Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Kinderzuschuß. Ruhen der Berufsunfähigkeitsrente
Orientierungssatz
1. Für die Frage der Anwendbarkeit des § 1262 Abs 1 S 1 RVO idF vom 22.12.1983 kommt es nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns, dh den der Entstehung des Anspruchs auf Bewilligung und Auszahlung der Rente an (vgl BSG 27.2.1986 1 RA 5/85 = SozR 2200 § 1262 Nr 33).
2. Beim Kinderzuschuß handelt es sich um einen unselbständigen Rentenbestandteil, der - bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen - in den Rentenbetrag als Summand rentenerhöhend eingeht und nur auf diese Weise bei Fälligkeit der Rentenleistung zu zahlen ist. Ein Anspruch auf Kinderzuschuß, dh auf Erhöhung der Rente um den Kinderzuschuß, kann demnach erst in dem Zeitpunkt entstehen, wenn der Berechtigte die Auszahlung der monatlichen Rentenleistung verlangen kann (vgl BSG 27.2.1986 1 RA 5/85 = SozR 2200 § 1262 Nr 33).
3. Wenn ein Anspruch auf Versichertenrente einschließlich Kinderzuschuß für die Zeit des Ruhens nach § 1283 Abs 1 S 1 RVO nicht zahlbar ist, hat der Versicherte trotz unveränderten Fortbestehens seines "Stammrechts" - die Auszahlung der Versichertenrente nicht zu beanspruchen und hat daher ab 1.1.1984 keinen Anspruch auf Auszahlung der Versichertenrente mit Kinderzuschuß (vgl BSG 30.4.1975 12 RJ 118/74 = BSGE 39, 278).
Normenkette
RVO § 1262 Abs 1 S 1 Fassung: 1983-12-22, § 1283 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 21.04.1986; Aktenzeichen L 05 Ar 0311/85) |
SG Regensburg (Entscheidung vom 29.03.1985; Aktenzeichen S 07 Ar 0524/84) |
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger ab 31. Juli 1984 Kinderzuschüsse zu seiner Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zu gewähren sind.
Der am 31. März 1937 geborene Kläger hat drei Kinder (W., A. und B.). Am 7. September 1983 hatte die Beklagte dem Kläger "zur Erledigung des Widerspruchs... gegen den Bescheid vom 18. Juli 1983" angeboten, den Versicherungsfall der BU mit Januar 1983 als eingetreten anzunehmen, für die Zeit vom 1. Februar 1983 bis zum 14. Juni 1983 "vorgezogenes" Übergangsgeld und ab 15. Juni 1983 Rente wegen BU zu gewähren. Nachdem der Kläger dieses Angebot angenommen hatte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 1983 Rente wegen BU mit Kinderzuschüssen für A. ab 15. Juni 1983 bis 31. August 1983 und für B. Den für die Zeit vom 15. Juni 1983 bis 30. November 1983 errechneten Nachzahlungsbetrag behielt die Landesversicherungsanstalt (LVA) ein, die Rentenleistung für Dezember 1983 in Höhe von 928,90 DM zahlte sie aus. Das Arbeitsamt S. gab ihr im November 1983 bekannt, es zahle dem Kläger seit dem 15. Juni 1983 Arbeitslosengeld (Alg) von wöchentlich 333,60 DM; der Anspruch bestehe voraussichtlich noch für einhundert Tage ab 27. Oktober 1983. Außerdem erhalte der Kläger Kindergeld. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit (Schreiben vom 30. November 1983), die Rente wegen Berufsunfähigkeit ruhe nach § 1283 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bis zur Höhe des Alg für den Zeitraum, für den beide Leistungen zu gewähren seien. Die laufende Rentenzahlung müsse eingestellt, ein neuer Bescheid unter Anwendung des § 1283 RVO erteilt werden. Am 13. Dezember 1983 teilte die Beklagte dem Kläger auf seine Vorsprache weiter mit, ihm stehe für B. ab 15. Juni 1983 und für W. ab 1. September 1983 "dem Grunde nach" Anspruch auf Kinderzuschuß zu; die BU-Rente falle aber mit einem Alg zusammen, so daß die Rente nach § 1283 RVO einschließlich der Kinderzuschüsse in voller Höhe ruhe. Durch Bescheid vom 27. Dezember 1983 hob die Beklagte sodann den Bewilligungsbescheid vom 19. Oktober 1983 ab Rentenbeginn "im Hinblick auf das bezogene Alg unter Beachtung des § 1283 RVO" einschließlich des Kinderzuschusses voll auf und forderte die gezahlte Rente zurück. Hiergegen legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein.
Mit dem streitigen Bescheid vom 27. April 1984 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 27. Mai 1984 - wegen Wegfalls des Alg ab 26. Mai 1984 - erneut Rente wegen BU unter dem Vorbehalt des Widerrufs, falls über den 26. Mai 1984 hinaus Anspruch auf Alg bestehen sollte. Sie versagte jedoch Kinderzuschüsse, weil sie ab 1. Januar 1984 nur noch zustünden, wenn der Rentenberechtigte bereits vor diesem Zeitpunkt einen Anspruch darauf gehabt habe. Der Kläger könne bei der Kindergeldkasse Kindergeld beantragen.
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1984) hat der Kläger am 6. August 1984 Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 13. August 1984 verlegte die Beklagte den Zeitpunkt des Wiederbeginns der BU-Rente auf den 31. Juli 1984, weil bis zum 30. Juli 1984 Alg gezahlt worden sei, und verfügte die Einbehaltung des überzahlten Betrages. Die Wiederbewilligung von Kinderzuschüssen lehnte sie unter Wiederholung der im Bescheid vom 27. April 1984 gegebenen Begründung erneut ab; ebenso entschied sie im Bescheid vom 3. September 1984, mit dem sie im übrigen die Rente ab 1. November 1984 - nach Tilgung der Überzahlungen - wieder in voller Höhe anwies.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers ab 31. Juli 1984 um den Kinderzuschuß für B. und W. zu erhöhen (Urteil vom 29. März 1985). Die Berufung der Beklagten ist vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ohne Erfolg geblieben. In seinem Urteil vom 21. April 1986 hat das Berufungsgericht ausgeführt: Nach der bislang herrschenden Meinung habe ein Rentenberechtigter vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß im Sinne des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF gehabt, wenn ein solcher Anspruch tatsächlich bestanden habe, ohne daß es auf eine tatsächliche Auszahlung ankomme. Das Ruhen eines Anspruchs stelle eine den Anspruch selbst nicht berührende Rechtsfolge dar, deren Wirkung allgemein in der Nichtauszahlung bestehe; es bestimme eine Rangordnung der Leistungsansprüche des Berechtigten. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb der Kinderzuschuß, der Bestandteil der Rente sei, nicht mit ihr wiederaufleben solle. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Mai 1983 - 1 RA 51/82 (BSGE 55, 131) liege ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Bei dieser Sach- und Rechtslage bestehe kein Anlaß zu klären, inwieweit der Kläger seinen Anspruch auch auf die ihm von einem Bediensteten der LVA gegebene Rechtsauskunft oder auf die von der Beklagten am 13. Dezember 1983 erteilte Bescheinigung stützen könne.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, einen "Anspruch" im Sinne des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF habe unter Beachtung des § 194 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur derjenige gehabt, dem das Recht auf Bewilligung und Auszahlung der Geldleistung zugestanden habe. Einen Auszahlungsanspruch habe der Kläger vor dem 1. Januar 1984 nicht gehabt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. April 1986 und das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29. März 1985 - S 7 Ar 0524/84 - aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1984 abzuweisen.
Der Kläger wird im Revisionsverfahren nicht durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Zu Recht haben die Vorinstanzen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 27. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1984 und der Bescheide vom 13. August 1984 sowie vom 3. September 1984, die hinsichtlich der Ablehnung der Bewilligung von Kinderzuschüssen gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind, nach Maßgabe des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO in dessen seit dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung (Art 1 Nr 39 des Haushaltsbegleitgesetzes -HBegleitG- vom 22. Dezember 1983 - BGBl I S 1532) überprüft. Nach dieser Vorschrift erhöht sich ua die Rente wegen BU um den Kinderzuschuß für jedes Kind, "für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat". Den letzten Satzteil enthielt die Vorschrift in ihrer vor dem 1. Januar 1984 gültigen Fassung noch nicht. Der 1. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 27. Februar 1986 (BSGE 60, 18 = SozR 2200 § 1262 Nr 33) bereits im einzelnen dargelegt, daß es für die Frage der Anwendbarkeit der Neufassung des Gesetzes nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns, dh den der Entstehung des Anspruchs auf Bewilligung u n d A u s z a h l u n g der Rente ankommt. Dem ist der erkennende Senat in seinem Urteil vom 26. Februar 1987 (4a RJ 31/86) beigetreten, und zwar auch hinsichtlich der Erwägungen, die das BSG aaO und zuvor schon in der Entscheidung vom 30. Oktober 1985 (SozR 2200 § 1262 Nr 31) zur Verfassungsmäßigkeit der neuen Bestimmung getroffen hat.
Demnach ist der Anspruch des Klägers nach § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF zu beurteilen, weil er erst nach dem 31. Dezember 1983, nämlich ab 31. Juli 1984 nach Wegfall des Arbeitslosengeldes, von der Beklagten die Auszahlung der ihm zugebilligten Rente wegen BU verlangen konnte. Nach der Begründung des bindend gewordenen (§ 77 SGG) Bescheides vom 27. Dezember 1983, der das Angebot der Beklagten vom 7. September 1983 in Bezug nimmt, ist beim Kläger der Versicherungsfall der BU zwar bereits im Januar 1983 eingetreten. Ein Anspruch auf Zahlung der Rente deswegen ist aber von diesem Zeitpunkt an nicht entstanden. Vielmehr bestand für die Zeit vom 1. Februar 1983 bis 14. Juni 1983 Anspruch auf "vorgezogenes" Übergangsgeld, das bereits einen Anspruch auf Bewilligung der Rente wegen BU ausgeschlossen hat (§ 1241 d Abs 2 RVO). Aber auch ab dem 15. Juni 1983 war kein Rentenbetrag an den Kläger auszuzahlen, weil er Alg erhalten hat. Nach § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO ruht nämlich ua eine BU-Rente, die mit einem Alg zusammentrifft, bis zur Höhe des Alg für den Zeitraum, für den beide Leistungen zu gewähren sind. Nach den vergleichenden Berechnungen und Feststellungen im maßgeblichen Bescheid vom 27. Dezember 1983 überstieg das vom Kläger für die Zeit vom 15. Juni 1983 bis zum 31. Januar 1984 bezogene Alg (wochentäglich 55,60 DM; wöchentlich 333,60 DM, jährlich 17.347,20 DM) den Rentenbetrag, der sich - einschließlich der Kinderzuschüsse - ohne die Ruhensvorschrift ergeben hätte (Jahresrente ab 15. Juni 1983 = 12.595,11 DM, ab 1. Juli 1983 = 11.258,82 DM, ab 1. September 1983 = 13.093,62 DM). Da ein Anspruch für die Zeit seines Ruhens nicht zahlbar ist, (BSGE 39, 278 = SozR 2200 § 1283 Nr 4), hatte der Kläger vor dem 1. Januar 1984 - trotz unveränderten Fortbestehens seines "Stammrechts" - die Auszahlung der Versichertenrente nicht zu beanspruchen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 19. Oktober 1983. Denn die Beklagte hat diesen Verwaltungsakt durch den Bescheid vom 27. Dezember 1983 rückwirkend bindend (§ 77 SGG) aufgehoben.
Wie das BSG (BSGE 60, 18, 19, 23 = SozR 2200 § 1262 Nr 33) in der genannten Entscheidung vom 27. Februar 1986, der sich der erkennende Senat auch diesbezüglich anschließt (vgl auch BSG SozR 6555 Art 26 Nr 2), ausgeführt hat, handelt es sich beim Kinderzuschuß nach dem insoweit unverändert gebliebenen Wortlaut und der Systematik des Gesetzes um einen unselbständigen Rentenbestandteil, der - bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen - in den Rentenbetrag als Summand rentenerhöhend eingeht und nur auf diese Weise bei Fälligkeit der Rentenleistung zu zahlen ist. Ein Anspruch auf Kinderzuschuß, dh auf Erhöhung der Rente um den Kinderzuschuß, kann demnach erst in dem Zeitpunkt entstehen, wenn der Berechtigte die Auszahlung der monatlichen Rentenleistung verlangen kann. Im vorliegenden Fall stand dieser Anspruch dem Kläger - wie ausgeführt - vor dem 1. Januar 1984 nicht zu, weil ihm die Beklagte eine BU-Rente, die um den Kinderzuschuß hätte erhöht werden können, nicht zahlen durfte. Der Kläger hat daher auch vor dem maßgeblichen Stichtag keinen "Besitzstand" erworben, der durch § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF über den 31. Dezember 1983 hinaus zu schützen und aufrechtzuerhalten wäre.
Nach § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF kommt es nicht darauf an, aus welchem Grunde ein Anspruch auf Auszahlung der Rente - einschließlich des Kinderzuschusses - vor dem 1. Januar 1984 nicht bestanden hat. Dies läßt es nicht zu, ein dem Kläger günstigeres Ergebnis daraus herzuleiten, daß sein Recht auf Erhöhung der Rente um den Kinderzuschuß "nur" wegen des Ruhens seiner Rente vor dem 1. Januar 1984 ausgeschlossen gewesen ist (für derartige Fälle offengelassen in BSG SozR 2200 § 1262 Nr 31). Das Wesen des Ruhens der Rente besteht gerade darin, daß - was auch die Vorinstanzen insoweit nicht verkannt haben - das Recht auf Auszahlung der Einzelleistungen entfällt (vgl BSGE 44, 226, 228 = SozR 2200 § 1241 Nr 5). Grund hierfür ist, daß der durch Sozialleistungen auszugleichende Bedarf allein durch das Alg gedeckt werden soll und gedeckt wird. Das fortbestehende "Stammrecht" gewinnt erst mit dem Ende des Ruhens wieder die Kraft, realisierbare Einzelansprüche hervorzubringen (BSG SozR 2200 § 1294 Nr 1). Der Kläger hätte also selbst bei unveränderter Fortgeltung des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF vor dem 31. Juli 1984 keinen Anspruch auf Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrente um den Kinderzuschuß gehabt, weil sein durch die BU entstandener Bedarf bereits durch den Bezug des Alg zuzüglich des Kindergeldes ausgeglichen war.
Eine andere Beurteilung der Rechtslage ergibt sich im Falle des Klägers auch nicht - was das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus zu Recht offen gelassen - aufgrund der Mitteilung der Beklagten vom 13. Dezember 1983. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Erörterung, ob die Beklagte eine Wiederbewilligung des Kinderzuschusses wirksam hätte zusichern (§ 34 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB 10) können und dürfen. Denn die dem Kläger erteilte "Bescheinigung" enthält keine Zusage, einen derartigen Bescheid später zu erteilen (Zusicherung). Sie ist inhaltlich auf die - im übrigen zutreffende - Darstellung der im Falle des Klägers damals wirklich gegebenen Rechtslage beschränkt und bestätigt sie nur. Eine Auskunft, dh eine bloße Wissensmitteilung, ist aber rechtlich ungeeignet, einen Anspruch auf gesetzlich nicht vorgesehene Leistungen zu begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen