibetrieb eingegliedert sei und demzufolge nicht als landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne dieser Entscheidung gelte. Abgesehen davon, daß das RVA das Schlachten von Vieh als Abschluß der auf Gewinnung des Fleisches gerichteten Viehhaltung stets dem landwirtschaftlichen Betrieb zugerechnet hat (zB EuM 42, 24), erfordert der geltend gemachte Anspruch nicht die Feststellung, daß das Unternehmen der Beigeladenen als landwirtschaftlicher Betrieb angesehen werden muß. Die Revision übersieht den hier entscheidenden Gesichtspunkt, daß es nicht um die erstmalige Zuordnung des Unternehmens der Beigeladenen zu einer BG, sondern vielmehr um die Überweisung eines seit langem bei der Beklagten eingetragenen Unternehmens geht, für welche Regelungen gelten, welche von den von der Klägerin allein ins Auge gefaßten wesentlich abweichen.
Bereits das SG ist in seinem Urteil zutreffend davon ausgegangen, daß das Verlangen der Klägerin nur entweder auf § 664 Abs 3 RVO oder auf § 667 Abs 1 Satz 1 RVO gestützt werden kann. § 664 Abs 3 RVO ermöglicht die Berichtigung einer Eintragung im Unternehmerverzeichnis, welche von Anfang an unrichtig war. Demgegenüber schreibt § 667 Abs 1 Satz 1 RVO die Überweisung eines Unternehmens vor, wenn sich die Zuständigkeit nachträglich geändert hat, wenn also nach der wirksamen Eintragung Umstände eingetreten sind, welche eine neue Zuständigkeit begründen (vgl die ausführlichen Darlegungen des Senats BSGE 38, 187 ff mwN). Der Senat vermag dem SG allerdings nicht zu folgen, daß hier § 664 Abs 3 RVO angewendet werden müsse, weil durch die Übernahme des Unternehmens von seiten der Beigeladenen im Konkursverfahren ein neuer Betrieb entstanden sei, so daß im Jahre 1975 praktisch eine Neueintragung erfolgte, deren Berichtigung Gegenstand des vorliegenden Streits sei. Das SG ist in erster Linie zu dieser Rechtsauffassung gelangt, weil die als wesentlich angesehene Personengleichheit der Betriebsinhaber nach der Übernahme durch die Beigeladene im Konkursverfahren nicht gegeben war. Diese Rechtsauffassung beruht indes auf einem Mißverständnis. In den von dem SG herangezogenen Entscheidungen war die Inhaberidentität ausschließlich für Haupt- und Nebenunternehmen, nicht dagegen für den Nachfolger des Betriebsinhabers - hier kann sie naturgemäß gar nicht gegeben sein - gefordert worden (vgl BSGE 17, 22, 24; BSG SozR Nr 3 zu § 235 RVO; SozR 2200 § 776 Nr 1). Das Gesetz geht beim Inhaberwechsel dagegen nicht von einem Neubeginn des Unternehmens aus. Vielmehr hat es für diesen Fall lediglich eine Anzeigeverpflichtung des Unternehmens festgelegt und die Verpflichtung zur Beitragszahlung für das Geschäftsjahr, in dem der Wechsel angezeigt wird, geregelt (§ 665 RVO). Dagegen berührt der Inhaberwechsel weder das Bestehen noch den Umfang der Unfallversicherung, weil die Unfallversicherung auf das Unternehmen und die darin tätigen gegen Arbeitsunfall Versicherten bezogen ist (§§ 643, 776 Abs 1 RVO), nicht dagegen auf den Unternehmer. Die Zuständigkeit der BG richtet sich nicht nach den Unternehmern, sondern nach "Art und Gegenstand der Unternehmen" (s § 646 Abs 2 RVO). Somit vermag auch der Wechsel des Unternehmens die Zuständigkeit der BG grundsätzlich nicht zu berühren (s die Ausnahme zB in § 653 Abs 1 Nr 1 RVO). Die RVO unterscheidet auch weiterhin (s schon §§ 664, 665 aF) zwischen der Anzeige im Wechsel der Person des Unternehmers (s § 665 RVO) und den Änderungen in einem Unternehmen, die für die Zugehörigkeit zu einer BG wichtig sind (s § 666 RVO). Deshalb sind auch nach § 667 RVO die Änderungen "für ein Unternehmen" maßgebend. Bei einem Unternehmerwechsel ist nur eine Umschreibung des Unternehmens auf den neuen Unternehmer erforderlich (RVA-Mitgliederkommentar aaO § 664 Anm 4). Ein Unternehmerwechsel wurde stets nicht als Löschung eines Betriebes und Neuaufnahme bei der zuständigen BG betrachtet (RVA-Mitgliederkommentar aaO).
Für das Unternehmen der Beigeladenen hatte die Beklagte schon seit langem - das LSG hat den Zeitpunkt der Eintragung in das Unternehmerverzeichnis nach der Verselbständigung der Entenfarm "mindestens" seit dem Jahre 1928 festgestellt - ihre Zuständigkeit anerkannt, Beitragsveranlagungen vorgenommen und Versicherungsschutz gewährt. Die Eintragung des Betriebes der Beigeladenen ist wirksam geworden, ohne daß für den Zeitpunkt der Eintragung Anzeichen für deren offenbare Unrichtigkeit von dem LSG festgestellt sind (vgl hierzu auch BSGE 49, 222; BSG SozR 2200 § 653 Nr 4; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 513 mwN). Demzufolge kommt eine Überweisung an die Klägerin nur unter den in § 667 Abs 1 Satz 1 RVO festgelegten Voraussetzungen in Betracht. Danach ist eine nachträgliche Änderung der Zuständigkeit der BG Voraussetzung für die von der Klägerin erstrebte Überweisung des Unternehmens der Beigeladenen. Darunter können nur grundlegende Änderungen in der Unternehmensstruktur verstanden werden, die für die Zuständigkeitsfrage wesentlich sind (BSGE 49, 222, 226; LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1978, 330, 335; Brackmann aa0 S 515 f mwN; Sonnabend, ZfS 1972, 5). Derartige Veränderungen sind nicht festgestellt.
Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, daß Gegenstand des Unternehmens der Entenfarm von Anfang die Aufzucht, Mästung und das Schlachten von Enten gewesen ist. Dies wird auch von der Revision ausdrücklich anerkannt (Revisionsschrift vom 29. September 1980, Seiten 14/15). Abgesehen von der vermutlich erreichten Produktionssteigerung sowie der damit zusammenhängenden Erweiterung und Automatisation (vgl hierzu SG Düsseldorf, Breithaupt 1958, 36) des Betriebes sind andere Veränderungen insoweit nicht eingetreten. Insbesondere ist die Schlachterei nach wie vor auf das Schlachten der im Unternehmen selbst aufgezogenen Tiere beschränkt (RVA EuM 42, 24, 25; s auch AN 1897 S 517 Nr 1668 und 1912 S 812 Nr 2543). Der Senat kann dahinstehen lassen, ob sich die Struktur des Betriebes durch die Errichtung eines Kraftfutterwerkes sowie einer Bettfedernfabrik durch die Beigeladene rechtlich bedeutsam geändert haben kann. Mit Recht weist das LSG darauf hin, daß diese Erweiterung des Gesamtunternehmens jedenfalls nicht zu einer Zuständigkeitsverlagerung auf die Klägerin geführt haben kann. Für das Vorhandensein einer Geflügelschlachterei und -mästerei (§ 3 Abs 1 Nr 26 der Satzung der Klägerin) ist weder die Herkunft der Futtermittel noch die Verwertung von Geflügelfedern charakteristisch.
Da die Unternehmensstruktur des Betriebes der Beigeladenen seit der Eintragung ins Kataster der Beklagten keine Veränderung erfahren hat, welche die Zuständigkeit der Klägerin hätte begründen können, liegen die Voraussetzungen für die begehrte Überweisung nach § 667 Abs 1 Satz 1 RV0 nicht vor. Der Senat brauchte folglich nicht zu prüfen, ob das Gesamtunternehmen als landwirtschaftliches Unternehmen gilt. Die Darlegungen des LSG und die von ihm getroffene abschließende Wertung zu dieser Frage schließen jedoch - ihre Richtigkeit unterstellt - ebenfalls und in jedem Falle die Überweisung an die Klägerin aus.
Sowohl der Hauptantrag als auch der Feststellungsantrag der Klägerin konnten keinen Erfolg haben. Der Senat brauchte daher nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Feststellungsklage überhaupt hilfsweise zur Leistungsklage zulässig ist und ob im vorliegenden Fall die begehrte Feststellung hätte getroffen werden können, obwohl die Zuständigkeit der Klägerin erst als Folge rechtsgestaltenden Tätigwerdens der Beklagten oder der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hätte eintreten können. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen