Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitrentenbescheid. Bindungswirkung. Ausfallzeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Bescheid über Rente auf Zeit nach § 1276 Abs 1 RVO hat hinsichtlich einer darin festgestellten Ausfallzeit keine Bindungswirkung für die Weitergewährung der Rente (Anschluß an und Fortführung von BSG vom 15.12.1977 11 RA 2/77; 22.9.1981 1 RA 109/76; 13.7.1988 5/4a RJ 81/86; 28.4.1989 5 RJ 39/88; 6.9.1989 5 RJ 33/28 = SozR 1500 § 77 Nrn 26, 56, 66, 69, 70).
Normenkette
RVO § 1276 Abs. 1; SGG § 77
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 15.06.1988; Aktenzeichen L 5 Ar 915/87) |
SG Bayreuth (Entscheidung vom 07.10.1987; Aktenzeichen S 9 Ar 686/85) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), die die Beklagte der Klägerin gewährt, streitig.
Die 1936 geborene Klägerin ist von Beruf Damenschneiderin. Ihre Lehre durchlief sie vom 20. April 1953 bis 26. Januar 1956. Die Beklagte gewährte ihr durch Bescheid vom 14. Januar 1978 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) ab 1. November 1977. Dabei wurde der Rentenberechnung ua die von der Klägerin zurückgelegte Lehrzeit als nachgewiesene Ausfallzeit zugrunde gelegt. Durch Bescheid vom 2. September 1983 wandelte die Beklagte die Rente wegen BU in Rente wegen EU auf Zeit - ausgehend von einem Versicherungsfall vom 21. März 1983 - für den Zeitraum vom 20. September 1983 bis 31. Mai 1985 um. Hierbei berücksichtigte die Beklagte die Lehrzeit weiterhin als Ausfallzeit.
Auf den Weitergewährungsantrag der Klägerin gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 20. April 1985 Rente wegen EU auf Dauer ab 1. Juni 1985 unter Berücksichtigung des Versicherungsfalls vom 21. März 1983. Die Lehrzeit der Klägerin wurde in Abweichung von den vorgenannten Bescheiden nicht mehr als Ausfallzeit berücksichtigt. Der Widerspruch der Klägerin dagegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1985).
Auf die entsprechende Klage verpflichtete das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 7. Oktober 1987 die Beklagte, unter Abänderung der Bescheide vom 20. April und 24. Juli 1985 die Lehrzeit der Klägerin auch hinsichtlich der ab 1. Juni 1985 gezahlten EU-Rente als Ausfallzeit zu berücksichtigen. Die gegen dieses Urteil von der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 15. Juni 1988 zurück. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß die von der Klägerin absolvierte Lehrzeit seit Inkrafttreten der Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I S 41) nicht als Ausfallzeit zur Rentenberechnung hätte herangezogen werden dürfen. Dennoch sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, diese Ausfallzeit bei Gewährung der Rente wegen EU ab 1. Juni 1985 unberücksichtigt zu lassen. Das geltende Recht kenne nur einen einheitlichen Versicherungsfall der BU/EU, der eintrete, sobald die Voraussetzungen der §§ 1246 Abs 2 bzw 1247 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt seien. Auch aus § 1276 RVO lasse sich nicht entnehmen, daß es sich bei den Renten auf Zeit um solche handele, denen ein besonderer Versicherungsfall zugrunde liege. Die Feststellung von EU über den zunächst angenommenen Wegfallzeitpunkt hinaus sei somit nicht die Entscheidung über einen neuen Versicherungsfall, sondern enthalte nur die Aussage, daß der Zustand der EU, bezogen auf den ursprünglichen Versicherungsfall, weiterhin andauere. Unter diesen Umständen verbiete sich die Aussparung einer im Zeitrentenbescheid zu Unrecht angerechneten Ausfallzeit. Die Frage einer Ausklammerung der zu Unrecht anerkannten Ausfallzeit hätte sich für die Beklagte bloß anläßlich einer Neufeststellung wegen eines neuen Versicherungsfalles gestellt. Allein dann sei die zu § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergangene Rechtsprechung zur Bindungswirkung früherer Rentenbescheide von Bedeutung.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 77 SGG iVm § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1988 und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. Oktober 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch den erkennenden Senat statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin kann nicht die Anrechnung ihrer Lehrzeit als Ausfallzeit auch für die ab 1. Juni 1985 gewährte Rente wegen EU auf Dauer beanspruchen.
Durch § 1226 Nr 1 RVO idF der 1. Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung (Vereinfachungs-VO) vom 17. März 1945 (RGBl I S 41), die nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im gesamten Bundesgebiet spätestens am 7. September 1949 wirksam geworden ist (BSGE 3, 161; 15, 65 = SozR Nr 26 zu § 165 RVO; BSGE 18, 246, 248 = SozR Nr 37 zu § 165 RVO; BSG SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 3; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 50), wurde für alle Lehrlinge Versicherungspflicht eingeführt, unabhängig davon, ob sie gegen Entgelt beschäftigt waren oder nicht. Dies schließt die Anrechnung einer Ausfallzeit für eine nach Wirksamwerden der genannten Vorschrift unentgeltlich durchlaufene Lehrzeit schon nach dem Gesetzeswortlaut aus (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 50 S 132).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Beklagte im Bescheid vom 14. Januar 1978 hinsichtlich der Rente wegen BU und im Bescheid vom 2. September 1983 hinsichtlich der Rente wegen EU auf Zeit vom 20. September 1983 bis 31. Mai 1985 die Lehrzeit der Klägerin als Ausfallzeit berücksichtigt hat. Beide Bescheide waren weder nach Entscheidungsgegenstand noch -umfang so geartet, daß sie sachlich bereits eine verbindliche Aussage über eine Rentenberechtigung der Klägerin auch für die Zeit nach dem 31. Mai 1985 mitenthalten oder kraft ihrer allgemeinen Geltung als bestandskräftige Verwaltungsakte zumindest eine formale Bindung an bestimmte Entscheidungselemente für spätere Fallbeurteilungen bewirkt hätten.
Für den gedanklichen Ansatz in der ersten Beziehung ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die RVO einen Versicherungsfall der BU oder EU auf Zeit nicht kennt. Anders als das vor dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 -ArVNG- (BGBl I S 45) geltende Recht unterscheidet das Gesetz heute hinsichtlich des Versicherungsfalls nicht zwischen dauernder und vorübergehender Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Es treten nur noch einheitliche Versicherungsfälle der BU oder EU ein, sobald die Voraussetzungen des § 1246 Abs 2 RVO bzw § 1247 Abs 2 RVO erfüllt sind (BSG SozR Nr 3 zu § 1276 RVO). Die begründete Aussicht, daß die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein werde, hat mit dem Versicherungsfall als solchem nichts zu tun und ist von Bedeutung lediglich für die Dauer des sich daraus ergebenden Anspruchs (BSG SozR 2200 § 1276 Nr 5 mwN). Nach § 1276 Abs 1 RVO ist, wenn begründete Aussicht besteht, daß die BU bzw EU in absehbarer Zeit behoben sein kann, die Rente vom Beginn der 27. Woche nach Eintritt des Versicherungsfalls, jedoch nur auf Zeit und längstens für drei Jahre von der Bewilligung an zu gewähren. Dies gilt auch dann, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruht.
Aus der Einheitlichkeit des Versicherungsfalles der BU oder EU auf Dauer und auf Zeit kann jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht gefolgert werden, daß dann, wenn die Rente über den ursprünglichen Wegfallzeitpunkt hinaus durch einen zweiten Rentenbescheid weitergewährt wird, keine Möglichkeit mehr besteht, die in den Erstbescheid zu Unrecht miteinbezogene Ausfallzeit nunmehr schlicht - dh ohne ein Verfahren nach § 45 SGB X - unberücksichtigt zu lassen. Einer solchen Annahme liegt offensichtlich die Überlegung zugrunde, ein Versicherungsträger könne, nachdem er den Versicherungsfall der BU oder EU und die weiteren Voraussetzungen einer Zeitrente festgestellt habe, einen Bewilligungszeitraum bestimmen, der sich bei Fortdauer der Leistungsvoraussetzungen in der Weise bloß 'verlängern' lasse, daß eine Regelungswirkung nur bezüglich der 'Verlängerung' eintrete, die zugrundeliegenden sonstigen Elemente des Rentenbescheids aber unberührt bestehen blieben. Hierfür findet sich im Gesetz keine Stütze.
Der Begriff des Versicherungsfalls wird vom Gesetz zwar wiederholt gebraucht, aber an keiner Stelle erläutert oder normiert. Insoweit hat das BSG wiederholt dargelegt, daß mit dem Begriff Versicherungsfall nicht alle Leistungsvoraussetzungen umschrieben sind. Vielmehr werden damit nur die Ereignisse im Leben des Versicherten bezeichnet, gegen deren Nachteile er oder seine Hinterbliebenen durch die Versicherung geschützt werden sollen (BSGE 20, 48, 50; 22, 278, 280 mwN). Ob der Versicherte aus einem Versicherungsfall auch die vorgesehenen Leistungen erhält, hängt daher von den weiteren im Gesetz genannten Voraussetzungen ab, die sich mit dem Tatbestand des Versicherungsfalles gesetzestechnisch zu einem einheitlichen Leistungstatbestand - dem "Leistungsfall" - zusammenfügen.
Für die Gewährung einer Zeitrente bei eingetretenem Versicherungsfall der BU oder EU bestimmt § 1276 Abs 1 RVO als weitere Voraussetzungen in diesem Sinn, daß begründete Aussicht auf Behebung der BU oder EU in absehbarer Zeit besteht (Satz 1) oder die BU/EU nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Berechtigten beruht (Satz 2). Die Erfüllung der Voraussetzungen beschränkt die Rentengewährung auf eine Rente bloß auf Zeit ("ist ... zu gewähren"). Der Zeitraum der Rentengewährung ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 1276 Abs 2 Satz 1 RVO im Rentenfeststellungsbescheid zu bestimmen; mit Ablauf des Zeitraums fällt die Rente weg, ohne daß es eines Entziehungsbescheids bedarf. Gemäß Absatz 3 kann die Rente auf Zeit wiederholt gewährt werden. Hiermit ist nur eine Zeitrente gemeint, die bei unverändertem Versicherungsfall an eine vorherige Zeitrente anschließt, weil zwar weiter EU/BU vorliegt, diese aber in absehbarer Zeit behoben sein kann oder nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Berechtigten beruht.
Die Einzelausgestaltung des Leistungstatbestands Zeitrente im Gesetz hat für die Anwendung in der Praxis zunächst zur Folge, daß sich der Versicherte bei Ablauf des Bewilligungszeitraums um die Weitergewährung der Rente mit einem neuen, gesonderten Antrag auch dann bemühen muß, wenn sich an dem Versicherungsfall BU/EU nichts geändert hat. In Fortsetzung davon bedeutet der dem Antrag stattgebende Bescheid, dem Versicherten stehe auch nach Ablauf des Zeitraums, für den ihm bisher Rente gewährt worden ist, aufgrund des unveränderten Versicherungsfalles weiterhin Rente (zeitlich begrenzt oder auf Dauer) zu, nicht bloß die Verlängerung einer früher bereits dem Grunde nach anerkannten Sozialleistung, sondern stellt die eigenständige und vollinhaltlich erneute ("wiederholte") Bewilligung der beantragten Rente dar. Daß sich bei der Zuerkennung einer Rente auf Zeit der Wille des Versicherungsträgers von vornherein nur auf die Gewährung von Rente für diese Zeit richtet und es infolgedessen für die darüber hinausreichende Zeit an jeder für den Versicherten positiven Regelung durch den Versicherungsträger fehlt, haben der 11. und 5b Senat des BSG bereits entschieden (SozR 2200 § 1276 Nr 7, § 1241d Nr 12). Die gegenüber einer vorangegangenen Zeitrentengewährung in diesem Sinn verselbständigte Rolle einer erneuten Rentenbewilligung (auf Zeit gemäß § 1276 Abs 3 RVO oder auf Dauer) wirkt sich für die praktische Handhabung schließlich zum dritten dahin aus, daß der Sozialleistungsträger nicht nach § 45 SGB X vorgehen muß, um einen Fehler in der bisherigen Rentenberechnung zu berichtigen. Er kann vielmehr einen bisher fälschlich als Ausfallzeit einbezogenen Lebensabschnitt des Versicherten bei der jetzigen neuen Rentenberechnung - sofern dies der wirklich geltenden Rechtslage entspricht - in derselben Weise und mit derselben Wirkung unberücksichtigt lassen, wie er dies bei einer erstmaligen, von vornherein mit dem geltenden Recht übereinstimmenden Rentengewährung zu tun hätte.
In der Ausrichtung der erneuten Rentenbewilligung am gegenwärtigen Rechtszustand und an der ab jetzt zu erwartenden gesundheitlichen Entwicklung des Versicherten ist inhaltlich eingeschlossen, daß die erste Rentengewährung in ihrer Wirksamkeit - sofern sie nicht angefochten wurde, der entsprechende Bescheid also bestandskräftig ist - durch die zweite Rentenbewilligung nicht berührt wird; sie bleibt als positive Entscheidung über den Rentenanspruch der zurückliegenden Zeit "für die Beteiligten in der Sache bindend" (§ 77 SGG). Der Sozialleistungsträger darf daher die Rechtsposition, die der Versicherte infolge der Bindungswirkung erlangt hat, nicht durch neuen Verwaltungsakt verschlechtern (BSGE 46, 236 = SozR 1500 § 77 Nr 29). Allerdings beschränkt sich die erste Rentenbewilligung in ihrer aus § 77 SGG abgeleiteten gehaltlichen Geltung auch auf diesen Entscheidungsgegenstand. Das folgt zum einen allgemein daraus, daß § 77 SGG seiner rechtssystematischen Eigenart nach zu dem Komplex von Normen gehört, der den Grundsatz der 'res iudicata' für die jeweils beurteilte materielle Rechtsbeziehung zum Ausdruck bringt; er betrifft hauptsächlich gerichtliche Urteile, ergänzend aber auch andere hoheitliche Einzelfallmaßnahmen (Verwaltungsakte, § 31 Satz 1 SGB X) und läßt deren Verbindlichkeit mit der Sachaussage des Entscheidungsausspruchs übereinstimmen. Im speziellen Fall des Zeitrentenbescheids ist die Wirkungsbegrenzung auf einen bestimmten Lebensabschnitt des Versicherten zum anderen durch §§ 32 Abs 2 Nr 1, 39 Abs 2 SGB X begründet. Wie die allgemeinen Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts verfolgt auch die in § 32 Abs 2 Nr 1 SGB X normierte Befristung den Zweck, die Wirkungen insbesondere von begünstigenden Verwaltungsakten inhaltlich und (hier) zeitlich zu beschränken. Der Bescheid über die Bewilligung einer Rente auf Zeit gemäß § 1276 RVO kann daher, wie das BSG im Urteil vom 11. Februar 1988 (SozR 2200 § 1276 Nr 11) bereits ausdrücklich mitentschieden hat, Geltung nur für den darin bestimmten Zeitraum beanspruchen. Für einen sich anschließenden Rentenbezug hat er, wie sich aus § 39 Abs 2 SGB X ergibt, schon deshalb keine den neuen Leistungsfall im gesamten präjudizierende Bedeutung, weil seine Wirksamkeit mit Ende der festgesetzten Zahlungsperiode ebenfalls endet. Verbindlich ist der Bescheid der Beklagten vom 2. September 1983 demzufolge als Leistungsgrundlage nur für die Rente bis 31. Mai 1985, nicht auch für die vorliegend in Streit stehende Rente der Klägerin ab 1. Juni 1985.
Der Bescheid vom 2. September 1983 entfaltet auch nicht zumindest hinsichtlich einzelner seiner Bestandteile eine sachlich darüber hinausreichende Bindungswirkung, die sich aus dem Grundsatz ableitet, daß bestands- und rechtskräftige Hoheitsakte auch von anderen Hoheitsträgern als ihren Urhebern in der Existenz zu respektieren sind (sog Tatbestandswirkung). Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, daß auch im Bezug auf einzelne Elemente einer Rentenfeststellung von Bindungswirkung gesprochen werden kann. Diese Art von Verbindlichkeit wird aber nicht umfassend und unspezifiziert verstanden. Nach bisheriger Auffassung erfaßt sie bei Rentenbescheiden der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vielmehr grundsätzlich nur den Verfügungssatz, dh die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Rente (BSGE 45, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr 26; BSG SozR 1500 § 77 Nrn 56, 66; BSGE 65, 8; erkennender Senat zuletzt SozR 1500 § 77 Nrn 69, 70). Die Begründung der Bescheide nimmt an der Bindungswirkung nicht teil. Zur Begründung gehören die rechtliche Beurteilung von Vorfragen sowie die den Bescheiden zugrunde gelegten Erwägungen und insbesondere die Berechnungsfaktoren (BSG SozR 1500 § 77 Nrn 56, 69, 70). Demnach ist die Entscheidung über die Anerkennung von Versicherungszeiten in einem Rentenbescheid nicht einer Bindung fähig (BSGE 14, 154, 159 = SozR Nr 24 zu § 77 SGG; BSGE 32, 114, 115 = SozR Nr 75 zu § 77 SGG; BSGE 45, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr 26 S 20, hier insbesondere auch bezogen auf die Feststellung einer pauschalen Ausfallzeit).
Allerdings sind gegen die vorstehend dargestellte Auffassung durch den erkennenden Senat früher einmal Bedenken erhoben worden (Urteil vom 31. Mai 1978, BSGE 46, 236, 237 ff = SozR 1500 § 77 Nr 29 S 25 ff; vgl auch BSGE 49, 296, 297 = SozR 2200 § 1278 Nr 7 S 10). Ohne die Frage abschließend zu entscheiden, ist in Erwägung gezogen worden, ob die Bindungswirkung eines Rentenbescheids nicht jedenfalls auf solche Elemente des Bescheids erstreckt werden müsse, die - wie etwa die Feststellung von Versicherungszeiten - der gesonderten Regelung durch einen der Bindung fähigen Verwaltungsakt außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens zugänglich seien. Der 1. Senat hat diese Frage ebenfalls für erwägenswert und klärungsbedürftig gehalten (Urteil vom 22. September 1981, SozR 1500 § 77 Nr 56), eine entsprechende Anfrage an den Großen Senat jedoch wieder zurückgezogen, weil nach Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981 gesetzlich geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden könne. Mit Urteil vom 16. März 1989 (BSGE 65, 8) hat der 4. Senat für die Bindungswirkung von Rentenbescheiden an der allgemein vertretenen Meinung festgehalten und für Versicherungszeiten und weitere Rentenberechnungsmerkmale eine Verbindlichkeit der entsprechenden Feststellung durch den Sozialleistungsträger lediglich dann bejaht, wenn darüber ein gesonderter Vormerkungsbescheid (aufgrund von § 11 Abs 2 Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 3. März 1960 -VuVO-) ergangen ist (aaO S 13 mwN). Die hiermit nach dem jeweiligen Regelungsgegenstand vorgenommene Differenzierung der Bindungswirkung von Rentenbescheid einerseits und Vormerkungsbescheid andererseits hält auch der erkennende Senat für zutreffend. Für die Rentengewährung an die Klägerin ab Juni 1985 bedeutet dies aber, daß mangels eines speziell ihre Ausbildung als Ausfallzeit betreffenden Vormerkungsbescheids keine auch jetzt noch verbindliche Feststellung darüber mit dem Rentenbescheid der Beklagten vom 2. September 1983 erfolgt ist. Eine aus dem allgemeinen Vertrauensgrundsatz abzuleitende Bestandsgarantie zugunsten der Klägerin besteht insofern nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen