Orientierungssatz
Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr - Pannenhilfe - Ausschluß des Erstattungsanspruchs - Rückwirkung - Widerruf des Verzichts auf Verjährungseinrede.
1. Bleibt ein Pkw durch plötzliches Aussetzen des Motors nachts bei dichtem Nebel auf nasser, schlüpfriger und teilweiser vereister Fahrbahn stehen, so besteht eine gemeine Gefahr iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO.
2. Zur Frage, wann beim Anschieben eines auf der Fahrbahn liegengebliebenen Pkw's die Hilfeleistung bei einem Unglücksfall und bei gemeiner Gefahr (§ 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO) derart im Vordergrund steht, daß daneben ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO - im Hinblick auf das noch beabsichtigte Wiederingangsetzen des Motors - nicht eingreift.
3. Ob § 111 SGB 10 nicht nur für die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB 10, sondern generell für die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander - also auch für § 1504 RVO - gilt wird offengelassen.
4. Die Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 ist für Ansprüche, deren Geltendmachung wie nach § 1504 RVO - bisher nicht befristet war, nicht rückwirkend eingeführt, sondern erst mit Wirkung vom 1.7.1983 an begründet worden (Anschluß BSG 19.2.1986 8 RK 64/84 = SozR 1300 § 111 Nr 2).
5. Ein Verzicht auf die Verjährungseinrede nach eingetretener Verjährung ist zulässig und wirksam, jedenfalls, wenn der Schuldner Kenntnis davon gehabt hat, daß die Verjährung eingetreten oder vielleicht eingetreten ist (vgl BSG 24.11.19872 9 RV 646/71 = BSGE 35, 60, 63).
6. Hat der Gläubiger bereits vor dem Widerruf des Verzichts auf die Einrede der Verjährung Klage erhoben, kann sich der Schuldner nicht auf die Verjährung berufen.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a; SGB 10 § 111; SGB 10 Art 2 § 21; RVO § 539 Abs 2, § 1504; SGB 10 § 102
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.12.1983; Aktenzeichen L 2 Ua 2293/80) |
SG Ulm (Entscheidung vom 25.11.1980; Aktenzeichen S 9 U 790/79) |
Tatbestand
Der Beigeladene zu 2) - B. - wurde durch einen Verkehrsunfall am 6. Februar 1971 erheblich verletzt. Die klagende Ersatzkasse, bei welcher B. gegen Krankheit versichert war, verlangt von der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) für Fahrzeughaltungen oder dem Land Baden-Württemberg (Beigeladener zu 1) gemäß § 1504 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Erstattung der durch Haftpflichtversicherer nicht gedeckten Restkosten für Krankenhauspflege, Krankengeld und Transport - nach Angaben der Klägerin DM 5.572,73 bis einschließlich August 1974 - mit der Begründung, der Unfall sei ein Arbeitsunfall gewesen.
Am 6. Februar 1971, nachts gegen 2.00 Uhr, fuhr die Fahrzeughalterin Christa L. mit Bekannten, darunter dem Beigeladenen B., von einer Tanzveranstaltung kommend auf der Hauptstraße durch A., um in die Umgehungsstraße Richtung B. einzubiegen. Es herrschte dichter Nebel. Die Sicht betrug stellenweise nur 10 bis 20 m. Die Fahrbahn war naß, schlüpfrig und teilweise vereist. Die Fahrzeughalterin L. hielt an der Einmündung zur vorfahrtsberechtigten Umgehungsstraße an. Als sie anfuhr, um nach links in Richtung B. auf die Umgehungsstraße einzufahren, bat sie der Beigeladene B. geradeauszufahren, um auf der gegenüberliegenden Straße weiterzufahren, da es auf diesem Weg zu seiner Wohnung näher war. Als die Pkw-Fahrerin L. daraufhin ihr Fahrzeug stark nach rechts steuerte, setzte der Motor aus, weshalb das Fahrzeug auf der Umgehungsstraße zum Stehen kam. Nachdem die Versuche der Pkw-Fahrerin, den Motor wieder in Gang zu setzen, gescheitert waren, bat sie ua den Beigeladenen B., den Pkw anzuschieben. Als der Beigeladene B. gerade damit anfangen wollte, den Pkw nach vorne von der Umgehungsstraße hinunterzuschieben, näherte sich aus Richtung B.-tal ein Pkw und prallte auf den Pkw der Fahrerin L. Hierbei erlitt der Beigeladene B. schwere Verletzungen.
Die Klägerin wandte sich im Juli 1974 an die Beklagte mit der Bitte um Prüfung, ob ein Arbeitsunfall ("Pannenhilfe") anzuerkennen sei. Die Beklagte gab die Vorgänge "zuständigkeitshalber" an den Beigeladenen zu 1) ab, bei dem die Klägerin im Februar 1975 anfragte, ob mit der Anerkennung eines Arbeitsunfalls zu rechnen sei. Der Beigeladene zu 1) teilte der Klägerin im März 1975 mit, er habe die Vorgänge "zuständigkeitshalber" an die Beklagte zurückgegeben. Die Beklagte erklärte im April 1975 gegenüber der Klägerin, sie werde vorläufige Fürsorge im Sinne des § 1735 RVO leisten, da nach ihrer Ansicht ein Arbeitsunfall vorliege, die Entschädigung jedoch von einem anderen Versicherungsträger zu leisten sei. Mit ihrer im August 1975 erhobenen Feststellungsklage, daß der Beigeladene zu 1) zuständiger Versicherungsträger für den Unfall am 6. Februar 1971 ist, hatte die Beklagte zunächst Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 25. Mai 1978 - 25 U 343/75 -), nahm jedoch im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Hamburg (I UBf 35/78) am 6. Februar 1979 die Klage auf Anraten des LSG wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses zurück. Der Beigeladene zu 1) hatte auf Anfrage der Klägerin mit Schreiben vom 19. September 1977 mitgeteilt, daß er, sollte sich rechtskräftig seine Zuständigkeit ergeben, von seinem "Recht auf Geltendmachung des Verzichts der Verjährung" der Klägerin gegenüber keinen Gebrauch machen werde.
Auf die am 3. Juli 1979 erhobene Klage der Ersatzkasse, die Beklagte - hilfsweise den Beigeladenen zu 1) - dem Grunde nach zur Ersatzleistung zu verurteilen, hat das SG den Beigeladenen zu 1) verurteilt, der Klägerin gemäß § 1504 RVO Ersatz der Kosten zu leisten, die dieser aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen zu 2) entstanden sind; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. November 1980). Das SG hat angenommen, der Beigeladene zu 2) habe nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO als Helfer in einem Unglücksfall unter Versicherungsschutz gestanden und nicht nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO wie ein Beschäftigter der Pkw-Halterin bei der Pannenhilfe.
Das LSG hat die Berufung des Beigeladenen zu 1) zurückgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 1983). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Eine Pannenhilfe, bei der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO mit Zuständigkeit der Beklagten bestehe, setze erst ein, wenn ein Unglücksfall abgeschlossen sei und nur noch dessen Folgen beseitigt werden sollten (BSG Urteil vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 76/81 -). Hier habe die mit dem Unglücksfall verbundene gemeine Gefahr im Zeitpunkt der Hilfeleistung des Beigeladenen zu 2) noch angedauert. Aus der natürlichen Betrachtungsweise ergebe sich, daß der Beigeladene zu 2) die Hilfe nach objektiven und subjektiven Gesichtspunkten zur Beseitigung einer gemeinen Gefahr geleistet habe. In erster Linie habe das in Angriff genommene Anschieben des Pkw dem Zweck gedient, die durch das Stehenbleiben des Pkw entstandene Gefahr zu beseitigen. Es habe daher Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO bestanden. Der somit gegebene Erstattungsanspruch sei nicht nach § 111 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ausgeschlossen, da diese Vorschrift auf einen Fall der vorliegenden Art nicht anzuwenden sei. Auf die Einrede der Verjährung habe der Beigeladene zu 1) durch sein Schreiben vom 19. September 1977 wirksam verzichtet.
Der Beigeladene zu 1) hat die durch Beschluß des Senats vom 31. Juli 1985 (2 BU 32/84) zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. B. habe nicht Hilfe bei einer gemeinen Gefahr leisten wollen, er sei vielmehr allein aus Gefälligkeit gegenüber der Fahrerin des Pkw tätig geworden. Hierzu hätte das LSG die anderen Mitfahrer als Zeugen hören müssen. Selbst wenn jedoch neben den Voraussetzungen einer "Pannenhilfe" (§ 539 Abs 2 RVO) auch die Voraussetzungen einer Hilfeleistung iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO gegeben seien, bleibe es wegen der Subsidiarität dieser Vorschrift bei der Zuständigkeit der Beklagten. Insoweit habe das LSG den Hinweis des Beigeladenen zu 1) auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unbeachtet gelassen, nach der in Abgrenzungsfällen ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO nur bestehe, wenn die für einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO in Betracht zu ziehenden Umstände gegenüber denjenigen, welche die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO rechtfertigten, von so untergeordneter Bedeutung seien, daß sie als rechtlich unerheblich unberücksichtigt zu bleiben hätten (Beschluß vom 18. Dezember 1979 - 2 BU 171/77 -). Durch die Nichtberücksichtigung dieses rechtlichen Hinweises habe das LSG das rechtliche Gehör des Beigeladenen zu 1) verletzt. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Erstattungsanspruch der Klägerin jedenfalls nach § 111 SGB X wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen. Außerdem sei der Anspruch verjährt. Die Einrede der Verjährung sei wirksam erhoben worden. Dem stehe der früher erklärte Verzicht auf die Verjährungseinrede nicht entgegen, da er widerrufen worden und dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zulässig sei (BGH VersR 1961, 701).
Der Beigeladene zu 1) beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen ihn richtet.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte stellt den gleichen Antrag.
Diese Beteiligten halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene zu 2) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Der Beigeladene zu 2) - B. - war bei seinem Unfall am 6. Februar 1971 gemäß § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versichert, so daß der Beigeladene zu 1) als der nach § 655 Abs 2 Nr 3 RVO zuständige Träger der Unfallversicherung zum Ersatz der geltend gemachten Kosten verpflichtet ist, welche die Klägerin aus Anlaß des Unfalls des bei ihr gegen Krankheit Versicherten B. aufgewendet hat (s § 1504 RVO).
Gemäß § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO sind ua Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr Hilfe leisten.
Nach den insoweit nicht angegriffenen und deshalb für das BSG verbindlichen Feststellungen des LSG (s § 163 SGG) war der Pkw der Fahrerin L. mit drei weiteren Insassen, darunter B., nach dem plötzlichen Aussetzen des Motors auf der Umgehungsstraße (Bundesstraße) stehengeblieben und befand sich auf der Fahrbahn in Richtung zu einer die Bundesstraße kreuzenden nicht vorfahrtberechtigten Straße. Es war Nacht - gegen zwei Uhr -, die Sicht war durch dichten Nebel stellenweise auf zehn bis 20 Meter beschränkt, und die Fahrbahn war naß, schlüpfrig und teilweise vereist. Von der durch diese Sachlage entstandenen Gefahr, daß ein Kraftfahrzeug auf den stehengebliebenen Pkw auffuhr und dadurch überdies nachfolgende Kraftfahrzeuge ebenfalls verunglückten, war eine Mehrzahl von Personen und Sachen bedroht. Es bestand somit eine gemeine Gefahr iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 473c), wie auch der weitere Geschehensablauf beweist. B. hatte nach den weiteren Feststellungen des LSG die Gefahr erkannt und wollte, als es schon kurz darauf zu dem Aufprall des Pkw auf den liegengebliebenen Pkw kam, gerade damit beginnen, den Pkw von der Straße zu schieben, um die Gefahrensituation zu beseitigen. Angesichts der Größe der Gefahr, die ein sofortiges Eingreifen erforderte, entspricht es auch allein der natürlichen Anschauung, daß B. zunächst die Gefahr beseitigen wollte und nicht schon, bevor dies geschehen war, zugleich in der Vorstellung tätig geworden ist, für die Fahrerin des Pkw wie ein in deren Fahrzeughaltung Beschäftigter bei der Behebung einer Autopanne zu handeln. Die Hilfeleistung bei einem Unglücksfall und bei gemeiner Gefahr (§ 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO) stand somit bei dem Handeln des Beigeladenen B. im Unfallzeitpunkt derart im Vordergrund, daß daneben ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO - im Hinblick auf das noch beabsichtigte Wiederingangsetzen des Motors - hier nicht eingreift. Nichts anderes besagen die Ausführungen des LSG, B. habe "in erster Linie" Hilfe leisten wollen. Sowohl nach den tatsächlichen Gegebenheiten als auch in der rechtlichen Wertung steht das Urteil des LSG auch nicht im Widerspruch mit dem Beschluß des Senats vom 18. Dezember 1979 (2 BU 171/77), auf den sich die Revision somit zu Unrecht beruft.
Die Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 170 Abs 3 Satz 1 SGG). Die von dem Beigeladenen zu 1) in seinem Beweisantrag angeführten Bekundungen der Insassen des Fahrzeuges über das Wegschieben des Pkw stehen weder im Widerspruch mit ihren Aussagen im Strafverfahren und den tatsächlichen Feststellungen des LSG, noch stehen sie den daran anschließenden rechtlichen Wertungen des LSG entgegen. Deshalb mußte das LSG nicht davon ausgehen, daß eine Verwertung der Niederschriften der Zeugenaussagen im Strafverfahren nicht ausreicht und eine Vernehmung der Mitfahrer zur subjektiven Vorstellung des B. über die Notwendigkeit der von ihm unternommenen Hilfeleistung geeignet und geboten erschien. Dadurch, daß das LSG eine andere Rechtsauffassung als der Beigeladene zu 1) zur Abgrenzung zwischen einer "Pannenhilfe" und einer Hilfeleistung nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO vertritt, läßt sich nicht folgern, das LSG habe die Ausführungen des Beigeladenen zu 1) nicht zur Kenntnis genommen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klägerin nicht durch § 111 SGB X gehindert, den - früher unbefristeten - Erstattungsanspruch gemäß § 1504 RVO noch im anhängigen Verfahren geltend zu machen. Nach § 111 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Senat geht, ohne dies hier abschließend entscheiden zu müssen, zugunsten des Revisionsklägers davon aus, daß § 111 SGB X nicht nur für die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X, sondern generell für die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander - also auch für § 1504 RVO - gilt (s BT-Drucks 9/95 S 17, 24; offengelassen vom BSG in SozR 1300 § 111 Nr 1; verneinend Brackmann aa0 S 982). Er geht ferner zugunsten des Revisionsklägers davon aus, daß die von der Klägerin aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen B. erbrachten Leistungen zumindest teilweise nicht innerhalb von zwölf Monaten nach der Entstehung des Erstattungsanspruchs geltend gemacht worden sind. § 111 SGB X ist jedoch erst am 1. Juli 1983 in Kraft getreten (Art II § 25 Abs 1 des Gesetzes vom 4. November 1982 - BGBl I 1450). Zwar sind gemäß Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 bereits - wie hier - begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen, und § 111 SGB X ist von dieser Regelung nicht ausgenommen worden. Wie der 8. Senat des BSG im einzelnen dargelegt hat (Urteil vom 19. Februar 1986 - 8 RK 64/84; s auch BSG SozR 1300 § 111 Nr 1 und BSG 1300 § 45 Nr 13), ist danach aber die Ausschlußfrist für Ansprüche, deren Geltendmachung - wie nach § 1504 RVO - bisher nicht befristet war, nicht rückwirkend eingeführt, sondern erst mit Wirkung vom 1. Juli 1983 an begründet worden. Dieser Auffassung und deren Begründung schließt sich der erkennende Senat an, da sie überzeugend sind. Die Frist zur Geltendmachung der Erstattungsansprüche der Klägerin gemäß § 1504 RVO begann somit frühestens am 1. Juli 1983. Die Ansprüche sind folglich nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen.
Soweit der Erstattungsanspruch der Klägerin verjährt ist, kann der Beigeladene zu 1) die Verjährungseinrede, die er erst im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 29. November 1983 erhoben hat, nicht wirksam geltend machen. Mit Schreiben vom 19. September 1977 hat der Beigeladene zu 1) gegenüber der Klägerin auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Der Inhalt dieses Schreibens ist zwar im Wortlaut mißdeutig. Wie aber das LSG schon zutreffend dargelegt hat und mit der Revision auch nicht mehr in Abrede gestellt wird, ist nicht zweifelhaft, daß der Beigeladene zu 1) im Hinblick auf den damals noch anhängig gewesenen Rechtsstreit zwischen ihm un der Beklagten über die Zuständigkeit in Beantwortung der Anfrage der Klägerin vom 25. Juli 1977 den Verzicht auf die Verjährungseinrede auch hat aussprechen wollen. Ein solcher Verzicht nach eingetretener Verjährung ist zulässig und wirksam, jedenfalls, wenn - wie hier - der Schuldner Kenntnis davon gehabt hat, daß die Verjährung eingetreten oder vielleicht eingetreten ist (s BSGE 35, 60, 63; Palandt, BGB, 45. Aufl, § 222 Anm 2c mN, § 225 Anm 1). Der Beigeladene zu 1) geht in seiner Revisionsbegründung selbst davon aus, daß die Ansprüche der Klägerin bis einschließlich August 1974 bei der Abgabe der Verzichterklärung im September 1977 "längst" verjährt waren. Soweit dies zutrifft (s BSG SozR Nr 21 zu § 29 RVO) bestehen gegen die Zulässigkeit des Verzichts auf die Einrede der Verjährung auch nach der Rechtsprechung des BGH keine Bedenken. Entgegen der Auffassung der Revision ist das BSG (BSGE aa0) auch nicht von der Rechtsprechung des BGH abgewichen. Anders als in dem von der Revision insoweit angeführten Urteil des BGH vom 18. April 1961 (VersR 1961, 701, 702) betrifft die Entscheidung des BSG nicht einen Fall, in welchem möglicherweise ein Verzicht auf die Verjährungseinrede bereits vor dem Ablauf der Verjährungsfrist erklärt worden war (s ua auch BGH VersR 1976, 565 und 1978, 521).
Soweit für die Zeit bis August 1974 geltend gemachte Ansprüche der Klägerin im September 1977 noch nicht verjährt gewesen sind (s BSG SozR Nr 21 zu § 29 RVO), ist nach dem Urteil des BGH vom 18. April 1961 (aa0) die Einrede der Verjährung zwar unwirksam, und der Beigeladene zu 1) konnte seine Zusage widerrufen. Aber auch nach der Rechtsprechung des BGH wird damit die Zusage nicht mit der Wirkung aufgehoben, daß der Beigeladene zu 1) nach dem Widerruf sogleich die Einrede der Verjährung erheben durfte. Mit einem solchen gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhalten könnte ein Schuldner zunächst seinen Gläubiger an der Klageerhebung zur Unterbrechung der Verjährung hindern und nach Ablauf der Verjährungsfrist durch den Widerruf des Verzichts auf die Einrede der Verjährung den Gläubiger an der Durchsetzung seiner Forderung hindern. Der BGH geht deshalb in seinem Urteil vom 18. April 1961 davon aus, daß nach Ablauf des - nach der Auffassung des BGH - vor Ablauf der Verjährungsfrist unwirksamen Verzichts auf die Einrede der Verjährung für den Gläubiger eine angemessene Frist zur Klageerhebung beginnt. Da die Klägerin jedoch bereits vor dem Widerruf des Verzichts auf die Einrede der Verjährung Klage erhoben hatte, kann sich der Beigeladene zu 1) auch nach der Rechtsprechung des BGH nicht auf die Verjährung berufen, so daß der Senat offenlassen kann, ob der Auffassung des BGH zur Unwirksamkeit eines vor Ablauf der Verjährungsfrist erklärten Verzichts auf die Einrede der Verjährung entgegen einer insbesondere unter den Sozialleistungsträgern vielfach geübten und nach Treu und Glauben durchgeführten Praxis zu folgen ist.
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Fundstellen