Leitsatz (redaktionell)
Ein Badezimmer in der an die Geschäftsräume angrenzenden Privatwohnung dient auch dann nicht wesentlich betrieblichen Zwecken im Rechtssinne, wenn das Badezimmer gelegentlich dem Personal und den Kunden zur Verfügung steht.
Bei einer an sich dem persönlichen Lebensbereich angehörenden Verrichtung können betriebliche Faktoren für den Unfallversicherungsschutz bedeutsam sein; Versicherungsschutz ist zB dann gegeben, wenn sich der Versicherte wegen betrieblich bedingter Eile im privaten Bereich (zB Badezimmer) verletzt.
Orientierungssatz
Zur Frage, unter welchen Umständen die in der Metzgerei ihres Ehemannes mithelfende Ehefrau Unfallversicherungsschutz genießt, wenn sie die in ihrer Wohnung im 1. Stock gelegene Toiletten aufsucht.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, die als mithelfende Ehefrau in der Metzgerei ihres Ehemannes bei der Beklagten versichert war, begehrt Entschädigung wegen der Folgen des Unfalls, den sie am 6. Mai 1966 erlitt. Über den Hergang dieses Unfalls hat das Landessozialgericht (LSG) folgendes festgestellt:
"Am Freitag, dem 6. Mai 1966, half die Klägerin wegen Erkrankung einer Verkäuferin ab 17.00 Uhr beim Verkauf in der im Erdgeschoß gelegenen Metzgerei mit. Gegen 18.30 Uhr begab sie sich auf die in ihrer Wohnung im ersten Stock gelegene Toilette. Nachdem sie diese verlassen und sich in dem davor liegenden Bad die Hände gewaschen hatte, kam sie im Bad zu Fall und zog sich dabei einen Schenkelhalsbruch zu. Vor dem Bad befindet sich noch ein Vorplatz, von dem aus die Schlafzimmer der Eheleute ... und ihrer Tochter ... zu erreichen sind. Der Vorplatz ist vom Treppenaufgang durch eine Tür abgetrennt. Die in der abgeschlossenen Wohnung gelegene Toilette wird außer von der Klägerin, ihrem Ehemann und der im Laden mitarbeitenden Tochter auch von der Putzfrau sowie von der Verkäuferin ... benutzt, die 1966 auch wöchentlich einmal das Bad mitbenutzte. In seltenen Fällen wurde auch Kundschaft insbesondere mit Kindern in diese Toilette geführt, weil die andere, auf halber Treppe liegende Toilette für zwei Personen zu klein ist und in der Hauptsache von den männlichen Bediensteten der Metzgerei benutzt wird."
Mit Bescheid vom 22. Juli 1966 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Unfallentschädigung ab.
Das Sozialgericht Frankfurt (Main) hat die Klage abgewiesen: Der Unfall habe sich eindeutig im privaten Bereich der Klägerin ereignet. Sie habe die Betriebsräume noch nicht wieder betreten gehabt.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Hessische LSG mit Urteil vom 6. März 1968 (Breithaupt 1968, 913) die Beklagte verurteilt, den Unfall der Klägerin vom 6. Mai 1966 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen: Im Gegensatz zur Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe auch während einer "geringfügigen Unterbrechung" der Betriebsarbeit kein Unfallversicherungsschutz. Bei der Klägerin handele es sich jedoch um einen Arbeitsunfall, weil die Unfallstelle, nämlich das Bad, innerhalb der Privatwohnung nicht nur selten und gelegentlich, sondern rechtlich wesentlich den Zwecken des Geschäftsbetriebes gedient habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 11. April 1968 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. April 1968 Revision eingelegt und sie am 3. Mai 1968 folgendermaßen begründet: Die Feststellung des LSG, die Klägerin sei nach ihren Angaben möglicherweise dadurch ausgerutscht, daß sich unter ihrem Schuh etwas Fett aus der Metzgerei befunden habe, widerspreche dem Akteninhalt; denn bei ihrer Anhörung habe die Klägerin davon nichts bekundet. Die Auffassung, das Badezimmer habe rechtlich wesentlich auch geschäftlichen Zwecken gedient, sei vom LSG auf die unzutreffende Feststellung gestützt worden, daß die auf halber Treppe befindliche Toilette den männlichen Arbeitnehmern vorbehalten gewesen sei. Das LSG habe verkannt, daß Toilette und Bad innerhalb der Privatwohnung für die Klägerin als Ehefrau des Unternehmers in erster Linie zum privaten Bereich gehöre; die Benutzung dieser Räume durch Betriebsangehörige oder gar Kunden sei so geringfügig gewesen, daß die Räume nicht wesentlich geschäftlichen Zwecken gedient haben könnten.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie meint, räumliche Merkmale seien zur Abgrenzung des Unfallversicherungsschutzes in Fällen der hier vorliegenden Art ungeeignet; maßgebend sei der enge zeitliche und innere Zusammenhang mit der Arbeitsleistung, der hier besonders dadurch hervortrete, daß die Klägerin aus betrieblichen Gründen unter besonderem Zeitdruck gestanden habe und so der Gefahr des Ausgleitens in weit höherem Maße ausgesetzt gewesen sei als bei einer Benutzung der Toilette außerhalb der Arbeitszeit. Von der Rechtsprechung des BSG zum Unfallversicherungsschutz bei "geringfügigen Unterbrechungen" sei das LSG zu Unrecht abgewichen.
II
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Im Ergebnis zu Recht hat das LSG in dem Unfall, den die Klägerin in Ihrem Badezimmer am 6. Mai 1968 erlitt, einen unter Versicherungsschutz stehenden Arbeitsunfall erblickt. Die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils vermögen freilich nicht durchweg zu überzeugen und werden von der Revision zum Teil mit zutreffenden Rügen angegriffen.
Dies gilt vor allem für die Annahme des LSG, das Badezimmer, in dem die Klägerin zu Fall kam, habe rechtlich wesentlich auch den Zwecken des Geschäftsbetriebes gedient. Die Revision macht insoweit mit Recht geltend, daß die vom LSG angeführten Umstände nicht ganz ausreichen, um die Annahme zu rechtfertigen, die Klägerin habe ihren Unfall an einem Ort erlitten, bei dessen Erreichen sie den dem unversicherten persönlichen Leben zuzurechnenden Bereich verlassen und einen betrieblichen Zwecken dienenden Bereich betreten habe. In dem vom LSG angeführten Urteil vom 31. Mai 1967 (2 RU 218/64) hatte es der erkennende Senat als hierfür wesentlich angesehen, daß die Treppe zwischen Erdgeschoß und Zwischengeschoß nicht nur den Zugang zur Wohnung im ersten Obergeschoß bildete, sondern auch von dem Personal des Friseurgeschäfts und dessen Kunden begangen werden mußte, weil die Toilette im Zwischengeschoß auch für das Friseurgeschäft benutzt wurde. Davon unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt erheblich: Die Klägerin ist nicht auf der Treppe, sondern in ihrer abschließbaren Privatwohnung verunglückt; der Raum, in dem das geschah, war nicht die einzige Toilette im ganzen Hause, vielmehr befand sich an der Treppe, die von den Geschäftsräumen zur Wohnung hinaufführte, noch eine zweite Toilette; diese stand nach den tatsächlichen Feststellungen zwar "hauptsächlich" bzw. "in erster Linie" den männlichen Metzgereibediensteten zur Verfügung; daß sie aber diesem Personenkreis etwa ausschließlich vorbehalten gewesen wäre, kann man - schon angesichts des geringen Personalbestandes, den Handwerksbetriebe der hier gegebenen Art in der Regel aufweisen, - wohl kaum ernstlich in Betracht ziehen; besondere Umstände, die ausnahmsweise dafür sprächen, daß die weiblichen Bediensteten und die Kunden - insbesondere Mütter mit Kleinkindern- stets die in der Privatwohnung gelegene Toilette aufsuchen mußten, hat das LSG nicht festgestellt. Da schließlich auch die wöchentlich einmal stattfindende Benutzung des Bades durch die Verkäuferin K. schwerlich geeignet ist, diesem Raum ein betriebsbezogenes Gepräge zu verleihen, bestehen nach Ansicht des Senats erhebliche Bedenken gegen die Auffassung des LSG, das Badezimmer in der Privatwohnung der Klägerin habe rechtlich wesentlich auch betrieblichen Zwecken gedient. Mit den Argumenten, die das LSG als ausschlaggebend erachtet hat, könnte also das Berufungsurteil den Revisionsangriffen nicht standhalten. Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar.
Bei einer an sich dem persönlichen Lebensbereich angehörenden Verrichtung können betriebliche Faktoren für den Unfallversicherungsschutz bedeutsam sein, wenn sie sich auf den Unfallhergang unmittelbar auswirken. In seiner Rechtsprechung hat der erkennende Senat bereits entschieden, daß etwa die - an sich unversicherte - Einnahme einer Mahlzeit während einer Arbeitspause ausnahmsweise dem Unfallversicherungsschutz unterliegen kann, wenn der Beschäftigte durch die Betriebsverhältnisse genötigt ist, sich hierbei besonders zu beeilen (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1964, BG 1965, 273; Urteil vom 7. März 1969, Breithaupt 1969, 755; Urteil vom 31. Oktober 1968 - 2 RU 183/68; siehe auch SozR Nr. 20 zu § 543 der Reichsversicherungsordnung aF). Die - von der Revision insoweit nicht angegriffenen (§ 163 SGG) - Feststellungen des LSG reichen immerhin noch aus, um im vorliegenden Fall eine solche unmittelbare betriebliche Einwirkung auf den Unfallhergang erkennen zu lassen. Danach wollte die Klägerin nach dem Händewaschen schnell wieder in den Laden gehen, wo sie - wie auch ihr Ehemann und die Zeugin K. bekundet haben - dringend benötigt wurde, weil naturgemäß freitags bei Ladenschluß in einer Metzgerei besonders starker Andrang von Kunden herrscht, die noch ihren Wochenendbedarf einkaufen wollen. Unter diesen Begleitumständen verdient das Unfallgeschehen eine andere Beurteilung, als wenn die Klägerin ihre zum privaten Lebensbereich gehörende Toilette nebst Bad während der arbeitsfreien Zeit aufgesucht und dabei einen Unfall erlitten hätte.
Der Senat sieht keinen Anlaß, sich mit den Darlegungen des LSG zur versicherungsrechtlichen Bedeutung des Begriffs "geringfügige Unterbrechung" auseinanderzusetzen, zumal da es hierauf für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht ankommt.
Die Revision der Beklagten ist somit im Ergebnis unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Fundstellen