Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 25.06.1993) |
SG Berlin (Urteil vom 21.10.1992) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juni 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 1992 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, das Altersübergangsgeld ohne fiktiven Kirchensteuerabzug zu gewähren bzw anzupassen; in diesem Umfange werden die Klagen abgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Revision betrifft nur noch die Frage, ob bei der Bemessung von Altersübergangsgeld (Alüg) Kirchensteuer als Abzug, der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfällt, zu berücksichtigen ist.
Der 1931 geborene Kläger war seit 1964 bis zum 2. Oktober 1990 in verschiedenen Behörden der DDR sowie anschließend bis zum 31. Dezember 1990 in der Außenstelle des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin beschäftigt und erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttoarbeitsentgelt von 3.258,33 DM. Vom 1. Januar bis 30. September 1991 bezog er Wartegeld. Am 13. September 1991 meldete er sich zum 1. Oktober 1991 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alüg. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte diese Leistung mit Bescheid vom 15. Oktober 1991 und erstreckte die Leistungsdauer mit Bescheid vom 15. Juli 1992 auf 1.560 Tage. Als Dynamisierungsstichtag nahm sie den 30. September 1991 – den letzten Tag des Bezuges von Wartegeld – an. Dynamisierungen des Bemessungsentgelts nahm sie zum 31. März 1992 (Bescheid vom 13. April 1992) und zum 30. September 1992 (Bescheid vom 13. Oktober 1992) vor.
Mit Widersprüchen wandte sich der Kläger gegen die Berücksichtigung eines fiktiven Kirchensteuerabzugs, weil er einer Kirche nicht angehöre, und gegen den Zeitpunkt der Dynamisierung. Die Rechtsbehelfe wies die BA mit Widerspruchsbescheiden vom 4. Mai und 15. Juli 1992 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide geändert und die BA verurteilt, dem Kläger höheres Alüg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 910,00 DM ab 1. Oktober 1991, von 1.040,00 DM ab 1. Januar 1992 und 1.180,00 DM ab 1. Juli 1992 ohne Zugrundelegung eines fiktiven Kirchensteuerabzugs zu gewähren (Urteil vom 21. Oktober 1992).
Mit der vom SG zugelassenen Berufung hat die BA ua darauf beharrt, bei der Bemessung des Alüg sei ein fiktiver Kirchensteuerabzug zu berücksichtigen. Während des Berufungsrechtzuges hat sie die Leistung zum 1. Januar und 30. März 1993 angepaßt (Bescheide vom 4. Januar, 13. April und 26. Mai 1993).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und die während des Berufungsrechtzuges erlassenen Bescheide geändert. Insoweit hat es die BA verurteilt, das Alüg gemäß dem Dynamisierungsstichtag 31. Dezember 1990 auch für die Zeit ab 1. Januar 1993 den gesetzlichen Vorschriften entsprechend anzupassen, ohne einen fiktiven Kirchensteuerabzug zugrunde zu legen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, für die Berücksichtigung von Kirchensteuer bestehe keine gesetzliche Grundlage. Die Regelung des § 249e Abs 3 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) rechtfertige dies nicht, weil im Beitrittsgebiet nur noch etwa 35 vH der Bevölkerung christlichen Kirchen angehörten. Von einem bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzug könne nicht mehr die Rede sein, wenn weniger als die Hälfte der Bevölkerung einer Kirche angehöre. Die in der AFG-Leistungsverordnung enthaltene Tabelle zum Unterhaltsgeld sei für das Alüg nicht entsprechend anwendbar, weil im Beitrittsgebiet abgesehen von kirchensteuerrechtlichen auch noch einkommenssteuerrechtliche Besonderheiten gelten. Insoweit nimmt das LSG auf Ausführungen des SG Dessau (SGb 1993, 243 ff) Bezug. Die Praxis der BA widerspreche insbesondere Art 30 Abs 2 Satz 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr), wonach das Alüg 65 vH des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts betragen solle. Dieses beziehe sich auf ein in der DDR erzieltes Nettoarbeitsentgelt, welches nicht mit Tabellenwerten zu ermitteln sei, denen die Verhältnisse in den alten Bundesländern zugrunde lägen (Urteil vom 25. Juni 1993).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung des § 249e Abs 3 Nr 2 AFG und der darin in Bezug genommenen Vorschriften. Danach habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) auch für das Alüg Leistungssätze festzusetzen, die an einem Arbeitsentgelt ausgerichtet seien, das um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, vermindert sei. Auf Sondervergünstigungen im Beitrittsgebiet (§ 249c Abs 10 Nr 1 AFG), komme es dabei nicht an. Ebenso sei die Kirchensteuer nach §§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2, 249c Abs 10 Nr 2 AFG abzusetzen, auch wenn im Beitrittsgebiet nur eine Minderheit der Bevölkerung den zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirchen angehöre. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits im Urteil vom 10. November 1993 – 11 RAr 47/93 – entschieden und folge aus der allgemeinen Verweisung des § 249e Abs 3 AFG auf die Vorschriften über die Bemessung des Arbeitslosengeldes (Alg). Abweichend vom Alg habe der Gesetzgeber für das Alüg lediglich den Leistungssatz mit 65 vH geregelt. Das in § 249e Abs 3 Nr 2 enthaltene Merkmal „der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge” sei ebenso zu verstehen wie in § 111 Abs 1 AFG. Nur dann sei das einzig sinnvolle Ergebnis zu erreichen, die Berechnung des Alüg in derselben Weise vorzunehmen wie die des Alg, an dessen Stelle es trete. Ungleichgewichte, die daraus herrührten, seien in einer Übergangsphase der Verschmelzung zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen als unvermeidlich hinzunehmen. Etwas anderes lasse sich auch aus Art 30 Abs 2 Satz 2 EinigVtr nicht herleiten. Dieser enthalte lediglich einen Programmsatz, der durch Art 30 Abs 2 Satz 3 EinigVtr ausgefüllt werde, indem die Bemessung des Alüg an die Regelung über die Bemessung des Alg anknüpfe. Das Fehlen einer nach § 111 Abs 2 AFG erlassenen Leistungsverordnung für das Alüg hindere nicht die entsprechende Anwendung der Leistungsverordung 1991. Die dort für das Alg festgelegten Leistungssätze seien auf den für das Alüg geltenden Vomhundertsatz umzurechnen, wobei sich die Ermittlung des Leistungssatzes auf die Tabelle für das Unterhaltsgeld stützen könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juni 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 1992 insoweit abzuändern, als die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15. Oktober 1991 idG des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1992, vom 13. April 1992 idG des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1992, vom 13. Oktober 1992, 4. Januar 1993, 13. April 1993 und 26. Mai 1993 verurteilt wurde, Altersübergangsgeld ohne einen fiktiven Kirchensteuerabzug zu gewähren, und die Klagen in diesem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, bei der Bemessung des Alüg sei ein Kirchensteuerabzug nicht zu berücksichtigen. Die zu § 111 Abs 2 AFG erlassenen Leistungsverordnungen seien mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage in § 249e AFG für das Alüg nicht heranzuziehen. Gesetzliche Grundlage für die Gewährung und Bemessung des Alüg sei Art 30 Abs 2 EinigVtr, wonach das Alüg 65 vH des letzten durchschnittlichen Arbeitsentgelts betrage. Die Leistung sei damit im EinigVtr individualisierbar festgelegt. Zu beachten sei auch, daß nach den weiteren Bestimmungen das Alüg nicht etwa „in Anwendung”, sondern „in Anlehnung” an die Regelungen über das Alg berechnet werden solle. Ohne Verstoß gegen den EinigVtr seien deshalb nur solche Regelungen heranzuziehen, die den festgelegten Anspruch auf 65 vH des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts nicht einschränkten. Überzeugend hätten die Vorinstanzen auch darauf hingewiesen, daß § 249e Abs 3 Nr 2 AFG nicht eine Generalverweisung, sondern eine Verweisung lediglich auf § 112 AFG enthalte. Diese Vorschrift zu erwähnen, wäre nicht nötig gewesen, wenn der Gesetzgeber allgemein auf die Regelungen über die Bemessung des Alg hätte verweisen wollen. Die Anwendung des § 111 AFG bei der Bemessung des Alüg scheitere schon daran, daß § 249e AFG keine Ermächtigung zum Erlaß einer entsprechenden Leistungsverordnung enthalte. Das Alüg lasse sich daher nur wie von den Vorinstanzen berechnen. Auch gebe es für das Alüg keine Leistungsverordnung mit auf das Alüg zugeschnittenen Leistungssätzen. Auch aus Praktikabilitätsgründen dürfe nicht auf Leistungssätze für das Alg zurückgegriffen werden. Solches Vorgehen werde den besonderen Verhältnissen im Beitrittsgebiet nicht gerecht. Im Gegensatz zum Alg handele es sich beim Alüg um eine „Vorruhestandsregelung”, die die schon bei den Verhandlungen über den EinigVtr erwartete Massenarbeitslosigkeit abfedern sollte. Diese Sozialleistungen seien deshalb nicht mit einander vergleichbar. Die Kirchensteuer habe es in der DDR nicht gegeben, so daß sie im Beitrittsgebiet nicht zu den gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzügen gehören könne. Dies gelte auch im Hinblick darauf, daß im Beitrittsgebiet nur eine Minderheit der Arbeitnehmer Mitglied einer Kirche sei. Abweichend von der Lohn- oder Einkommenssteuer könne sich ein Bürger durch Austritt aus der Kirche der Kirchensteuerpflicht entziehen. Im übrigen verstoße es gegen Art 3 Grundgesetz (GG), wenn alle Bürger ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer kirchensteuerberechtigten Religionsgemeinschaft bei der Bemessung des Alüg einheitlich behandelt würden.
Mit Bewilligungs-Änderungs-Bescheiden vom 10. Februar 1994 hat die BA den Entscheidungen der Vorinstanzen zum maßgeblichen Bemessungsentgelt und Dynamisierungsstichtag mit Wirkung ab Leistungsbeginn (1. Oktober 1991) entsprochen.
Der Senat hat den Beteiligten die Anfrage vom 20. Juni 1994 im Verfahren 11 RAr 97/93 und die dazu gegebene Antwort des Statistischen Bundesamts vom 12. Juli 1994 einschließlich Anlagen mit der Terminsladung übermittelt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt § 249e Abs 3 AFG und die danach heranzuziehenden Bemessungsvorschriften. Ein Anspruch auf Alüg ohne fiktiven Kirchensteuerabzug steht dem Kläger nicht zu.
1. Zu entscheiden ist über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf höheres Alüg nur insoweit, als die Revision der BA reicht. Die Vorinstanzen haben die BA unter anderem verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1991 Alüg ohne Berücksichtigung eines fiktiven Kirchensteuerabzugs zu gewähren. Allein gegen diesen Ausspruch richtet sich die Revision der BA; der Verurteilung im übrigen hat sie mit den während des Revisionsverfahrens erlassenen Bescheiden vom 10. Februar 1994 für den gesamten Leistungszeitraum ab 1. Oktober 1991 Rechnung getragen. Diese Bescheide sind nach § 171 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, sondern gelten als mit der Klage beim SG angefochten. Da die Revision sich nur gegen die Verurteilung richtet, das Alüg ohne fiktiven Kirchensteuerabzug zu zahlen, und Anhaltspunkte für einen Anspruch auf höheres Alüg des Klägers nicht geltend gemacht oder ersichtlich sind, beschränkt der Senat seine Prüfung hierauf. Eine weitergehende Prüfung obliegt gegebenenfalls dem SG im Rahmen der Überprüfung der Bescheide vom 10. Februar 1994.
2. Bei der Bemessung des Alüg ist die Kirchensteuer als gesetzlicher Abzug, der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfällt, zu berücksichtigen. Insoweit sind die Klagen unbegründet.
2.1 Die Sozialleistung Alüg hat ihre Grundlage in Art 30 Abs 2 EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II 889). Die dort getroffene Vereinbarung regelt Anspruchsvoraussetzungen und Höhe der Leistungen jedoch nur dem Grundsatz nach. Die Regelung des Abs 2 Satz 2, wonach die Höhe des Alüg 65 vH des letzten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts beträgt, enthält keinen Rechtssatz, der auf unmittelbaren Vollzug angelegt ist. Eine solche Grundsatzbestimmung legt nur eine Leitvorstellung offen und bedarf der Umsetzung und Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Das ist in der Anlage I zum EinigVtr geschehen, die in Kap VIII Sachgebiet E Abschnitt II Nr 1 Buchst e § 249e in das AFG eingefügt hat. Diese Vorschriften bilden mit Art 30 Abs 2 EinigVtr ein einheitliches Gesetzgebungswerk (BSGE 73, 195, 200 f = SozR 4100 § 249e Nr 3), so daß die konkreten Regelungen zur Höhe des Alüg nicht an dem Grundsatz des Art 30 Abs 2 Satz 2 EinigVtr gemessen werden können. Außerdem bestimmt Art 30 Abs 2 Satz 3 EinigVtr, daß das Alüg „in Anlehnung an die Regelungen des Alg, insbesondere die Regelung des § 105c des AFG” gewährt wird. Das Alg wird aber nach dem AFG nicht nach einem individuell festzustellenden durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt gewährt, wie noch näher auszuführen sein wird. Aus der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zum EinigVtr ergibt sich zu Art 30 Abs 2 EinigVtr überdies die Absicht des Gesetzgebers, daß das Alüg iHv 65 vH des letzten durchschnittlichen pauschalierten Nettoarbeitsentgelts gezahlt werden soll (BT-Drucks 11/7760 S 370).
2.2 Die Höhe des Alüg, dessen Anspruchsgrundlagen im Falle des Klägers nicht zweifelhaft sind, richtet sich nach § 249e Abs 3 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1991 (BGBl I 1306). Danach sind auf das Alüg die Vorschriften über das Alg und für Empfänger dieser Leistung mit weiteren Maßgaben entsprechend anzuwenden. Der Senat hat diese Regelung bereits in mehreren Entscheidungen als Generalverweisung angesehen, von der in den einzelnen Maßgaben der Vorschrift bestimmte Ausnahmen gemacht werden (BSGE 73, 195, 198 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3; SozR 3-4100 § 249e Nr 2; Urteil des Senats vom 15. September 1994 – 11 RAr 97/93 –). An dieser Rechtansicht, die der 7. Senat des BSG teilt (Urteile vom 10. März 1994 – 7 RAr 20/93 – und vom 6. Mai 1994 – 7 RAr 90/93 – beide nicht zur Veröffentlichung vorgesehen), ist festzuhalten. Sie bedeutet, daß die §§ 111 bis 113 AFG (einschließlich der sie ergänzenden Überleitungsvorschriften) auch für die Bemessung des Alüg anzuwenden sind. Ein abweichendes Verständnis der Verweisung ist weder mit dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer inneren Systematik von Regel und Ausnahme, der in Art 30 Abs 2 Satz 3 EinigVtr sowie der erwähnten Begründung des Gesetzesentwurfs zum Ausdruck gekommenen Zielsetzung des Gesetzgebers noch der Funktion des Alüg vereinbar, für den in Art 30 Abs 2 Satz 1 EinigVtr, § 249e Abs 1 und 2 AFG bestimmten Personenkreis an die Stelle des Alg zu treten (Art 30 Abs 2 Sätze 4 und 5 EinigVtr; § 249e Abs 5 und 6 AFG).
Nach der Maßgabe des § 249e Abs 3 Nr 2 AFG beträgt das Alüg 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG. Damit ist das Alüg mit Ausnahme des Vomhundertsatzes (Nettolohnersatzquote) nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen, die für das Alg maßgebend sind.
2.3 Diese besagen – abgesehen von der unterschiedlichen Nettolohnersatzquote, je nachdem, ob der Arbeitslose oder sein Ehegatte für ein Kind zu sorgen hat (§ 111 Abs 1 AFG) – folgendes (Urteil des Senats vom 15. September 1994 – 11 RAr 97/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen):
Das Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG, das pauschaliert das Bruttoarbeitsentgelt wiedergeben soll, welches der Alg-Bezieher erzielen würde, wenn er im Leistungszeitraum Arbeit hätte (vgl BSG SozR 4100 § 113 Nr 7; SozR 3-4100 § 111 Nr 3), ist vom Arbeitsamt individuell zu ermitteln (Bemessungsentgelt). Die Höhe des Alg ergibt sich aus Tabellen. Das ermittelte Bemessungsentgelt wird nicht im Einzelfall um die gesetzlichen Abzüge, die bei diesem Versichertem oder bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, gemindert, und danach der nach der jeweiligen Nettolohnersatzquote zu zahlende Leistungsbetrag errechnet. Die Tabellen, die die Leistungssätze enthalten, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in Form einer Rechtsverordnung für jedes Kalenderjahr nach bestimmten gesetzlichen Merkmalen zu erlassen (§ 111 Abs 2 AFG). Dabei sind für die jeweiligen Nettolohnersatzquoten allen bis zu den Leistungsbemessungsgrenzen denkbaren Bemessungsentgelten je fünf verschiedene Leistungssätze zuzuordnen (vgl §§ 112 Abs 10, 111 Abs 2 Nr 5, 249c Abs 9 AFG). Diese Leistungssätze sollen (gerundet) dem gesetzlichen Vomhundertsatz eines Nettolohns (1991 beim Alg 68 bzw 63 vH) entsprechen, der sich nach dem Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen vom Bemessungsentgelt ergibt. Der Lohnsteuerabzug wird den Lohnsteuertabellen für die Steuerklassen I, I unter Berücksichtigung eines Freibetrages, III, V und VI entnommen (§ 111 Abs 2 Nr 1 AFG). Der unterschiedlich hohe Steuerabzug nach den Lohnsteuertabellen führt zu den fünf verschiedenen Leistungssätzen für jedes Bemessungsentgelt. Die Leistungssätze berücksichtigen damit pauschal, je nach Steuerklasse des Arbeitslosen, die gesetzlichen Abzüge, die in etwa anfielen, wenn der Arbeitnehmer iH des Bemessungsentgelts Arbeitslohn erzielte. Der jeweilige Leistungssatz hängt damit nicht nur von dem anwendbaren Vomhundertsatz (§ 111 Abs 1 AFG), dem Bemessungsentgelt (§§ 112, 112a AFG), sondern auch von der Steuerklasse ab, die nach § 113 AFG heranzuziehen ist.
Besondere Leistungssätze für Arbeitslose in bestimmten Bundesländern oder Teilen des Bundesgebiets, wie dem Beitrittsgebiet, sind nicht vorgesehen. Ausdrücklich regelt § 249c Abs 10 AFG, daß bei der Anwendung des § 111 Abs 2 AFG, dh bei der Bildung der Leistungssätze nach dieser Vorschrift, Besonderheiten hinsichtlich der gewöhnlichen Abzüge, die infolge der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands in den ersten Jahren der Einheit im Beitrittsgebiet gelten, nicht bzw nur schrittweise zu berücksichtigen sind. Die Leistungssätze für das Alg gelten daher bundeseinheitlich; der Verordnungsgeber ist nicht berechtigt, für Teile des Bundesgebietes unterschiedlich hohe Leistungssätze zu bestimmen.
Neben der Lohnsteuer, den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 111 Abs 2 Nr 3 AFG), zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 111 Abs 2 Nr 4 AFG) und zur BA sind als gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, vom Verordnungsgeber auch die hier streitigen Kirchensteuern zu berücksichtigen. Maßgebend ist für sie der im Vorjahr in den Ländern geltende niedrigste Kirchensteuer-Hebesatz (§ 111 Abs 2 Nr 2 AFG). Besondere Leistungssätze für Arbeitslose, deren Entgelt einer Kirchensteuerpflicht nicht unterläge, sind vom Gesetz nicht vorgesehen. Dies gilt, obwohl im Beitrittsgebiet wohl die Mehrheit der Bevölkerung einer steuererhebenden Kirche nicht angehört und mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands der Anteil von Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik mithin geringer geworden ist. Die Überleitungsvorschrift des § 249c Abs 10 Nr 2 AFG bestimmt nämlich, daß Kirchensteuer-Hebesätze, die im Beitrittsgebiet gelten, erstmals bei der Leistungsverordnung für das dritte Kalenderjahr nach Einführung der Kirchensteuer in diesem Gebiet zu berücksichtigen sind. Erst dann wird sich auswirken, wenn der Kirchensteuer-Hebesatz in einem Land des Beitrittsgebiets der niedrigste in ganz Deutschland ist.
Diese Regelungen belegen auch, daß der Gesetzgeber die Kirchensteuer zu den bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzügen ohne Rücksicht darauf zählt, daß sie sich dieser Belastung durch Kirchenaustritt entledigen können.
3. Das dargestellte Bemessungssystem, das nicht nur für das Alg, sondern – mit durch die jeweilige Leistungsart bedingten Abwandlungen – auch für die Arbeitslosenhilfe, das Unterhaltsgeld, das Kurzarbeitergeld und das Schlechtwettergeld gilt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, daß es mit dem GG vereinbar ist, auch bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehören, bei der Berechnung des maßgebenden Nettoentgelts einen Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen (Beschluß vom 23. März 1994 – 1 BvL 8/85 – NZS 1994, 417). Besondere Leistungssätze für Arbeitslose, die keiner steuererhebenden Kirche angehören, sind also nicht erforderlich.
3.1 Eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum (Art 14 Abs 1 GG) hat das BVerfG verneint: Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht gehindert, bei der Berechnung des Nettolohns auch Abgaben zu berücksichtigen, die an die individuelle Entscheidung des Arbeitnehmers anknüpften, einer Kirche anzugehören, solange er sich in den Grenzen zulässiger Typisierung halte, wenn also die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmerschaft die Abgabe zu zahlen habe und deren Abzug nicht sehr stark ins Gewicht falle. Diese Voraussetzungen hätten vorgelegen, als der Gesetzgeber die – seit dem 1. Januar 1975 geltende – Vorschrift des § 111 Abs 2 Nr 2 AFG geschaffen habe.
Allerdings hat das BVerfG darauf hingewiesen, daß es mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Ansatz und dem Gebot der Normenklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohns auch dann noch als „gewöhnlich” anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könnte. Das BVerfG hat darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht, daß zu einer Überprüfung durch den Gesetzgeber, ob die Kirchensteuer auch künftig noch als gewöhnlich anfallender Abzug anzusehen ist, Anlaß bestehen dürfte, weil ein großer Teil der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern keiner Kirche angehört, die Kirchensteuer erhebt. Es kann dahingestellt bleiben, ob dann, wenn der Gesetzgeber aufgrund dieser Hinweise keine Prüfung durchführt, obwohl offen zutage liegt, daß keine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern Kirchen angehört, die Steuern erheben, § 111 Abs 2 Nr 2 AFG wegen veränderter Umstände grundgesetzwidrig würde (vgl zur Verletzung der „Nachbesserungspflicht” des Gesetzgebers: Badura, Festschrift Eichenberger, 1982, 481 ff; Steinberg, Der Staat 1987, 161 ff; Schulte, DVBl 1988, 1200). Denn jedenfalls bislang und damit auch für die hier streitige Zeit (1991-1993) ist dies nicht feststellbar. Eine Prüfung hat zwar nach dem Hinweis des BVerfG durch den Gesetzgeber zu erfolgen, war aufgrund des Zeitablaufs bisher allerdings noch nicht möglich. Es liegt auch nicht offen zutage, daß eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern den steuererhebenden Kirchen nicht mehr angehört. Einschlägige Statistiken für diese Zeit liegen bisher nicht vor. Aus den beigezogenen, den Beteiligten zugänglich gemachten Unterlagen des Statistischen Bundesamts lassen sich Schlußfolgerungen iS der Revision noch nicht ziehen. Insbesondere lassen sich aus der Auswertung der Lohnsteuerstatistik und der Umrechnung der steuerpflichtigen Ehegatten auf Einzelfälle vom Statistischen Bundesamt „näherungsweise errechneten” Gesamtquote von tatsächlichen Kirchensteuerzahlern unter den Arbeitnehmern der Anteil der den Kirchen angehörenden oder kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer nicht ermitteln. Darauf hat das Statistische Bundesamt selbst hingewiesen. Auch wenn man davon ausgeht, daß von den derzeit 81 Millionen Einwohnern Deutschlands etwa 57 Millionen der katholischen oder evangelischen Kirche angehören, und berücksichtigt, daß der Anteil der Kirchenangehörigen unter der jüngeren Bevölkerung und damit unter den Arbeitnehmern geringer sein dürfte, besteht derzeit keine Evidenz dafür, daß § 111 Abs 2 Nr 2 AFG mit dem vom Gesetzgeber gewählten Ansatz zur Typisierung und damit dem Gebot der Normenklarkeit nicht mehr vereinbar ist.
3.2 Den Schutzbereich des Art 4 Abs 1 GG berührt die Regelung nicht, weil sie keinen Anreiz gibt, die Mitgliedschaft in einer kirchensteuererhebenden Glaubensgemeinschaft anzustreben oder aufzugeben (BVerfG aaO). Dies gilt um so mehr, als es sich bei der Regelung lediglich um einen Berechnungsfaktor handelt, der Belastungen von Versicherten zugunsten der steuererhebenden Kirchen ohne Rücksicht auf die Mitgliedschaft nicht begründet.
3.3 Eine Vereinbarkeit der Regel mit der Gleichheit vor dem Gesetz nach Art 3 Abs 1 GG hat das BVerfG mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers gerechtfertigt, „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will”. Allerdings muß die Auswahl im Blick auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs sachgerecht sein. Art 3 Abs 1 GG ist danach erst dann verletzt, wenn der Regelung ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (BVerfG aaO mwN). Für die von der Revision angegriffene Bemessungsregel hat das BVerfG auf den Gedanken der Beitragsäquivalenz hingewiesen, wonach Versicherte – ohne Rücksicht auf ihre Mitgliedschaft in einer Kirche – bei gleicher Beitragsleistung und gleicher Bedarfssituation gleiche Versicherungsleistungen erhalten. Die unterschiedliche Differenz zwischen Bruttobemessungsentgelt und Nettolohnersatzquote bei Kirchenmitgliedern und einer Kirche nicht angehörenden Versicherten ist nicht zu beanstanden, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG das „Lebensstandardprinzip” keinen Verfassungsrang hat. Der Gesetzgeber ist deswegen nicht gehalten, dem Arbeitslosen durch die Bemessung von Sozialleistungen den bisher erreichten Lebensstandard zu erhalten (BVerfG aaO mwN; BSGE 73, 195, 202 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3). In diesem Zusammenhang hat der Senat aaO bereits die Frage aufgeworfen, „ob es sinnvoller wäre, wenn statt der Berücksichtigung der Kirchensteuer eine entsprechend geringere Nettolohnersatzquote vorgeschrieben worden wäre”. Die Fragestellung macht die Freiheit des Gesetzgebers bei der Bemessung von Sozialleistungen deutlich und legt nahe, die Berücksichtigung des Kirchensteuerabzugs bei einem der Bemessungsfaktoren von Sozialleistungen verfassungsrechtlich nicht zu überschätzen.
3.4. Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG ist schließlich nicht darin zu sehen, daß der Gesetzgeber für das Beitrittsgebiet keine besonderen Alg-Leistungssätze vorgesehen hat. Es kann hier offen bleiben, inwieweit die durch Art 4 Nr 5 EinigVtr eingefügte Vorschrift des Art 143 GG, wonach ua der Gleichheitsgrundsatz im Beitrittsgebiet für eine bestimmte Zeit nur eingeschränkt gilt, eingreifen könnte. Art 3 Abs 1 GG gebietet nämlich nicht, unter allen Umständen Ungleiches verschieden zu behandeln. Wie ausgeführt, ist Art 3 GG erst dann verletzt, wenn der Regelung ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt. Danach aber kann nicht beanstandet werden, wenn bestimmte Sonderregelungen im Beitrittsgebiet, die vorübergehend zu niedrigeren gewöhnlichen gesetzlichen Abzügen vom Arbeitsentgelt führen (vgl dazu BSGE 73, 195, 201 f = SozR 3-4100 § 249e Nr 3), den Gesetzgeber nicht veranlaßt haben, von dem Grundsatz einheitlicher Leistungssätze für das gesamte Bundesgebiet abzusehen. Erst recht mußte der Umstand, daß die Mehrheit der Bevölkerung im Beitrittsgebiet einer steuererhebenden Kirche nicht angehört, den Gesetzgeber nicht veranlassen, auf bundesweit anwendbares gleiches Recht zu verzichten.
4. Danach gilt für die Bemessung von Alüg:
4.1 Aufgrund des § 249e Abs 3 AFG finden die vorstehend behandelten Vorschriften der §§ 111 bis 113 AFG (einschließlich der sie ergänzenden Überleitungsvorschriften) auch für das Alüg Anwendung. Anstelle des § 111 Abs 1 AFG steht allerdings die Maßgabe Nr 2 und die Maßgabe Nr 3 modifiziert für das Alüg § 112 Abs 11 AFG. Auch für das Alüg hat der BMA daher nach den Vorgaben der §§ 111 Abs 2 Sätze 2 bis 4, 249c Abs 10 AFG Leistungssätze festzusetzen. Die dabei zu berücksichtigenden gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, sind hiernach keine anderen als beim Alg.
4.2 Schon deshalb überzeugt die Auffassung des Klägers nicht, es handele sich beim Alüg um eine „Vorruhestandsregelung”, deren Bemessung den besonderen Verhältnissen im Beitrittsgebiet entsprechen müsse. Im übrigen verkennt er die systematischen Zusammenhänge. Das Alüg, das die durch die Verordnung vom 8. Februar 1990 (GBl I 42) eingeführte Vorruhestandsregelung der DDR ablöste, sollte anstelle von Alg – also bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen -in Anspruch genommen werden können, um den Arbeitsmarkt zu entlasten (BT-Drucks 11/7760 S 370). Um einen Anreiz zur Inanspruchnahme zu bieten, ist es günstiger als Alg ausgestattet worden. Das erklärt nicht nur die von Anfang an gegenüber dem Alg längere Dauer des Anspruchs auf Alüg, sondern auch den Vomhundertsatz von 65, der bewußt um zwei Prozentpunkte günstiger ist als das Alg nach § 111 Abs 1 Nr 2 AFG (in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung), das in der Regel sonst hätte geleistet werden müssen. Das Alüg ist insoweit ein „höheres und verlängertes Alg”. Eine weitere Begünstigung des Alüg gegenüber dem Alg hinsichtlich der Höhe war indessen nicht beabsichtigt. Soweit die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, für die Berücksichtigung eines Kirchensteuerabzugs bei der Bemessung des Alüg fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, verkennen sie die Tragweite der Generalverweisung des § 249e Abs 3 AFG. Der Hinweis auf abweichende steuer- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen im Beitrittsgebiet (vgl zB SG Dessau SGB 1993, 243, 245) verkennt, daß diese Besonderheiten nach der Übergangsvorschrift des § 249c Abs 10 Nr 2 AFG hinsichtlich der Kirchensteuer-Hebesätze bis zu der Leistungsverordnung für das dritte Kalenderjahr nach Einführung der Kirchensteuer im Beitrittsgebiet für die Bemessung von Leistungen gerade nicht maßgebend sind. Die Ansicht der Vorinstanzen ist schon im Ansatz verfehlt, weil sie die Systematik der gesetzlichen Regelungen für die Bemessung des Alüg und die Zielsetzung des Gesetzgebers bei Einführung dieser Leistung nicht beachtet (BSGE 73, 195, 198 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3).
4.3 Allerdings hat der BMA für die Kalenderjahre 1991 und 1992 Alüg-Leistungssätze nicht ausdrücklich ausgewiesen. Es ist daher auf die Leistungssätze für das Unterhaltsgeld nach § 44 Abs 2 Nr 2 AFG zurückzugreifen, das damals ebenfalls 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG betrug (Senat aaO).
Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, wenn die BA bei der Berechnung des Alüg für 1991 und 1992 auf Leistungstabellen zurückgreift, in denen Leistungssätze für das Uhg ausgewiesen sind, die den für das Alüg maßgebenden Vomhundertsatz (65 vH) und unter den bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzügen auch die Kirchensteuer berücksichtigen.
5. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken lassen sich gegen die entsprechende Anwendung der Bemessungsvorschriften des Alg nicht erheben. Ist der Gesetzgeber beim Alg aufgrund der Art 3, 4 und 14 GG nicht gehalten, bei den Leistungssätzen allgemein vom Ansatz der Kirchensteuer abzusehen oder für Leistungsempfänger im Beitrittsgebiet besondere Leistungssätze vorzusehen, die lediglich die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern im Beitrittsgebiet gewöhnlich anfallen, berücksichtigen, kann aufgrund des aufgezeigten systematischen Zusammenhangs des Alg mit dem Alüg für das Alüg nichts anderes gelten, da dieses sich in der Höhe nur hinsichtlich des Vomhundertsatzes vom Alg unterscheidet.
Die Berücksichtigung des Kirchensteuerabzugs bei der Bemessung des Alüg verletzt Art 3 Abs 1 GG auch nicht deshalb, weil durch die Verweisung des § 249e Abs 3 AFG eine Bemessungsregelung erlassen worden ist, die Besonderheiten im Beitrittsgebiet – zB die unterschiedlichen Anteile von Kirchenmitgliedern unter den Arbeitnehmern im Beitrittsgebiet und in den alten Ländern – nicht Rechnung trägt, obwohl zum Alüg nur Arbeitnehmer Zugang hatten, die aus einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung im Beitrittsgebiet ausgeschieden sind und dort wohnhaft waren. Zu beachten ist auch hier, daß es nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG dem gesetzgeberischen Ermessen überlassen ist, die Sachverhalte auszuwählen, an die dieselben Rechtsfolgen anknüpfen und die mithin als gleich im Rechtssinne anzusehen sind (BVerfG aaO mwN). Schon vor der Einigung hat das BVerfG betont, der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers sei bei der Bewältigung historischer Ausnahmesituationen (zB Kriegs- und Kriegsfolgelasten) besonders weit (BVerfGE 27, 253, 286; 53, 164, 178; 71, 66, 76). Das gleiche gilt für Übergangsregelungen (BVerfGE 44, 283, 287), um die es sich bei den Vorschriften zum Alüg und seiner Bemessung handelt. Anläßlich der Herstellung der Einheit Deutschlands hatte der Gesetzgeber in kürzester Zeit für das Beitrittsgebiet die Folgen des Übergangs einer staatlichen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, die den Zusammenbruch großer Industriezentren und Bürokratien mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten erwarten ließ, zu bewältigen (dazu: Kreßel, in: Andresen, Frühpensionierung, 1994, RdNr 7). Mit der Einigung ging der Aufbau einer neuen staatlichen und sozialen Ordnung im Beitrittsgebiet einher. Diese Umstände machten nicht nur spezielle, auf die Lage der Arbeitnehmer in den Beitrittsländern zugeschnittene Sozialleistungen wie das Alüg erforderlich, sondern auch Regelungen ihrer Umsetzung, die einer im Aufbau befindlichen Verwaltung einen zügigen und wirkungsvollen Aufgabenvollzug ermöglichten. Diesem Ziel dient die in Anlehnung an die Bemessung des Alg und anderer Lohnersatzleistungen nach dem AFG pauschalierende Ermittlung von Leistungssätzen des Alüg. Sie entlastet die Verwaltung einmal durch verfassungsrechtlich zur Bewältigung von Massenerscheinungen ohnehin gerechtfertigte Typisierung und Pauschalierung (BVerfGE 63, 119, 128; 77, 308, 338; 80, 109, 118), zum anderen durch Anknüpfen an ein seit 1975 geltendes Bemessungssystem. Gerade dieser Gesichtspunkt erscheint im Hinblick auf eine im Aufbau befindliche Verwaltung in einer einmaligen historischen Situation, wie der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, sachgerecht. Den geringeren Anteil von Kirchenmitgliedern an der Erwerbsbevölkerung im Beitrittsgebiet konnte der Gesetzgeber deshalb vernachlässigen, zumal es sich bei dem fiktiven Kirchensteuerabzug in den Leistungstabellen lediglich um ein marginales Element eines Berechnungsfaktors handelt, dessen wirtschaftliche Auswirkungen ebenso über eine geringere Nettolohnersatzquote herbeigeführt werden könnten (BSGE 73, 195, 202 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3).
6. Unter dem Gesichtspunkt des Kirchensteuerabzugs erweisen sich die von der BA ermittelten Leistungsbeträge nicht als rechtswidrig. Ob dem Kläger unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt möglicherweise ein höheres Alüg zusteht, hat aus den zu 1. erörterten Gründen nicht der Senat, sondern das SG zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, daß der Kläger in den Vorinstanzen überwiegend erfolgreich war.
Fundstellen