Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3. Auszubildender für den Beruf des Kraftfahrzeug-Mechanikers
Orientierungssatz
1. Sieht der Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kfz-Mechaniker nicht vor, daß Auszubildende auch im Führen von Kraftfahrzeugen zu unterweisen sind oder entsprechende Kenntnisse für die Gesellenprüfung nachzuweisen hätten und hat das Ausbildungsunternehmen vom Auszubildenden nicht den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 und den dazu erforderlichen Besuch der Fahrschule verlangt, dann fehlt es an dem für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsverhältnis und dem Besuch einer Fahrschule.
2. Bei der Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 handelt es sich nicht um eine berufliche Aus- und Fortbildung, weil diese Fahrerlaubnis in der Regel wesentlich allein für private Zwecke erworben und dann ggf auch nur gelegentlich für berufliche Zwecke genutzt wird (vgl BSG 9.12.1976 - 2 RU 5/76 = BSGE 43, 60, 63).
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1, § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c, § 550 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 21.08.1986; Aktenzeichen L 6 U 144/86) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 16.04.1986; Aktenzeichen S 7a U 39/85) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten wegen der Folgen eines am 10. Juni 1978 erlittenen Unfalls Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger war zur Zeit des Unfalls Auszubildender für den Beruf eines Kraftfahrzeug-(Kfz)Mechanikers im Betrieb der Firma Auto- K. Außerhalb der täglichen Ausbildungszeit besuchte er eine Fahrschule zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Personenkraftwagen). Er besaß bereits eine Fahrerlaubnis der Klasse 4 (Kleinkrafträder). Am Unfalltag befand er sich mit seinem Moped auf dem Rückweg vom Fahrunterricht in der Fahrschule nach Hause. Dabei stieß er beim Abbiegen mit einem Personenkraftwagen zusammen und wurde schwer verletzt (Verlust des linken Beines im Oberschenkel). Den erst im Jahre 1984 geltend gemachten Entschädigungsanspruch lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. Januar 1985 ab. Der Erwerb eines Führerscheines habe nicht zu der gemäß § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz stehenden beruflichen Ausbildung eines Kfz-Mechanikers gehört, auch wenn diese Maßnahme im Interesse des Verletzten liege und der betrieblichen Tätigkeit zugute komme.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat das Entschädigungsbegehren abgewiesen (Urteil vom 16. April 1986). Da heute jedermann Wert auf den Erwerb des Führerscheines der Klasse 3 lege, seien private Interessen die im Sinne der Unfallversicherung wesentliche Ursache für den Erwerb des Führerscheines. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zurückgewiesen (Urteil vom 21. August 1986). Der Kläger sei zur Zeit des Unfalls nicht gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unfallversicherungsrechtlich geschützt gewesen. Denn der Besuch der Fahrschule habe nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem Ausbildungsverhältnis als Kfz-Mechaniker gestanden. Das Ausbildungsunternehmen habe den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 vom Kläger nicht verlangt und ihm auch nicht nahegelegt. Es habe auch kein Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO bestanden. Diese Vorschrift begründe zwar einen erweiterten Versicherungsschutz für Fälle, in denen sich Versicherte neben ihrem Beruf oder nach ihrer Ausbildung zu einem bestimmten Beruf aus- oder weiterbilden. Der Versicherungsschutz finde jedoch dort seine Grenze, wo die aufgrund eigener Initiative begonnene zusätzliche Aus- oder Fortbildung nicht mehr wesentlich als berufsbezogen gewertet werden könne. Für einen Auszubildenden des Kfz-Mechaniker-Handwerks sei die Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 nicht erforderlich. Allein die Möglichkeit, daß sich die beruflichen Chancen des Klägers künftig, dh nach Ablegung der Gesellenprüfung durch den Besitz dieser Fahrerlaubnis erhöhen könnten, reiche nicht aus, den Besuch der Fahrschule als wesentlich betriebsbezogen anzusehen. Es fehle der konkrete unmittelbare Bezug zu dem im Unfallzeitpunkt noch nicht erreichten Ausbildungsberuf, zumal da die Fahrerlaubnis für Personenkraftwagen - was offenkundig sei - in der Regel zu privaten Zwecken erworben werde.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe sich in den Urteilsgründen allein mit der rechtlichen Definition des Begriffes "Ausbildung" auseinandergesetzt, ohne jedoch, was erforderlich gewesen wäre, den Begriff der "Fortbildung" einer rechtlichen Würdigung im Zusammenhang mit dem streitigen Anspruch zu unterziehen. "Ausbildung" sei stets nur die erste zu einem Abschluß führende berufliche Bildungsmaßnahme. Alle Schritte zur weiteren beruflichen Bildung seien - wie hier das Wollen zum Erwerb des Führerscheines - Maßnahmen beruflicher "Fortbildung". Die "Fortbildung" ziele auf den Erwerb zusätzlicher beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten, um die persönliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Es komme daher nicht darauf an, ob der Führerschein für den Beruf des Kfz-Mechanikers benötigt werde. Unstreitig sei aber ein Kfz- Mechaniker mit entsprechendem Führerschein beruflich mobiler. Es könne nämlich Betriebe geben, die, anders als der Ausbildungsbetrieb des Klägers, wegen der Notwendigkeit von Probefahrten auf den Besitz eines Führerscheines Wert legten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. August 1986 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. April 1986 sowie des Bescheides vom 25. Januar 1985 die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 10. Juni 1978 ab 1. Januar 1980 Verletztenrente in Höhe von 70 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß für den Kläger weder nach § 539 Abs 1 Nr 1 noch nach Nr 14 Buchst c RVO Versicherungsschutz bestanden habe. Zwischen dem Besuch der Fahrschule und dem Ausbildungsverhältnis habe kein wesentlicher innerer Zusammenhang bestanden. Für den Erwerb des Führerscheines seien im wesentlichen private Interessen maßgebend gewesen. Für die Annahme einer nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO versicherten Fortbildung sei Voraussetzung, daß bereits ein Beruf ausgeübt werde, der fortbildungsfähig sei. Das sei aber beim Kläger zur Zeit des Unfalls noch nicht der Fall gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der Kläger hat am 10. Juni 1978 auf dem Weg vom Fahrunterricht zu seiner Wohnung keinen Arbeitsunfall erlitten.
Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall (auch) ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Als aufgrund eines Lehrverhältnisses bei der Firma Auto-K. Beschäftigter war der Kläger zwar nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert (vgl Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 29. Oktober 1986 - 2 RU 42/85), jedoch stand der von ihm zurückgelegte Weg vom Fahrunterricht nach Hause nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Ausbildung zum Kfz-Mechaniker im Unternehmen der Firma Auto-K. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen worden sind und an die das Revisionsgericht daher gebunden ist (§ 163 SGG), war die Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Personenkraftwagen) für einen im zweiten Ausbildungsjahr befindlichen Auszubildenden des Kfz-Mechanikerhandwerks nicht erforderlich. Der Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kfz-Mechaniker sah nicht vor, daß Auszubildende auch im Führen von Kraftfahrzeugen zu unterweisen sind oder entsprechende Kenntnisse für die Gesellenprüfung nachzuweisen hätten. Aufgrund der Aussage des Geschäftsführers der Firma Auto-K. hat das LSG ferner festgestellt, daß das Ausbildungsunternehmen vom Kläger nicht den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 und den dazu erforderlichen Besuch der Fahrschule verlangt hat und dies ihm auch nicht nahegelegt worden war. Damit fehlt es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, an dem für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsverhältnis des Klägers bei der Firma Auto-K. und dem Besuch der Fahrschule.
Der Kläger war zur Zeit des Unfalls auch nicht aufgrund des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO unfallversicherungsrechtlich geschützt. Nach dieser Vorschrift sind Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, berufsbildenden Schulen, Schulungskursen oder ähnlichen Einrichtungen gegen Arbeitsunfall versichert, sofern sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 und 5 bis 8 des § 539 Abs 1 RVO Versicherten gehören. Für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO ist es unerheblich, ob die berufliche Aus- oder Fortbildung pflichtgemäß oder freiwillig ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 474s II). Daher können auch der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten zur beruflichen Aus- oder Fortbildung gehören, deren Erwerb nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Bei der Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 handelt es sich jedoch, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, nicht um eine berufliche Aus- oder Fortbildung, weil diese Fahrerlaubnis in der Regel wesentlich allein für private Zwecke erworben und dann ggf auch nur gelegentlich für berufliche Zwecke genutzt wird (BSGE 43, 60, 63). Auch das LSG hat es im angefochtenen Urteil als offenkundig bezeichnet und daher als keines Beweises bedürftig (§ 291 Zivilprozeßordnung -ZPO-) festgestellt, daß die Fahrerlaubnis für Personenkraftwagen in der Regel für private Zwecke erworben wird. Da es bei der Ausbildung des Klägers zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 an dem beruflichen Bezug zu seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker fehlt und der Sachverhalt keinen Anhalt dafür bietet, daß der Besuch der Fahrschule der Aus- oder Fortbildung in einem anderen Beruf diente, war der Kläger zur Zeit des Unfalls auch nicht nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Insoweit bedarf es deshalb auch keiner weiteren Ausführungen darüber, ob bei Bejahung eines Versicherungsschutzes nach dieser Vorschrift die Beklagte in jedem Falle auch der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger wäre (vgl BSGE 43, 60, 64).
Da der Kläger am 10. Juni 1978 keinen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat, ist sein Begehren, ihm wegen der Folgen des Unfalls eine Rente zu zahlen, nicht begründet.
Die Revision mußte deshalb zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen