Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Besetzung eines LSG-Senats
Orientierungssatz
Die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Sozialgerichtsräten als Hilfsrichter in einem Senat des LSG ist nicht zulässig (vgl BSG 1959-02-04 10 RV 663/58 = BSGE 9, 137).
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2, § 33
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.12.1958) |
SG Speyer (Entscheidung vom 24.06.1957) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz vom 3. Dezember 1958 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen!
Gründe
Der Kläger erhielt wegen der Folgen eines Oberarmschußbruchs links seit 1946 Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. Durch Bescheid vom 27. Dezember 1954 stellte das Versorgungsamt I... die Versorgungsbezüge neu fest und gewährte ab 1. Februar 1955 nur noch Beschädigtenrente nach einer MdE um 40 v. H. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Speyer durch Urteil vom 24. Juni 1957 den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsentscheidungen für verpflichtet erklärt, dem Kläger weiterhin die einer MdE um 50 v.H. entsprechenden Versorgungsgebührnisse zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten durch Urteil des V. Senats vom 3. Dezember 1958 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. An dieser Entscheidung haben Senatspräsident L... als Vorsitzender, die Sozialgerichtsräte V... und H... als weitere Berufsrichter sowie zwei Landessozialrichter als ehrenamtliche Beisitzer mitgewirkt. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 29. Januar 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Februar 1959 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 28. April 1959 am 9. April 1959 begründet. Er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt als wesentlichen Mangel des Verfahrens die Verletzung der §§ 1, 6, 27, 33, 37 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), der §§ 1, 6, 8, 70, 117 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und der Artikel 97, 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Er trägt vor, der V. Senat des LSG Rheinland-Pfalz sei in der Sitzung am 3. Dezember 1958 nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an der Verhandlung und Entscheidung zwei Hilfsrichter, nämlich die Sozialgerichtsräte V... und H..., mitgewirkt hätten. Die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat widerspreche sowohl den einschlägigen Vorschriften des SGG als auch gerichtsverfassungs- und verfassungsrechtlichen Grundsätzen und sei daher unzulässig.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 3. Dezember 1958 als unzulässig zu verwerfen.
Er ist der Ansicht, der V. Senat des LSG sei trotz Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil ein besonderer Geschäftsanfall zu bewältigen gewesen sei.
Der Senat hat eine Äußerung des Präsidenten des LSG Rheinland-Pfalz über die Besetzung des V. Senats dieses Gerichts am 3. Dezember 1958 eingeholt. Danach waren die Sozialgerichtsräte V... und H..., die an der Verhandlung am 3. Dezember 1958 mitgewirkt haben, in diesem Zeitpunkt als Hilfsrichter zum LSG abgeordnet. Der damalige Sozialgerichtsrat V... wurde auf einer Planstelle des SG Speyer, der Sozialgerichtsrat H... auf einer Planstelle des SG Speyer, Zweigstelle Mainz, geführt.
Die gemäß §§ 164, 166 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist vom LSG nicht zugelassen worden. Sie ist jedoch nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; denn das Verfahren des Berufungsgerichts leidet, wie der Kläger zutreffend gerügt hat, an einem wesentlichen Mangel.
Der V. Senat des LSG Rheinland-Pfalz ist am 3. Dezember 1958 nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an dieser Sitzung zwei Sozialgerichtsräte als Hilfsrichter mitgewirkt haben (BSG, in ständiger Rechtsprechung, vgl. BSG 9, 137 ff; BSG, Beschlüsse vom 15. September 1959 -8 RV 301/59 - und vom 22. Januar 1960 - 11/8 RV 239/57 -; BSG, Urteile vom 23. März 1960 - 1 RA 143/59 - und 1 RA 48/60; BSG 11, 22 ff; 12, 298 f; BSG in SozR SGG § 33 Bl. Da 1 Nr. 4; BSG, Urteil vom 18. Juli 1961 - 9 RV 190/59 -). Wie in diesen Entscheidungen ausgeführt worden ist, ist die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat eines LSG nicht zulässig, weil dadurch die Einheitlichkeit und Güte der Rechtsprechung und vor allem der Grundsatz der Unabhängigkeit der Rechtspflege von Politik und Verwaltung gefährdet werden. Hilfsrichter sind mit der Rechtsprechung des höheren Gerichts, an das sie abgeordnet sind, in der Regel nicht so vertraut wie die ständigen Berufsrichter dieses Gerichts, sie sind insbesondere nicht in dem gleichen Maße unabhängig wie die planmäßigen Richter denn die Hilfsrichter müssen, da sie nur zum LSG abgeordnet sind, jederzeit mit dem Widerruf ihrer Abordnung rechnen, und es ist nicht auszuschließen, daß dies ihre richterliche Meinungsbildung beeinflußt. Die Rechtsuchenden andererseits pflegen einem Gericht, das mit Richtern besetzt ist, die auf diese Art von der Justizverwaltung abhängig sind, nur mit geringem Vertrauen zu begegnen. Der Gedanke des Rechtsstaats, zu dessen besonderen Ausprägungen die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit und die strengen Vorschriften der Gerichtsverfassung über die Besetzung der Spruchkörper gehören, verbietet deshalb jedenfalls die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat des LSG, ohne daß es darauf ankommt, aus welchen Gründen es zu der gleichzeitigen Mitwirkung der zwei Hilfsrichter gekommen ist; denn die Stetigkeit und die Güte der Rechtsprechung müssen in jedem Fall, über den der betreffende Spruchkörper zu entscheiden hat, gewährleistet sein (vgl. BSG aaO). Der V. Senat des LSG Rheinland-Pfalz ist mithin in der Sitzung am 3. Dezember 1958 nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, das LSG hat dadurch insbesondere gegen § 33 SGG verstoßen. Da der Kläger diesen Verfahrensmangel gerügt hat, ist seine Revision statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Die Revision ist auch begründet, denn das angefochtene Urteil beruht auf dem gerügten Verfahrensmangel; es ist möglich, daß das LSG bei ordnungsmäßiger Besetzung zu anderen Feststellungen und Schlußfolgerungen gekommen wäre. Das Urteil des Berufungsgerichts mußte daher mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben werden. Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die Feststellungen des LSG verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustandegekommen und deshalb für das Bundessozialgericht nicht bindend sind (§ 163 SGG). Der Rechtsstreit war daher an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten mußte dem abschließenden Urteil vorbehalten werden.
Fundstellen