Entscheidungsstichwort (Thema)
Rangfolge von Ersatzansprüchen
Leitsatz (amtlich)
Der nach RVO § 183 Abs 3 S 2 auf die KK übergegangene Anspruch geht dem Ersatzanspruch des Trägers der Jugendhilfe nach JWG § 82 iVm BSHG § 90 und nach RVO § 119a im Range vor (Anschluß an BSG 1967-07-11 3 RK 51/67 = SozR Nr 25 zu § 183 RVO und BSG 1970-11-20 7 RKg 7/69 = SozR Nr 3 zu § 8 BKGG).
Leitsatz (redaktionell)
Zusammentreffen des Forderungsüberganges nach RVO § 183 Abs 3 mit einem übergeleiteten Anspruch des Trägers der Jugendhilfe:
1. Die vom Träger der Jugendhilfe nach JWG §§ 5, 6 gewährte Erziehungshilfe und die nach JWG §§ 64 ff durchgeführte Fürsorgeerziehung stellen keine Sozialhilfe iS des BSHG dar. Der Träger der Jugendhilfe kann daher nicht nach RVO § 1531 die Erstattung seiner Aufwendungen aus dem in der Rente enthaltenen Kinderzuschuß vom Rentenversicherungsträger erlangen.
2. Der Träger der Jugendhilfe kann Ansprüche gegen Dritte in entsprechender Anwendung der BSHG §§ 90 und 91 durch schriftliche Anzeige auf sich überleiten (JWG § 82).
3. Soweit der Rentenanspruch - ggf einschließlich des Kinderzuschusses - bereits kraft Gesetzes auf die Krankenkasse übergegangen ist, kann der Kinderzuschuß nicht mehr durch schriftliche Anzeige gemäß JWG § 82 iVm BSHG §§ 90 und 91 auf den Träger der Jugendhilfe übergeleitet werden.
Normenkette
RVO § 119a Fassung: 1970-06-23, § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12; BSHG § 90 Fassung: 1969-09-18; JWG §§ 82, 5-6, 64; RVO §§ 1531, 183 Abs. 5; BSHG § 91
Tenor
Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 14. Januar 1974 aufgehoben.
Die Beklagte wird in Abänderung ihres Bescheides vom 9. Mai 1972 verpflichtet, einen weitern Betrag von 948,80 DM an die Klägerin zu zahlen.
Außergerichtliche Kosten sind zwischen den Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein auf den Kinderzuschuß zur Versichertenrente beschränkter Ersatzanspruch des Trägers der Jugendhilfe im Sinne des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) aus der Rentennachzahlung dem Ersatzanspruch des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des § 183 Abs 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Range vorgeht.
Die Beklagte bewilligt dem Versicherten R. T. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Oktober 1971 an. In der seit 1. Juni 1972 mit einem monatlichen Betrag von damals 882,70 DM laufend gezahlten Rente waren Kinderzuschüsse für 6 Kinder von je 91,40 DM enthalten. Der Versicherte hätte für die Kinder bis zum Mai 1972 Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) erhalten. Außerdem hatte er vom 1. Oktober 1971 bis 10. April 1972 von der Klägerin Krankengeld in Höhe von 3.399,-- DM bezogen. Mit Schreiben vom 19. April 1972 teilte die Beigeladene der Beklagten mit, daß 5 Kinder des Versicherten in Fürsorgeerziehung bzw zur Erziehungshilfe untergebracht seien und deshalb die Abzweigung der anteiligen "Kinderzuschläge" aus der Versichertenrente rückwirkend vom 1. Oktober 1971 geltend gemacht werde. Hierauf verwendete die Beklagte die für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 31. Mai 1972 einbehaltene Rentennachzahlung in der Weise, daß sie das überzahlte Kindergeld dem Arbeitsamt R. erstattete und den Restbetrag von 5 Kinderzuschüssen an die Beigeladene überwies. Von dem verbleibenden Einbehaltungsbetrag erhielt die Klägerin 2.111,20 DM (Bescheid vom 9. Mai 1972).
Die Klage, mit der die Klägerin noch einen Betrag von 948,80 DM aus der Nachzahlung begehrte, hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) war der Auffassung, der Träger der Jugendhilfe habe infolge der nachträglichen Rentenbewilligung Anspruch darauf, daß ein Teil der ihm entstandenen Kosten ersetzt werde, weil die Eltern der Kinder durch die Gewährung der Rente mit den Kinderzuschüssen in den Stand versetzt worden seien, einen Teil der Unterhaltsleistungen für die Kinder zu tragen. Die Überleitung der Ersatzansprüche erfolge insoweit gemäß § 82 JWG iVm § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Zwar sei im Zeitpunkt der Überleitungsanzeige der Beigeladenen die Nachzahlung schon mit dem Ersatzanspruch der Klägerin nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO belastet gewesen, weil es sich hier um einen gesetzlichen Forderungsübergang handele, der mit der Bewilligung der Rente sich vollziehe. Auch sei der Kinderzuschuß ein Teil der Rente und kein selbständiger Anspruch. Er sei aber in dem Sinne zweckgebunden, als er zum Unterhalt der Kinder verwendet werden solle. Die gesetzliche Stütze finde diese Ansicht in § 1262 Abs 8 RVO. Danach könne der Kinderzuschuß demjenigen ausgehändigt werden, der den Unterhalt des Kindes überwiegend bestreite. Eine Verfügung des Berechtigten könne durch das Versicherungsamt ersetzt werden. Wäre also die Rente in dem Zeitpunkt, von dem ab sie bewilligt worden sei, laufend gezahlt worden, hätte sich die Verpflichtung des Kostenträgers um den Kinderzuschuß verringert (Hinweis auf BSG 30, 253). Der Kinderzuschuß sei demnach in dem Fall, in dem er für den Unterhalt des Kindes nachträglich in Anspruch genommen werde, als zweckgebundener Teil der Rente anzusehen. Als solcher könne er nicht mit dem "Rückforderungsrecht" der Klägerin belastet werden (Urteil vom 14. Januar 1974).
Die Klägerin hat - an Stelle der vom SG zugelassenen Berufung - Sprungrevision eingelegt und entsprechende Einwilligungserklärungen der Beklagten und der Beigeladenen ihrer Revisionsschrift beigefügt. Sie rügt Verletzungen des materiellen Rechts durch das SG.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 9. Mai 1972 zu verpflichten, ihr 948,80 DM aus der Rentennachzahlung zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision der Klägerin ist gemäß § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der bis zum 31. Dezember 1974 gültigen Fassung, die hier nach Art III und VI des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) maßgeblich ist, zulässig (vgl BSG in SozR Nr 19 zu § 146 SGG).
Das SG hat zu Unrecht einen nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO auf die Klägerin übergegangenen Rentenanspruch des Versicherten in der geltend gemachten Höhe verneint. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 20. Januar 1970 (BSG 30, 253) entschieden, daß dem Übergang der Rente auf die Krankenkasse nach dieser Vorschrift der Anspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 Satz 2 iVm Satz 1 RVO auf Ersatz aus dem in der Rente enthaltenen Kinderzuschuß rangmäßig vorgeht, wenn der Sozialhilfeträger einen Angehörigen des Rentenberechtigten unterstützt. Der erkennende Senat hat sich dieser Entscheidung im Urteil vom 17. Dezember 1971 - 1/4 RJ 235/69 - angeschlossen. Voraussetzung für den vorrangig zu erfüllenden Ersatzanspruch nach § 1531 RVO ist jedoch, daß die Hilfe vom Träger der Sozialhilfe nach den Vorschriften des BSHG geleistet worden ist (vgl Verbandskommentar zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, Band II, Anm 4 zu § 1531; RVO-Gesamtkommentar, Anm 8 zu § 1531). Die von der Beigeladenen als Träger der Jugendhilfe für 2 Kinder des Versicherten gewährte Erziehungshilfe nach § 5 Abs 1 Nr 3 iVm § 6 Abs 2 JWG und die für weitere 3 Kinder des Versicherten durchgeführte Fürsorgeerziehung im Sinne der §§ 64ff JWG stellen keine Sozialhilfe dar (vgl hierzu auch: Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamts Nr 2035 in AN 15, 553). Die Jugendhilfe (vgl § 3 JWG) ist demzufolge keine Unterstützung eines in § 1531 RVO genannten Trägers, welche die Beklagte nach dieser Vorschrift zur Ersatzleistung verpflichtet. Da § 1531 RVO schon dem Grunde nach gegenüber den Trägern der Jugendhilfe nicht anzuwenden ist, können diese zum Ausgleich ihrer Aufwendungen auch nicht gemäß § 1531 Satz 2 und 3 RVO auf die in der Versichertenrente enthaltenen Kinderzuschüsse (§ 1262 RVO) zurückgreifen.
Allerdings haben die Träger der Jugendhilfe die Möglichkeit, ihre Ansprüche gegen den Versicherten gemäß § 82 JWG iVM § 90 BSHG und - soweit die Ansprüche die Fürsorgeerziehung der Kinder betrafen - auch nach § 119a RVO durch schriftliche Anzeige an die Beklagte auf sich überzuleiten. Trifft die Krankenkasse beim Zugriff auf den Kinderzuschuß - wie hier - mit einem Träger der Jugendhilfe zusammen, so stellt sich indes die Ausgangs- und Interessen*-lage wesentlich anders dar als im Verhältnis des Forderungsübergangs nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO zu den Ersatzansprüchen aus § 15531ff RVO. Bei letzterem Zusammentreffen stehen sich zwei Anspruchsberechtigungen gegenüber, die beide unmittelbar kraft Gesetzes entstanden sind, so daß der Vorrang einer von beiden nur unter dem Gesichtspunkt der Spezialität begründet werden kann (vgl BSG Urteile vom 20.1.1970 und 17.12.1971 aaO iVm BSG in SozR Nr 45 zu § 183 RVO). Dagegen geht der gesetzliche Forderungsübergang nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO einer - der Beigeladenen nur möglich gewesenen - Überleitung ihrer Ansprüche durch schriftliche Anzeige nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stets vor (ebenso Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, S 970c). Mit den Ausführungen in der Entscheidung vom 20. November 1970 (SozR Nr 3 zu § 8 BKGG) kann dabei dahingestellt bleiben, ob dies schon aus der "stärkeren Rechtsnatur" des gesetzlichen Forderungsübergangs oder rechtssystematisch "aus dem Gefüge der Ordnung der öffentlichen Leistungen" folgt (vgl BSG 24, 16, 17, 18 = SozR Nr 16 zu § 1531 RVO) oder aber aus dem "Grundsatz des Vorrangs nach der Zeit der Entstehung" (vgl BSG 29, 164, 166 = SozR Nr 23 zu § 1531 RVO). Denn der Forderungsübergang an die Klägerin nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO hatte sich bereits mit der Bewilligung der Rente rückwirkend zum 1. Oktober 1971 und damit zeitlich vor Eingang der Überleitungsanzeige der Beigeladenen bei der Beklagten im April 1972 vollzogen (vgl BSG in SozR Nr 45 zu § 183 RVO unter Hinweis auf BSG 24, 285, 290 = SozR Nr 13 zu § 183 RVO).
Der somit vorrangige Übergang der Rente nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO auf die Klägerin umfaßt auch die Kinderzuschüsse zur Rente (BSG in SozR Nr 25 zu § 183 RVO). Die Beklagte mußte deshalb den auf die Klägerin übergegangenen Rentenanspruch in der geltend gemachten und zwischen den Beteiligten unstreitigen Höhe aus der einbehaltenen Rentennachzahlung vor dem Anspruch der Beigeladenen befriedigen. Demgemäß ist in der Sache zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Fundstellen