Leitsatz (amtlich)
Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, die bei einem Versicherungsträger im früheren Protektorat Böhmen und Mähren zurückgelegt oder von ihm aus der vorausgegangenen tschechoslowakischen Versicherung oder der Reichsversicherung übernommen wurden, sind im Rahmen des FAG SV ebenso zu behandeln, wie die Versicherungszeiten, die in den eingegliederten Gebieten nach der Einführung der deutschen Sozialversicherung zurückgelegt oder auf sie überführt wurden (FAG SV § 3 Abs 1). Sie erfüllen deshalb die Voraussetzung einer "Versicherung nach Reichsrecht", die nach FAG SV Abschn II für die Gewährung einer Leistung in das Ausland vorliegen muß.
Normenkette
SVFAG § 1 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 7, § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 1958 und des Sozialgerichts Berlin vom 9. April 1957, ferner die Bescheide der Beklagten und ihrer Widerspruchssteile vom 12. Dezember 1955 und vom 11. Juli 1956 werden aufgehoben, soweit sie die Rente nach § 9 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes betreffen. Insoweit wird die Beklagte verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Witwenrente erneut zu bescheiden.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in den Rechtszügen zu erstatten.
Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin beansprucht eine Witwenrente aus der Rentenversicherung der Angestellten (AV.). Ihr Ehemann war von 1924 bis 1945 Angestellter bei den S... -Werken in P... und beim Pensionsinstitut dieser Werke (zuletzt: Pensionsinstitut für die Beamten der AG. vorm. S... -Werke in P...) versichert. Seit 1945 ist er vermißt. Die Klägerin verließ nach dem Kriege die Tschechoslowakei und wanderte nach Kolumbien aus. Heute lebt sie in Chile.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einer Auslandsrente nach den §§ 8 und 9 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 848) nicht gegeben seien (Bescheid vom 12.12. 1955).
Den Widerspruch der Klägerin gegen die Versagung der Rente nach § 9 FremdRG wies die Widerspruchsstelle der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.7.1956).
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage ab (Urteil vom 9.4.1957), das Landessozialgericht Berlin die Berufung der Klägerin zurück: Die Versicherungszeiten, die der Ehemann der Klägerin bei dem Pensionsinstitut der S... -Werke zurückgelegt habe, seien nicht auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen, sondern bei dem Pensionsinstitut verblieben; sie könnten daher nicht als Versicherungszeiten nach Reichsrecht angerechnet werden. Weil hiernach eine Versicherung nach Reichsrecht - wie auch eine solche nach Bundesrecht oder dem Recht des Landes Berlin - nicht gegeben sei, könne der Klägerin weder eine Rente nach § 8 noch eine solche nach § 9 FremdRG gewährt werden (Urteil vom 31.10.1958).
Das Landessozialgericht ließ die Revision zu. Die Klägerin legte gegen das ihr am 21. November 1958 zugestellte Urteil am 11. Dezember 1958 Revision ein mit dem (in der mündlichen Verhandlung berichtigten) Antrag,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts sowie des Bescheides und des Widerspruchsbescheides der Beklagten diese zu verurteilen, ihr vom 1. August 1954 an Witwenrente als Rechtsanspruch zu gewähren oder ihr einen neuen Bescheid über die Gewährung der Rente nach § 9 FremdRG zu erteilen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie begründete die Revision innerhalb der bis zum 21. Februar 1959 verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 4. Februar 1959: Ihr Rentenbegehren sei jedenfalls nach § 9 FremdRG berechtigt; im Rahmen dieser Vorschrift genüge es, daß eine Versicherung als solche nach Reichsrecht zu gelten habe; für die Versicherung ihres Ehemannes müsse dies aber im Hinblick auf § 3 FremdRG angenommen werden.
Die Beklagte beantragte,
die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig; sie ist nicht begründet, soweit die Klägerin einen Rechtsanspruch auf die Witwenrente geltend macht (§ 8 FremdRG); sie ist dagegen begründet, soweit es sich darum handelt, ob ihr eine Leistung nach § 9 FremdRG gewährt werden kann.
Da die Klägerin im Ausland wohnt, ist zunächst zu prüfen, ob zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen oder internationale Übereinkommen auf dem Gebiet der Sozialversicherung bestehen, die für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich sind und die Grundlage für einen Anspruch der Klägerin bilden können (vgl. die Eingangsworte in den §§ 8 und 9 FremdRG), Dies trifft im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Ländern Kolumbien und Chile, wo die Klägerin seit der Stellung des Rentenantrags wohnte, nicht zu. Vielmehr ist, wie das Landessozialgericht zutreffend angenommen hat, allein nach den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes zu beurteilen, ob der Klägerin Leistungen aus AV. des Bundesgebiets gewährt werden können.
Das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz gehört, wie der Senat schon mehrfach ausgesprochen hat, zu den Gesetzen, mit denen die Bundesrepublik die Folgen ausgleichen will, die den Einzelnen durch nationalsozialistisches Unrecht, durch den Krieg und den Zusammenbruch des "Großdeutschen Reichs", durch die Spaltung Deutschlands, durch Flucht, Vertreibung oder Internierung betroffen haben. Es will die Anwartschaften auf Sozialleistungen, auch soweit sie außerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin erworben wurden, grundsätzlich schützen und bestimmt deshalb, welche fremden Verpflichtungen die Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin übernehmen und unter welchen Bedingungen, an welchen Personenkreis und in welcher Höhe sie Leistungen gewähren müssen. Ferner regelt das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz in seinem Abschn. II, aus welchen Versicherungen sie Leistungen in das Ausland gewähren müssen (§ 8 FremdRG) oder gewähren können (§ 9 FremdRG).
Zu den Leistungen, die nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz in das Ausland gewährt werden müssen, gehören in der Rentenversicherung zunächst nur solche aus Versicherungszeiten, die im Bundesgebiet oder im Lande Berlin zurückgelegt sind (§ 8 Abs. 1 Kr, 2 Buchst. a FremdRG). Von den Fremdrenten sind- wie aus einem Vergleich mit den Vorschriften im I. Abschnitt des FremdRG hervorgeht - nur diejenigen in das Ausland zu gewähren, die unter § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG fallen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FremdRG); diese auch nur dann, wenn die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, die in § 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und aa) und bb) aufgeführt sind.
Der Ehemann der Klägerin hat Beiträge nur zum Pensionsinstitut der S... -Werke geleistet, das ein Ersatzinstitut der tschechoslowakischen Pensionsversicherung der Angestellten in höheren Diensten war und seinen Sitz in P..., also außerhalb des Gebietes des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 hatte. Dieses Institut blieb bei der Eingliederung der sudetendeutschen Gebiete in das Reich und bei der Errichtung des Protektorats als selbständige Einrichtung mit dem Sitz in P... bestehen. Es blieb verpflichtet, die Leistungen weiter zu gewähren und die Anwartschaften zu berücksichtigen, soweit sie nicht auf die Träger der Reichsversicherung, der slowakischen Versicherung und der ungarischen Versicherung übergeleitet worden sind. Da der Ehemann der Klägerin in P... seinen Wohnsitz und seine Beschäftigung beibehielt, blieben seine Anwartschaften bei dem Prager Ersatzinstitut. Die Versicherung, die bis dahin nach den Vorschriften des tschechoslowakischen Rechts bestanden hatte, wurde nach den Vorschriften des im Protektorat gültigen Rechts fortgesetzt (vgl. Art. 7, 9 und 10 in Abschn. II des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Regierung des Protektorats Böhmen und Mähren über die Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Sozialversicherung aus Anlaß der Eingliederung von ehemaligen tschechoslowakischen Gebieten in das Deutsche Reich vom 14.3.1940 - RGBL. II S. 107 -).
Als Versicherter des P... Ersatzinstituts hat der Ehemann der Klägerin keine Versicherungszeiten im Bundesgebiet oder im Lande Berlin zurückgelegt (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a FremdRG - BSG. 4 S. 84 -). Aber auch dann, wenn seine Versicherungszeiten - wie die Klägerin geltend macht - solche nach Reichsrecht gewesen sind, hätte sie gegen die Beklagte keinen Rechtsanspruch auf eine Leistung nach § 8 FremdRG, weil die besondere Bindung an die Rentenversicherung im Bundesgebiet fehlt; der Versicherte ist in dieser Zeit weder zuletzt noch überwiegend im Bundesgebiet oder im Lande Berlin versichert gewesen, noch sind seine Versicherungszeiten in einer Leistung berücksichtigt worden, die von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder von einem für das Land Berlin zuständigen Versicherungsträger rechtskräftig festgestellt worden ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b aa) und bb) FremdRG). Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen die Klage insoweit als unbegründet angesehen; die Revision der Klägerin gegen das angefochtene Urteil muß insoweit zurückgewiesen werden.
Es bleibt aber zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für eine Leistung nach § 9 FremdRG gegeben sind. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift hängt die Gewährung u.a. davon ab, daß der Ehemann in einer gesetzlichen Rentenversicherung nach Reichsrecht, Bundesrecht oder dem Recht des Landes Berlin versichert war. In Betracht kommt nach Lage des Falles allein, ob er nach Reichsrecht versichert war. Diese Voraussetzung, die sich im gleichen Wortlaut in § 8 Abs. 1 FremdRG findet, ist auch für § 9 nicht anders, insbesondere nicht enger als dort auszulegen. Auch insoweit ist bei Fremdrenten ein begrifflicher Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG gegeben, wie er sich aus einem Vergleich dieser Vorschrift mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FremdRG - trotz des nicht völlig übereinstimmenden Wortlauts beider Vorschriften - ergibt; eine Versicherung nach Reichsrecht im Sinne von § 9 Abs. 1 FremdRG ist daher bei Ansprüchen auf Leistungen aus Fremdversicherungszeiten zu bejahen, wenn die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG erfüllt sind. Hierunter fallen zunächst die Versicherungsverhältnisse, die bei einem nicht mehr bestehenden, einem stillgelegten oder einem außerhalb des Bundesgebiets oder des Landes Berlin befindlichen deutschen Versicherungsträger bestanden haben, sodann - auf Grund einer Fiktion - auch diejenigen Versicherungsverhältnisse, die bei einem nicht deutschen Versicherungsträger entstanden, aber nach Reichsrecht auf einen deutschen Versicherungsträger übergegangen sind. Dabei wird zur Erläuterung des Begriffs "deutscher Versicherungsträger" auf § 1 Abs. 7 FremdRG verwiesen. Aus der Umschreibung dessen, was hiernach als deutscher Versicherungsträger zu gelten hat, zeigt sich, daß es sich um die Behebung der Folgen der Spaltung Deutschlands, aber auch um die Liquidierung der Sozialversicherung im "Großdeutschen Reich" handelt. § 1 Abs. 7 FremdRG spricht nämlich nicht nur von den Versicherungsträgern, die ihren Sitz innerhalb des Gebietes des Deutschen Reichs nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 hatten, sondern auch von denen, die außerhalb dieses Gebiets die Sozialversicherung nach reichsrechtlichen Vorschriften durchgeführt haben. Was hierunter zu verstehen ist, ergibt sich aus § 3 Abs. 1 FremdRG, wo auf die Vorschriften über die Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in Gebieten verwiesen ist, die nach dem 31. Dezember 1937 vorübergehend dem Deutschen Reich eingegliedert gewesen sind oder unter deutscher Verwaltung gestanden haben.
Für die Ansprüche nach dem FremdRG sind die in § 3 Abs. 1 genannten Einführungsvorschriften in dem dort angegebenen Umfang wie geltendes Recht zu behandeln, obwohl sie in den eingegliederten und besetzten Gebieten selbst - auch ohne förmliche Aufhebung - längst außer Kraft getreten sind. Sie ordneten durchweg an, daß in den betreffenden Gebieten die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und des Reichsknappschaftsgesetzes (RKnG) gelten, die bestehenden Versicherungen, darunter auch die Rentenversicherung der Angestellten, in die Reichsversicherung übernommen werden und die vor der Einführung in den betreffenden Gebieten nach bisherigem einheimischem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten als Zeiten der Reichsversicherung angesehen werden sollten, auch wenn später keine weiteren Versicherungszeiten nach Reichsrecht mehr hinzukamen. Als Versicherungsträger, der für die Gewährung und Weitergewährung der Leistungen aus der übernommenen und eingeführten Versicherung zuständig war, wurde - soweit es sich um die Rentenversicherung der Angestellten handelte - regelmäßig die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA.) bestimmt, die ein Versicherungsträger mit dem Sitz innerhalb des Gebiets des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 war (§ 1 Abs. 7 FremdRG). Solche Vorschriften sind z.B. ergangen für Österreich (VO, vom 26.3.1938 - RGBL. I S. 335 - und VO. vom 22.12.1938 - RGBl. I S. 1912 - mit DurchfVOen vom 9.2.1939 - RGBl. I S. 186 - und vom 5.2.1940 - RGBl. I S. 270 -), für das Memelland (VO. vom 17.8.1939 - RGBl. I S. 1426 mit- DurchfVO. vom 15.7.1940 - RGBl. I S. 998 -), für die in die Provinz Schlesien eingegliederten, ehemals polnischen Gebiete (VO. vom 16.1.1940 - RGBl. I S. 196 -), für Danzig (VO. vom 22.1.1940 - RGBl. I S. 260 -), für die deutschen Staatsangehörigen im Generalgouvernement (VO. vom 17.6.1940 - RGBl, I S. 908 -), für die Sudetengebiete (VO. vom 27.6.1940 - RGBl. I S. 957 -), für Luxemburg (VO. vom 30.9.1940 - AN. 1941 S. II 54/56 -) für Lothringen (VO. vom 19.10.1940 - AN. 1941 S. II 17 -), für Elsaß (VO. vom 28.12.1940 - AN. 1941 S. II 59 -), für die Gebiete. Eupen Malmedy und Moresnet (VO. vom 9.5.1941 - RGBl. I S. 271 -) für die eingegliederten Ostgebiete (VO. vom 22.12.1941 - RGBl. I S. 777 -). Versicherungsverhältnisse in diesen eingegliederten und besetzten Gebieten fallen vom Zeitpunkt der Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts an unter § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 FremdRG und Versicherungszeiten, die dort nach früherem Recht zurückgelegt, aber auf Grund der Einführungsvorschriften in die Reichsversicherung übernommen worden sind, unter § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 FremdRG. Sie erfüllen damit die Voraussetzungen, die das FremdRG in Abschnitt II mit dem Begriff der Versicherung nach Reichsrecht verbindet. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so müssen dem Berechtigten, der sich im Ausland aufhält, vom Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin die Leistungen nach § 8 FremdRG gewährt werden, wenn die sonstigen Erfordernisse nach Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b dieser Vorschrift gegeben sind; die Leistungen können ihm nach § 9 FremdRG gewährt werden, wenn diese Vorschrift auch im übrigen auf ihn zutrifft.
Es fragt sich, ob das Protektorat Böhmen und Mähren, nach dessem Recht der Ehemann der Klägerin versichert war, zu den Ländern gehört, die in § 3 Abs. 1 FremdRG als vorübergehend eingegliederte oder unter deutscher Verwaltung stehende Gebiete bezeichnet werden, und ob die dort bestehende Sozialversicherung - wie das in jene Gebiete eingeführte Sozialversicherungsrecht - eine Versicherung nach Reichsrecht war oder wenigstens wie eine solche behandelt werden muß. Hierauf gibt das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, wenn man nur den Wortlaut seiner Vorschriften berücksichtigt, keine eindeutige Antwort; nach seinem Sinn und Zweck kann jedoch die Sozialversicherung im Protektorat bei der Anwendung des Gesetzes keine andere Behandlung erfahren als die Sozialversicherung in jenen Gebieten.
a) Das Protektorat Böhmen und Mähren gehörte zu den dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten: es ist entstanden auf Grund des Erlasses des "Führers und Reichskanzlers" vom 16. März 1939 (RGBl. I S. 485). Nach Art. 1 dieses Erlasses gehörten die im März 1939 besetzten Landesteile der Tschechoslowakei zum "Großdeutschen Reich" und standen als "Protektorat Böhmen und Mahren" unter seinem Schutz. Das Protektorat war damit - wenn auch nach heutiger Auffassung nicht von Rechts wegen, so doch tatsächlich - Bestandteil des Deutschen (Großdeutschen) Reichs (vgl. auch den Erlaß des RAM. in EuM. Bd. 45 S. 290, wonach das Gebiet des Protektorats im Sinne der Reichsversicherungsgesetze nicht als Ausland anzusehen war, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet war). Nach dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit wurde in Verordnungen, Erlassen und amtlichen Rundschreiben unterschieden zwischen dem "Protektorat und dem übrigen Reichsgebiet" oder dem "Gebiet des Großdeutschen Reichs außerhalb des Protektorats" oder dem "Altreichsgebiet und dem Protektorat" (vgl. z.B. die VO. en vom 20.7.1940 - RGBl. I S. 1009 -, vom 26.10.1940 - RGBl. I S. 1460 -, vom 21.1.1941 - RGBl. I S. 43 - ferner AN. 1939 S. IV 424; EuM. Bd. 47 S. 15, Bd. 49 S. 248, 258 u. 337, Bd. 50 S. 222 u. 475). Das Protektorat besaß zwar eine gewisse Autonomie (vgl. unten b), doch waren seine Hoheitsbefugnisse schon in die inneren Angelegenheiten weitgehend durch die Einsetzung eines Reichsprotektors eingeschränkt, der "zur Wahrung der Reichsinteressen" die Beachtung der politischen Richtlinien des Führers zu überwachen hatte und der ein Einspruchsrecht gegen Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsmaßnahmen und rechtskräftige Urteile besaß (Art. 5 - vgl. auch § 1 der VO. über das Rechtsetzungsrecht im Protektorat Böhmen und Mähren vom 7.6.1939 - RGBl. I S. 1039 -, wonach der Reichsprotektor durch Verordnung das autonome Recht ändern und bei Gefahr im Verzuge Rechtsvorschriften jeder Art erlassen konnte). Hinzu kam das vollständige Fehlen von Hoheitsbefugnissen in den äußeren Angelegenheiten, deren Wahrnehmung durchweg dem Reich vorbehalten blieb (Art. 6, 8 u. 11). Es kann deshalb nicht zweifelhaft sein, daß das Protektorat trotz seiner ihm teilweise verbliebenen territorialen Autonomie zu den vorübergehend in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten zu rechnen ist (vgl. auch Dobbernack "Die Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten" unter A 3 in AN. 1940 S. II 286). Art. 2 des Abkommens vom 14. März 1940 steht dem nicht entgegen; hier ist nur festgelegt, welche Gebiete als eingegliederte Gebiete im Sinne dieses Abkommens anzusehen sind, um einen Maßstab für die Vermögensauseinandersetzung zu finden, der auch für die gleichzeitigen Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Slowakischen Republik (RGBl. 1943 II S. 253 = AN. 1943 II S. 307) und dem Deutschen Reich und dem Königreich Ungarn (RGBl. 1941 II S. 339) gelten sollte. Daß auch das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz das Protektorat nicht anders behandelt wissen will, geht mittelbar aus § 9 Abs. 5 des Gesetzes hervor. Diese Vorschrift, die sich mit den Vertriebenen aus den in den Jahren 1938 und 1939 in das Reich eingegliederten Gebieten befaßt, kann nicht anders als dahin ausgelegt werden, daß sie auch auf Vertriebene aus dem Protektorat Anwendung findet (vgl. Hoernigk-Jahn-Wickenhagen, Anm. 27 f zu § 9 Abs. 5 FremdRG).
b) Nach dem Führererlaß bestand zwar eine regionale Autonomie; das Protektorat verwaltete sich selbst und nahm die ihm verbliebenen Hoheitsrechte durch eigene Organe, Behörden und Beamte wahr. Das bisherige Recht blieb ausdrücklich aufrechterhalten, soweit es dem Schutzzweck nicht widersprach, die Protektoratsregierung war zur weiteren Rechtsetzung befugt. Diese Befugnisse des Protektorats beruhten aber allein auf dem Führererlaß, es handelte sich also nicht um eine originäre, sondern um eine vom Reichsrecht abgeleitete Gesetzgebungsbefugnis, wobei dahinstehen kann, wie sie staatsrechtlich näher zu bewerten ist: als mittelbares Reichsrecht, als Satzungsrecht oder als eine andere Sonderkategorie des Rechts.
c) Da dem Protektorat als Ganzem eine regionale Autonomie belassen wurde, ist es nur folgerichtig, daß auch sein Sozialversicherungssystem autonom geregelt und durch autonome Körperschaften durchgeführt wurde. Damit aber verliert dieses Recht noch nicht den Charakter als "Reichsrecht„ und seine Körperschaften nicht den Charakter als inländische Körperschaften.
d) Daß damals schon die Protektoratsversicherung im Verhältnis zum deutschen Reich als inländische Versicherung angesehen wurde, ergibt sich aus den Abkommen, die zwischen dem Deutschen Reich und der slowakischen Republik und zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Ungarn über die Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Sozialversicherung aus Anlaß der Eingliederung von ehemaligen tschechoslowakischen Gebieten in diese Länder getroffen worden sind (Bekanntm. vom 26.6.1943 - RGBl. II S. 253 = AN. 1943 S. II 307 - und vom 20.9.1941 - RGBl. II S. 332 -), insbesondere aus den Vorschriften, die darin die weitere Anwendung des Gegenseitigkeitsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der früheren tschechoslowakischen Republik über Sozialversicherung vom 21. März 1931 regeln. In dem Abkommen mit der slowakischen Republik ist ausdrücklich bestimmt (Art. 25 Abs. 2), daß die Leistungen und Versicherungszeiten (Anwartschaften), die von Versicherungsträgern im Protektorat zu übernehmen oder zu berücksichtigen oder bei ihnen verblieben waren, im Verhältnis zur slowakischen Sozialversicherung als deutsche Leistungen und Versicherungszeiten (Anwartschaften) galten. Noch klarer kommt diese Auffassung zum Ausdruck in dem Gegenseitigkeitsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Ungarn über Sozialversicherung vom 20. März 1941 (RGBl. 1942 II S. 135 = AN. 1942 S. II 225) mit den dazugehörigen Abmachungen und Niederschriften (Schlußprotokoll). Auch in allen späteren zwischenstaatlichen Vereinbarungen über Sozialversicherung ist von dieser Rechtsauffassung ausgegangen worden, wie sich z.B. aus der deutsch-bulgarischen Vereinbarung vom 2. Dezember 1941 - AN. 1942 S. II 480 -, aus der deutsch-kroatischen Vereinbarung vom 10. Dezember 1941 - AN. 1942 S. II 132 - und aus der deutsch-spanischen Vereinbarung vom 4- September 1943 - AN. 1943 S. II 417 - ergibt. Nach allen diesen zwischenstaatlichen Vereinbarungen stand die Sozialversicherung im Protektorat nach außen hin der deutschen Sozialversicherung grundsätzlich gleich.
e) Aber auch im Verhältnis zur Reichsversicherung im engeren Sinne zeigt sich, daß zwar die regionale Autonomie der Protektoratsversicherung folgerichtig eingehalten und nur durchbrochen worden ist für die bei den Behörden und Dienststellen des Reichs beschäftigten Personen (VO. en vom 30.8.1939 - RGBl. I S. 1737 - und vom 25.6.1941 - RGBl. I S. 375 -, Erlaß des RAM. vom 16.3 1944 - AN- 1944 S. II 60 -); für alle anderen galt ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit die Protektoratsversicherung, und zwar auch für die nach der Errichtung des Protektorats dort errichteten oder aus dem übrigen Reichsgebiet dahin verlagerten Betriebe. Erst spät, nämlich durch Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 1. Juni 1944 - AN. 1944 S. II 151 - wurde für verlagerte Betriebe dann eine Ausnahme zugelassen, wenn die lohnzahlende Stelle im übrigen Reichsgebiet verblieb.
Eine solche regionale Autonomie war in einem staatsrechtlich und wirtschaftlich zum "Großdeutschen Reich" gehörenden Gebiet nur möglich, wenn diese staatsrechtliche und wirtschaftliche Einheit sich widerspiegelte in den Beziehungen der regional verschiedenen Versicherungssysteme. Dies ist auch geschehen, und zwar nicht nur durch die sofortige Weitergeltung des ehemaligen deutsch-tschechoslowakischen Gegenseitigkeitsvertrags (Art. 26 des Abkommens vom 14.3.1940), sondern dadurch, daß die Vorschriften dieses Vertrags auch auf Versicherungsfälle vor seinem Inkrafttreten anzuwenden waren (Erlasse des RVA. vom 17.7.1940 - AN. 1940 S. II 243 - und vom 23.10.1941 - AN. 1941 S. II 423 -). Damit wurden rückwirkend - und zwar zeitlich unbeschränkt - beide Versicherungssysteme rechtlich in einer Weise verknüpft, die in der Rentenversicherung den Vorschriften über die Wanderversicherung innerhalb der einzelnen Zweige der Reichsversicherung im engeren Sinne entsprach. (Für das Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der Reichsversicherung und der Sozialversicherung im Protektorat vgl. auch die Erlasse des RAI. vom 19.5.1942 - AN. 1942 S. II 339 - betr. die Gewährung von Leistungen für Weltkriegsdienstzeiten - und vom 10.7.1942 - AN. 1942 S. II 426 - betr. Beitragserstattung).
Für die Betrachtung der rechtlichen und staatlichen Verhältnisse im Protektorat Böhmen und Mähren im Zusammenhang mit den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes muß - ebenso wie bei den übrigen in § 3 Abs. 1 FremdRG genannten Gebieten - davon abgesehen werden, daß und in welchem Maße die Eingliederung und die in den eingegliederten Gebieten geschaffene "Rechtsordnung" dem Völkerrecht widersprachen und damit nicht Recht, sondern Unrecht waren. Denn da es sich darum handelt, die Folgen, die den Einzelnen betroffen haben, zu beheben, muß von der damaligen "Ordnung" ausgegangen werden. Danach ist aber die Versicherung bei den Versicherungsträgern des Protektorats Böhmen und Mähren eine Versicherung nach Reichsrecht innerhalb eines Gebiets, das nach dem 31. Dezember 1937 vorübergehend dem Deutschen Reich eingegliedert worden ist. Sie ist auch - soweit eine regionale Autonomie dies überhaupt zuläßt - mit den verschiedenen Zweigen der reichsgesetzlichen Versicherung im engeren Sinne rechtlich so eng verflochten worden, wie diese auch untereinander verflochten waren. Es ist aus dem Sinnzusammenhang und dem Zweck des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes auch kein einleuchtender Grund dafür zu erkennen, daß bei der Übernahme von Verpflichtungen aus fremden Versicherungen durch die Versicherungsträger des Bundesgebiets und des Landes Berlin die Versicherung des Protektorats Böhmen und Mähren anders behandelt werden sollte, als die Versicherungen, die in den übrigen vorübergehend eingegliederten oder unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten „nach Reichsrecht" durchgeführt worden sind.
Dafür, daß das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz selbst hiervon ausgeht, spricht auch die Regelung in § 3 Abs. 2, 3 FremdRG. Danach richten sich nämlich die Leistungen, soweit die Protektoratsversicherung in Betracht kommt, nicht nach der auf Grund des § 4 FremdRG zu erlassenden Rechtsverordnung, sondern das Gesetz selbst bestimmt, daß dieselben Vorschriften anzuwenden sind, die für die in den sudetendeutschen Gebieten zurückgelegte Versicherung maßgebend sind.
Aus dem in § 3 Abs. 3 FremdRG genannten Stichtag: 30. April 1945 geht hervor, daß die nach diesem Zeitpunkt im Gebiet des ehemaligen Protektorats Böhmen und Mähren durchgeführte Versicherung nicht mehr als deutsche Versicherung gilt, sondern als Versicherung bei einem nicht deutschen Versicherungsträger, für die die Vorschriften der Rechtsverordnung auf Grund des § 4 FremdRG anzuwenden sind.
Mit der vom Senat vertretenen Auffassung lassen sich schließlich auch die unbefriedigenden Folgen vermeiden, zu denen die Gegenmeinung führt. Würde man nämlich die Zeiten der Protektoratsversicherung nicht als Versicherung nach Reichsrecht behandeln, so könnten deutsche Staatsangehörige diese Versicherungszeiten bei Aufenthalt im Ausland nach Abschnitt II des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes nicht honoriert erhalten. Sie stünden danach schlechter als die Versicherten - darunter auch diejenigen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind- aus anderen Gebieten, wie z.B. Luxemburg, Elsaß-Lothringen, Eupen-Malmedy, Danzig u.a. unter den gleichen Verhältnissen. Versicherte aus dem Protektorat (mit Ausnahme der bei den Dienststellen des Reichs und der Wehrmacht Beschäftigten), die nach 1945 im Bundesgebiet versicherungspflichtig beschäftigt waren, würden bei Aufenthalt im Ausland eine Rente nur aus den im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten erhalten können, weil sie während der Zugehörigkeit zur Protektoratsversicherung - wie die Beklagte meint - nicht nach Reichsrecht versichert waren. Dies selbst dann, wenn sie vor 1938 im Reichsgebiet versichert gewesen sind und ihre Versicherungszeiten auf Grund des Abkommens vom 14. März 1940 auf einen Versicherungsträger im Protektorat übergegangen sind; es fielen damit alle Versicherungszeiten bis 1945 aus. Dies Ergebnis ist weder mit dem oben dargelegten Sinn und Zweck des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes noch mit dem inneren Zusammenhang seiner Vorschriften vereinbar. Auch wenn man das im Protektorat Böhmen und Mähren geltende autonome Recht - wegen seiner Herkunft und seines Inhalts-nicht schlechthin dem (unmittelbaren) Reichsrecht gleichstellen und deswegen die autonome Rentenversicherung nicht als "reichsgesetzliche Rentenversicherung" im engeren Sinne ansehen kann, so müssen darum dennoch die in der autonomen Rentenversicherung des Protektorats Böhmen und Mähren ebenso wie die unter § 3 Abs. 1 FremdRG fallenden Versicherungszeiten in den anderen vorübergehend eingegliederten oder sogar nur unter deutscher Verwaltung stehenden Gebieten als solche nach Reichsrecht behandelt werden. Eine andere Auslegung des Gesetzes müßte - wie ein Vergleich mit Versicherten aus diesen Gebieten und den bei den Dienststellen und Behörden des Reichs im Protektorat Beschäftigten zeigt - auch wegen des in Art. 3 des Grundgesetzes enthaltenen Gleichheitsgrundsatzes bedenklich erscheinen.
Hiernach sind die Versicherungszeiten, die während des Bestehens des Protektorats bei dessen Versicherungsträgern nach dem dort gültigen Recht zurückgelegt sind, wie Versicherungszeiten nach Reichsrecht anzusehen und im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 FremdRG zu behandeln, während die vorausgegangenen, nach früherem tschechoslowakischen Recht zurückgelegten und in die Versicherung des Protektorats übernommenen Versicherungszeiten den Erfordernissen in § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 FremdRG entsprechen. Die Versicherungszeiten des Ehemannes der Klägerin bei dem Pensionsinstitut der S... -Werke erfüllen deshalb die Anforderungen, die das Gesetz in § 9 Abs. 1 an eine Versicherung nach Reichsrecht stellt. Die Beklagte war daher nicht berechtigt, den Antrag der Klägerin auf Witwenrente - soweit die Leistung nach § 9 FremdRG in Betracht kommt - mit der von ihr gegebenen Begründung abzulehnen. Insoweit entsprachen ihr Bescheid und der Bescheid ihrer Widerspruchsstelle nicht dem Gesetz. Die Bescheide müssen daher-ebenso wie die der gleichen Rechtsauffassung folgenden Urteile der beiden Vorinstanzen - insoweit aufgehoben werden; es muß der Beklagten aufgegeben werden, der Klägerin einen neuen Bescheid über die beantragte Witwenrente zu erteilen. Die Beklagte zu der Ermessensleistung selbst zu verurteilen, ist schon deshalb nicht möglich, weil bisher nicht aktenkundig geprüft ist, ob die übrigen Voraussetzungen vorliegen, von denen die Gewährung der Leistung nach § 9 FremdRG abhängt, so z.B. ob der ursprünglich verpflichtete Versicherungsträger tatsächlich keine Leistung gewährt.
Bei der Kostenentscheidung, die auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes beruht, ist berücksichtigt, daß die Klägerin mit dem von ihr geltend gemachten Rechtsanspruch auf die Witwenrente nicht durchgedrungen ist.
Fundstellen