Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentumsschutz des Arbeitslosengeldes
Leitsatz (amtlich)
1. Zeiten der Mitgliedschaft als Abgeordneter des Deutschen Bundestages können nicht in entsprechender Anwendung des § 107 AFG einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestellt werden.
2. Es ist mit Art 48 Abs 2 und 3 GG vereinbar, daß Zeiten der Mitgliedschaft im Bundestag keinen Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung begründen oder aufrechterhalten.
3. Zur Entschädigung eines ausscheidenden Mitglieds des Bundestages enthält § 18 Abgeordnetengesetz mit dem Übergangsgeld eine Sonderregelung.
Orientierungssatz
1. Der erworbene und durch Art 14 Abs 1 S 1 GG geschützte Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bereits zum Zeitpunkt der Entstehung mit der Verfallsfrist des § 125 Abs 2 AFG belastet. Hierin liegt eine eigentumsrechtlich unbedenkliche Inhaltsregelung iS von Art 14 Abs 1 S 2 GG.
2. Ein Bundestagsabgeordneter schuldet rechtlich keine Dienste und ist nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, sondern nur seinem Gewissen unterworfen. Sein Status ist durch Unabhängigkeit gekennzeichnet.
3. Die Ausübung eines Mandats als Bundestagsabgeordneter wird nicht von § 168 AFG erfaßt; sie steht auch nicht einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 107 AFG gleich.
Normenkette
AFG §§ 104, 107, 125 Abs 2; GG Art 48 Abs 2; GG Art 48 Abs 3; GG Art 14 Abs 1 S 1; GG Art 14 Abs 1 S 2; AbgG § 18 Abs 1; AFG § 168 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 3. April bis 30. September 1985.
Der 1939 geborene Kläger studierte zwischen 1965 und 1968 Publizistik und Kunstgeschichte und verrichtete anschließend - mit Unterbrechungen - unterschiedliche Tätigkeiten. Aufgrund von Aushilfstätigkeiten als Sachbearbeiter beim Sender Freies Berlin (SFB) erwarb er ab 1. Juli 1981 einen Alg-Anspruch von 156 Tagen. Ab 1. September 1981 war er als Reporter-Assistent wiederum beim SFB beschäftigt. Arbeitsentgelt aus diesem bis zum 30. September 1983 befristeten Beschäftigungsverhältnis bezog er nur bis einschließlich Februar 1983. Von März 1983 bis März 1985 war der Kläger Abgeordneter des Deutschen Bundestages; beim Ausscheiden erhielt er ein Übergangsgeld in Höhe von 16.000,-- DM. Seit 1. Oktober 1985 ist er bei der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag angestellt.
Am 3. April 1985 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Anwartschaftszeit sei nicht erfüllt; der Kläger habe in der dreijährigen Rahmenfrist vor der Arbeitslosmeldung nicht mindestens 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden (Bescheid vom 25. April 1985; Widerspruchsbescheid vom 12. August 1985).
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 23. April 1986; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Berlin vom 15. Mai 1987). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils im wesentlichen ausgeführt, der Restanspruch des Klägers auf Alg aus seiner Aushilfstätigkeit als Sachbearbeiter beim SFB sei gemäß § 125 Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) mit Ablauf des 1. Juli 1984 untergegangen bzw erloschen. Für einen neuen Anspruch auf Alg fehle es an der Erfüllung der erforderlichen Anwartschaftszeit. Die Wahrnehmung des Mandats als Bundestagsabgeordneter stelle keine beitragspflichtige Beschäftigung dar und gehöre auch nicht zu den nach § 107 AFG einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichgestellten Zeiten. Dieses Ergebnis begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 48 Abs 2, Art 48 Abs 3 sowie Art 14 des Grundgesetzes (GG). Durch sein Abgeordneten-Mandat habe er seine Anwartschaftszeit aus der Tätigkeit vom 1. September 1981 bis 28. Februar 1983 sowie seinen Restanspruch aus der Zeit seiner Arbeitslosigkeit ab 1. Juli 1981 verloren. Die Abgeordnetengesetze des Bundes und der Länder enthielten keine Bestimmungen über eine an das Mandat anschließende Arbeitslosigkeit. Das danach zustehende Übergangsgeld sei als Start- und Anpassungshilfe für die Wiedereingliederung in den Beruf weder dazu gedacht noch geeignet, eintretende Arbeitslosigkeit auszugleichen. Im übrigen seien die den eigentumsrechtlich geschützten Alg-Anspruch beschränkenden Bestimmungen des AFG unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Mai 1987, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 1986 und den Bescheid der Beklagten vom 25. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 3. April bis 30. September 1985 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht im streitigen Zeitraum kein Alg zu.
Anspruchsberechtigt ist gemäß § 100 Abs 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, daß zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung am 3. April 1985 diese Voraussetzungen bei dem Kläger nicht vorlagen. Innerhalb der seiner Arbeitslosigkeit vorausgehenden dreijährigen Rahmenfrist (§ 104 Abs 2 und 3 AFG) hat er die erforderliche Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Zudem war der am 1. Juli 1981 entstandene und noch nicht ausgeschöpfte Alg-Anspruch aus seiner Aushilfstätigkeit als Sachbearbeiter beim SFB erloschen (§ 125 Abs 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 gültigen Fassung -aF-).
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die dreijährige Rahmenfrist (§ 104 Abs 3 AFG) geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 AFG). Die Anwartschaftszeit für den ab 3. April 1985 geltend gemachten Anspruch auf Alg hätte der Kläger daher nur erfüllt, wenn er in der Zeit vom 3. April 1982 bis 2. April 1985 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hätte. Nach den den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen des LSG war er in diesem Zeitraum lediglich vom 3. April 1982 bis 28. Februar 1983 - mithin 332 Kalendertage - als Reporter-Assistent beim SFB beitragspflichtig beschäftigt.
Die Zeit vom 1. März 1983 bis 30. September 1983, in der das Arbeitsverhältnis ohne Fortzahlung des Entgelts weiterbestand, ist nicht anwartschaftsbegründend (§ 104 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG). Diese Regelung beruht darauf, daß für Beschäftigungszeiten, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG auch grundsätzlich keine Beiträge zu entrichten sind (BSG Urteil vom 22. August 1984 - 7 RAr 32/83 - DBlR Nr. 2993 zu § 104). Auch § 104 Abs 1 Satz 3 AFG, wonach - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung (BR-Drucks 575/75 S 52 zu Nr 23) - unbezahlte Beschäftigungszeiten, die vier Wochen nicht überschreiten, die Anwartschaftszeit erfüllen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Ist diese Zeit nämlich überschritten, so sind auch die ersten vier Wochen iS des § 104 AFG nicht zu berücksichtigen (vgl Gagel/Steinmeyer, AFG, § 104 Anm 15; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vgl BVerfG SozR 4100 § 104 Nr 10 S 9).
Das vom Kläger im Anschluß an seine entgeltliche Tätigkeit ab 6. März 1983 ausgeübte Mandat als Bundestagsabgeordneter wird nicht von § 168 AFG erfaßt. Beitragspflichtig sind nach dieser Bestimmung Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Diese Legaldefinition wird ergänzt durch § 173a AFG, der für die Beitragspflicht der Arbeitnehmer auf die Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB 4) über die Beschäftigung (§ 7) verweist und die entsprechende Anwendung anordnet.
Nach der genannten Vorschrift fällt unter den Begriff "Beschäftigung" die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die unselbständige Arbeit wird dadurch charakterisiert, daß sie "mit dem Weisungsrecht eines Arbeitgebers ausgeübt wird" (Amtliche Begründung zu § 7 SGB 4, BT-Drucks 7/4122 S 31), daß der Beschäftigte vom Arbeitgeber also persönlich abhängig ist. Die persönliche Abhängigkeit äußert sich vornehmlich in der Eingliederung des Beschäftigten in einen Betrieb oder eine Verwaltung und damit in der Fremdbestimmtheit der Arbeit. Sie ist in aller Regel mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers über Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung verbunden (st Rspr; vgl BSGE 13, 196, 201 f; BSGE 16, 289, 293 = SozR Nr 33 zu § 165 RVO; BSGE 53, 242, 245 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 zur Versicherungspflicht eines ehrenamtlichen Mitglieds eines Gemeinderats in Bayern; BSG SozR 2200 § 1248 Nr 41 zur abhängigen Beschäftigung eines ehrenamtlichen Ortsbürgermeisters einer verbandsangehörigen Gemeinde in Rheinland-Pfalz).
Demgegenüber ist der Status eines Bundestagsabgeordneten (vgl hierzu BVerfGE 2, 143, 164) durch persönliche Unabhängigkeit gekennzeichnet. Der Abgeordnete schuldet rechtlich keine Dienste. Das Grundgesetz sieht nicht nur davon ab, sondern "verbietet es geradezu, irgend jemand in irgendeiner Form einen Rechtsanspruch auf Dienste des Abgeordneten im Parlament zu gewähren" (Seuffert, Sondervotum, BVerfGE 40, 330, 334). Als Inhaber eines öffentlichen Amtes und Träger eines freien Mandats ist er als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen (Art 38 Abs 1 Satz 2 GG; vgl auch § 13 Abs 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages idF des Beschlusses vom 18. Dezember 1986 - BGBl I 1987, S 147). Hiermit korrespondieren die Regelungen über Indemnität und Immunität des Abgeordneten (Art 46 Abs 1 und 2 GG) sowie sein Schutz gegenüber innerparteilichen Maßnahmen. Eine Disziplinierung des Abgeordneten durch die Partei wegen der Art der Ausübung seines Mandats ist rechtlich ebenso ausgeschlossen wie eine Einschränkung seiner Unabhängigkeit und Freiheit durch Fraktions- oder Parteibeschlüsse. Selbst der Austritt aus der Fraktion oder ein Wechsel der Partei bewirken keinen Mandatsverlust. Gewährleistet wird das von Art 38 Abs 1 GG postulierte freie Mandat durch das Behinderungsverbot des Art 48 Abs 2 GG und die Zubilligung einer angemessenen, die Unabhängigkeit des Abgeordneten sichernden Entschädigung (Art 48 Abs 3 GG). Diese - aus der Staatskasse zu finanzierende (BVerfGE 40, 296, 314) - Entschädigung ist weder ein arbeitsrechtliches Entgelt, mit dem ein Anspruch auf Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten verknüpft wäre, noch ein Gehalt im beamtenrechtlichen Sinn (BVerfGE 40, 296, 316; vgl auch BVerfGE 4, 144, 150).
Die Ausübung des Abgeordnetenmandats steht auch nicht einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 107 AFG (idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 - BGBl I 1983, S 1532, 1556) gleich. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Norm eine abschließende Regelung enthält (so Gagel/Steinmeyer, AFG, § 107 Anm 1) oder ob eine Ausdehnung der Gleichstellung auf andere Sachverhalte - wie sie außerhalb des AFG verschiedentlich vorgesehen ist (vgl § 90a Bundesvertriebenengesetz, § 13 Entwicklungshelfergesetz) - grundsätzlich möglich ist. Hier sind die Voraussetzungen für eine Rechtsanalogie jedenfalls nicht gegeben. Sie liegen vor, wenn eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 354 ff, 365, 366). Eine Gesetzeslücke liegt nicht bereits dann vor, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt. Vielmehr muß ihr Fehlen eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes darstellen (BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1, BSGE 63, 120 = SozR 4100 § 138 Nr 17).
Die Ausübung des Abgeordneten-Mandats ist weder den von § 107 AFG erfaßten Zeiten vergleichbar, noch besteht insoweit eine ausfüllungsbedürftige Lücke. Den unterschiedlichen Tatbeständen des § 107 AFG ist gemeinsam, daß sie der Gesetzgeber aus sozialen Schutzerwägungen innerhalb der Anwartschaftszeitregelung wie beitragspflichtige Beschäftigungszeiten berücksichtigt wissen wollte. Dabei hat er Zeiten gleichgestellt, die beitragspflichtig sind, ohne daß eine Beschäftigung ausgeübt wird (Nrn 1, 5a, 6), sowie Zeiten, in denen es trotz Beschäftigung an der Beitragspflicht fehlt (Nrn 2, 3, 4). Außerdem sind Zeiten des Bezuges bestimmter Sozialleistungen mit Lohnersatzfunktion privilegiert, weil davon ausgegangen wird, daß ohne den Leistungsbezug eine beitragspflichtige Beschäftigung hätte ausgeübt werden können (Nrn 5b und c). Die Gleichstellung der Zeiten eines Bundestagsmandats mit diesen Begünstigungen des § 107 AFG wäre - gemessen an dem oben dargestellten Status eines Abgeordneten - systemwidrig. Hinzu kommt, daß ein Regelungsbedarf nicht besteht. Denn das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz - AbgG, BGBl I 1977, S 297) enthält - wie noch auszuführen sein wird - insoweit ein eigenes Sicherungssystem.
Innerhalb der gesetzlich vorgegebenen dreijährigen Rahmenfrist hat der Kläger somit lediglich 332 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden und daher die Anwartschaftszeit für die begehrte Leistung iS des § 104 Abs 1 Satz 1 AFG nicht erfüllt.
Eine Verlängerung der Rahmenfrist oder eine Unterbrechung derselben während der Dauer des Bundestagsmandats ist nicht vorgesehen. Durch die zeitliche Begrenzung wird die Heranziehung länger zurückliegender berücksichtigungsfähiger Zeiten ausgeschlossen. Das Gesetz bezweckt mit dieser Regelung eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die schutzbedürftigen Arbeitnehmer. Es unterstellt, daß derjenige, der innerhalb der Frist, also in einem zeitlich nahe am Versicherungsfall liegenden Zeitraum, die geforderten Beschäftigungszeiten aufweisen kann, jedenfalls zum geschützten Personenkreis zu rechnen ist. Eine solche Indizwirkung haben weiter zurückliegende Beschäftigungszeiten nicht. Typisierende Regelungen dieser Art, die sich insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen als notwendig erweisen, bringen zwar Härten im Einzelfall mit sich, sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen. Insbesondere im Bereich des Sozialversicherungsrechts ist der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gehindert, solche typisierenden Regelungen zu treffen (vgl BVerfGE 17, 1, 23 f; 51, 115, 122f; 67, 231, 237).
Dem Recht des Klägers, Erfüllung seines bei Wiederaufnahme der Beschäftigung am 1. September 1981 noch nicht ausgeschöpften Restanspruchs auf Alg ab 3. April 1985 zu verlangen, steht die Verfallsregelung des § 125 Abs 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Fassung entgegen. Diese Vorschrift beschränkt die Möglichkeit der Geltendmachung eines einmal entstandenen Alg-Anspruchs auf einen Zeitraum von drei Jahren seit seiner Entstehung. Sie hat eine Ausschlußfrist zum Inhalt, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeit kalendermäßig abläuft (BSGE 54, 212, 214 = SozR 4100 § 125 Nr 2; BSG SozR aaO Nr 3). Für den hier geltend gemachten Rest des am 1. Juli 1981 entstandenen Alg-Anspruchs endete diese Frist am 2. Juli 1984 (§ 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- iVm § 26 Abs 3 SGB 10). Die Verlängerung der Verfallsfrist von drei auf vier Jahre durch das 7. AFG-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 1985, S 2484, 2488) kommt dem Kläger nicht zugute, da sie erst am 1. Januar 1986 - ohne Rückwirkung - in Kraft getreten ist (vgl Art 13 des 7. AFG-Änderungsgesetzes und § 242f AFG).
Der Senat hält mit dem LSG die hier einschlägigen Vorschriften des AFG, insbesondere § 107 AFG, nicht für verfassungswidrig. Sie verstoßen weder gegen die den Abgeordnetenstatus sichernden Regelungen des Art 48 Abs 2 und 3 GG noch greifen sie in eine eigentumsrechtlich geschützte Position des Klägers ein (Art 14 Abs 1 Satz 1 GG).
Nach Art 48 Abs 2 GG darf niemand "gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grund ist unzulässig". Im Blick auf den Wandel des Abgeordnetenstatus vom Ehrenamt zur Hauptbeschäftigung und auf die Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung von einem Aufwendungsersatz zur Vollalimentation (vgl BVerfGE 40, 296, 312 ff) muß diese Norm eng ausgelegt werden (so auch v. Arnim, Komm zum Bonner Grundgesetz, Art 48 RdNr 34). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dieser Entwicklung Rechnung trägt, liegt eine Behinderung iS des Art 48 Abs 2 GG deshalb nur vor, wenn die Übernahme oder Ausübung des Abgeordnetenmandats erschwert oder unmöglich gemacht werden soll, wenn also eine dahingehende Intention vorhanden ist (BVerfGE 42, 312, 329). Fehlt es hieran, liegt eine sich dennoch ergebende Beeinträchtigung der Freiheit, ein Mandat zu übernehmen oder auszuüben, außerhalb des (engen) Anwendungsbereichs des Art 48 Abs 2 GG und ist deshalb auch ohne Ausnahmevorbehalt im Grundgesetz verfassungsgemäß (BVerfGE aaO S 326).
Die an Art 48 Abs 2 GG zu messenden Bestimmungen des AFG sind - was auch vom Kläger nicht behauptet wird - nicht von der Intention getragen, den Abgeordnetenberuf zu erschweren. Sie dienen vielmehr ausschließlich der Aufrechterhaltung des Systems der Arbeitslosenversicherung, das auf dem Solidarprinzip und auf dem Prinzip der globalen Äquivalenz von Beitrag und Leistung beruht (vgl BVerfGE 76, 220, 236). Diesen Prinzipien entspricht es, nur denjenigen in den Schutz der Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, der bei Realisierung des versicherten Risikos der Solidargemeinschaft angehört bzw für eine bestimmte vorangegangene Zeitspanne angehört hat. Damit tangieren die oben genannten Vorschriften des AFG allenfalls mittelbar die Belange von Abgeordneten, die - wie der Kläger - neben ihrem Mandat keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Auf derartige Auswirkungen von Regelungen, die dem Schutz von "Interessen" außerhalb des Parlamentsrechts dienen, erstreckt sich das Behinderungsverbot nicht (vgl BVerfGE 42, 312, 329).
Dies gilt auch dann, wenn das Behinderungsverbot weiter als in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefaßt und nicht nur auf die Intention des Gesetzes abgestellt wird (vgl v. Arnim, aa0, RdNr 38; Schneider in Komm z GG für die Bundesrepublik Deutschland, Bd 2, Art 48, RdNr 6). Denn - wie bereits dargestellt - sprechen hinreichende sachliche Gründe dafür, daß die Zeit der Ausübung des Abgeordnetenmandats keinen Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung begründet bzw aufrecht erhält.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art 48 Abs 3 GG. Nach dieser Vorschrift besitzen die Bundestagsabgeordneten einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung (Satz 1), über deren Ausgestaltung (dh ihre Zusammensetzung, Höhe und Struktur) das Parlament "in eigener Sache" entscheidet (Satz 3; BVerfGE 40, 296, 327). Ausgehend vom Wortlaut der Norm ist bereits fraglich, ob hierunter überhaupt Ansprüche fallen können, die eine Sicherung des Abgeordneten nach Beendigung seines Mandats zum Gegenstand haben, oder ob Art 48 Abs 3 Satz 1 GG nicht vielmehr nur während der Dauer der Zugehörigkeit des Abgeordneten zum Parlament eine ausreichende Existenzgrundlage gewährleisten soll. Dies kann jedoch offen bleiben. Die hier einschlägigen Bestimmungen des AFG verstoßen bereits deshalb nicht gegen das Gebot einer angemessenen Alimentation des Abgeordneten, weil das Abgeordneten-Gesetz für den Fall des Ausscheidens als Abgeordneter ein eigenes Sicherungssystem enthält.
§ 18 Abs 1 AbgG (idF des 3. Änderungsgesetzes vom 18. März 1985, BGBl I 1985 S 540) bestimmt, daß ein ausscheidendes Mitglied mit einer Mitgliedschaft von mindestens einem Jahr Übergangsgeld erhält. Dieses wird in Höhe der Entschädigung nach § 11 (8000,-- DM monatlich) für jedes Jahr der Mitgliedschaft einen Monat und für jede Mitgliedschaft während der gesamten Dauer einer Wahlperiode drei weitere Monate, höchstens jedoch drei Jahre lang gewährleistet. Das Übergangsgeld dient nach dem Willen des Gesetzgebers der Existenzsicherung für die Zeit nach Beendigung des Mandats und bildet eine Start- und Anpassungshilfe für die ausscheidenden Abgeordneten, die sich wieder eine berufliche Existenz aufbauen müssen (Gesetzesmaterialien, BT-Drucks 7/5525 S 2, 7/5531 S 18 zu § 14; vgl auch den Bericht des Beirats für Entschädigungsfragen, BT-Drucks aaO S 50 Anm 7.4, der ausdrücklich darauf hinweist, daß eine große Anzahl von Bundestagsabgeordneten nach Beendigung der Mandatsausübung weder einen Wiederverwendungsanspruch noch die reale Möglichkeit hat, unmittelbar eine berufliche Tätigkeit mit entsprechenden Einkünften wieder aufzunehmen). Diese Leistung, die im Normalfall der Mitgliedschaft für die gesetzlich vorgesehene Dauer einer Wahlperiode (Art 39 Abs 1 GG) für insgesamt sieben Monate gezahlt wird, ist auch geeignet, das mit der Annahme und Ausübung eines Mandats verbundene Risiko für die berufliche Existenz eines Abgeordneten aufzufangen (Henkel, DÖV 1977, S 350, 353). Sie entspricht sowohl in der Bezeichnung als auch in der Ausgestaltung (Staffelung nach der Dauer der Zugehörigkeit) dem § 47 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG), der das Risiko eines entlassenen Beamten gegen Arbeitslosigkeit absichern soll (vgl Gagel/Steinmeyer aaO Anm 19, 20 vor § 100 D). Hiermit korrespondiert § 26 AbgG, der - soweit nichts anderes bestimmt ist - eine sinngemäße Anwendung der für die Bundesbeamten geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften anordnet. Auch wenn ein Abgeordneter - wie der Kläger - aufgrund einer kürzeren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag nur einen zeitlich eng begrenzten Anspruch auf Übergangsgeld hat, wird dadurch nicht die grundsätzliche Eignung des spezialgesetzlichen Sicherungssystems in Frage gestellt (vgl nunmehr bei einer Mitgliedschaft von weniger als der Hälfte einer Wahlperiode § 18 Abs 1 AbgG idF des 7. Änderungsgesetzes vom 16. Januar 1987 - BGBl I 1987 S 143 -). Insbesondere kann die persönliche Situation des Klägers nicht dazu führen, ihm - systemwidrig - den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu eröffnen. Ob die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung des Übergangsgeldes geändert oder ergänzt werden sollte, war hier nicht zu entscheiden.
Die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Dieses Grundrecht ist Prüfungsmaßstab, soweit es um die Beeinträchtigung des Anspruchs auf Alg oder von Rechtspositionen solcher Versicherten geht, die innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist die Anwartschaftszeit erfüllt haben (BVerfGE 72, 9, 18 ff = SozR 4100 § 104 Nr 13; BVerfGE 74, 203, 213; 76, 220, 235). Die in Frage stehenden Normen des AFG haben eine solchermaßen geschützte Rechtsposition des Klägers nicht tangiert. Sie haben weder nachträglich an eine bereits erworbene Anwartschaft eine ungünstigere Rechtsfolge geknüpft, noch einen bestehenden Anspruch auf Alg geschmälert oder gar beseitigt. Im Zeitpunkt der Antragstellung, am 3. April 1985, hatte der Kläger gerade nicht - wie vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gefordert - innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist die Anwartschaftszeit auf Alg erfüllt und damit einen eigentumsrechtlich geschützten sozialversicherungsrechtlichen Anspruch erworben. Durch seine Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung ab 1. September 1981 wurde noch keine eigentumsgeschützte Rechtsposition geschaffen, sondern allenfalls eine "Erwerbsberechtigung" begründet (vgl Papier, SGb 1986, S 241), die mangels Fortbestehens des Versicherungsverhältnisses durch das Ausscheiden des Klägers aus der Solidargemeinschaft nicht zum Vollrechtserwerb führen konnte. Die Abhängigkeit des Leistungsanspruchs von der Erfüllung der Anwartschaftszeit entspricht dem Charakter der Sozialversicherung, die sowohl auf dem Versicherungsprinzip als auch auf dem Prinzip der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Der am 1. Juli 1981 erworbene und durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützte Anspruch auf Alg war bereits zum Zeitpunkt der Entstehung mit der Verfallsfrist des § 125 Abs 2 AFG belastet. Hierin liegt eine eigentumsrechtlich unbedenkliche Inhaltsregelung iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG. § 125 Abs 2 AFG geht auf die inhaltsgleiche Bestimmung in § 87 Abs 6 AVAVG zurück, die wiederum auf der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes beruht. Dieses hat hinsichtlich der Dauer der Verfallsfrist an die jeweilige Rahmenfrist für den Erwerb der Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung angeknüpft (BSGE 54, 212, 214 = SozR 4100 § 125 Nr 2; vgl BSGE 9, 7, 10 f für die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 87 Abs 6 AVAVG). Da ein Arbeitsloser, der weiterhin der Solidargemeinschaft angehört, innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist entweder eine neue Anwartschaft auf Alg erwirbt oder aber seinen alten Alg-Anspruch ausschöpft, ist die Anbindung der Verfallsfrist an die Rahmenfrist sachgerecht und entgegen der Auffassung des Klägers nicht unverhältnismäßig.
Die Revision des Klägers ist somit nicht begründet und daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen