Leitsatz (amtlich)

Die Pauschalierung der bei einer beruflichen Bildungsmaßnahme anfallenden Fahrkosten betrifft den Umfang der Leistung und darf nur vom Verwaltungsrat der BA als dem zuständigen Organ geregelt werden. Die Übertragung auf den Präsidenten der BA ist unzulässig.

 

Normenkette

AFG § 39 S. 1 Fassung: 1969-06-25, § 45 Fassung: 1969-06-25, § 150 Fassung: 1969-06-25, § 191 Abs. 3 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 14 Abs. 1 Fassung: 1970-09-30, Abs. 3 Fassung: 1970-09-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die dem Kläger bewilligten Fahrkosten nach der vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf der Grundlage des § 14 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrats der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) i. d. F. der 1. Änderungsanordnung vom 30. September 1970 (ANBA 1970, 772) aufgestellten "Tabelle für die Pauschalierung der zu berücksichtigenden Fahrkosten bei FuU" (Runderlaß - RdErl - 148/71.4.1 - ANBA 1971, 280, 281 -) berechnen durfte.

Der damals in D, Dstraße ..., wohnhafte Kläger besuchte in der Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 31. August 1973 einen Lehrgang der Akademie für praktische Betriebswirtschaft in K, S Straße ..., den die Beklagte als Maßnahme der beruflichen Fortbildung förderte. Die tägliche Hin- und Rückfahrt an jeweils über 16 Tagen im Monat umfaßte eine einfache Strecke von 48 km, die sich aus 2 km von der Wohnung bis Hauptbahnhof (Hbf) D, 41 km vom Hbf D bis Hbf K und 5 km vom Hbf K bis zur S Straße zusammensetzte. Mit Bescheid vom 3. Mai 1972 bewilligte die Beklagte für den genannten Zeitraum (nach Abzug von 3 Urlaubsmonaten 20 Kalendermonate) Fahrkosten in Höhe von 760,- DM, wobei auf den sich aus der Pauschalierungstabelle (Stufe 9, Spalte 9; Entfernung mehr als 45 bis 50 km, 16 und mehr Tage im Kalendermonat) ergebenden monatlichen Betrag von 38,- DM abgestellt wurde. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. November 1972). Auf die Klage, mit der der Kläger geltend machte, daß sich die im Monat entstehenden Fahrkosten auf 113,- DM beliefen, nämlich 35,- DM für die Schülermonatskarte von Düsseldorf Hbf bis Köln Hbf und 78,- DM für die beiden weiteren Monatskarten der örtlichen Verkehrsmittel (insgesamt 7 km), hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte mit Urteil vom 9. März 1973 verpflichtet, dem Kläger die Fahrkosten nach § 45 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) i. V. m. § 14 Abs. 1 und 2 AFuU ohne Anwendung der Pauschalierungstabelle zu erstatten. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die - zugelassene - Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. Juli 1975 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat das LSG ausgeführt: Die Beklagte habe die Tabelle nicht anwenden dürfen, denn mit der Übertragung der im § 14 Abs. 3 AFuU niedergelegten Befugnis habe der Verwaltungsrat der BA gegen höherrangiges Recht verstoßen. Nach § 45 AFG habe es der Gesetzgeber der Beklagten überlassen, den Umfang der Kostenübernahme näher zu regeln, was sich aus der Formulierung "ganz oder Teilweise" ergebe. Die Ermächtigung nach § 39 AFG bedeute, daß nicht nur eine formelle Organzuständigkeit des Verwaltungsrats begründet, sondern daß diesem auch übertragen sei, die gesetzlich aufgeführten materiellen Gesichtspunkte zu konkretisieren. Die vom Verwaltungsrat in § 14 AFuU 1969 vorgenommene Regelung habe festgelegt, daß unvermeidbare Fahrkosten grundsätzlich in voller Höhe gezahlt werden, wie sie bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels anfallen. Die Übertragung der Befugnis, Pauschbeträge festzusetzen, auf den Präsidenten der BA finde im Gesetz keine Stütze.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 39, 45 AFG und des § 14 AFuU. Sie ist der Auffassung, § 14 Abs. 3 AFuU verstoße nicht gegen §§ 39, 191 Abs. 3 AFG. Der in § 45 AFG umrissene Umfang der Förderung sei gemäß § 39 AFG von ihr durch Anordnung näher bestimmt worden. Im Rahmen dieser Ermächtigung habe der Verwaltungsrat das Recht zur Festsetzung von Pauschbeträgen auf den Präsidenten der BA übertragen. Dem Präsidenten sei ein Ermessen nur insoweit eingeräumt worden, als er entscheiden könne, ob eine derartige Pauschalierung eingeführt werden solle oder nicht. Im übrigen sei jedoch der Inhalt einer solchen Regelung durch den § 14 Abs. 3 AFuU bereits festgelegt, nämlich die Pauschalierung "nach Maßgabe der Entfernung und der öffentlichen Verkehrstarife" festzusetzen. In diesem eng umgrenzten Rahmen habe diese Aufgabe dem Präsidenten ohne Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze übertragen werden können.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Beide Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die dem Kläger zustehenden Fahrkosten ohne Anwendung der vom Präsidenten der BA erlassenen Pauschalierungstabelle zu berechnen sind. Für den Erlaß einer solchen Pauschalregelung durch den Präsidenten der BA fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, so daß sie als rechtsunwirksam anzusehen ist. Allerdings ist es keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen, auch im Rahmen der beruflichen Bildungsförderung nach dem AFG die individuellen Förderungsleistungen zu pauschalieren und so im Wege des typisierenden Gesetzesvollzuges (vgl. hierzu Isensee, BayVBl. 1973, 658) die Berechnung und Gewährung der Leistungen zu vereinfachen. Die Befugnis hierzu steht aber nicht dem Präsidenten der BA zu. Eine Pauschalierung, d. h. die Vereinheitlichung einer Vielzahl von individuell möglicherweise unterschiedlichen Gegebenheiten zu auf- und abgerundeten Mittelwerten, betrifft unmittelbar den Umfang der zu regelnden Materie. Nach § 39 AFG bestimmt die BA durch Anordnung das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der beruflichen Bildung. Diese Anordnung erläßt gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AFG der Verwaltungsrat. Demnach ist es dem Verwaltungsrat der BA vorbehalten, den Umfang der in § 45 AFG als erstattungsfähige Kosten der Fortbildungsmaßnahme aufgeführten Fahrkosten näher zu bestimmen; er ist mithin auch das für die Pauschalierung der Fahrkosten gesetzlich zuständige Organ der BA. Diese Aufgabe durfte der Verwaltungsrat nicht auf den Präsidenten der BA übertragen, weil eine solche Möglichkeit im Gesetz nicht vorgesehen ist. Durch die Übertragung hat der Verwaltungsrat den für die BA geltenden Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen dem Verwaltungsrat als dem zur Konkretisierung der Vorschriften des AFG und zum Erlaß des autonomen Satzungsrechts ermächtigten Rechtsetzungsorgan einerseits und der durch den Präsidenten repräsentierten Exekutive andererseits verletzt. Dagegen kann die Revision auch nicht anführen, nur die Pauschalierung durch den Präsidenten gewährleiste die gesetzlich vorgeschriebene schnelle Anpassung der Tabelle an die geänderten Verkehrstarife. Sie übersieht dabei, daß die alsbaldige Anpassung der Anordnungen und Verwaltungsvorschriften an geänderte Verhältnisse sogar ausdrücklich dem Verwaltungsrat selbst vom Gesetz aufgegeben ist (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AFG). Auch die Vorschrift des § 150 AFG, wonach Pauschbeträge für abzugsfähige Beträge vom Einkommen durch Anordnung der BA festgesetzt werden können, verdeutlicht, daß der Gesetzgeber die Pauschalierung als eine den Umfang der Leistung betreffende Regelung wertet, die dem Verwaltungsrat vorbehalten bleiben sollte.

Aber auch dann, wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, daß der Verwaltungsrat der BA mit der Vorschrift des § 14 Abs. 3 AFuU die Pauschalierung der Fahrkosten selbst hinreichend konkret bestimmt und den Präsidenten lediglich beauftragt hat, mit dem Erlaß der Pauschalierungstabelle die verwaltungstechnische Handhabe zu liefern, könnte die Tabelle nicht als rechtens angesehen werden. Die Ausführung des vom Anordnungsgeber erteilten Auftrags hätte nämlich erfordert, daß die in der Anordnung selbst für die Pauschalierung festgesetzten Maßstäbe, nämlich die Entfernung und die öffentlichen Verkehrstarife, sachgerecht berücksichtigt werden. Dies ist aber bei der Pauschalierungstabelle nicht der Fall, weil - was die Beklagte auch einräumt - lediglich auf den Verkehrstarif der Bundesbahn abgestellt wurde. § 14 Abs. 3 AFuU läßt aber eine Beschränkung auf die Tarife der Bundesbahn nicht zu. In der genannten Vorschrift ist vielmehr angeordnet, die Pauschalierung nach Maßgabe "der öffentlichen Verkehrstarife" vorzunehmen. Hierzu zählen auch die Tarife der Bundespost und der verschiedenen kommunalen Verkehrsträger. Dagegen kann die Beklagte deshalb auch nicht geltend machen, es sei zu schwierig und würde dem Zweck einer Pauschalierung (einfache Handhabung) und einer schnellen Anpassung der Tabelle an Tarifveränderungen entgegenstehen, alle Verkehrstarife zu berücksichtigen. Sie übersieht dabei, daß sie in jedem Fall an die Anordnung gebunden war. Allein schon aus diesem Grunde könnte der Runderlaß 148/71.4.1 keinen Bestand haben. Er bewirkt darüber hinaus im Ergebnis in einer Vielzahl von Fällen, die das bei einer Pauschalierung vertretbare Maß der Abweichung vom Regelfall bei weitem übersteigt, eine erhebliche Kürzung der bei notwendiger Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unvermeidbar anfallenden tatsächlichen Kosten. Wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, fallen für die weit überwiegende Zahl der nach der AFuU zu Fördernden Fahrkosten an. Eine große Anzahl ist nicht nur auf das öffentliche Verkehrsmittel Bundesbahn, sondern auch auf die Benutzung der Straßenbahn angewiesen, was sich im vorliegenden Fall bei der Entfernung zwischen dem Maßnahmeträger und dem Hbf K (5 km) von selbst versteht. Die Tarife der Straßenbahn für Berufstätigen- und Zeitkarten sind aber vielfach ungleich ungünstiger als diejenigen der Bundesbahn. Die wesentlich ungünstigeren Tarife anderer öffentlicher Verkehrsmittel haben dann zur Folge, daß für die große Anzahl der Benutzer von Straßenbahnen und anderer öffentlicher Verkehrsmittel neben der Bundesbahn nicht nur ausnahmsweise, sondern in der Regel unvermeidbare Fahrkosten anfallen, die wesentlich höher sind als die in der Pauschalierungstabelle zugestandenen. Eine Pauschalierung, die sich nicht an den durchschnittlichen Fahrkosten orientiert und damit in keinem vernünftigen Verhältnis zur durchschnittlichen Belastung mit Fahrkosten steht, kann schon im Hinblick auf § 14 Abs. 1 AFuU, der generell die volle Erstattung der unvermeidbaren Fahrkosten für öffentliche Verkehrsmittel vorschreibt, nicht hingenommen werden. Damit ist durch den Runderlaß die Anordnung des Verwaltungsrates im Ergebnis inhaltlich verändert worden. Der den Auftrag der Anordnung und die Grenzen einer bloßen Verwaltungsanweisung überschreitende Erlaß wäre daher auch aus diesem Grunde als rechtsunwirksam anzusehen.

Nach allem haben die Vorinstanzen somit zu Recht entschieden, daß der Kläger Anspruch auf Erstattung seiner durch die notwendige Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Fahrkosten nach § 14 Abs. 1 AFuU hat und die Pauschalierungstabelle nicht anzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650286

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