Leitsatz (amtlich)
1. Sobald und solange mehrere Hinterbliebenenrentenberechtigte (iS von § 45 Abs 4 S 1 AVG = § 1268 Abs 4 S 1 RVO) vorhanden sind, steht jedem nur ein Recht auf Beteiligung (Ehezeitanteil) an der einen, nach dem Versicherten zu zahlenden Hinterbliebenenrente zu (Anschluß an und Fortführung von BVerfG vom 10.1.1984 - 1 BvR 55/81 = BVerfGE 66, 66 = SozR 2200 § 1268 Nr 23).
2. § 45 Abs 4 S 2 AVG (= § 1268 Abs 4 S 2 RVO) enthält eine Spezialermächtigung dafür, Hinterbliebenenrenten mit Wirkung für die Zukunft neu festzustellen (aufzuteilen), wenn nach Bewilligung einer Hinterbliebenenrente offenbar wird, daß ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen ist (Fortführung von BSG vom 11.3.1969 - 4 RJ 153/68 = BSGE 29, 169 = SozR Nr 14 zu § 1268 RVO; Anschluß an und Fortführung von BSG vom 22.4.1986 - 1 RA 21/85 = SozR 2200 § 1268 Nr 29; BSG vom 15.10.1987 - 1 RA 37/85 = SozR 1300 § 45 Nr 32).
Orientierungssatz
1. Mit § 45 Abs 4 S 2 AVG hat der Gesetzgeber auch eine dem Rechtsstaatsprinzip genügende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Herbeiführung gesetzmäßiger Zustände (hier: volle Teilhabe aller Berechtigten an der einen Hinterbliebenenrente entsprechend der Ehedauer und Schutz der Versichertengemeinschaft vor übermäßiger Belastung) und dem Interesse der durch einen rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheid begünstigten Hinterbliebenen an der Weiterzahlung der ungekürzten Hinterbliebenenrente getroffen. Zwar folgt aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, das - neben dem der Gerechtigkeit - Hauptelement der Rechtsstaatlichkeit ist, die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger (bindender) Entscheidungen der öffentlichen Gewalt, weil aber alle Grundelemente des Rechtsstaatsbegriffs Verfassungsrang haben, ist der Gesetzgeber berechtigt, bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen den Prinzipien abzuwägen.
2. § 45 Abs 4 S 2 AVG trägt dem schutzwürdigen Vertrauen der Hinterbliebenen, deren Rente wegen der Berücksichtigung einer weiteren Berechtigten gekürzt wird, schon dadurch Rechnung, daß er die Neufeststellung (Aufteilung) der Renten nur mit Wirkung für die Zukunft zuläßt, dh vom Ablauf des Monats, der dem Monat folgt, in dem der neue Feststellungsbescheid zugestellt wird. Eine rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung und erst recht eine Rückforderung von Rentenleistungen wegen Berücksichtigung von weiteren Berechtigten ist nicht möglich.
3. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber den Hinterbliebenenrentenberechtigten Vertrauensschutz nur hinsichtlich solcher Vermögensdispositionen gewährt, die sie mit ihnen bereits zugewendeten Rentenleistungen getroffen haben, es hingegen nicht für schutzwürdig erachtet, wenn sie zukunftsgerichtete Vermögensdispositionen im Vertrauen auf die ungekürzte Weiterzahlung der Hinterbliebenenrente treffen.
4. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 23.2.1990 - 1 BvR 94/90).
Normenkette
AVG § 45 Abs 4 S 1; RVO § 1268 Abs 4 S 1; RVO § 1268 Abs 4 S 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 45 Abs 4 S 2 Fassung: 1957-02-23; SGB 10 §§ 44-45, 48-49; SGB 1 § 37 S 1; GG Art 3 Abs 1; GG Art 20 Abs 1; GG Art 14 Abs 1 S 1; SGG § 77
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe einer Witwenrente.
Der am 28. Mai 1971 verstorbene Versicherte O. N. (O. N.) war von Juni 1938 bis Februar 1963 mit der Beigeladenen und von April 1963 bis zu seinem Tod mit der Klägerin verheiratet. Im letzten Jahr vor seinem Tode zahlte er an die Beigeladene monatlich zunächst 225,-- DM, später 50,-- DM als Unterhalt. Der damals maßgebliche Regelsatz iS von § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) betrug monatlich 156,-- DM. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 30. September 1971 Witwenrente (Zahlbetrag zuletzt: 1.191,93 DM) und lehnte den Antrag der Beigeladenen auf Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 1. September 1971 ab. Diese beschritt den Rechtsweg ohne Erfolg (vgl Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 4. Juni 1975, BSGE 40, 37 = SozR 2200 § 1265 Nr 4).
Im Februar 1985 beantragte die Beigeladene eine Überprüfung ihres Rentenanspruchs. Daraufhin erkannte die BfA mit den streitigen Bescheiden vom 11. Oktober 1985 nach § 45 Abs 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) der Beigeladenen Hinterbliebenenrente in Höhe des der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten entsprechenden Anteils (Ehezeitanteil) ab 1. Juni 1982 zu (Zahlbetrag: 894,45 DM) und stellte die Rente der Klägerin ab 1. Dezember 1985 auf die Höhe ihres Ehezeitanteils entsprechend niedriger neu fest (Zahlbetrag: 295,19 DM).
Das Sozialgericht Bremen (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. November 1986). Auf die Berufung hat das Landessozialgericht Bremen (LSG) das Urteil des SG und den der Klägerin erteilten Bescheid vom 11. Oktober 1985 aufgehoben (Urteil vom 8. Juni 1988). Es hat ausgeführt: Die Kürzung der Witwenrente ab 1. Dezember 1985 könne nicht mit § 45 Abs 4 Satz 2 AVG gerechtfertigt werden. Der entgegenstehenden Ansicht des BSG (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22. April 1986 - 1 RA 21/85 = SozR 2200 § 1268 Nr 29) sei nicht zu folgen, weil unter den "weiteren Berechtigten" iS von § 45 Abs 4 Satz 2 AVG nicht eine Hinterbliebene verstanden werden könne, deren Rente bei gleicher Sachlage bereits negativ verbeschieden worden sei. Seit Inkrafttreten des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) sei die Vorschrift teleologisch und verfassungsrechtlich dahingehend zu reduzieren, daß sie nach § 37 SGB 1 nur dem § 48 Abs 1 SGB 10 vorgehe. Der Gesetzgeber habe die Bestandskraft von Verwaltungsakten, auch solcher mit Drittwirkung, unter rechtstaatlicher Abwägung von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit umfassend in den §§ 44 ff SGB 10 geregelt. Daß der Versicherungsträger an mehrere Ehefrauen nur eine Hinterbliebenenrente zu zahlen habe, sei kein sachlicher Grund iS von Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), die Bindungswirkung abweichend von diesen Grundsätzen des SGB 10 zu beurteilen. Die Mehrbelastung der Solidargemeinschaft der Versicherten, die sich daraus ergebe, daß zwar der ursprüngliche belastende Verwaltungsakt zugunsten der früheren Ehefrau, nicht aber der begünstigende Verwaltungsakt gegenüber der Witwe zurückgenommen werden könne, sei nicht anders geartet als bei jedem anderen rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt. Nach § 49 SGB 10 könnten bestandskräftige Verwaltungsakte mit Drittwirkung aber nur unter Beachtung der Rücknahmeregelungen des SGB 10 berichtigt werden.
Zur Begründung der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, das LSG habe den Verfahrensvorschriften der §§ 44 ff SGB 10 zu Unrecht Vorrang gegenüber § 45 Abs 4 AVG eingeräumt. Außerdem ermögliche auch § 48 Abs 1 SGB 10 eine Neufeststellung zu Lasten der Klägerin mit Wirkung für die Zukunft.
Die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag stellt, schließt sich diesem Vortrag an.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bremen vom 6. November 1986 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und meint, der ihr erteilte Bewilligungsbescheid sei völlig unabhängig von dem Abänderungsbescheid gegenüber der Beigeladenen zu überprüfen. Ihr Vertrauen in die Weitergewährung der Witwenrente in voller, nicht auf den Eheanteil gekürzter Höhe sei durch die rechtskräftige Ablehnung des Anspruchs der Beigeladenen durch das BSG bestärkt worden. § 45 Abs 2 SGB 10 stehe der Kürzung ihrer Witwenrente entgegen, weil sie Vermögensdispositionen getroffen habe, die sie nicht rückgängig machen könne und die deshalb gegenüber dem öffentlichen Interesse vorrangig seien. Außerdem habe der Versicherte der Beigeladenen durch die Zahlung von monatlich 50,-- DM im Zeitraum von Januar 1971 bis Juni 1971 wegen ihres damaligen eigenen Einkommens keinen maßgeblichen Unterhalt geleistet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte war befugt, die Witwenrente der Klägerin - wie geschehen - neu auf einen niedrigeren Betrag festzustellen.
Ermächtigungsgrundlage ist § 45 Abs 4 Satz 2 iVm Satz 1 AVG (= § 1268 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO) in der mit Wirkung vom 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Fassung des Art 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88) vor der Änderung durch Art 2 Nr 18 Buchst b des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450), die am 1. Januar 1986 in Kraft getreten ist. Satz 1 der Vorschrift bestimmt: Sind mehrere Berechtigte ua nach §§ 41 und 42 AVG vorhanden, so erhält jeder von ihnen nur den Teil der für ihn nach den Absätzen 1 bis 3 zu berechnenden Rente, der im Verhältnis zu den anderen Berechtigten der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten entspricht. Ist nach Feststellung der Renten ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen, so sind die Renten neu festzustellen; die Neufeststellung geschieht mit Wirkung vom Ablauf des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Neufeststellungsbescheid zugestellt wird (Satz 2).
Der 1. Senat des BSG (SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 89, 92; SozR 1300 § 45 Nr 32 S 101) hat entgegen der Ansicht des LSG mit überzeugender Begründung klargestellt, daß Satz 2 aaO durch Art II § 40 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469, ber S 2218) nicht aufgehoben worden ist, sondern verfassungsrechtlich unbedenklich als "abweichende Regelung" iS des § 37 Satz 1 SGB 1 die allgemeinen Bestimmungen der §§ 44 bis 49 SGB 10 über die Rücknahme, den Widerruf und die Abänderung von Verwaltungsakten spezialgesetzlich verdrängt (aA Wendt, SGb 1988, 353 ff, dessen Ausführungen mit den Entscheidungsgründen des LSG übereinstimmen). Dem tritt der erkennende Senat aus folgenden Gründen bei:
Mit dem Tod des Versicherten erlangen ua seine Witwe und seine frühere Ehefrau unter den Voraussetzungen der §§ 40 bis 42 AVG das aus dem Versicherungsverhältnis des Verstorbenen abgeleitete, dh von ihm durch Beitragszahlung begründete, eigene und selbständige Recht (BSGE 17, 56, 60 = SozR Nr 7 zu Art 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG) auf eine Hinterbliebenenrente (Witwenrente bzw Rente an eine frühere Ehefrau, vgl § 40 Abs 1 AVG). Wenn nur eine Berechtigte vorhanden ist, ist der Rentenanspruch (Zahlbetrag) nach § 45 Abs 1 bis 3 AVG zu berechnen. Durch die materiell-rechtliche Regelung im § 45 Abs 4 Satz 1 AVG hat der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfGE 66, 66, 75 ff = SozR 2200 § 1268 Nr 23 mit abweichender Meinung von Katzenstein, BVerfGE 66, 79 = SozR aaO S 82) im Interesse der Solidargemeinschaft, welches er im System der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigen muß (BVerfG aaO; BVerfGE 48, 346, 358 = SozR 2200 § 1268 Nr 11), entschieden, daß die mehreren Berechtigten der Höhe nach zusammen nur eine Hinterbliebenenrente erhalten, also ein gesetzlicher Zwang zur Teilung der Hinterbliebenenrente zwischen ihnen besteht, und die Dauer der Ehe ein sachgerechtes Kriterium der Beteiligung der Berechtigten an der Hinterbliebenenrente ist (BVerfGE 66, 66, 76 f = SozR 2200 § 1268 Nr 23). Er hat die Verweisung mehrerer Berechtigter auf einen einzigen Betrag bewußt in Kauf genommen (BSGE 51, 1, 3 = SozR 2200 § 1268 Nr 18 unter Darlegung der Entstehungsgeschichte der Norm). § 45 Abs 4 Satz 1 AVG schließt es so aus, daß die Versichertengemeinschaft mehr als nur durch eine einzige Hinterbliebenenrente belastet wird, wenn der Versicherte mehrfach verheiratet war (BSGE 53, 235, 241 = SozR 2200 § 1268 Nr 20). In dieser Auslegung ist die Vorschrift verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG aaO). Das bedeutet: Sobald und solange mehrere Hinterbliebenenrentenberechtigte vorhanden sind, steht jedem von ihnen nur ein Recht auf Beteiligung (so BVerfG aaO) an der einen Hinterbliebenenrente in Höhe des der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten entsprechenden Anteils (Ehezeitanteil) zu (vgl auch BSGE 60, 110, 112, 113 = SozR 2200 § 1268 Nr 30). Deswegen ist die Höhe des im übrigen selbständigen Rentenanspruchs jedes einzelnen Berechtigten unauflöslich damit verknüpft, ob und ggf mit welchem Ehezeitanteil weitere Berechtigte zu berücksichtigen sind. Aus demselben Grund gelten ferner die allgemeinen Regeln über den Beginn des Hinterbliebenenrentenanspruchs nur "vorbehaltlich" des § 45 Abs 4 AVG (§ 67 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 AVG).
Die verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung des § 45 Abs 4 Satz 2 AVG vervollständigt das Regelungsprogramm des Satzes 1 aaO. Zweck dieser Vorschrift ist, die Versichertengemeinschaft vor einer Überinanspruchnahme zu schützen, die sich aus dem Vorhandensein mehrerer Berechtigter dann ergeben kann, wenn die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen des SGB 10 angewendet würden. Denn die jedem von ihnen zu erteilenden Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheide (§ 204 AVG iVm § 1631 Abs 1 RVO) werden jeweils gesondert und formell unabhängig voneinander unanfechtbar und damit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG), dh für die von der Regelung Betroffenen (auch Nichtadressaten - BSGE 37, 28, 30 = SozR Nr 3 zu § 658 RVO) und den Versicherungsträger (vgl BSGE 15, 118, 122 = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO; SozR Nr 95 zu § 77 SGG) rechtlich maßgeblich. Wären hier die allgemeinen Regeln über die Aufhebung von Verwaltungsakten anzuwenden, die in den §§ 44 bis 49 SGB 10 eine den typischen Belangen des Sozialrechts im allgemeinen Rechnung tragende Konkretisierung gefunden haben, könnte nicht ausgeschlossen werden, daß der Versicherungsträger entgegen dem Regelungskonzept des § 45 Abs 4 Satz 1 AVG aus verfahrensrechtlichen Gründen mehr als die eine (einzige) vom Versicherten begründete und aus seinem Versicherungsverhältnis erworbene Hinterbliebenenrente zahlen müßte. Dem zu wehren, also den Zwang zur Aufteilung nur einer Hinterbliebenenrente verfahrensrechtlich abzusichern, dient § 45 Abs 4 Satz 2 AVG. Daher hat der erkennende Senat (BSGE 29, 169, 170 f = SozR Nr 14 zu § 1268 RVO) bereits entschieden, daß § 1268 Abs 4 Satz 2 RVO (= § 45 Abs 4 Satz 2 AVG) iS von § 77 SGG "etwas anderes" bestimmt, nämlich zur Neufeststellung (Aufteilung) einer bindend zuerkannten Hinterbliebenenrente ermächtigt, wenn ein zweiter oder weiterer Berechtigter "zu berücksichtigen", dh eine Zahlungspflicht auch gegenüber einem anderen Berechtigten festzustellen ist (so auch BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 93; SozR 1300 § 45 Nr 32 S 101). § 45 Abs 4 Satz 2 AVG enthält also eine iS von § 37 Satz 1 SGB 1 "abweichende Regelung" zu den allgemeinen Aufhebungsregeln der §§ 44 bis 49 SGB 10, welche diese verdrängt. Ob - wie der 1. Senat des BSG angenommen hat (SozR 1300 § 45 Nr 32 S 102, 98; vgl auch das Urteil des mit Angelegenheiten der Rentenversicherung nicht mehr befaßten 11. Senats des BSG, SozR 2200 § 1265 Nr 73 S 246) - die Grenzen der Anwendbarkeit des § 45 Abs 4 Satz 2 AVG mit der Rechtsfolge überschritten sind, daß die §§ 44 bis 49 SGB 10 Anwendung finden, wenn bereits im Zeitpunkt der ersten Feststellung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs auch eine weitere Hinterbliebenenberechtigung schon bescheidmäßig festgestellt oder einem weiteren Berechtigten Hinterbliebenenrente gezahlt worden ist, erscheint im Blick auf den Zweck des § 45 Abs 4 AVG fraglich. Darauf ist hier aber schon deswegen nicht näher einzugehen, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Denn die Hinterbliebenenrentenberechtigung der Beigeladenen ist erst nach der Feststellung der Witwenrente der Klägerin im Bescheid vom 1. September 1971, nämlich mit Bescheid vom 11. Oktober 1985 erfolgt; auch ist der Beigeladenen zuvor Hinterbliebenenrente nicht gezahlt worden.
Die Beklagte hat in den Bescheiden vom 11. Oktober 1985 für den hier streitigen Zeitraum ab Dezember 1985 zutreffend festgestellt, daß die Klägerin und die Beigeladene entsprechend der Dauer ihrer jeweiligen Ehe mit O. N. an der Hinterbliebenenrente teilhaben. Als "weitere Berechtigte" ist nämlich die Beigeladene iS von § 45 Abs 4 Satz 2 Halbs 1 AVG zu berücksichtigen. Dies folgt zwar nicht schon daraus, daß ihr durch den Bescheid vom 11. Oktober 1985 anteilige Hinterbliebenenrente zuerkannt worden ist. Denn auch dieser Bescheid ist Gegenstand des Rechtsstreites. Richtet sich nämlich die Klage einer Witwe - wie hier - gegen die Aufteilung einer Rente nach § 45 Abs 4 AVG zwischen ihr und der geschiedenen früheren Frau des Versicherten, so ficht sie damit nicht nur den ihr selbst erteilten Bescheid, sondern auch den der geschiedenen Frau an (st Rspr; vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 91 mwN). Wegen der im Blick auf den Rentenzahlbetrag unauflöslichen Verknüpfung beider Rentenansprüche durch § 45 Abs 4 Satz 1 AVG kann über die Aufteilung der Hinterbliebenenrente nur eine gegenüber allen Berechtigten einheitliche Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft ergehen. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht näher darauf einzugehen, ob - was fraglich ist - mit dem 11. Senat (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 73) und dem 1. Senat (SozR 1300 § 45 Nr 32 S 98 f) von dem Grundsatz der einheitlichen Aufteilung des Hinterbliebenenrentenanspruchs abgewichen und eine isolierte Anfechtbarkeit nur eines der beiden Aufteilungsbescheide zugelassen werden kann, wenn vor Erlaß des streitgegenständlichen Bescheides bereits einmal die Ansprüche der Hinterbliebenen bindend anerkannt oder Renten gezahlt worden waren. Denn ein solcher Fall liegt - wie ausgeführt - hier nicht vor.
Die Hinterbliebenenrentenberechtigung der Beigeladenen ergibt sich unmittelbar aus § 42 Abs 1 Satz 1 Regelung 3 AVG. Danach erhält eine frühere Ehefrau des Versicherten nach dessen Tod Hinterbliebenenrente auch dann, wenn ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des BSG (BSGE 53, 256, 258 = SozR 220 § 1265 Nr 63; SozR aaO Nrn 65, 82, 86, 88) sind dafür regelmäßige geldwerte Leistungen in Höhe von wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgeblichen Regelsatzes iS von § 22 BSHG (ohne Aufwendungen für Unterkunft) erforderlich. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Gegenrügen angefochtenen und deshalb bindenden (§ 163 SGG), durch die Bezugnahme auf den Akteninhalt hinreichend konkretisierten (vgl auch Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Buchholz 310, § 86 Abs 2 VwGO Nr 36) tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tod regelmäßig, dh monatlich, wenigstens 50,-- DM tatsächlich zugewandt, während sich der maßgebliche Regelsatz auf 156,-- DM belief. Eine regelmäßige Unterhaltsleistung in anspruchsbegründender Höhe ist somit erfolgt.
Der Berücksichtigung der Beigeladenen als weitere Berechtigte iS von § 45 Abs 4 Satz 2 AVG steht nicht entgegen, daß der ihren Erstantrag ablehnende Bescheid vom 1. September 1971 bindend (§ 77 SGG) und die ihn bestätigenden Gerichtsurteile rechtskräftig (§ 141 Abs 1 SGG) geworden sind. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (SozR 1500 § 141 Nr 2 mwN) wird die Änderung eines bindend gewordenen Bescheides zugunsten des Adressaten nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser Bescheid ohne Erfolg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit angefochten worden ist (vgl auch BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 94 ff zur Durchbrechung von Bindungswirkung und Rechtskraft nach §§ 44 ff SGB 10). Denn die Bindung des Bescheides vom 1. September 1971 und die Rechtskraft der nachfolgenden Gerichtsurteile wirken nur insoweit, wie über den damaligen Verfahrens- bzw Streitgegenstand entschieden worden ist (vgl § 141 Abs 1 SGG), erfassen also nicht die aufgrund eines neuen Antrags nach erneuter Sachprüfung ergangene Sachentscheidung im Bescheid vom 11. Oktober 1985.
Die nach § 42 AVG berechtigte Beigeladene war in dem hier streitigen Zeitraum ab Dezember 1985 zu "berücksichtigen", dh die Beklagte hatte eine Zahlungspflicht auch ihr gegenüber festzustellen (vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 93). Entgegen dem LSG ist der Anwendungsbereich des § 45 Abs 4 Satz 2 AVG (anders als derjenige des in einem anderen Sachzusammenhang stehenden und schon dem Wortlaut nach anders gefaßten § 598 Abs 2 RVO) nicht auf die Fälle begrenzt, in denen ein weiterer Hinterbliebener erst später, dh nach Feststellung einer Hinterbliebenenrente rentenberechtigt wird bzw einen Anspruch auf Auszahlung von Hinterbliebenenrente erlangt. Wie der 1. Senat des BSG bereits dargelegt hat (BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 92; SozR 1300 § 45 Nr 32 S 102), findet Satz 2 aaO auch dann Anwendung, wenn ein weiterer Hinterbliebenenrentenanspruch materiell-rechtlich bereits vor der Feststellung der Rente eines anderen Berechtigten bestanden hat, dieser Anspruch aber aus sonstigen Gründen, zB wegen irrtümlicher Verneinung von Anspruchsvoraussetzungen, vorher vom Versicherungsträger noch nicht anerkannt worden ist. Dies stimmt mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 29, 169, 171 = SozR Nr 14 § 1268 RVO) überein, daß ein nach materiellem Recht weiterer Berechtigter iS von § 1268 Abs 4 Satz 2 RVO (§ 45 Abs 4 Satz 2 AVG) erst dann "zu berücksichtigen" ist, wenn die ihn betreffenden Sachverhaltsermittlungen durch den Versicherungsträger mit positivem Ergebnis abgeschlossen worden sind, dh wenn ihm ein Bewilligungsbescheid zu erteilen ist. Die Berechtigung der Beigeladenen ist - worauf es für die Anwendbarkeit des § 45 Abs 4 Satz 2 AVG ankommt - erst mit Ablauf der durch den Antrag vom 1. Februar 1985 veranlaßten Überprüfung ihres Begehrens offenbar geworden, so daß sie seither "zu berücksichtigen" ist.
Daß kein Anlaß besteht, den Anwendungsbereich des § 45 Abs 4 Satz 2 AVG nach dem Gesetzeszweck (teleologisch) zu reduzieren, bedarf nach alledem entgegen dem LSG keiner Darlegung.
Ebensowenig kann dem Berufungsgericht darin gefolgt werden, aus verfassungsrechtlichen Gründen könne nur die von ihm vertretene Rechtsauffassung maßgeblich sein. Denn die Auffassung des LSG widerspricht - wie dargelegt - dem Gesetz und kann schon deswegen nicht Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung sein (stellvertretend: Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Stand: September 1988, Einführung, RdNr 13 ff, 16 mwN). Demgegenüber entspricht § 45 Abs 4 Satz 2 AVG in der Auslegung des BSG der verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelung des Satzes 1 aaO (BVerfGE 66, 66 = SozR 2200 § 1268 Nr 23), die allein verfahrensrechtlich abgesichert wird. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs 1 GG liegt - auch unter Beachtung des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG) - nicht vor: Es gibt - was keiner Darlegung bedarf - einen vernünftigen, in der Natur der Sache (wechselseitige Abhängigkeit der Teilhaberechte mehrerer Berechtigter an der einen Hinterbliebenenrente) liegenden und daher nicht willkürlichen Grund, für die Aufteilung der Hinterbliebenenrente unter mehrere Berechtigte eine spezielle, die allgemeinen Vorschriften verdrängende verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung zu treffen, die eine nicht gerechtfertigte Belastung der Versichertengemeinschaft - mehrere Renten aus nur einem Versicherungsverhältnis - ausschließt (stellvertretend zur Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz: Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art 3 RdNrn 59 ff mwN). Ein rechtswidriger Eingriff in das Eigentumsrecht (Art 14 Abs 1 Satz 1 GG) liegt selbst dann nicht vor, wenn man davon ausgeht, daß der Anspruch auf Hinterbliebenenrente Eigentum iS dieser Vorschrift ist (offengelassen in BVerfGE 72, 141, 153 = SozR 2200 § 1265 Nr 78 unter Hinweis auf BVerfGE 69, 272, 299 mwN = SozR 2200 § 165 Nr 81). Denn § 45 Abs 4 Satz 2 AVG enthält eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Ermächtigung, die im materiellen Recht (Satz 1 aaO: Teilhabe an einer Hinterbliebenenrente entsprechend der Ehedauer) verfassungskonform ausgestaltete Rechtsposition verfahrensrechtlich durchzusetzen.
Letztlich hat der Gesetzgeber auch eine dem Rechtsstaatsprinzip genügende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Herbeiführung gesetzmäßiger Zustände (hier: volle Teilhabe aller Berechtigten an der einen Hinterbliebenenrente entsprechend der Ehedauer und Schutz der Versichertengemeinschaft vor übermäßiger Belastung) und dem Interesse der durch einen rechtswidrig gewordenen Bewilligungsbescheid begünstigten Hinterbliebenen an der Weiterzahlung der ungekürzten Hinterbliebenenrente getroffen. Zwar folgt aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, das - neben dem der Gerechtigkeit - Hauptelement der Rechtsstaatlichkeit ist, die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger (bindender) Entscheidungen der öffentlichen Gewalt. Weil aber alle Grundelemente des Rechtsstaatsbegriffes Verfassungsrang haben, ist der Gesetzgeber berechtigt, bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen den Prinzipien abzuwägen (BVerfGE 27, 297, 305 f). Das Vertrauen, das der Einzelne im Regelfall in gesicherte Rechtspositionen setzen darf, die ihm der Staat aufgrund eines abgeschlossenen Tatbestandes vorbehaltlos verliehen hat, braucht dann nicht geschützt zu sein, wenn ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt ist (stellvertretend: Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art 20 RdNrn 43 ff mwN). § 45 Abs 4 Satz 2 AVG trägt dem schutzwürdigen Vertrauen der Hinterbliebenen, deren Rente wegen der Berücksichtigung einer weiteren Berechtigten gekürzt wird, schon dadurch Rechnung, daß er die Neufeststellung (Aufteilung) der Renten nur mit Wirkung für die Zukunft zuläßt, dh vom Ablauf des Monats, der dem Monat folgt, in dem der neue Feststellungsbescheid zugestellt wird (vgl auch § 67 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 AVG). Eine rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung und erst recht eine Rückforderung von Rentenleistungen wegen Berücksichtigung von weiteren Berechtigten ist nicht möglich. Das bedeutet, daß das Vertrauen der Hinterbliebenen, erbrachte Rentenleistungen behalten zu dürfen, wesentlich weitergehend geschützt ist als bei Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 2 Regelung 1 SGB 10, nach dem ein solches Vertrauen nur "in der Regel" und nur dann schutzwürdig ist, wenn die Leistungen "verbraucht" worden sind. Allerdings ist nach Regelung 2 der letztgenannten Vorschrift das Vertrauen des Begünstigten in der Regel auch dann schutzwürdig, wenn er eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Jedoch ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber den Hinterbliebenenrentenberechtigten Vertrauensschutz nur hinsichtlich solcher Vermögensdispositionen gewährt, die sie mit ihnen bereits zugewendeten Rentenleistungen getroffen haben, es hingegen nicht für schutzwürdig erachtet, wenn sie zukunftsgerichtete Vermögensdispositionen im Vertrauen auf die ungekürzte Weiterzahlung der Hinterbliebenenrente treffen. Der innere Grund hierfür ist - worauf der erkennende Senat bereits hingewiesen hat (BSGE 29, 169, 172 = SozR Nr 14 zu § 1268 RVO) -, daß die Witwe eines zum wiederholten Male verheirateten Versicherten über die vorangegangenen Ehen unterrichtet ist und deshalb mit "weiteren Berechtigten" rechnen muß. Dasselbe gilt typischerweise auch für die frühere Ehefrau eines Versicherten (vgl BSG SozR 2200 § 1268 Nr 29 S 95). Deshalb begründet die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente, wenn mehrere Berechtigte vorhanden sind, aber bislang nur eine berücksichtigt ist, für die Begünstigte keinen stärkeren Vertrauensschutz im Blick auf zukunftsgerichtete, aus noch nicht zugeflossenen Rentenbeträgen zu finanzierende Vermögensdispositionen als der eherechtliche Unterhaltsanspruch, den sie gegen den Versicherten hatte. Denn die Hinterbliebenenrente hat grundsätzlich die Funktion, Unterhaltsberechtigten für den durch den Tod des Versicherten fortfallenden Unterhaltsanspruch Ersatz zu leisten (BVerfGE 66, 66, 76 = SozR 2200 § 1268 Nr 23 mwN). Der eherechtliche Unterhaltsanspruch der Witwe oder früheren Ehefrau, den die Hinterbliebenenrente ersetzen soll, war aber zeitlebens des Versicherten von dessen Unterhaltsfähigkeit abhängig, die ua aus gesundheitlichen Gründen jederzeit wesentlich gemindert oder ausgeschlossen werden konnte, ohne daß in einem derartigen Fall die Unterhaltsberechtigte wegen Vermögensdispositionen, die sie im Vertrauen auf künftig zufließende Unterhaltsleistungen getätigt hatte, weiteren Unterhalt hätte beanspruchen können. Es ist daher keine unverhältnismäßige Zurücksetzung schutzwürdigen Vertrauens, daß eine Unterhaltsberechtigte, der die Hinterbliebenenrente zunächst allein zuerkannt worden ist, diese später mit anderen Berechtigten teilen muß.
Nach alledem mußte auf die Revision der Beklagten das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und das Urteil des SG im Ergebnis wiederhergestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen