Leitsatz (amtlich)
Auch bei der nach AVG § 45 Abs 5 (= RVO § 1268 Abs 5) zu gewährenden Rente bleiben die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark außer Betracht (Anschluß an BSG 1968-02-14 1 RA 75/67 = SozR Nr 10 zu § 1268 RVO und BSG 1969-01-15 4 RJ 173/67 = SozR Nr 12 zu § 1268 RVO).
Normenkette
AVG § 45 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1268 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; SVAbk DNK Art. 25 Fassung: 1953-08-14, Art. 26 Fassung: 1953-08-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Februar 1973 aufgehoben.
Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 22. September 1971 wird insoweit aufgehoben; als es der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1970 stattgegeben hat.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe der gemäß § 45 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für das sogenannte Sterbevierteljahr zu zahlenden Rente.
Der Kläger gehört zu den Rechtsnachfolgern der am 19. August 1973 verstorbenen K. L. (K.L.), deren Ehemann bis zu seinem Tode am 22. April 1970 von der Beklagten ein Altersruhegeld bezogen hatte. Bei der Berechnung dieser Rente waren die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark vom April 1925 bis Oktober 1937 nach Art 16 und 17 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens vom 14. August 1953 - BGBl II 1954 S 753 - (Abkommen) rentensteigernd angerechnet worden.
Nach dem Ableben des Versicherten gewährte die Beklagte der Witwe für die Monate Mai, Juni und Juli 1970 im Wege der Vorschußzahlung einen monatlichen Betrag in Höhe der zuletzt bezogenen Versichertenrente von monatlich 781,70 DM. Durch Bescheid vom 16. Juli 1970 stellte sie sodann die Witwenrente für die Zeit von Mai bis Juli 1970 (Sterbevierteljahr) mit monatlich 518,50 DM und ab August 1970 mit monatlich 366,40 DM fest und verrechnete die für das Sterbevierteljahr geltend gemachte Überzahlung von 789,60 DM mit der bis zum 31. Oktober 1970 aufgelaufenen Spitzenrente. Bei der Berechnung der Witwenrente ließ die Beklagte unter Hinweis auf Art 26 des Abkommens die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark unberücksichtigt.
Der hiergegen gerichteten Klage gab das Sozialgericht (SG) insoweit statt, als es die Beklagte - unter Abweisung der Klage im übrigen - verpflichtete, der Witwe K.L. für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 1970 monatlich 781,70 DM zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) wies die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten im wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Zwar seien bei der Berechnung der Witwenrente nach § 45 Abs 1 bis 3 AVG wegen des insoweit entgegenstehenden Art 26 des Abkommens dänische Aufenthaltszeiten nicht zu berücksichtigen, doch könne dieser Grundsatz auf den Anspruch nach § 45 Abs 5 AVG nicht entsprechend angewandt werden. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des 1. Halbsatzes der Vorschrift in der "bis zum 1. März 1972" geltenden und hier maßgeblichen Fassung, wonach der Witwe "an Stelle" der Rente nach Abs 1 bis 4 die Rente ohne Kinderzuschuß zu gewähren sei, die dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zugestanden habe. Es handele sich damit um eine Leistung besonderer Art. Gleiches folge aus dem Zweck des § 45 Abs 5 AVG, für das Sterbevierteljahr die mit dem Ableben des Versicherten eintretenden besonderen - vorübergehenden - Umstände zu berücksichtigen. Das Ziel des auf Dauer gerichteten Witwenrentenanspruchs sei hiermit nicht vergleichbar. Schließlich folge auch aus der - für die spezielle Zwecksetzung erforderlichen und gewählten - Praktikabilität einer einfachen Feststellung der Sterbevierteljahresbezüge, daß es sich bei dem streitigen Anspruch um einen solchen besonderer Art handele, der weitgehend an die Person des Versicherten geknüpft sei und als innerstaatliche Institution nicht den Vorschriften unterliegen könne, welche die vertragsschließenden Staaten in Art 25 und 26 des Abkommens konkret für die "Witwenrenten" vorgesehen haben (Urteil vom 28. Februar 1973).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht.
Die Revisionsbegründung ist beim Bundessozialgericht (BSG) am 29. Juni 1973 und damit erst nach Ablauf der hierfür bis 28. Juni 1973 verlängerten Frist eingegangen. Die Beklagte hat deswegen mit dem beim BSG am 16. Juli 1973 eingegangenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dabei eine Ablichtung des Absendevermerks ihrer Poststelle vorgelegt, wonach der Revisionsbegründungsschriftsatz als Einzelsendung am 22. Juni 1973 abgesandt worden ist.
Die Beklagte beantragt in der Sache, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des SG Lübeck vom 22. September 1971 abzuweisen.
Nach dem Tode der Klägerin K.L. (19.8.1973) ist der Rechtsstreit durch den Schriftsatz des Rechtsanwalts S. P.-L. vom 6. Juli 1974 aufgenommen worden.
Der nunmehrige Kläger beantragt sinngemäß, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die im Schriftsatz vom 6. Juni 1974 erklärte Aufnahme des Rechtsstreits durch die beiden Miterben der während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägerin K.L. ist nur seitens des Klägers wirksam, weil die Aufnahme durch den Miterben F.P.-L. ohne schriftliche Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten erfolgt ist und die Vollmacht - trotz gerichtlicher Aufforderung - auch nicht nachträglich eingegangen ist (§ 73 Abs 2 SGG). Der Rechtsstreit konnte indes auch vom Kläger allein als Miterbe aufgenommen werden, weil Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 65 Abs 2 AVG offensichtlich nicht vorhanden sind (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 27. 3. 1974 in SozR 2200 § 1288 Nr 1) und somit der hier streitige Anspruch zum Nachlaß der verstorbenen Versicherten gehört (vgl § 2039 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Der Beklagten ist wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, ohne daß es hierfür einer besonderen formellen Entscheidung bedarf (vgl BSG 6, 80, 82). An der Einhaltung der Frist war die Beklagte ohne Verschulden verhindert, weil - wie durch die Ablichtung des Absendevermerks der Poststelle der Beklagten ausreichend glaubhaft gemacht ist - der Revisionsbegründungsschriftsatz 6 Tage vor Ablauf der Frist zur Post gegeben wurde und ein Rechtsmittelführer mit einem normalen Verlauf der Postbeförderung rechnen darf (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 22.11.1974 - 1 RA 31/74 - mit weiteren Nachweisen). Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses beim BSG eingegangen; desgleichen ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden (§ 67 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG).
Die sonach statthafte Revision ist auch sachlich begründet. Der Entscheidung des LSG, Art 25 und 26 des Abkommens ließen die uneingeschränkte Anwendung des 1. Halbsatzes des § 45 Abs 5 AVG in der vor dem 1. März 1972 geltenden Fassung zu (vgl Art 6 § 8 Abs 2 des Rentenreformgesetzes - RRG -), kann unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung des BSG zum Abkommen und zur rechtlichen Beurteilung der Sterbevierteljahresbezüge nicht gefolgt werden.
Art 25 und 26 des bereits im Jahre 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark geschlossenen Abkommens bestimmen, daß bei der Feststellung von Witwenrenten aus den deutschen Rentenversicherungen die Zeiten des Aufenthalts des Versicherten in Dänemark nur für die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft berücksichtigt, für sie jedoch keine Steigerungsbeträge gewährt werden. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 12. Januar 1966 - 1 RA 297/61 - (SozR Nr 3 zu Abk mit Dänemark über SozVersAllg) entschieden hat, sind diese Vorschriften auch nach dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Jahre 1957 weiterhin sinngemäß anzuwenden mit der Folge, daß die dänischen Aufenthaltszeiten des Versicherten bei der Berechnung der Witwenrente nicht als Versicherungszeiten angerechnet werden. Mit weiterem Urteil vom 14. Februar 1968 - 1 RA 75/67 - (SozR Nr 10 zu § 1268 RVO) hat der Senat auch die in der ersten Entscheidung noch offengelassene Frage, ob in solchen Fällen die über 45 Jahre alten Witwen in Anwendung des durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 in § 45 Abs 2 AVG eingefügten Satzes 2 mindestens sechs Zehntel der vom Versicherten bis zu seinem Tode bezogenen Rente erhalten müssen, sowohl nach dem Sinn und Zweck der innerdeutschen Regelung als auch aufgrund der Besonderheiten des Abkommens verneint. Im Anschluß daran hat sodann auch der 4. Senat des BSG entschieden, daß sich an der Nichtberücksichtigung der Aufenthaltszeiten des Versicherten bei der Berechnung der Witwenrente durch § 1268 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (= § 45 Abs 2 Satz 2 AVG) nichts geändert hat (Urteil vom 15.1.1969 in SozR Nr 12 zu § 1268 RVO). Bezüglich der Rente, die der Witwe gemäß § 45 Abs 5 AVG (§ 1268 Abs 5 RVO) für die ersten drei Monate zu gewähren ist, kann dann aber nichts anderes gelten.
Das LSG stützt seine abweichende Auffassung vor allem darauf, daß die Regelung des § 45 Abs 5 AVG keine Witwenrente, sondern eine Leistung besonderer Art betreffe, die nicht unter die in Art 25 und 26 des Abkommens lediglich für Witwenrente vorgesehene Einschränkung falle. Der Ansicht des LSG, daß die Rente für das Sterbevierteljahr keine Hinterbliebenenrente, sondern eine Rente eigener Art sei, ist indes der 5. Senat des BSG im Urteil vom 14. März 1968 - 5 RKn 128/65 - (SozR Nr 1 zu § 69 RKG) entgegengetreten. Danach ist die der Witwe für die ersten drei Monate zu zahlende Rente nach § 69 Abs 5 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - (= § 1268 Abs 5 RVO und § 45 Abs 5 AVG) eine echte Hinterbliebenenrente, die der Witwe des Versicherten originär zusteht (bestätigt in BSG 32, 281, 282). Allerdings ist diese Hinterbliebenenrente - wie in der Entscheidung des BSG vom 14. März 1968 aaO zutreffend betont wird - insofern mit der Versichertenrente, die der Versicherte vor seinem Tode bezogen hat, eng verknüpft, als der mit der Vorschrift begünstigte Personenkreis die Hinterbliebenenrente in Höhe der zuletzt gezahlten Versichertenrente ohne - etwaigen - Kinderzuschuß erhält. Diese enge Verknüpfung zwischen Hinterbliebenenrente und Versichertenrente besteht aber auch bei der in § 45 Abs 2 Satz 2 AVG getroffenen Regelung. Denn auch dort orientiert sich die zu gewährende Hinterbliebenenrente am Zahlbetrag "der Versichertenrente ohne Kinderzuschuß im Zeitpunkt des Todes". Gleichwohl haben der erkennende und der 4. Senat des BSG in den Urteilen vom 14. Februar 1968 und 15. Januar 1969 aaO dies nicht für ausreichend angesehen, die Vorschrift des § 45 Abs 2 Satz 2 AVG bzw des § 1268 Abs 2 Satz 2 RVO auch auf die vom Abkommen erfaßten Witwen von Versicherten auszudehnen. Vielmehr hat der Senat darauf hingewiesen, daß bei einer derartigen uneingeschränkten Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 2 AVG die in Art 25 und 26 des Abkommens getroffene Sonderregelung im Ergebnis entfallen würde, weil die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark letztlich doch bei der Witwenrente berücksichtigt würden. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 14. Februar 1968 weiter ausgeführt, daß diese Folge Art 1 Abs 2 des Abkommens widersprechen würde, wonach sich das Abkommen nicht nur auf die Gesetzgebung zur Zeit des Vertragsabschlusses, sondern auch auf alle Gesetze und sonstigen Vorschriften bezieht, die diese Gesetzgebung ändern oder ergänzen. Daraus erhelle, daß das - durch das Zustimmungsgesetz vom 21. August 1954 zu innerstaatlichem Recht transformierte - Abkommen für die von ihm geregelten Sachverhalte auch gegenüber abweichendem späteren Recht weitergelte. Anderenfalls würden die Ausgangspunkte jeder zwischenstaatlichen Regelung, die Grundsätze der Gegenseitigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung in Frage gestellt, die Ausgangsposition für Gegenseitigkeitsabkommen verändert und der Abschluß von Sozialversicherungsabkommen erschwert, weil das Interesse des anderen Staates an einer vertraglichen Regelung entfallen könnte.
Die vom Senat für die Nichtberücksichtigung der dänischen Aufenthaltszeiten des Versicherten im Rahmen des § 45 Abs 2 Satz 2 AVG als rechtserheblich bewerteten Gesichtspunkte bestehen bei der nach § 45 Abs 5 AVG zu gewährenden Witwenrente gleichermaßen. die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark müssen hiernach auch bei der nach dieser Vorschrift für die ersten drei Monate festzustellenden Witwenrente außer Betracht bleiben.
Gegenteiliges kann - entgegen der Ansicht des LSG - auch nicht dem Urteil des BSG vom 13. November 1969 (SozR Nr 16 zu § 1268 RVO) entnommen werden, wonach der Witwe für das Sterbevierteljahr die Rente nach § 1268 Abs 5 RVO auch dann voll auszuzahlen ist, wenn diese wegen des Zusammentreffens mit einer Verletztenrente zum Teil ruhte. Denn dieses Ergebnis folgt aus der Sondervorschrift des § 1279 Abs 3 RVO (= § 56 Abs 3 AVG), wonach die Ruhensbestimmungen auf die nach § 1268 Abs 5 RVO bzw § 45 Abs 5 AVG zu gewährenden Renten nicht anzuwenden sind. Eine vergleichbare Ausnahmeregelung fehlt indes für Art 26 des Abkommens. Insoweit hat bereits der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 15. Januar 1969 aaO darauf hingewiesen, daß der Wille des Gesetzgebers auf eine vertragskonforme Auslegung der innerstaatlichen Gesetze gerichtet ist. Abweichungen hiervon könnten allenfalls dann angenommen werden, wenn sie erkennbar Ausdruck gefunden hätten. In der genannten Entscheidung hat das BSG festgestellt, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß die in § 1268 Abs 2 Satz 2 RVO getroffene Regelung auch auf den vom Abkommen erfaßten Personenkreis Anwendung finden soll. Ein derartiger Anhaltspunkt findet sich aber auch für die uneingeschränkte Anwendung des § 45 Abs 5 AVG (= § 1268 Abs 5 RVO) nicht. Art 26 des Abkommens steht somit der uneingeschränkten Anwendung auch dieser Vorschrift entgegen.
Der mit der Klage angefochtene Bescheid ist nach alledem nicht zu beanstanden. Entsprechend ist in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Fundstellen