Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. November 1987 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Herstellung einer Versicherungsunterlage für in Rumänien zurückgelegte Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten.
Der 1922 in Wischnitz/Kreis Bukowina (Rumänien) geborene Kläger ist rassisch Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er war von Geburt an rumänischer Staatsbürger, von 1940 bis 1947 russischer, danach wiederum rumänischer und ist seit seiner Einwanderung nach Israel am 5. November 1965 Staatsbürger des Staates Israel.
Im Juni 1981 beantragte der Kläger bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ua die Anerkennung von Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG). Er gab an, er habe von 1925 bis 1933 eine rumänische Grundschule und von 1933 bis 1937 ein rumänisches Gymnasium besucht, von Juli 1937 bis 1938 eine Lehrzeit in der Buchhaltung durchlaufen und anschließend bis Juni 1941 als Buchhalter in Wischnitz gearbeitet. Nach der Besetzung durch die deutschen Truppen sei er von Juli bis Oktober 1941 arbeitslos gewesen und habe Zwangsarbeit leisten müssen. Von Oktober 1941 bis März 1944 sei er in Transnistrien deportiert gewesen. Nach der Befreiung durch die Russen habe er von März 1944 bis Januar 1947 russischen Militärdienst geleistet. Von Januar 1947 bis zu seiner Auswanderung aus Rumänien nach Israel im Oktober 1965 sei er in Falticzeni als Buchhalter beschäftigt gewesen.
Die Beklagte ließ vom israelischen Finanzministerium eine Sprachprüfung durchführen. In dem Bericht darüber heißt es, beide Elternteile des Klägers – der 1900 geborene Vater und die 1901 geborene Mutter – seien in der Verfolgung umgekommen. Ihre Muttersprache sei Deutsch gewesen. Sie hätten eine deutsche Volksschulbildung gehabt. Im Elternhaus des Klägers sei die Umgangssprache Deutsch gewesen. Im Jahre 1947 habe er eine rumänischsprachige Frau geheiratet. Die Umgangssprache im persönlichen Lebensbereich sei Rumänisch und Deutsch, die Muttersprache seiner 1949 und 1955 geborenen Kinder, die Deutsch verstünden, sei Rumänisch gewesen. Der Kläger spreche Deutsch mühelos und schreibe es mit einigen Fehlern. In der abschließenden Beurteilung ist ausgeführt, er dürfte Deutsch, das er fließend und ungezwungen spreche, von zu Hause als Muttersprache übermittelt bekommen haben. Obwohl er nur rumänischen Schulunterricht erhalten habe, sei seine schriftliche Ausdrucksweise noch heute verhältnismäßig gut. Seine miterschienene Ehefrau spreche ein einigermaßen fließendes Deutsch, das sie laut ihrem Bericht im Laufe der Jahre erlernt habe. Dem Kläger sei die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) zuzuerkennen.
Mit Bescheid vom 13. Mai 1982 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger sei kein Vertriebener. Er könne auch nicht nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) einem Vertriebenen gleichgestellt werden, weil er im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes nicht mehr dem dSK angehört habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1983).
Das Sozialgericht (SG) Berlin, dessen Entscheidung vom 27. November 1984 durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 2. Juli 1985 aufgehoben worden war, hat nach Vernehmung von fünf in Israel lebenden Zeugen die Klage durch Urteil vom 14. April 1987 abgewiesen. Das LSG Berlin hat die Berufung des Klägers hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 10. November 1987) und im wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Herstellung von Versicherungsunterlagen seien nicht erfüllt. Der Kläger habe nicht glaubhaft iS des § 4 Abs 1 FRG gemacht, daß er beim Verlassen des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört habe. Zwar sei dem Sprachprüfungsprotokoll des israelischen Finanzministeriums zu entnehmen, daß die Muttersprache der Eltern des Klägers Deutsch gewesen sei und er diese Sprache noch fließend und ungezwungen spreche; dennoch sei seine Zugehörigkeit zum dSK nicht überwiegend wahrscheinlich; zum Zeitpunkt der Auswanderung im Oktober 1965 habe er nicht glaubhaft gemacht,
daß er dem dSK angehöre. Dagegen spreche der Umstand, daß er eine Frau geheiratete habe, die rumänischer Muttersprache sei und weiter, daß seine Kinder ebenfalls Rumänisch als Muttersprache sprächen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß im Sprachprüfungsprotokoll ausgeführt sei, seine Ehefrau spreche ein einigermaßen fließendes Deutsch. Aus den vielfältigen, teilweise einander widersprechenden Zeugenaussagen sei zu folgern, daß der Kläger mehrere Sprachen beherrsche, nämlich Deutsch, Rumänisch und Jiddisch. Es sei ebenso wahrscheinlich, daß er im persönlichen Bereich Rumänisch und Jiddisch gesprochen habe, als er seine Heimat verlassen habe, wie wahrscheinlich sei, daß er Deutsch gesprochen habe. Damit fehle es an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, daß er im persönlichen Lebensbereich zum Zeitpunkt seiner Auswanderung überwiegend Deutsch gesprochen habe.
Mit der – vom Senat zugelassenen Revision – rügt der Kläger eine Verletzung des § 20 WGSVG. Das LSG habe bei der Prüfung, ob er sich vom dSK gelöst habe, nicht dem Umstand Rechnung getragen, daß er seine Ehefrau an die deutsche Sprache herangeführt habe. Darin zeige sich, daß er auch nach seiner Eheschließung an seiner dSK-Zugehörigkeit festgehalten habe. Weiter habe das LSG verkannt, daß einem – verfolgungs- und kriegsbedingt – erzwungenen Wechsel des Sprachverhaltens nicht die gleiche Wirkung zukommen könne wie einem freiwilligen Wechsel. Die Berücksichtigung der objektiven Folgen der Verfolgung auf seine soziale Umgebung und auf seine sprachlichen Möglichkeiten führten dazu, daß er im Zeitpunkt der Auswanderung noch dem dSK habe zugerechnet werden müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht können die geltend gemachten Zeiten auch unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 20 WGSVG nicht berücksichtigt werden. Hiernach sei anerkannt, daß mit der Heirat eines fremdsprachigen Partners dann, wenn in der Ehe Deutsch nicht mehr die gemeinsame Sprache der Partner darstelle, eine allmähliche Lösung vom dSK erfolge. Allerdings ende die Zugehörigkeit zum dSK nicht abrupt, sondern bleibe noch für einen unschädlichen Übergangszeitraum erhalten. So seien Übergangszeiträume von 8, 10 und 13 1/2 Jahren für möglich gehalten, ein Zeitraum von 24 Jahren dagegen als Übergangszeit ausgeschlossen worden. Neben der Dauer des Übergangszeitraumes müsse für die Prüfung der Zugehörigkeit zum dSK aber noch auf die Verwurzelung im dSK abgestellt werden. Hierfür sei der Gebrauch der deutschen Sprache in Umfang und Intensität entscheidend. Werde der Gebrauch der deutschen Sprache durch persönliche Umstände eingeschränkt, so müsse die Verwurzelung im dSK als weniger stark angesehen werden. Je stärker die Verwurzelung im dSK sei, um so länger müsse eine Übergangsfrist laufen, um starre Fristen und damit ungerechtfertigte Entscheidungen zu vermeiden. Beim Kläger könne die dSK-Zugehörigkeit zum Verfolgungsbeginn bejaht werden, da das deutsche Element im Elternhaus offenbar prägend gewesen sei. Da er aber eine rumänische Grund-, Mittel- und Fachschule besucht habe, könne eine feste Verwurzelung im dSK nicht bestanden haben. Seit über 20 Jahren vor der im Jahre 1965 erfolgten Auswanderung habe der Kläger nicht mehr überwiegend, sondern nur noch bei seltenen Gelegenheiten Deutsch gesprochen, und dies sowohl im persönlichen als auch im öffentlichen Bereich. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß eine Übergangszeit unter Berücksichtigung aller Umstände abgelaufen sei. Die Voraussetzungen des § 17a FRG seien hingegen erfüllt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet.
Nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) sind auf Antrag des Versicherten (Beschäftigten) auch außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens nach Maßgabe des FRG Versicherungsunterlagen für Zeiten herzustellen, die nach dem FRG anrechenbar sind. Der Kläger gehört zwar nicht zum Personenkreis des § 1 FRG. Er erfüllt aber, wovon auch die Beklagte ausgeht, die Voraussetzungen des zum 1. Juli 1990 in Kraft getretenen § 17a FRG (Art 15 Abschnitt A Nr 4 iVm Art 85 Abs 6 des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261), so daß er bereits nach dieser Vorschrift ab 1. Juli 1990 einen Anspruch auf Herstellung von Versicherungsunterlagen für möglicherweise in Rumänien zurückgelegte Versicherungszeiten hat.
Für den vor dem 1. Juli 1990 liegenden Zeitraum können mögliche Versicherungszeiten des Klägers in Rumänien nach den §§ 15, 16 FRG nur dann nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen, wenn die Voraussetzungen des § 20 WGSVG erfüllt sind. Nach dessen Satz 1 (ab 1. Januar 1990 Abs 1 Satz 1 – vgl Art 21 Nr 4c iVm Art 85 Abs 5 RRG 1992) stehen bei der Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) „vertriebene Verfolgte” gleich, die lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. Das FRG ist somit dann zugunsten des Klägers anzuwenden, wenn er zwar „vertrieben” ist, jedoch lediglich mangels Bekenntnisses zum deutschen Volkstum nicht als Vertriebener anerkannt werden kann.
Gemäß § 1 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 BVFG ist Vertriebener auch, wer – als deutscher Volkszugehöriger – nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen Rumänien verlassen hat. Deutscher Volkszugehöriger im Sinne des BVFG ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird (§ 6 BVFG). Dazu wird in § 20 Satz 2 (seit 1. Januar 1990: Abs 1 Satz 2) WGSVG bestimmt, daß § 19 Abs 2 Buchstabe a Halbsatz 2 WGSVG entsprechend gilt. Nach dieser Vorschrift reicht es aus, soweit es auf die deutsche Volkszugehörigkeit ankommt, daß der Verfolgte im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört hat. Nach § 20 Abs 2 WGSVG idF des RRG 1992 wird vermutet, daß die Zugehörigkeit zum dSK eine wesentliche Ursache für das Verlassen des Vertreibungsgebietes ist. Das gilt nicht, wenn das Vertreibungsgebiet nachweislich im wesentlichen aus anderen Gründen verlassen worden ist, weil der Zugehörigkeit zum dSK nicht annähernd das gleiche Gewicht zukommt. Eine verfolgungsbedingte Abwendung vom dSK oder eine Wohnsitznahme in einem nichtdeutschsprachigen Land widerlegt allein diese Vermutung nicht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt dem Gebrauch der deutschen Sprache für die Zugehörigkeit zum dSK eine „im Regelfall” ausschlaggebende Bedeutung zu (BSGE 50, 279, 281 = SozR 5070 § 20 Nr 3; vgl auch BSG SozR aaO Nrn 2, 4, 5, 13, jeweils mwN); denn wer eine Sprache im persönlichen Bereich ständig gebraucht, gehört nicht nur diesem Sprachkreis, sondern auch dem durch die Sprache vermittelten Kulturkreis an, weil sie ihm den Zugang zu dessen Weltbild und Denkwelt erschließt. Die Zugehörigkeit zum dSK ergibt sich daher „im Regelfall” aus dem zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Muttersprache im persönlichen Lebensbereich, der in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfaßt. Eine Mehrsprachigkeit steht der Zugehörigkeit zum dSK dann nicht entgegen, wenn der Verfolgte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat. Wer sich allerdings freiwillig, nicht verfolgungs- oder vertreibungsbedingt, von dem Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Bereich auf Dauer abwendet, gehört nicht mehr dem dSK an (BSGE 50, 279, 281; BSG SozR 5070 § 20 Nr 4 S 14; Nr 13 S 50; SozR 3-5070 § 20 Nr 1; Urteil des Senats vom 28. Juni 1990 – 4 RA 40/88).
Eine generelle Ausnahme von dem Erfordernis der Zugehörigkeit zum dSK und damit auch von der Notwendigkeit, die deutsche Sprache im persönlichen Bereich überwiegend zu verwenden, hat die Rechtsprechung jedoch für den Fall angenommen, daß ein vertriebener Verfolgter sich vom deutschen Volkstum wegen der Verfolgungsmaßnahmen abgekehrt hatte, da insoweit ein Festhalten am bzw ein Wiederzuwenden zum deutschen Volkstum nicht verlangt werden könne. Ausreichend sei vielmehr insoweit, daß die Zugehörigkeit zum dSK bis zum Beginn der individuellen oder allgemeinen Verfolgung bestanden habe (Urteil des Senats vom 28. Juni 1990 S 6 unter Hinweis auf BSG SozR 5070 § 20 Nr 2 S 5; Nr 9, S 32; vgl auch Giessler, Das Bundesentschädigungsgesetz, Erster Teil, 1981, S 83 f mwN).
Aber auch derjenige, der Deutsch als Muttersprache gesprochen hat und nach Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen zunächst weiterhin im persönlichen Lebensbereich verwendet, verliert die Zugehörigkeit zum dSK nicht unmittelbar mit dem Zeitpunkt, von dem an der Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich nicht mehr überwiegt; die Zugehörigkeit bleibt vielmehr regelmäßig für eine Übergangszeit erhalten (BSGE 50, 279, 282 = SozR aaO Nr 3 S 9; Nr 13 S 48; SozR 3-5070 § 20 Nr 1). Dabei hängt die Dauer der Übergangszeit nicht nur von den subjektiven – persönlichen – Gründen, die zum Nichtgebrauch des Deutschen geführt haben, sondern auch von den objektiven Lebensverhältnissen ab, sofern sie durch die Verfolgung bzw Vertreibung wesentlich geprägt worden sind (BSG SozR 3-5070 § 20 Nr 1; Urteile des erkennenden Senats vom 16. August 1990 – 4 RA 18/89 – und vom 27. September 1990 – 4 RA 32/89). Eine indizielle Bedeutung für eine freiwillige Abwendung vom dSK kommt dem Sprachverhalten – auch im persönlichen Bereich – um so weniger zu, je mehr die objektiven, durch die Verfolgung bzw Vertreibung geprägten Lebensverhältnisse einen Wechsel der Sprache erzwungen oder jedenfalls den Gebrauch des Deutschen nachhaltig behindert haben.
Der Senat hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen (Urteil vom 29. Januar 1991 – 4 RA 39/90), daß es dem Begriff des Übergangszeitraums immanent ist, daß dieser nicht unbefristet sein kann. Dementsprechend sind nach der Rechtsprechung des BSG Zeiträume von 24 Jahren bzw 22 Jahren, die zwischen dem Beginn der Distanzierung vom dSK und der Auswanderung aus dem Vertreibungsgebiet gelegen haben, absolut zu lang, um noch als Übergangszeit anerkannt zu werden (Urteil des Senats vom 16. August 1990 – 4 RA 18/89; BSGE 50, 279, 282 = SozR aaO Nr 3 S 9). Des weiteren ist darauf abgestellt worden, daß die Übergangszeit nicht länger sein könne als der Zeitraum, während dessen Deutsch im persönlichen Lebensbereich überwiegend gesprochen worden ist (Urteil des Senats vom 16. August 1990 – aaO). Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß jedenfalls bei Sachverhalten, in denen neben objektiven auch subjektive Gründe wie die Verheiratung mit einer fremdsprachigen Frau für eine Abkehr vom überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache ausschlaggebend waren, mit der Nichtverwendung des Deutschen objektiv eine Distanzierung vom dSK verbunden ist. Diese objektive Distanzierung kann, je länger der Zeitpunkt des Nichtgebrauchs der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich zurückliegt, um so weniger auf die objektiven Gründe zurückgeführt werden. Durch die Dauer der nicht überwiegenden Verwendung des Deutschen im persönlichen Lebensbereich löst sich die – über die Sprache vermittelte – Verbindung zum dSK. Nicht zu entscheiden war bisher, welcher Zeitraum äußerstenfalls als Übergangszeit zu bewerten ist. Der Senat kommt anläßlich des vorliegenden Sachverhaltes nach Abwägung aller Umstände zum Ergebnis, daß ein Übergangszeitraum im aufgezeigten Sinne nur bis zu 20 Jahren betragen kann, mithin also einen Zeitraum umfaßt, der deutlich mehr als eine halbe Generation beträgt.
Das LSG ist bei seiner Prüfung, ob der Kläger dem dSK angehört hat, von dessen ursprünglicher Zugehörigkeit zum dSK ausgegangen. Dies ist seinen Feststellungen zu entnehmen, der Kläger stamme aus einem Elternhaus, in dem Deutsch die Muttersprache gewesen sei. Es hat jedoch die weitere Voraussetzung des Anspruchs – die Zugehörigkeit zum dSK im Zeitraum des Verlassens des Vertreibungsgebietes – verneint. Es hat hierbei einen unzutreffenden Inhalt des Rechtsbegriffs „Abwendung vom dSK” zugrundegelegt. Der Kläger war im Zeitpunkt der Anwendung noch dem dSK zuzurechnen.
Bei der Prüfung des „Abwendens” vom dSK hat das LSG zunächst auf das Sprachverhalten des Klägers im engeren persönlichen Bereich, nämlich in Ehe und Familie, abgestellt. Es hat sodann unter Würdigung der erhobenen Zeugenbeweise das Sprachverhalten des Klägers im Freundes- und Bekanntenkreis, der ebenfalls dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist (vgl zB BSG SozR 5070 § 20 Nr 13, S 50), in seine Prüfung miteinbezogen. In seiner abschließenden (S 18 des Urteilsabdrucks), von den Beteiligten nicht angegriffenen und den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellung ist es davon ausgegangen, es sei ebenso wahrscheinlich, daß der Kläger im Zeitpunkt der Auswanderung Rumänisch und Jiddisch gesprochen habe, wie wahrscheinlich sei, daß er Deutsch gesprochen habe. Aufgrund dieser Feststellung, die sich nach dem Sachzusammenhang auf das überwiegende Sprachverhalten im persönlichen Lebensbereich bezieht, hat es das LSG nicht als glaubhaft gemacht angesehen, daß der Kläger im Auswanderungszeitpunkt noch dem dSK angehört hat. Das Berufungsgericht hat bei dieser rechtlichen Würdigung jedoch außer Acht gelassen, daß auch bei einer nicht mehr überwiegenden Verwendung des Deutschen im persönlichen Lebensbereich die Zugehörigkeit zum dSK erst nach einer Übergangszeit endet. Denn selbst wenn man, was nach den Bekundungen des LSG nicht festzustellen war, davon ausginge, durch Verheiratung mit einer rumänischsprachigen Frau im August 1947 habe eine Lösung des Klägers vom dSK begonnen, war bis zu der im Oktober 1965 erfolgten Auswanderung der dem Kläger zuzugestehende Übergangszeitraum von 20 Jahren noch nicht abgelaufen. Die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK war mithin im Zeitpunkt der Auswanderung noch zu bejahen.
Das LSG hat von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger die von ihm geltend gemachten Versicherungszeiten in Rumänien zurückgelegt hat. Diese Feststellungen kann der Senat als Revisionsinstanz nicht selbst treffen.
Die Revision des Klägers war daher im Sinne der Zurückverweisung der Streitsache an das LSG begründet, wobei das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen