Leitsatz (amtlich)
Zu einem Rechtsstreit über die von der Künstlersozialkasse nach dem KSVG festgestellte Versicherungspflicht eines selbständigen Künstlers oder Publizisten in der Kranken- und der Angestelltenversicherung sind die Träger dieser Versicherungszweige beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2; KSVG § § 1-2, 3 Abs 1, § 3 Abs 2, §§ 53, 56; RVO § 306 Abs 6 S 1 Fassung: 1981-07-27; AVG § 2 Abs 4
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.01.1988; Aktenzeichen L 11 Kr 92/86) |
SG Detmold (Entscheidung vom 05.11.1986; Aktenzeichen S 10 Kr 93/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kranken- und Angestelltenversicherungspflicht des Klägers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Der 1947 geborene Kläger war bis August 1979 als Angestellter beschäftigt; seitdem erteilte er als selbständiger Lehrer Blockflötenunterricht. Bis zum Inkrafttreten des KSVG am 1. Januar 1983 war er deswegen seit Februar 1982 bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) kranken- und bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) angestelltenversichert.
Mit Bescheid vom 7. März 1983 stellte die Künstlersozialkasse (KSK) mit Wirkung vom 1. Januar 1983 seine Versicherungspflicht in der Kranken- und der Angestelltenversicherung nach dem KSVG fest. Entsprechend einem voraussichtlichen Jahresarbeitseinkommen für das Jahr 1983 von 6.300 DM seien Beiträge in der Krankenversicherung in Höhe von monatlich 31,50 DM und in der Angestelltenversicherung in Höhe von monatlich 47,25 DM zu zahlen. Den Widerspruch des Klägers wies die KSK mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1983 zurück.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, mehrere Bestimmungen des KSVG verstießen gegen das Grundgesetz (GG). Insbesondere sei ein Verfassungsverstoß darin zu erblicken, daß ihm, dem Kläger, nunmehr ein Krankenversicherungsschutz aufgenötigt werde, der einen Krankengeldanspruch erst ab Beginn der 7. Woche nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorsehe, während er bisher im Rahmen einer Versicherung als selbständiger Lehrer nach § 166 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF Krankengeld bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit habe erhalten können.
Gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts vom 5. November 1986 legte der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein. Mit Bescheid vom 2. Februar 1987 stellte die KSK für die Jahre 1983 und 1984 ein niedrigeres Jahresarbeitseinkommen des Klägers fest und senkte ihre Beitragsforderung entsprechend. Sie stellte zugleich fest, daß der Kläger nunmehr nur noch ein geringfügiges Jahresarbeitseinkommen iS des § 8 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) erziele. Versicherungsfreiheit nach § 3 Abs 1 KSVG sei deswegen allerdings erst ab 1. Januar 1985 eingetreten, da der Kläger bis in das Jahr 1984 noch "Berufsanfänger" iS des § 3 Abs 2 Satz 1 iVm § 6 KSVG gewesen sei. Daraufhin begehrte der Kläger hilfsweise die Feststellung des Eintritts der Versicherungsfreiheit bereits zum 1. Januar bzw 1. September 1984.
Mit Urteil vom 13. Januar 1988 wies das LSG die Berufung des Klägers zurück. In den Entscheidungsgründen legte es dar, der Kläger sei in den Jahren 1983 und 1984 nach §§ 1 und 2 KSVG als selbständiger Musiklehrer versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Angestelltenversicherung gewesen. Die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit nach § 3 KSVG hätten im fraglichen Zeitraum gefehlt; dabei könne die Versicherungsfreiheit nach dieser Bestimmung nur mit dem Ablauf eines Kalenderjahres eintreten, weshalb ein Ende der Versicherungspflicht zum 31. August 1984 nicht möglich sei. Die Beiträge seien auch der Höhe nach zutreffend berechnet worden. Dem Antrag des Klägers auf Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei nicht zu folgen gewesen, weil die einschlägigen Bestimmungen des KSVG nicht gegen Verfassungsrecht verstießen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers, die im wesentlichen wie folgt begründet wird: Die Vorschriften des KSVG über die Versicherungspflicht seien verfassungswidrig, weil sie gegen den Gleichheitssatz und gegen die Freiheit der Berufswahl (Art 3 und 12 GG) verstießen. Das gelte insbesondere für die Regelung in § 3 Abs 2 KSVG, wonach bei Berufsanfängern trotz der Erzielung nur geringfügigen Einkommens durch die künstlerische Tätigkeit keine Versicherungsfreiheit eintrete. Soweit er, der Kläger, angestelltenversicherungspflichtig sei, liege möglicherweise auch ein Verstoß gegen Art 14 GG vor, da bei einer nur auf fünf Jahre begrenzten Versicherungspflicht ein "ernsthafter Versicherungsschutz" durch die Entrichtung von Pflichtbeiträgen nicht erreicht werden könne.
Er beantragt sinngemäß die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und verfolgt seine vor dem LSG gestellten Anträge weiter (Aufhebung des Bescheides vom 7. März 1983 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1983 und des Bescheides vom 2. Februar 1987, hilfsweise Aussetzung und Vorlage der Streitsache an das BVerfG, weiter hilfsweise Feststellung von Versicherungsfreiheit ab 1. Januar 1984, spätestens ab 1. September 1984).
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des Klägers war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die KSK, die seit dem 1. Januar 1988 unselbständiger Teil der beklagten Landesversicherungsanstalt ist (§ 37 a KSVG idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1987, BGBl I S 2794), hatte seit dem Inkrafttreten des KSVG am 1. Januar 1983 die Kranken- und die Angestelltenversicherungspflicht von selbständigen Künstlern und Publizisten festzustellen; mit dem Tage der Feststellung begann grundsätzlich deren Mitgliedschaft in der Krankenversicherung bzw Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (§ 306 Abs 6 Satz 1 RVO idF des KSVG und § 2 Abs 4 AVG). Waren die vom KSVG erfaßten Personen schon vor 1983 kranken- und angestelltenversicherungspflichtig gewesen, blieben sie nach dem 1. Januar 1983 auch ohne eine Feststellung durch die KSK Kassenmitglieder und angestelltenversicherungspflichtig (§§ 56 und 53 KSVG). Bestanden Zweifel über die Anwendung dieser Vorschriften und damit über die Fortdauer der Kassenmitgliedschaft und der Angestelltenversicherungspflicht, so hatte die KSK, wenn sie - wie im Falle des Klägers - die Fortdauer annahm, auch hier einen Feststellungsbescheid zu erlassen und war bei dessen Anfechtung die richtige Beklagte.
An einem Rechtsstreit über die Versicherungspflicht von selbständigen Künstlern und Publizisten nach dem KSVG sind auch die Träger der Kranken- und der Angestelltenversicherung zu beteiligen (§ 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Denn ob jemand nach dem KSVG pflichtversichert ist, kann im Verhältnis zur KSK, die darüber zunächst entschieden hat, nicht anders beurteilt werden als im Verhältnis zu den Versicherungsträgern, für die diese Entscheidung, wenn sie bindend (rechtskräftig) wird, unmittelbare rechtliche Wirkungen hat. Aus einer positiven Entscheidung über die Versicherungspflicht folgt nämlich nicht nur für den Versicherten die Verpflichtung zur Entrichtung entsprechender Beiträge an die KSK, sondern auch für diese die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen an die Träger der Versicherung und für diese wiederum die Pflicht zur Gewährung von Leistungen bei Eintritt eines Versicherungsfalles - in der Angestelltenversicherung nach Erfüllung bestimmter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen. Entscheidet die KSK negativ über die Versicherungspflicht nach dem KSVG, so entstehen für die Versicherungsträger weder Beitragsansprüche noch Leistungsverpflichtungen. War der Betroffene - wie hier der Kläger - schon vor 1983 kranken- und angestelltenversichert, dann klärt die Entscheidung der KSK für die Zeit ab Inkrafttreten des KSVG den Rechtsgrund und die nähere Ausgestaltung seines Versicherungsverhältnisses nach dem KSVG zu den Versicherungsträgern mit entsprechenden Folgen für die Beitragspflicht und etwaige Leistungsanwartschaften.
Damit ähnelt die Stellung der KSK derjenigen, die den Krankenkassen als Einzugsstellen von Beiträgen zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung zugewiesen ist. Auch sie haben nämlich im Zusammenhang mit dem Einzug der genannten Beiträge über die Versicherungs- bzw Beitragspflicht zu entscheiden (§ 28 h Abs 2 SGB 4; für die Zeit vor 1989 vgl § 1399 Abs 3 RVO, § 121 Abs 3 AVG, § 182 Abs 1 AFG). Allerdings haben die Krankenkassen als Einzugsstellen nur die von ihnen eingezogenen Beiträge an die jeweils zuständigen Versicherungsträger weiterzuleiten (§ 28 k Abs 1 SGB 4; für die Zeit vor 1989 vgl § 1433 RVO, § 155 AVG; § 183 AFG iVm § 5 der Verordnung vom 27. April 1972), während die KSK unbeschadet der Beitragszahlung der Versicherten an sie (§ 17 Abs 2 KSVG aF, §§ 15 ff KSVG nF) die Beiträge für die Versicherten selbst trägt und ähnlich wie ein Arbeitgeber an die Versicherungsträger zu entrichten hat (für die Krankenversicherung vgl §§ 251 Abs 3, 252 SGB 5, für die Zeit vor 1989 §§ 381 b, 393 Abs 1 RVO; für die Angestelltenversicherung vgl § 126 a Abs 1 AVG). Das ändert indessen im Grundsatz nichts an der Vergleichbarkeit der Stellung der KSK und der Krankenkassen als Einzugsstellen der genannten Beiträge.
Für Versicherungs- und Beitragspflicht betreffende Rechtsstreitigkeiten der Versicherten oder ihrer Arbeitgeber mit den Einzugsstellen für die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung ist seit langem anerkannt, daß hierzu auch die Träger der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen sind (BSGE 15, 118; SozR 1500 § 75 Nr 41). Nichts anderes kann aber für Streitigkeiten mit der KSK über die Versicherungs- und Beitragspflicht von Künstlern und Publizisten nach dem KSVG gelten. Auch zu diesen Streitigkeiten sind deshalb die Träger der betroffenen Versicherungszweige (Krankenkasse und BfA) beizuladen. Denn nur so ist gewährleistet, daß auch diese Versicherungsträger an die rechtskräftige Entscheidung über die Versicherungspflicht nach dem KSVG gebunden sind (§ 141 Abs 1 SGG), also widersprüchliche Entscheidungen im Verhältnis zur KSK auf der einen und im Verhältnis zu den Trägern der Versicherung auf der anderen Seite vermieden werden.
Das Fehlen einer notwendigen Beiladung ist im Revisionsverfahren auch ohne ausdrückliche Rüge von Amts wegen zu beachten (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl Anm 13 zu § 75; BSGE 43, 256 mwN; vgl auch BSG SozR 1500 § 75 Nr 60). Da die hier unterbliebenen Beiladungen durch den Senat nicht nachgeholt werden können (§ 168 SGG), muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an dieses Gericht zurückverwiesen werden, damit dieses Gelegenheit zur Beteiligung der DAK und der BfA am Rechtsstreit erhält.
Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten dieses Rechtszugs zu entscheiden haben.
Fundstellen