Leitsatz (amtlich)
Wer als selbständiger Unternehmer tätig ist, unterliegt für seine Person auch dann der Beitragspflicht nach dem Kindergeldgesetz, wenn ein Arbeitgeber, bei dem er gleichzeitig unselbständig beschäftigt wird, für ihn als betrieblichen Arbeitnehmer Kopfbeiträge an die Familienausgleichskasse entrichtet. Eine unzulässige Doppelbelastung liegt nicht vor.
Normenkette
KGG § 10 Abs. 1 Fassung: 1954-11-13
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. September 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt tätig, gleichzeitig aber auch als Angestellter bei der Deutschen Waren-Treuhand-AG beschäftigt. Nachdem bereits Beiträge nach dem Kindergeldgesetz (KGG) für vorausgegangene Jahre von ihm gefordert und entrichtet worden waren, wurde der Kläger von der Beklagten mit Bescheid (Heberollenauszug) vom 29. Oktober 1959 auf Zahlung eines Beitrags von 40,- DM für 1958 und eines Vorschusses in gleicher Höhe für 1959 herangezogen. Sein Widerspruch hiergegen, mit dem er seine Beitragspflicht verneinte, weil bereits die Aktiengesellschaft als Arbeitgeberin für seine Person einen Kopfbeitrag entrichte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. August 1960). Die Klage auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide wies das Sozialgericht - SG - ab (Urteil vom 15. Dezember 1960). Die Berufung des Klägers wurde vom Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 26. September 1961) zurückgewiesen; es bejahte - wie das SG - die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, da eine unzulässige doppelte Beitragserhebung nicht vorliege. Die Beitragspflicht des Klägers als selbständiger Rechtsanwalt ergebe sich aus § 10 Abs. 1 KGG; hierbei komme es nicht darauf an, ob er diese oder die Arbeitnehmertätigkeit überwiegend ausübe. Die Schongrenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG habe der Kläger jedenfalls nicht geltend gemacht. Er werde auch nur einmal zu Beiträgen herangezogen, und zwar als Unternehmer. Soweit seine Arbeitgeberin ebenfalls Beiträge entrichte, beruhe dies auf deren eigener Beitragspflicht. Die Waren-Treuhand-AG zahle also nicht einen Beitrag des Klägers. Ferner liege kein Fall der Beitragskonkurrenz vor, wie er etwa in § 11 Abs. 3 Satz 1 KGG geregelt sei. Der Kläger gehöre nur einer Familienausgleichskasse (FAK) an und schulde persönlich auch nur einmal den Beitrag. Seine finanzielle Belastung werde durch die Beiträge der Arbeitgeberin nicht erhöht; sie entspreche der seiner Berufskollegen. Die vom Kläger vertretene Auffassung müsse auch zu dem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen, daß sich jeder Selbständige durch Aufnahme einer gering entlohnten abhängigen Beschäftigung seiner Beitragspflicht als Selbständiger entledigen könne.
Revision wurde zugelassen.
II. Gegen das am 5. Oktober 1961 zugestellte Urteil legte der Kläger am 2. November 1961 Revision ein und begründete diese - nach Fristverlängerung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - am 4. Januar 1962. Die Beklagte fordere entweder von ihm oder von der Waren-Treuhand-AG zu Unrecht Beiträge nach dem KGG. Dessen Grundgedanke sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Schaffung eines Ausgleichs für die durch eine größere Kinderzahl bedingten erhöhten Familienlasten. Der Gesetzgeber habe dabei nicht den Weg des Zuschlags zum Arbeitslohn beschritten, um kinderreiche Arbeitnehmer vor Nachteilen zu bewahren, sondern die Belastung so verteilt, daß sie von der Kinderzahl der in einem Betrieb Beschäftigten unabhängig blieb. Dies sei durch die einseitige Verpflichtung der Arbeitgeber, die das BVerfG gebilligt habe, erreicht worden. Ihre ausschließliche Heranziehung könne nur unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht für zulässig gehalten werden; das bedeute, daß die Arbeitgeber die Beiträge für die Arbeitnehmer leisten. Ihre Sozialleistung sei also im Grunde Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis. Daher widerspreche es dem Sinn und Zweck des KGG, daß ein Selbständiger, der gleichzeitig abhängig tätig sei, im Rahmen der Gesamtumlage zu Kindergeldbeiträgen herangezogen werde, obwohl bereits sein Arbeitgeber diesen Anteil leiste. Wenn das Gesetz im § 11 Abs. 3 KGG bei Selbständigen, die mehrere Tätigkeiten ausüben, zur Vermeidung von Doppelbelastungen die mehrfache Heranziehung zu Beiträgen bei verschiedenen Familienausgleichskassen verbiete, so müsse derselbe Grundsatz auch bei der gleichzeitigen Tätigkeit als Selbständiger und als Arbeitnehmer gelten. Das LSG habe bei seiner Meinung, er - der Kläger - sei finanziell nicht doppelt belastet, übersehen, daß bei Bejahung seiner Beitragspflicht dann jedenfalls nicht die Waren-Treuhand-AG beitragspflichtig sei; denn dies würde sich sicherlich nicht mit dem vertragen, was das BVerfG zur Rechtfertigung der Anspruchnahme der Arbeitgeber ausgeführt habe. Da die Aktiengesellschaft jedoch den von ihm in seiner Eigenschaft als Selbständiger geschuldeten Beitrag bereits als Dritter geleistet habe, könne er nicht mehr verpflichtet sein, ihn noch einmal zu bezahlen.
Der Kläger beantragte,
das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Beitragsrechnung vom 29. Oktober 1959 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12. August 1960 aufgehoben werden.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Ihrer Auffassung nach ist ein Selbständiger, ungeachtet des Umstands, ob er zugleich Einkommen aus einer unselbständigen Beschäftigung zieht oder nicht und ob sein etwaiger Arbeitgeber als Unternehmer Beiträge zur FAK für ihn als Arbeitnehmer entrichtet, beitragspflichtig nach dem KGG. Weder aus dem KGG noch aus der Rechtsprechung könne auf eine grundsätzliche Befreiung von der Beitragspflicht aus diesem Grunde geschlossen werden. Die Beitragsbefreiung sei in § 11 KGG abschließend geregelt. Dessen Voraussetzungen träfen aber zugunsten des Klägers nicht zu, so daß er unbeschränkt beitragspflichtig nach § 10 Abs. 1 KGG sei.
III. Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet wurde (§§ 164, 166 SGG). Insbesondere ist die Einlegung der Revision durch den Kläger selbst nicht zu beanstanden, da er als zugelassener Rechtsanwalt auch in eigener Sache vor dem Bundessozialgericht (BSG) rechtswirksam Prozeßhandlungen vornehmen kann (§ 166 SGG; vgl. BSG 5, 13, 15).
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1959 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 1960 (§ 95 SGG), durch den der Kläger auf Zahlung von Beiträgen nach dem KGG in Anspruch genommen wird. Dieser Bescheid ist, wie die Vorderrichter zutreffend feststellten, rechtmäßig.
Der Kreis der nach dem KGG beitragspflichtigen Personen wird durch § 10 dieses Gesetzes festgelegt. Danach ist beitragspflichtig, wer für Arbeitnehmer, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaften nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufzubringen hat oder hätte, wenn diese Personen versichert wären (§ 10 Abs. 1 KGG). Der Kläger erfüllt jene Voraussetzungen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob er tatsächlich als Unternehmer bei der fachlich zuständigen Berufsgenossenschaft pflichtversichert ist. Es genügt die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung nach § 539 RVO, die jedenfalls gegeben ist. In seiner Eigenschaft als selbständiger Rechtsanwalt ist der Kläger Unternehmer im Sinne von § 29 KGG, § 633 RVO; als solcher ist er nach § 10 Abs. 1 KGG beitragspflichtig (vgl. BSG in SozR KGG § 10 Bl. Aa 2 Nr. 2).
Zugunsten des Klägers besteht auch keine Ausnahme von der Beitragspflicht. Sowohl die Befreiungen hiervon als auch die sich aus einer etwaigen Beitragspflichtkonkurrenz ergebenden Rechtsfolgen sind in § 10 Abs. 2 und 3, § 11 Abs. 1 Satz 3 ff, Abs. 2 und Abs. 3 sowie in § 32 verbunden mit § 10 Abs. 4 KGG abschließend geregelt. Keiner dieser Tatbestände trifft für die Person des Klägers zu. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beitragsfreiheit nach § 11 Abs. 1 Sätze 3 ff KGG behauptet er nicht einmal.
IV. Ferner kann der Kläger mit dem Argument einer angeblichen Doppelleistung nicht gehört werden; denn der Kindergeldbeitrag wird von ihm nur einmal, nämlich in seiner Eigenschaft als selbständiger Rechtsanwalt - Unternehmer - gefordert. Dieser Umstand schließt allerdings nicht aus, daß seine Arbeitgeberin ebenfalls der Beitragspflicht nach dem KGG unterliegt, und zwar auch insoweit, als deren Beitrag von dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Beschäftigungsverhältnis mitgestaltet und bedingt wird. Die Arbeitgeberin zahlt ihre Beiträge indessen im Rechtssinn nicht stellvertretend für den Kläger, sondern auf Grund eigener gesetzlicher Verpflichtung. Entsprechend der Gesamtkonzeption des KGG trifft die Beitragspflicht nur die Unternehmer, nicht aber die unselbständigen Beschäftigten, eine Regelung, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz sowohl durch das BVerfG (vgl. BVerfG 11, 105 ff) als auch durch den erkennenden Senat (vgl. BSG 6, 213, 237 sowie die anschließende ständige Rechtsprechung) bestätigt wurde.
Die unselbständige Beschäftigung des Klägers (Arbeitsverhältnis) hat nur insoweit einen Einfluß auf die Beitragspflicht seiner Arbeitgeberin, als es um die Höhe von deren Beiträgen geht, gleichgültig nach welchen zulässigen Berechnungsmaßstäben sich diese bestimmt. Ob der Kläger die unselbständige Beschäftigung nur nebenher ausübt und ob er aus einer unabhängig hiervon bestehenden eigenen Unternehmerfunktion selbst beitragspflichtig ist, bleibt jedoch für die Rechtspflicht seiner Arbeitgeberin ohne Belang. Der Gedanke der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer ist - wie der Kläger zutreffend hervorhebt - die grundsätzliche Rechtfertigung für die ausschließliche Beitragsheranziehung der Unternehmer. Der Kläger verkennt aber die Bedeutung dieses Prinzips, wenn er es in Umkehrung seines Inhalts dazu benutzen will, seine eigene Beitragsfreiheit als Unternehmer aus der Beitragsleistung eines anderen Unternehmens herzuleiten. Wer als selbständiger Unternehmer tätig ist, unterliegt für seine Person auch dann der Beitragspflicht nach dem KGG, wenn ein Arbeitgeber, bei dem er gleichzeitig unselbständig beschäftigt wird, für ihn als betrieblichen Arbeitnehmer Kopfbeiträge an die FAK entrichtet.
V. Es liegt weiterhin auch kein Fall der Konkurrenz in der Beitragserhebung vor, wie er in § 11 Abs. 3 Satz 1 KGG geregelt ist. Nur wenn ein Selbständiger (Unternehmer) persönlich mehrfach zu Beiträgen an verschiedene FAKen herangezogen würde, kann eine Doppelbelastung oder Doppelleistung von Beiträgen in Betracht kommen. Hier sind aber der Kläger und seine Arbeitgeberin je nur einmal beitragspflichtig, und zwar jeder für sich und aus eigenem Rechtsgrund. Der Irrtum des Klägers beruht darin, daß er von einer Leistungspflicht des Arbeitgebers stellvertretend für seinen Arbeitnehmer ausgeht. Dieser Gedanke bildet zwar ein verfassungsrechtlich zulässiges Motiv für die Übertragung der Familienausgleichslasten insgesamt, ist aber nicht der rechtliche Inhalt der im Gesetz begründeten eigenständigen Beitragspflicht jedes Unternehmers. Deshalb bedurfte es auch für den Fall, daß ein Unternehmer nebenher gleichzeitig als Arbeitnehmer tätig ist oder daß ein Arbeitnehmer bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt wird keiner Regelung im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 KGG. Eine Pflicht zur doppelten Beitragszahlung je Person kann hier nämlich nicht erwachsen. Zwar werden alsdann nach wirtschaftlicher Betrachtung möglicherweise "mehrfache" Beiträge erhoben, indessen nur insoweit, als der Arbeitnehmer jeweils als Berechnungsfaktor für die Höhe des Beitrags da und dort angesetzt wird. Ein solches Verfahren ist jedoch nicht als "Doppelleistung" anzusehen und daher nicht zu beanstanden, weil die Beitragspflicht jedes Arbeitgebers (Unternehmers) nur einmal besteht und in Anspruch genommen wird (vgl. BSG 15, 187, 189). Der mehrfache Ansatz eines Arbeitnehmers bei der Berechnung der Beitragshöhe hat mit der Beitragspflicht nichts zu tun. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KGG ist der Gesamtbedarf jeder FAK durch eine Gesamtumlage aufzubringen. Die Berechnung und Erhebung der Beiträge ist den FAKen überlassen (§ 11 Abs. 1 Satz 3 KGG); sinngemäß sind dabei die Vorschriften der RVO anzuwenden (§ 29 KGG). Neben der Berechnung des Beitrags nach Entgelten bzw. nach der Lohnsumme (§ 732 RVO) ist auch die Berechnung nach Kopfteilen zulässig (vgl. BSG in SozR KGG § 11 Bl. Aa 3 Nr. 3; Breithaupt 1962, 603). Welches Verfahren indessen auch angewendet wird, die Person des einzelnen Arbeitnehmers spielt hierbei nur insofern eine Rolle, als es auf das von ihm verdiente Entgelt bzw. auf seinen "Kopf" als Teil der Belegschaft ankommt. Hier wie dort bildet er eine bloße Rechnungseinheit zur Feststellung des Umfangs der allein den Unternehmer treffenden Beitragspflicht. Die Rechtsfolgen jedoch, denen der einzelne Arbeitnehmer auf Grund eigener Verpflichtung - etwa aus persönlicher Unternehmerfunktion - unterfällt, haben hierauf keinen Einfluß und sind völlig getrennt zu betrachten.
Ein abweichendes Verfahren ist weder nach dem Gesetz zulässig noch würde es dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechen. Überdies wäre, wie das LSG mit rechtspolitischen Erwägungen zutreffend festgestellt hat, andernfalls jeder Selbständige in der Lage, sich durch Aufnahme einer gering entlohnten abhängigen Beschäftigung seiner Beitragspflicht als Unternehmer zu entziehen. Dies hätte eine empfindliche Beeinträchtigung und erhebliche Gefährdung des Beitragsaufkommens für den vom Gesetzgeber gewollten berufsständischen Familienlastenausgleich zur Folge.
VI. Nach alledem wurde der Kläger als Unternehmer zu Recht auf Beitragsleistung nach dem KGG in Anspruch genommen. Der Beitragsbescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Das angefochtene Urteil ist daher zu bestätigen; die Revision des Klägers muß als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2324174 |
BSGE, 46 |
NJW 1962, 2320 |