Leitsatz (amtlich)
Der für eine Serie von Behandlungen erhobene Erstattungsanspruch des Versicherten ist als Anspruch auf wiederkehrende Leistungen iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 2 zu beurteilen. Erstreckt sich die Behandlungsserie auf mehr als 13 Wochen, dann ist die Berufung auch für den Fall zulässig, daß die Summe der Tage, an denen die einzelnen Behandlungen durchgeführt worden sind, weniger als 13 Wochen beträgt.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.07.1977; Aktenzeichen L 4 Kr 39/76) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 16.06.1976; Aktenzeichen S 6 Kr 35/75) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Juni 1977 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die beklagte Ersatzkasse verpflichtet ist, dem Kläger, ihrem versicherungspflichtigen Mitglied, die Kosten der von einem Heilpraktiker durchgeführten Akupunkturbehandlungen zu erstatten.
Die Behandlungen sind in der Zeit vom 8. Februar bis zum 2. November 1974 an zwölf Behandlungstagen und in der Zeit vom 18. Januar bis zum 13. Dezember 1975 an zehn Behandlungstagen durchgeführt worden. Für die erste Behandlungsserie zahlte der Kläger 1.000,- DM, für die zweite 1.225,- DM.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung dieser Kosten ab, weil die streitigen Behandlungen nicht zu den Vertragsleistungen der Kasse gehören und deshalb auch nicht auf dem Weg über eine Kostenerstattung honoriert werden können. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen im Streit sei, der einen Zeitraum von weniger als dreizehn Wochen umfasse (§ 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die einzelnen Behandlungen müßten so betrachtet werden, als seien sie zusammenhängend durchgeführt worden. So ergäben sich nur 22 Behandlungstage.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, indem es die Berufung als unzulässig angesehen habe. Es habe damit ua § 144 Abs 1 Nr 2 SGG verletzt.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen,
hilfsweise,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten diese zu verurteilen, ihm die Kosten der Akupunkturbehandlung in Höhe von 2.225,- DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die unbestrittenen Feststellungen des LSG reichten für eine Sachentscheidung aus. Diese könne nur im Sinne des Urteils des Sozialgerichts lauten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Kläger rügt mit Erfolg einen Verfahrensmangel des LSG, auf dem das Urteil beruht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG hat unter Verletzung des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG die Berufung als unzulässig verworfen, statt über sie sachlich zu entscheiden.
Zutreffend hat das LSG allerdings den Erstattungsanspruch nicht als einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG beurteilt. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 31. Juli 1963 (BSGE 19, 270, 272) nicht nur den Anspruch auf längerdauernde Krankenpflege, sondern auch den Anspruch auf Übernahme der Kosten einer solchen Krankenpflege als Anspruch auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG behandelt (bzgl der Kosten für Krankenhauspflege vgl BSGE 11, 30, 31). Daran hält der Senat fest. Für die Berufungsausschließungsgründe, die weniger wichtige Fälle erfassen sollen, ist in erster Linie der sachliche Gehalt der Streitsache maßgebend. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Frage, ob eine Reihe von wiederkehrenden Leistungen als Versicherungsleistungen angesehen werden können. Ob diese Leistungen als Sachleistungen oder - nachdem sie sich der Kläger selbst beschafft hat - im Wege der Kostenerstattung zu erbringen sind, ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung.
Dem LSG kann aber nicht darin gefolgt werden, die streitigen Leistungen erfaßten einen Zeitraum von weniger als dreizehn Wochen. Nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ist die Berufung ausgeschlossen bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monate). Schon diese Formulierung läßt erkennen, daß die Berufung hinsichtlich wiederkehrender Leistungsansprüche nur dann ausgeschlossen ist, wenn sie ihrer Zweckbestimmung nach ("für") nicht für eine bestimmte Mindestzeit gedacht sind; bezüglich der weniger wichtigen Fälle soll damit die Berufung ausgeschlossen werden. Die Zahl der einzelnen Leistungen aber ist für die Wichtigkeit der Streitsache nicht ausschlaggebend, entscheidend ist vielmehr, daß die Leistungen unabhängig von ihrer Zahl eine längere Zeit "abdecken".
Es spricht nichts dafür, die Zahl der täglichen Leistungen - Behandlungen -, wie es das LSG getan hat, für die Beurteilung der Berufungsfähigkeit einer Streitsache heranzuziehen. Dafür läßt sich insbesondere nicht das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts vom 18. Dezember 1964 (BSGE 22, 181) anführen, wonach bei einem Anspruch auf Schlechtwettergeld als wiederkehrender Leistung die Zahl der jeweils zusammenhängend verlaufenen Ausfalltage der einzelnen Arbeitnehmer als Zeitraum im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG anzusehen ist. Entscheidend ist auch nach diesem Urteil nicht die Zahl der Leistungen, sondern die Zahl der Tage, für die die begehrte Leistung ihrer Zweckbestimmung nach gedacht ist. Abgesehen davon ist auch kein sachlicher Gesichtspunkt dafür ersichtlich, für die einzelnen Behandlungen jeweils einen Tag anzusetzen und als Berechnungselement für den Leistungszeitraum nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG zugrunde zu legen.
Die Zahl der Leistungen kann nur dann entscheidend sein, wenn fraglich ist, ob diese Leistungen jeweils einmalige Leistungen im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG sind oder ob zwischen den Leistungen ein Zusammenhang besteht, der sie zu wiederkehrenden Leistungen im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG macht. Ist wie hier das LSG zu Recht entschieden hat, eine Reihe von Leistungen als wiederkehrend zu beurteilen, dann ist geklärt, daß nicht nur ein sachlicher (vgl BSGE 11, 102, 108), sondern auch ein zeitlicher Zusammenhang besteht. Werden wiederkehrende Leistungen verlangt, die in einem länger als dreizehn Wochen dauernden Zeitraum erbracht werden, dann werden sie im Sinne des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG auch "für" diesen Zeitraum in Anspruch genommen. Ob sich der zeitliche Zusammenhang im vorliegenden Fall auf sämtliche Behandlungen bezieht oder ob jeweils Serien von zwölf oder zehn Behandlungen im Zusammenhang betrachtet werden müssen, kann dahinstehen, weil sich auch diese Serien auf Zeiträume von mehr als dreizehn Wochen erstrecken.
Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG beruht auf § 170 Abs 2 Satz 2 SGG. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen