Leitsatz (amtlich)
An der Rechtsprechung, daß eine Verpflichtung zur Leistung eines Beitrags zum Unterhalt aus EheG § 60 keine Unterhaltsverpflichtung nach RVO § 1265 S 2 ist, wird festgehalten (vergleiche BSG 1972-06-28 4 RJ 145/71 = SozR Nr 63 zu § 1265 RVO und BSG 1976-07-29 4 RJ 111/75).
Normenkette
RVO § 1265 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16; EheG § 60 S. 1 Fassung: 1946-02-20, § 61 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Juli 1976 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Ihre Ehe mit dem Versicherten wurde im Oktober 1960 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Beide Parteien haben nicht wiedergeheiratet. Sie lebten seit Anfang November 1972 wieder in häuslicher Gemeinschaft zusammen. Der Versicherte starb am 6. Februar 1974.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18. Juli 1974). Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung der Hinterbliebenenrente vom 1. März 1974 an verurteilt (Urteil vom 26. September 1975). Es hat die Entscheidung damit begründet, daß der Versicherte der Klägerin vor seinem Tode Unterhalt geleistet habe, so daß die Voraussetzungen des § 1265 Satz 1 RVO vorlägen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 15. Juli 1976). Das LSG hat dahinstehen lassen, ob der Rentenanspruch nach § 1265 Satz 1 RVO begründet sei. Er ergebe sich jedenfalls - so ist in den Entscheidungsgründen weiter ausgeführt - aus § 1265 Satz 2 RVO. Die Ehe sei aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden. Eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nach dem Ehegesetz habe nur wegen der Erträgnisse der Klägerin aus eigener Erwerbstätigkeit nicht bestanden. Ohne diese Erträgnisse hätte ihr der Versicherte einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 des Ehegesetzes (EheG) zahlen müssen. Diese Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrags zum Unterhalt sei als "Unterhaltsverpflichtung" im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO anzusehen. Der entgegenstehenden, vom Bundessozialgericht (BSG) vertretenen Auffassung sei nicht zu folgen. Das LSG schließe sich damit der Auffassung an, die der 5. Senat des BSG zu § 61 Abs. 2 EheG vertreten habe (Urteil vom 25.5.1976 - 5 RJ 343/74). In diesem Zusammenhang habe das BSG entschieden, daß auch ein Unterhaltsbeitrag nach § 61 Abs. 2 EheG Unterhalt im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO darstelle. - Die übrigen Voraussetzungen des § 1265 Satz 2 RVO seien von der Klägerin zweifelsfrei erfüllt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision. Sie ist der Auffassung, daß die Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrags zum Unterhalt nicht als "Unterhaltsverpflichtung" im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO gewertet werden könne.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1972 (SozR Nr. 63 zu § 1265 RVO) dahin erkannt, daß eine Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrags zum Unterhalt (§ 60 EheG) nicht als Unterhaltsverpflichtung nach § 1265 Satz 2 RVO zu werten sei. Der erkennende Senat hat an dieser Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 und der damit verbundenen Neufassung des § 1265 Satz 2 RVO festgehalten (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 29. Juli 1976 - 4 RJ 111/75 - mit weiteren Hinweisen). Die Darlegungen in dem angefochtenen Urteil geben keinen Anlaß, davon abzuweichen. In der vorbezeichneten Entscheidung ist - über die frühere Begründung hinaus - als bedeutsam angesehen worden, daß der Gesetzgeber bei Änderung der Vorschrift des § 1265 Satz 2 RVO in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG an dem Begriff "Unterhaltsverpflichtung", auf dessen Auslegung es also nicht weiterhin ankommt, festgehalten hat. Eine bisher nicht erwähnte, dem Unterhaltsbeitrag eigentümliche Besonderheit liegt im übrigen darin, daß - im Gegensatz zur Unterhaltspflicht (vgl. § 70 Abs. 1 EheG) - die einem Ehegatten nach § 60 EheG auferlegte Beitragspflicht mit dem Tode des Verpflichteten endet (vgl. § 70 Abs. 3 EheG).
Schließlich verkennt das LSG die von ihm zitierte Rechtsprechung des 5. Senats des BSG zu § 61 Abs. 2 EheG. Dort ist nicht von einem Beitrag zum Unterhalt die Rede, sondern davon, daß ein Ehegatte unter bestimmten Voraussetzungen Unterhalt zu gewähren hat. Der erkennende Senat hat zu keiner Zeit die Auffassung vertreten, daß es sich bei dem Unterhaltsanspruch nach § 61 EheG um einen Anspruch handelt, der dem auf Zahlung eines Beitrags zum Unterhalt gleichzusetzen sei. Seine Auffassung stimmt vielmehr mit der Rechtsprechung des 5. Senats überein. Hiernach steht der Klägerin ein Rentenanspruch nach § 1265 Satz 2 RVO nicht zu.
Nach den Feststellungen des LSG ist es jedoch denkbar, daß der Versicherte in den letzten Jahren vor seinem Tode in nicht unerheblichem Maße zum Unterhalt der Klägerin beigetragen hat. Der Senat vermag darüber nicht abschließend zu befinden. Die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen des LSG waren für dessen Entscheidung unerheblich, es ist deshalb zumindest fraglich, ob auch insoweit der Sachverhalt hinreichend erforscht ist. Aus diesem Grunde muß der Rechtsstreit zur Entscheidung darüber, ob der Klägerin eine Rente nach § 1265 Satz 1 RVO - weil ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat - zuzusprechen ist, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung durch das LSG vorbehalten.
Fundstellen