Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.07.1990)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 1990 wird zurückgewiesen.

Kosten im Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Kindergeld für ihre ehelichen Kinder Shawn-Alan (geboren 15. September 1983) und Cindy-Jane (geboren 24. Mai 1985).

Sie ist mit einem amerikanischen Staatsangehörigen verheiratet, der sich als Angehöriger der US-Armee in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Das ihr gewährte Kindergeld wurde mit Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) im September 1986 eingestellt. Den im Mai 1987 gestellten Antrag auf Bewilligung von Kindergeld begründete die Klägerin mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. März 1987 ab.

Der erneut im Mai 1988 gestellte Kindergeldantrag verfiel ebenfalls der Ablehnung, da die Klägerin als Ehefrau eines Mitglieds der NATO-Truppe nicht anspruchsberechtigt sei (Bescheid vom 30. Juni 1988). Den Widerspruch wies die Beklagte als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. August 1988).

Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 13. Dezember 1989; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 27. Juli 1990). Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe als Angehörige eines Mitglieds der NATO-Streitkräfte keinen Anspruch auf Kindergeld für ihre beiden ehelichen Kinder. Dem Anspruch nach § 1 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) stünden zwischenstaatliche Kollisionsnormen, nämlich das NATO-Truppenstatut sowie Artikel 13 Satz 1 des Zusatzabkommens hierzu entgegen. Die EWG-Verordnung 1408/71 finde auf die Klägerin keine Anwendung. Entgegen der Meinung der Klägerin sei die Regelung auch verfassungsgemäß; Artikel 3 und Artikel 6 Grundgesetz (GG) seien nicht verletzt. Soweit die Klägerin darauf verweise, daß Artikel 13 des Zusatzabkommens in der englischen und französischen Fassung eine von dem deutschen Text inhaltlich abweichende Formulierung enthalte, sei dies nicht relevant; Artikel 83 Abs 3 des Zusatzabkommens bestimme, daß alle drei Wortlaute verbindlich seien.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Artikel 13 des Zusatzabkommens sowie der Artikel 3 und 6 GG. Bei verfassungskonformer Auslegung des Artikel 13 des Zusatzabkommens finde unmittelbar deutsches Recht Anwendung, zumal da die Klägerin ihren Wohnsitz im Inland auch nach Eheschließung beibehalten habe und als Selbständige Steuern und Beiträge abführe. Sie sei somit nicht aus dem Sozialgefüge herausgenommen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Trier vom 13. Dezember 1989 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 1990 und die Bescheide der Beklagten vom 30. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab 1. November 1987 Kindergeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung der Vorinstanzen für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Ihr stehen nach den zutreffenden Entscheidungen der Vorinstanzen Kindergeldleistungen für ihre beiden ehelichen Kinder nicht zu.

Zwar erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG. Sie lebt mit ihren Kindern in der Bundesrepublik Deutschland und hat hier auch nach der Eheschließung mit einem in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Soldaten der US-Armee ihren Wohnsitz. Die Bestimmungen der NATO-Abkommen haben auf die Begründung des Wohnsitzes keinen Einfluß (BSG SozR 6180 Artikel 13 Nr 5).

Gleichwohl stehen der Anwendung des § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG zwischenstaatliche Kollisionsnormen, nämlich die Regelungen des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl II 1961, 1190) – NATO-Truppenstatut – entgegen. Die Klägerin ist Angehörige eines Mitglieds der US-Armee und daher gemäß Artikel 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl II 1961, 1218, geändert BGBl II 1973, 1027) – NATO-TrStatZAbk – von der Kindergeldberechtigung ausgeschlossen. Auch die EWG-VO 1408/71 findet zugunsten der Klägerin keine Anwendung.

Die NATO-Abkommen sowie das EWG-Recht sind revisibles Recht; der Geltungsbereich der EWG-Verordnungen und der NATO-Abkommen umfassen das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, so daß sich das zugrunde liegende Recht jeweils über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG).

Der Vorrang über- und zwischenstaatlichen Rechts vor inländischen Normen ist im BKGG nicht ausdrücklich geregelt; er ist jedoch in § 30 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch -(SGB I) positiv-rechtlich ausgesprochen (BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Artikel 13 Nr 3). Die Klägerin fällt als Angehörige eines Mitglieds einer Truppe iS von Artikel I Abs 1 c des NATO-Truppenstatuts unter Artikel 13 Abs 1 Satz 1 des NATO-TrStatZAbk. Danach werden zwischenstaatliche Abkommen oder andere im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge, zu denen die Normen des BKGG gehören (§§ 1, 6 und 25 Abs 1 SGB I), auf Angehörige nicht angewendet, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Diese Vorschrift ist durch die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Bundesrecht geworden (Gesetz vom 18. August 1961 – BGBl II 1961, 1983).

Es mag – wie die Klägerin meint – offen bleiben, ob nach dem englischen Vertragstext „including social and medical assistance” und nach dem französischen Vertragstext „en matière de sécurité sociale et d'assistance sociale et médicale” nur Sozialhilfe und medizinische Versorgung für die unter das NATO-Truppenstatut fallenden Personen ausgeschlossen werden sollten. Insoweit weist das LSG zutreffend darauf hin, daß nach Artikel 83 Abs 3 NATO-TrStatZAbk alle drei Wortlaute verbindlich sind. Somit ist für das inländische Recht der deutsche Vertragstext maßgebend. Artikel 13 Abs 1 Satz 1 des NATO-TrStatZAbk bestimmt ausdrücklich, daß im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge, zu denen naturgemäß das BKGG rechnet, ua auf „Angehörige” keine Anwendung finden.

Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere sozialversicherungsrechtlichen Inhalts, zugrunde liegenden Auslegungskriterien bestätigen obige Auslegung zusätzlich. In erster Linie ist von dem Wortlaut des Vertragstextes auszugehen. Ihm kommt bei der Auslegung im allgemeinen größere Bedeutung zu als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Diese enge Grenzziehung schließt die Heranziehung anderer Auslegungskriterien neben dem Vertragstext nicht grundsätzlich aus. So ist auch der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und des auszulegenden Einzelvertrages ergibt (BSG SozR 6480 Artikel 22 Nr 1). Nach dem NATO-Truppenstatut sind die Familienangehörigen eines Mitglieds der Streitkräfte in den Entsendestatus mit einbezogen. Deren Staatsangehörigkeit ist dabei ohne Belang. Demgemäß sollen nach dem Willen der Vertragspartner grundsätzlich die Entsendestaaten – und nicht die deutschen Stellen -für die soziale Sicherheit dieser Personen verantwortlich sein (vgl Erläuterungen zu den Zusatzvereinbarungen Artikel 13, 56 und 78 in: Denkschrift zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen, BT-Drucks III/2146 S 234, 235). Ausnahmen hiervon sind nur dann geboten, wenn rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften begründet werden (vgl Artikel 13 Abs 1, Satz 2 und 3 des NATO-TrStatZAbk und Erläuterung zu den Zusatzvereinbarungen – Artikel 13 – in: Denkschrift aaO S 235). Aufgrund dessen hatte die Klägerin während der Dauer ihrer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und danach während des Bezugs von Alg Kindergeld für ihre beiden Kinder bezogen. Für die sich danach anschließende Zeit war die Bindung an den Rechtsbereich des BKGG gelöst, so daß die Klägerin „nur noch” als Angehörige iS des Artikel 13 des NATO-TrStatZAbk gilt.

Nach der zutreffenden Entscheidung des LSG kommt dem in der EWG-VO 1408/71 enthaltenen Gemeinschaftsrecht kein Vorrang gegenüber den Kollisionregeln des NATO-TrStatZAbk zu (BSGE 52, 210 = SozR 6180 Artikel 3 Nr 3 und SozR 6180 Artikel 3 Nr 5). Die Klägerin unterfällt zwar als deutsche Staatsangehörige, die im Inland selbständig tätig ist, nach Artikel 2 EWG-VO 1408/71 dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung. Jedoch ergibt sich aus Artikel 17 der EWG-VO 1408/71, daß das EWG-Recht für sich keine abschließende Kompetenz für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts in Anspruch nimmt. Es überläßt es vielmehr den Mitgliedstaaten, abweichende Kollisionsregeln für die Versicherungszugehörigkeit bestimmter Personengruppen zu schaffen. Die NATO-Abkommen, die durch Artikel 6 EWG-VO 1408/71 nicht außer Kraft getreten sind, beinhalten ein solches Sonderrecht für bestimmte in der Bundesrepublik befindliche Personengruppen (BSGE 52 aaO).

Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 18. Juli 1989 – 10 RKg 21/88 – (SozR 6180 Artikel 13 Nr 6) verstoßen Wortlaut und Auslegung des Artikel 13 Abs 1 des NATO-TrStatZAbk nicht gegen Verfassungsrecht (ebenso zum Bundeserziehungsgeldgesetz -BErzGG- vgl BSG SozR 6180 Artikel 13 Nr 5). Der in Artikel 3 Abs 1 GG enthaltene Gleichbehandlungsgrundsatz wäre verletzt, wenn die Klägerin im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt würde, obwohl zwischen diesen Gruppen keine solchen Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88 und stRspr), dh, wenn hier die Versagung des Kindergeldes willkürlich wäre. Eine solche sachfremde Differenzierung zwischen deutschen Staatsangehörigen liegt nicht vor. Die Klägerin wird als deutsche Staatsangehörige mit anderen Angehörigen der NATO-Streitkräfte gleichbehandelt. Nach dem Willen und der Konzeption der Vertragsparteien unterliegen die Angehörigen, das sind nach der Definition des Artikel I Abs 1 Buchstabe c des NATO-Truppenstatuts der Ehegatte eines Mitglieds einer Truppe sowie das dem Mitglied gegenüber unterhaltsberechtigte Kind, – wie ausgeführt – der sozialen Sicherheit und Fürsorge des Entsendestaates. Sie teilen grundsätzlich das rechtliche Schicksal der Mitglieder einer Truppe im sozialen Bereich. Nur ausnahmsweise sind die Familienangehörigen in das soziale Gefüge des Aufnahmestaates eingebettet. Gerade Artikel 13 Abs 1 NATO-TrStatZAbk stellt sicher, daß eine Doppelversorgung durch den Entsendestaat und den Aufnahmestaat vermieden wird. Damit ist auch dem Schutz der Ehe (Artikel 6 GG) in ausreichender und gebührender Weise Genüge getan.

Auch ist es entgegen der Meinung der Klägerin in diesem Zusammenhang keinesfalls angängig, Vergleiche mit einer Frau anzustellen, die mit einem Mitglied der Truppe in nichteheähnlicher Lebensgemeinschaft verbunden ist. Auf sie findet Artikel 13 NATO-TrStatZAbk allein deswegen keine Anwendung, weil sie keine Ansprüche aus der Ehe abzuleiten vermag und der Entsendestaat des Truppenmitgliedes gerade nicht für ihre soziale Sicherheit und Fürsorge einsteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172688

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