Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechnerische Berichtigungen obliegen der Kassenärztlichen Vereinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein nach § 368n Abs 5 RVO gebildeter Ausschuß über die Abrechnungsfähigkeit von zahnärztlichen Leistungen entschieden, obwohl ihm die jeweils geltende Verfahrensordnung diese Entscheidung nicht übertragen hat, so ist der Bescheid, wenn er angefochten wird, wegen sachlicher Unzuständigkeit aufzuheben (Abgrenzung zu BSG 7.10.1976 6 RKa 15/75 = BSGE 42, 268 = SozR 2200 § 368n Nr 9).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die gebührenordnungsmäßige Prüfung der Abrechnung sind nicht die Prüfinstanzen, sondern die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig.

2. Ist zwischen Kassen und Kassenärztlicher Vereinigung vereinbart worden, daß die Prüfinstanzen anläßlich der Wirtschaftlichkeitsprüfung rechnerische und sachliche Unrichtigkeiten der Abrechnung berichtigen können, so werden davon solche Fälle, in denen es von vornherein ausschließlich um die Abrechnungsfähigkeit bestimmter Leistungen geht, nicht erfaßt.

3. Nehmen die Prüfinstanzen dennoch Berichtigungen vor, ist der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

 

Normenkette

RVO § 368n Abs. 5; SGB 10 § 42 Fassung: 1980-08-18; BMV-Z § 22 Abs. 6; BMV-Z Anl 4

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 23.06.1982; Aktenzeichen L 12 Ka 51/81)

SG München (Entscheidung vom 03.06.1981; Aktenzeichen S 33 Ka 260/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für chirurgische Maßnahmen der systematischen Behandlung der Parodontopathien neben der Bema-Nr P 200 die Bema-Nr. 59 angesetzt werden kann.

Mit Bescheid vom 3. Januar 1980 kürzte der RVO-Prüfungsausschuß Schwaben die Vergütung des Klägers für das Quartal II/1979 um 8 Leistungsansätze der Bema-Nr 59 in den Behandlungsfällen der Patienten W., S. und M., weil die Bema-Nr 59 (Pla 2) nicht in direktem Zusammenhang mit der Bewertungsziffer P 200 abrechenbar sei. Der Beklagte wies die Beschwerde des Klägers mit Bescheid vom 27. Juni 1980 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe die streitigen Leistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der systematischen Parodontosebehandlung erbracht, die Leistungen hätten der Heilung der vorliegenden Parodontosen gedient. Die im Rahmen der systematischen Parodontosebehandlung vorgenommenen mukogingivalen chirurgischen Eingriffe würden von der Leistungsziffer P 200 miterfaßt und seien daher nicht über Bema-Nr 59 abrechenbar. Nach Bema-Nr P 200 seien von diesem Leistungsansatz alle im Rahmen einer Lokalbehandlung durchgeführten chirurgischen Maßnahmen miterfaßt. Dabei handele es sich nach dem erklärten Willen der Vertragsparteien um die kassenzahnärztlichen Leistungen, die mit dem Ziel vorgenommen würden, eine parodontalbedingte Entzündung zum Abklingen zu bringen oder eine Zahnfleischtasche zu entfernen. Dazu zählten alle chirurgischen Maßnahmen, die der Regeneration der parodontalen Gewebe dienten. Der Bema zähle in Ziffer P 200 einige Leistungen, die zu diesem Zweck in Frage kommen, beispielhaft auf. Die Aufzählung sei jedoch nicht erschöpfend. Durch die Ziffer P 200 würden auch Maßnahmen erfaßt, die nicht unmittelbar am Parodontium getroffen worden seien.

Die Beigeladene zu 1) hat Revision eingelegt und macht geltend, die Einführung der systematischen Parodontosebehandlung in den Leistungskatalog des Bema beruhe weitestgehend auf der Vertragsbasis im Ersatzkassenbereich aus dem Jahr 1969. Zu diesem Zeitpunkt sei die nach Bema-Nr 59 zu bewertende Vestibulumplastik, um die es hier gehe, noch nicht Allgemeingut der zahnärztlichen Behandlung gewesen. Erstmals im Jahr 1976 sei die Technik der Verbreiterung des Vestibulums einem größerem Kreis zugänglich gemacht worden. Bema-Nr P 200 erfasse zwar nach dem Wortlaut alle chirurgischen Maßnahmen der systematischen Behandlung der Parodontopathien. Darunter könne aber die Vestibulumplastik nicht fallen. Die Lokalbehandlung der Parodontopathien habe das Abklingen der Entzündung, die Beseitigung der Zahnfleischtaschen und soweit wie möglich die Regeneration der parodontalen Gewebe zum Ziel. Zu den parodontalen Geweben gehöre aber der Mundvorhof nicht. Es komme hinzu, daß die Vestibulumplastik zeitaufwendiger und schwieriger sei als die in P 200 genannten chirurgischen Eingriffe, so daß es nahegelegen hätte, gerade diese Maßnahme in den Katalog der beispielhaft aufgeführten chirurgischen Maßnahmen aufzunehmen, wenn man die Abrechenbarkeit ausschließen wollte. Mit der Aufhebung der Feststellung Nr 70 sei im Ersatzkassenbereich der alte Rechtszustand wieder hergestellt worden, so daß insoweit pro Kieferhälfte einmal die Bema-Nr 59 auch im Rahmen der systematischen Parodontosebehandlung abgerechnet werden könne. Diese Vertragslage sei im RVO-Bereich analog anzuwenden.

Die Beigeladene zu 1) beantragt sinngemäß, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juni 1982 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. Juni 1981 sowie den Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses Schwaben in der Fassung des Bescheides des Beklagten vom 27. Juni 1980 aufzuheben, soweit die Abrechenbarkeit der Bema-Nr 59 in den Behandlungsfällen W., S. und M. verneint worden ist.

Die Beigeladene zu 2) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, Bema-Nr P 200 erfasse alle chirurgischen Maßnahmen der Behandlung der Parodontopathien, nicht nur der Parodontien. Im Ersatzkassenbereich sei die Feststellung Nr 70, mit der die Abrechenbarkeit der Bema-Nr 59 im Rahmen der systematischen Parodontosebehandlung zugelassen wurde, wieder aufgehoben worden. Daraus könne nur gefolgert werden, daß die Bema-Nr 59 eben nach wie vor neben P 200 nicht abrechenbar sei.

Der Kläger und der Beklagte stellen keine Anträge.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist zulässig. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es sich um eine notwendige Beiladung handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann auch der einfach Beigeladene - mit der Einschränkung, daß er keine abweichenden Sachanträge stellen darf - selbständig Revision einlegen, wenn das angefochtene Urteil ihn beschwert; dafür genügt es, daß das Urteil seine Interessenlage beeinträchtigt bzw für ihn ungünstig ist (BSG SozR 4100 § 86 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- Nr 1 mwN). Diese Voraussetzung ist hier gegeben, da die Beigeladene zu 1) die kassenzahnärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen hat (§ 368n Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) und ihr deshalb auch die Sorge für eine angemessene Vergütung der Leistungen obliegt (vgl § 368g Abs 1 RVO).

Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des RVO-Prüfungsausschusses in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten ist aufzuheben.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil die Prüfungsinstanzen - Prüfungsausschuß und Beschwerdeausschuß - für die Entscheidung über den Antrag der Beigeladenen zu 2) auf Prüfung der vertragsgerechten Abrechnung nach Bema-Nr 59 in den drei genannten Behandlungsfällen nicht zuständig waren. Der Antrag der Beigeladenen zu 2) und die angefochtenen Bescheide betreffen hinsichtlich der streitigen Behandlungsfälle lediglich die Abrechnungsfähigkeit der Leistungen nach Bema-Nr 59. Es handelt sich nicht um Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dem Kläger wird nicht vorgeworfen, bei den fraglichen Leistungen unwirtschaftlich gehandelt zu haben; es geht vielmehr um die richtige Anwendung des Bema, dh um die Frage, nach welchen Ziffern des Bema die Leistungen des Klägers abzurechnen sind, was vor und unabhängig von ihrer Wirtschaftlichkeit zu prüfen ist. Für diese "gebührenordnungsmäßige" Prüfung sind nicht die Prüfungsinstanzen, sondern wäre die Beigeladene zu 1) zuständig gewesen.

Nach § 368n Abs 5 RVO idF durch Art 1 Nr 37 Buchst c des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) werden die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung im einzelnen errichtet. Das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie das Verfahren vor den Ausschüssen vereinbaren die Vertragsparteien des Gesamtvertrages (§ 368n Abs 5 Satz 3 RVO). In § 20 Abs 1 des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte (BMV-Z) vom 2.Mai 1962 (abgedruckt nach dem Stand vom 1.1.1972 bei Sixtus/Haep, Zahnärztliches Gebühren- und Vertragsrecht 2. Aufl, Teil 5 S 1 ff) - die Bestimmung gilt in der früheren Fassung auch heute noch (vgl Bundesmantelvertrag-Ärzte/Zahnärzte, herausgegeben vom Verlag der Ortskrankenkassen S D 1 ff) - ist den Prüfungseinrichtungen ebenfalls nur die Überwachung der kassenzahnärztlichen Tätigkeit im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der kassenzahnärztlichen Versorgung übertragen. Die als Anlage 4 zum BMV-Z gemäß § 22 Abs 6 des Vertrages vereinbarte Verfahrensordnung idF vom 15. September 1964 (Sixtus/Haep aaO Teil 5 S 26 ff; Bundesmantelvertrag-Ärzte/Zahnärzte aaO Seite D 30 ff) regelt in § 1 Abs 1, daß die Abrechnungsstellen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZÄV'en) prüfen, ob die Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig stimmen. Die Abrechnungsstellen haben nach § 1 Abs 2 der Verfahrensordnung nicht abrechnungsfähige Leistungen zu streichen, sonstige Mängel unter Mitwirkung des Kassenzahnarztes zu beheben und für die Abstellung entsprechender Beanstandungen von Krankenkassen zu sorgen. In § 1 Abs 3 der Verfahrensordnung heißt es allerdings: "Soweit über die Berichtigung von Honorarforderungen keine Einigung erzielt werden kann, entscheidet hierüber der Prüfungsausschuß." Demgemäß ist in § 5 Abs 1 Buchst a der Verfahrensordnung geregelt, daß die Prüfungsausschüsse darüber entscheiden, ob die berechneten Leistungen nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen als abrechnungsfähig anzuerkennen sind.

Ob und inwieweit die Vorschriften des § 1 Abs 3 und § 5 Abs 1 Buchst a der Verfahrensordnung gemäß § 22 Abs 6 BMV-Z mit § 368n Abs 5 RVO idF des KVKG vereinbar sind, kann dahingestellt bleiben. Sie sind jedenfalls im vorliegenden Fall nicht anwendbar. In § 22 Abs 6 Satz 3 des BMV-Z (Bundesmantelvertrag Ärzte/Zahnärzte aaO 7. Lfg - April 1975 S D 20) ist vielmehr den KZÄV'en und den Landesverbänden der Krankenkassen vorbehalten, Änderungen und Ergänzungen der Verfahrensordnung zu vereinbaren. Nach der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Landesverbänden der Ortskrankenkassen, der Betriebskrankenkassen und der Innungskrankenkassen sowie den landwirtschaftlichen Krankenkassen in Bayern vereinbarten Verfahrensordnung zur Überwachung der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und für das Verfahren vor den Ausschüssen gemäß § 368n Abs 5 RVO werden die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenzahnärztlichen Versorgung errichtet (§ 1 Abs 1); sie entscheiden darüber, ob die berechneten Leistungen den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen über die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen (§ 4 Abs 1 Nr 1); stellen sie dabei rechnerische oder sachliche Unrichtigkeiten fest, so können sie diese aus verwaltungsökonomischen Gründen berichtigen (§ 4 Abs 2). Die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs 2 dieser Verfahrensordnung erfaßt nicht den vorliegenden Fall, in dem es von vornherein ausschließlich um die Abrechnungsfähigkeit der Leistungen ging. Mit seinem Antrag hatte der Verband gesetzlicher Krankenkassen in Nordschwaben den Beklagten gebeten zu prüfen, ob die Leistungen des Klägers nach Bema Nr 59 in den genannten drei Behandlungsfällen vertragsgerecht abgerechnet wurden. Dieser Antrag konnte nur dahin verstanden werden, daß die Abrechnungsfähigkeit, nicht die Wirtschaftlichkeit, überprüft werden sollte. So hat auch der Prüfungsausschuß den Antrag ohne weiteres aufgefaßt. Er hat sich zur Begründung seiner Entscheidung auf den Satz beschränkt: Im direkten Zusammenhang mit der P 200 ist die Bema Nr 59 nicht abrechenbar.

Demgemäß sind der Prüfungsausschuß und der Beklagte für die Entscheidung nicht zuständig gewesen. Wegen dieses Zuständigkeitsmangels ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Ob hier wegen der sachlichen Unzuständigkeit die Nichtigkeit des Verwaltungsakts anzunehmen ist, kann dahingestellt bleiben. Der Bescheid ist jedenfalls wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Aufhebung steht nicht der Rechtsgedanke des § 42 des am 1. Januar 1981 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB X) entgegen. Die Vorschrift steht wie früher schon § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) einer Aufhebung des Verwaltungsaktes nur entgegen, wenn er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustandegekommen ist. Bei fehlender sachlicher Zuständigkeit kann dies nicht gelten.

Allerdings hat der Senat früher in einem dem vorliegenden ähnlichen Fall ausgesprochen, die Gerichte dürften einen angefochtenen Verwaltungsakt nicht allein wegen Fehler des Verwaltungsverfahrens, insbesondere wegen einer Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften, aufheben, ohne seine inhaltliche Richtigkeit geprüft zu haben (BSGE 42, 268, 271). Diese Entscheidung betrifft zwar auch den Bescheid eines Prüfungsausschusses, in dem es um die Anwendung des Gebührenrechts ging. Indessen hatte es sich um einen Ausschuß der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ohne beschließende Mitwirkung von Kassenvertretern gehandelt. Die Ausschüsse haben durch das KVKG einen anderen Charakter bekommen. Nach § 368n Abs 5 RVO idF des KVKG gehören ihnen nunmehr stets Vertreter der Ärzte und Krankenkassen in gleicher Zahl an. Sie sind gegenüber der KZÄV selbständig, so daß Übergriffe in deren Zuständigkeit rechtlich ein anderes Gewicht haben als früher und nicht unbeachtlich bleiben können.

Im vorliegenden Fall kommt ein weiterer Umstand hinzu. Die KZÄV bekämpft nämlich im Rechtsstreit den angefochtenen Bescheid. Deshalb kommt dem Übergriff in ihre Zuständigkeit auch von der Interessenlage her entscheidende Bedeutung zu. Die zuständige KZÄV würde inhaltlich eine andere Entscheidung getroffen haben als der Beklagte und der Prüfungsausschuß, wie sich aus der Tatsache ihrer Einlegung der Revision gegen das Urteil des LSG, als auch aus dem Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ergibt. Damit wäre die Möglichkeit eröffnet, daß sich die Körperschaften des öffentlichen Rechts, die sich hier mit unterschiedlichen Interessen entgegentreten, in einem Rechtsstreit als Kläger und Beklagte und nicht als Beigeladene gegenüberstehen würden.

Aus allen diesen Gründen ist der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides wegen fehlender Zuständigkeit der Prüfungsinstanzen aufzuheben. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 151

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