Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmerversicherung. Arbeitsessen. Arbeitsunfall bei Nahrungsaufnahme
Orientierungssatz
Für die Einbeziehung der Nahrungsaufnahme in die Unfallversicherung wird ein enger betrieblicher Zusammenhang verlangt. Lediglich die vorhandene Hoffnung, bei einem Essen, zu dem ein Dachdeckermeister von einem Architekten eingeladen wurde, werde sich die Möglichkeit ergeben, Geschäftsbeziehungen zu pflegen, stellt keinen inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen her (vgl BSG 30.7.1981 8/8a RV 58/80 = SozR 2200 § 548 Nr 57).
Normenkette
RVO § 543 Abs 1, § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.06.1985; Aktenzeichen L 3 U 263/84) |
SG Stade (Entscheidung vom 04.09.1984; Aktenzeichen S 7 U 3/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin wegen des Todes ihres Ehemannes (Oe.) am 17. April 1983 einen Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte hat. Sozialgericht (SG; Urteil vom 4. September 1984) und Landessozialgericht (LSG; Urteil vom 25. Juni 1985) haben dies verneint, weil der Tod des Oe. nicht Folge eines Arbeitsunfalles gewesen sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Oe. war selbständiger Dachdeckermeister und als Unternehmer bei der Beklagten pflichtversichert. Sein Tod war die Folge eines Vorfalles am Ostersonnabend, den 2. April 1983. Am Vormittag dieses Tages begab Oe. sich - nach Erledigung anderer beruflicher Verpflichtungen - zur Gastwirtschaft des Zeugen F., um ihm verabredungsgemäß eine Rechnung zu bringen und Gespräche wegen der Ausführung weiterer Dachdeckerarbeiten zu führen. Hier traf er den Architekten und Bauunternehmer S. sowie zwei von dessen Mitarbeitern. Es kam zur gemeinsamen Erörterung von Bauarbeiten, welche in naher Zukunft ausgeführt werden sollten. St. lud die anderen Gesprächspartner zum Mittagsessen ein, in dessen Verlauf neben privaten Angelegenheiten vorwiegend über die zukünftigen Arbeiten an der Gastwirtschaft gesprochen wurde. In den Gründen des angefochtenen Urteils heißt es ua, Oe. sei kaum in der Lage gewesen, sich der Einladung des St. zu entziehen. Oe. mußte beim Essen - nach den Feststellungen des LSG wahrscheinlich wegen übermäßigen Biergenusses - erbrechen. Dadurch kam es zu einer Versperrung der Luftröhre und Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr. Während der anschließenden stationären Behandlung verstarb Oe. an den Folgen dieses Vorfalles.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, der Aufenthalt in der Gastwirtschaft sowie die Nahrungsaufnahme seien dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Oe. zuzurechnen (Bescheid vom 25. August 1983, Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1983).
In dem Urteil des SG heißt es ua, die Essenseinnahme habe mit der Unternehmertätigkeit des Oe. in keinem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang gestanden, da sie sich nicht aus Gründen, welche sich aus dem Unternehmen ergeben hätten, erfolgt sei; es habe sich nicht um ein unter Versicherungsschutz stehendes Arbeitsessen gehandelt. Das LSG hat zwar das Vorliegen eines zum Tode führenden Unfalles angenommen, jedoch ebenfalls einen rechtlich wesentlich inneren Zusammenhang zwischen der Unternehmertätigkeit und der Nahrungsaufnahme verneint, weil es hierfür an einer ausreichenden Verknüpfung gefehlt habe, welche die persönlichen und privaten Belange in den Hintergrund habe treten lassen.
Demgegenüber ist die Revision der Überzeugung, daß Oe. an den Folgen eines betriebsbedingten echten Arbeitsessens zu Tode gekommen ist. Bei der nicht unterbrochenen Betriebsbesprechung in der Gastwirtschaft sei die Nahrungsaufnahme - ebenfalls als Betriebstätigkeit - in den Hintergrund getreten; es habe sich dabei um eine typische unternehmerische betriebliche Tätigkeit gehandelt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Juni 1985 Az: L 3 U 263/84 sowie das Urteil des Sozialgerichtes Stade vom 4. September 1984 Az: S 7 U 3/84 sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. August und 8. Dezember 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 17. April 1983 Witwenrente nach dem Tode ihres Ehemannes G. Oe. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie meint, Oe. sei an einer "selbst gesetzten" körpereigenen Gefahr gestorben. Versicherungsschutz bestehe jedoch nur bei typischen Unternehmerverhalten, wozu die Nahrungsaufnahme und der übermäßige Biergenuß nicht zu rechnen seien. Gerade bei Unternehmern müsse genau zwischen Unternehmertätigkeit und privatem Lebensbereich unterschieden werden. Im übrigen sei zweifelhaft, ob Oe. am 2. April 1983 überhaupt einen Unfall erlitten habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Oe. erlitt am 2. April 1983 keinen Arbeitsunfall.
Die Gewährung von Witwenrente setzt nach § 589 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ua voraus, daß der Tod eines Versicherten "durch Arbeitsunfall" herbeigeführt wurde. Oe. war bei der Beklagten gemäß § 543 Abs 1 RVO als Unternehmer gegen Arbeitsunfall versichert. Demgemäß war im vorliegenden Rechtsstreit zu prüfen, ob Oe. infolge seiner Unternehmertätigkeit als Dachdeckermeister verstarb. Diese Prüfung haben SG und LSG eingehend durchgeführt. Sie sind dabei aus Gründen, welche auch den erkennenden Senat überzeugen, zu einem für die Klägerin negativen Ergebnis gekommen. Danach stand die zum Tode führende Essenseinnahme nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Unternehmertätigkeit des Ehemannes der Klägerin.
SG und LSG haben damit Versicherungsschutz für die Nahrungsaufnahme als solche verneint, weil sie nicht "im engen sachlichen Zusammenhang mit den Unternehmenszwecken" (BSG SozR 2200 § 548 Nr 57) stand, sondern vielmehr zum privaten und daher von der Unfallversicherung nicht mitumfaßten Bereich des Oe. gehörte. Die Urteile von SG und LSG stimmen mit der nicht umstrittenen allgemeinen Ansicht überein, wonach die Nahrungsaufnahme im allgemeinen dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen ist und nur beim Vorliegen "außergewöhnlicher Begleitumstände" (BSG Breithaupt 1969, 755, 756), wenn diese als betriebsbedingt zu werten sind, der erforderliche Sachzusammenhang bejaht werden kann (BSGE 50, 100 = Weg zur Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise; BSG SozR Nr 41 zu RVO, § 542 aF - Trinken zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit; hierzu ferner BSG USK 7462 und LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1973, 24; BSG USK 84 115 - Sturz auf dem Weg zur Nahrungsaufnahme bei besonderer Betriebsgefahr; hierzu ferner BSG USK 82 217, 82 313, BSG VersR 1969, 46; LSG NRW VersR 1981, 832 und Bayer. LSG Breithaupt 1981, 124; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, § 481 d ff mit umfangreichen Nachweisen; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548, Anm 47; Gitter in Sozialgesetzbuch - Sozialversicherung - Gesamtkommentar, § 548 S 28/10; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl., § 548 S B 095; Böhme ZfS 1974, 301; Benz BG 1981, 154, 156). Ein derartiger "enger betrieblicher Zusammenhang" (BSG SozR 2200 § 548 Nr 57), wie er für die Einbeziehung der Nahrungsaufnahme in die Unfallversicherung verlangt wird, war hier nicht gegeben.
Nach den Feststellungen des LSG trafen der Versicherte sowie der Architekt, welcher später zum Essen einlud, nur zufällig zusammen. Die Einladung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Besprechungsteilnehmer bereits längere Zeit zusammen waren und gemeinsam an einem Tisch Platz genommen hatten. "Weitergehende betriebliche Bezüge" (S 12) zwischen dem sog Arbeitsessen und der Unternehmertätigkeit des Oe. hat das LSG nicht festzustellen vermocht. In diesem Rahmen hatte der Senat die Annahme des LSG, Oe. habe sich der Einladung zum Essen nicht entziehen können, zu bewerten. Dafür, daß die gemeinsame Essenseinnahme mehr als eine Pflege der allgemeinen unternehmerischen Beziehungen darstellte, sind aber aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Vielmehr geht der Senat mit dem LSG davon aus, daß die allgemeinen bestehenden sowie die konkret besprochenen geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Ehemann der Klägerin, F. und St. nur der äußere Anlaß für die Einladung und das gemeinsame Essen zur Mittagszeit waren , daß aber die private, unabhängig von dem betriebsbedingten Zusammensein erforderliche Nahrungsaufnahme dadurch kein betriebliches Gepräge erhielt. Insbesondere ist nicht erkennbar, daß Oe. die Angelegenheiten seines Unternehmens konkret gefährdet haben würde, wenn er sich nicht zur Nahrungsaufnahme entschlossen hätte (hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr 57). Lediglich die ggf. vorhandene Hoffnung, bei dem Essen werde sich die Möglichkeit ergeben, Geschäftsbeziehungen zu pflegen, stellt keinen inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen her (BSG aaO).
Damit erweist sich die Annahme von SG und LSG als richtig, wonach Oe. bei der nicht betriebsbedingten Nahrungsaufnahme als Unternehmer unversichert war. Unter diesen Umständen brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob auch die sonstigen Merkmale eines Arbeitsunfalles, nämlich ein Unfallgeschehen und - hier: insbesondere - der Kausalzusammenhang zwischen der Unternehmertätigkeit und einem Unfall (haftungsbegründende Kausalität) - trotz der Bedeutung übermäßigen Biergenusses für das Erbrechen des Oe. - gegeben waren.
Die Revision war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen