Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandsrente aus überführter Rente des Beitrittsgebiets. Umwandlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in eine Regelaltersrente. persönlicher Anwendungsbereich des § 307b SGB 6. Leistungsberechtigung
Leitsatz (amtlich)
Jeder Versorgungsberechtigte, der am 31.12.1991 nach Beitrittsgebietsrecht in einem überführten rentenversicherungsrechtlichen Leistungsverhältnis stand und deshalb ein Recht auf eine “überführte Rente” hatte, unterliegt in vollem Umfang der Schutzregelung des EinigVtr und ist Bestandsrentner auch iS des § 307b SGB 6. Der persönliche Anwendungsbereich dieser Norm bestimmt sich allein nach dem Bestehen einer Leistungsberechtigung, nicht aber eines konkreten Stammrechts.
Normenkette
SGB VI § 307b Abs. 1 S. 1 F: 2001-07-27, S. 2 F: 2001-07-27, S. 3 F: 2001-07-27, S. 4 F: 2001-07-27, Abs. 2 F: 2001-07-27, Abs. 3 F: 2001-07-27, § 307a Abs. 1, § 302a Abs. 1; RAnglG; AAÜG § 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Sätze 1, 2 Nr. 1, Abs. 4; AAÜG Anl. 1 Nr. 4; AAÜGÄndG 2; EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 9 Sätze 4-5; EinigVtr Anlage II Kap VIII H
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2004 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Rentenhöchstwertfeststellung im Bescheid vom 19. Juli 2002 sowie der Ablehnung ihrer Aufhebung und Neufeststellung im Bescheid vom 14. August 2002, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 verpflichtet, den monatlichen Wert des Rechts des Klägers auf Altersrente ab 1. Mai 1999 mit der Maßgabe neu festzustellen, dass der Vorleistungswert auch nach den Regeln der so genannten Vergleichsrente zu bewerten ist.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der Beklagten, die Höchstwertfeststellung seines Rechts auf Altersrente (AR) aufzuheben und den Wert dieses Rechts auch unter Zugrundelegung eines Vorleistungswertes festzustellen, der sich nach den Regeln einer so genannten Vergleichsrente bemisst.
Der im Juli 1927 geborene Kläger war in der DDR in der Sozialpflichtversicherung versichert. Auf Grund seiner Tätigkeiten als Arzt war er ab 1. Dezember 1963 in das System der zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss) einbezogen worden. Ab 1. Juli 1990 wurde ihm eine Invalidenrente aus der Sozialpflichtversicherung und eine Invalidenversorgung aus der AVIwiss gewährt. Der Wert der Invalidenrente belief sich auf 1.119,00 DM und derjenige der Zusatzversorgung auf 1.012,00 DM. Die ab 1. August 1991 verfügte Begrenzung des Gesamtzahlbetrages auf 2.010,00 DM hob die Beklagte durch gerichtliches Anerkenntnis im Jahre 1993 wieder auf.
Im Bescheid vom 18. November 1993 stellte die Beklagte den Wert des Rechts auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zunächst in einem pauschalen Verfahren unter Zugrundelegung von 47,0423 Entgeltpunkten (EP) mit monatlich 1.108,79 DM ab 1. Januar 1992 fest. Den weiterzuzahlenden Betrag, der sich aus dem Gesamtbetrag beider Invalidenrenten für Ende Dezember 1991, erhöht um 6,84 vH, errechnete, stellte sie mit 2.276,76 DM fest und zahlte die Rente nach diesem höheren Betrag.
In ihrer Funktion als Versorgungsträger stellte die Beklagte im Bescheid vom 17. Dezember 1993 die Beschäftigungszeiten des Klägers von Juni 1956 bis Januar 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu den Zusatzversorgungssystemen der Nr 4, 5 und 8 der Anl 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) fest. Den Widerspruchsbescheid vom 14. April 1994, mit dem der Versorgungsträger den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen hatte, focht dieser nicht an.
In ihrer Funktion als Rentenversicherungsträger stellte die Beklagte im Bescheid vom 28. Januar 1994 den monatlichen Wert des Rechts auf Rente wegen EU unter Zugrundelegung der gesamten Versicherungsbiografie des Klägers neu fest. In der Folgezeit nahm sie unter Zugrundelegung zusätzlicher rentenrechtlicher Zeiten weitere Neufeststellungen des Werts des Rechts auf Rente wegen EU vor, und zwar zuletzt im Bescheid vom 22. Juli 1996. Dadurch erhöhte sich die Summe der EP auf 76,4448. Der Wert des neu festgestellten Rentenrechts überstieg ab 1. Juli 1993 den weiterzuzahlenden Betrag mit 2.459,23 DM.
Im Bescheid vom 10. Januar 1997 erkannte die Beklagte dem Kläger (rückwirkend) ab 1. August 1992 an Stelle des Rechts auf eine Rente wegen EU das Recht auf eine AR zu. Nach den – allgemeinen – Bewertungsvorschriften des SGB VI ermittelte sie die Summe der EP mit 76,4447, legte aber bei der Feststellung des Wertes dieses Rechts 76,4448 EP zu Grunde, die den Wert des Rechts auf Rente wegen EU mit bestimmt hatten; demzufolge waren die Werte beider Rentenrechte betragsmäßig gleich.
Mit Schreiben vom 12. Januar “2001” (richtig: 2002), bei der Beklagten eingegangen am 15. Januar 2002, beantragte der Kläger eine “Neuberechnung” seiner Rente nach dem letzten 20-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn. Im Bescheid vom 19. Juli 2002 stellte die Beklagte die bisherige AR mit Wirkung ab 1. Januar 1998 neu fest. Als Grund für die Neufeststellung nannte sie eine Änderung der Beitragszeit vom 1. Oktober 1953 bis 30. September 1955. Aussagen zur Vergleichsrente enthielt der Bescheid nicht. Auch ein besitzgeschützter Zahlbetrag wurde nicht festgestellt. Unter Zugrundelegung der Versicherungsbiografie des Klägers ermittelte die Beklagte nunmehr 76,4449 persönliche EP (bisher 76,4448 EP). Den monatlichen Wert des Rechts auf AR stellte sie ab 1. Januar 1998 mit 3.096,78 DM fest; er erhöhte sich auf Grund nachfolgender Rentenanpassungen bis zum 1. Juli 2002 auf 1.735,30 €.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2002, bei der Beklagten eingegangen am 26. Juli 2002, erhob der Kläger “Widerspruch”. Er rügte, dass in dem ihm am 24. Juli 2002 zugegangenen Bescheid wie im Bescheid vom 10. Januar 1997 die Rente nur nach den Einkünften seines gesamten Berufslebens berechnet worden sei und deshalb nur die gleiche AR ergeben habe. Er habe jedoch bereits am 12. Januar 2002 gebeten, seine Rente nach dem letzten 20-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn als Vergleichsrente zu berechnen. Insoweit weise er auf die Entscheidung des BVerfG vom 28. April 1999 hin.
Im Bescheid vom 14. August 2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 12. Januar 2002 auf Neufeststellung seiner Rente nach § 307b SGB VI idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S 1939) ab. Zur Begründung führte sie aus, dass von der Neuregelung nur Bestandsrenten des Beitrittsgebiets erfasst würden. Der Zeitpunkt, zu dem die Neuregelung wirksam würde, richte sich nach der Bestandskraft des Bescheides. Soweit eine solche noch nicht eingetreten sei, sei die Vergleichsberechnung frühestens ab 1. Januar 1992 durchzuführen, im Falle der Bestandskraft erst ab 1. Mai 1999. Die Bescheide des Klägers seien bereits bestandskräftig gewesen. Die Neuregelung könne in seinem Fall keine Wirksamkeit entfalten, weil die nach § 307b SGB VI berechnete Rente bereits vor dem 1. Mai 1999, nämlich ab 1. August 1992, weggefallen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch und machte geltend, die Entscheidung des BVerfG sei so auszulegen, dass auch Bezieher einer Vollrente wegen EU, deren Rente in eine Vollrente wegen Alters umgewandelt werde, in den Genuss einer Neuberechnung kommen müssten. Es sei somit eine fiktive Berechnung der EU-Rente zum 31. Dezember 1991 vorzunehmen und die dort ermittelten EP als besitzgeschützte EP in den Umwandlungsbescheid zu übernehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2003 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom “19.07.2002” zurück. Die Begründung entsprach im Wesentlichen der Darstellung im Bescheid vom 14. August 2002.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger beantragt, den Rentenbescheid vom 19. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, seine Regelaltersrente unter Ermittlung einer Vergleichsrente nach § 307b Abs 3 SGB VI idF des 2. AAÜG-ÄndG ab 1. Mai 1999 neu festzustellen. Das SG hat die Klage abgewiesen und die (Sprung-)Revision zugelassen (Urteil vom 8. April 2004). In den Entscheidungsgründen hat es sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 307b SGB VI. Hierzu trägt er vor, in verfassungskonformer Auslegung sei unter “überführter Rente” inhaltlich die Rentenanwartschaft mit den erworbenen persönlichen EP zu verstehen, die für Bestandsrentner am 31. Dezember 1991 der überführten Rente entspreche, die bei der Folgerente erhalten blieben und dann auch an den Gesetzesänderungen und Anpassungen teilhätten. Folge man der Auslegung der Beklagten und des SG, sei die Vorschrift verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Rentenhöchstwertfeststellung im Bescheid vom 19. Juli 2002 und der Ablehnung ihrer Aufhebung und Neufeststellung im Bescheid vom 14. August 2002, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003, zu verpflichten, den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente ab 1. Mai 1999 mit der Maßgabe neu festzustellen, dass sein Vorleistungswert auch nach den Regeln der so genannten Vergleichsrente zu bewerten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden, und trägt vor, der Kläger könne seinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Wertes seines Rechts auf AR am Maßstab einer Vergleichsrente nicht unmittelbar auf § 307b Abs 3 SGB VI stützen. Die erst zum 1. August 1992 zuerkannte AR erfülle nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 307b SGB VI, weil am 31. Dezember 1991 kein Anspruch auf eine nach dem AAÜG überführte AR des Beitrittsgebietes bestanden habe. Die AR des Klägers sei daher keine Bestandsrente iS dieser Norm. Da sie jedoch “Folgerente” der bis zum 31. Juli 1992 zuerkannten Rente wegen EU gewesen sei, sei vorstellbar, das klägerische Begehren über § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI zu berücksichtigen. Es sei zu prüfen, ob der letzte maßgebliche Verwaltungsakt über die Höhe der Rente wegen EU dem aktuellen Recht entspreche. Der Kläger habe die früheren Wertfeststellungen im Jahre 1996 bestandskräftig werden lassen. Die Neuregelungen des 2. AAÜG-ÄndG hätten erst am 1. Mai 1999 Wirkung erlangt, wie sich aus der entsprechenden Regelung über das Inkrafttreten in Art 13 Abs 1 dieses Gesetzes ergebe. Zu diesem Zeitpunkt sei keine Bestandsrente wegen EU gezahlt worden. Eine rückwirkende Feststellung der Rente wegen EU für die Zeit ab 1. Januar 1992 sei nach Art 13 Abs 5 2. AAÜG-ÄndG nicht zulässig gewesen, weil der entsprechende Rentenbescheid am 28. April 1999 bindend gewesen sei. Eine Rücknahme dieses Bescheides für Zeiten nach dem 30. April 1999 gehe wegen des Beginns der AR ab 1. August 1992 ins Leere. Die Regelungen seien nicht verfassungswidrig; insoweit werde auf die Urteile des Senats vom 3. August 1999 – B 4 RA 50/97 R – und vor allem vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 65/02 R – Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Das Urteil des SG verletzt Bundesrecht.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des SG vom 8. April 2004, mit dem die Klagen des Klägers abgewiesen worden sind. Dieser verfolgt sein Begehren, das Streitgegenstand vor dem SG gewesen ist, im Revisionsverfahren weiter. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung liegen vor. Das Begehren ist begründet.
Der Kläger hat seine prozessualen Ansprüche zulässig in zwei Rechtsschutzformen geltend gemacht.
a) Die von ihm erhobenen Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) richten sich gegen zwei Verwaltungsakte der Beklagten. Zum einen hat der Kläger die Abänderung des “Bescheides” vom 19. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 beantragt. Über den Wortlaut dieses Antrages hinaus hat er sinngemäß auch die Ablehnung einer Neufeststellung im Bescheid vom 14. August 2002 mit angefochten. Das Begehren des Klägers ist dahin zu verstehen, dass er nicht die Abänderung (teilweise Aufhebung) des genannten “Bescheides”, sondern eines in ihm enthaltenen Verwaltungsaktes begehrt. Der Bescheid ist lediglich die äußere Form, in der ein Verwaltungsakt ergeht. Gegenstand der Anfechtungsklage und damit Klagegegenstand kann immer nur ein Verwaltungsakt sein (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG).
Der Bescheid vom 19. Juli 2002 enthält drei Verwaltungsakte, nämlich (1) die Aufhebung der bisherigen bindend gewordenen Feststellung des Rentenhöchstwertes im Bescheid vom 10. Januar 1997, (2) die Neufeststellung des monatlichen Wertes des Rechts auf AR und (3) die Festsetzung des zeitlichen Beginns der Neufeststellung (1. Januar 1998). Die Aufhebung der bindend gewordenen Wertfeststellung im Bescheid vom 10. Januar 1997 hat der Kläger nicht angefochten. Ebenso wenig hat er den verfügten Beginn der neuen Wertfeststellung beanstandet; denn er strebt eine Änderung zu einem noch späteren Zeitpunkt an (1. Mai 1999). Sinngemäß hat er mit seinem Widerspruch und seiner Klage allein die im Bescheid vom 19. Juli 2002 getroffene neue Wertfeststellung angegriffen und die Feststellung eines Wertes auf einer anderen Rechtsgrundlage, nämlich nach den Regeln einer so genannten Vergleichsrente begehrt.
Dieses Begehren hat die Beklagte im Widerspruchsverfahren mit Bescheid vom 14. August 2002 abgelehnt, der insoweit den Bescheid vom 19. Juli 2002 ergänzt hat. Den gegen beide Verwaltungsakte gerichteten Widerspruch hat die Beklagte sinngemäß mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2003 zurückgewiesen. Zwar wird im Widerspruchsbescheid ausdrücklich nur der Bescheid vom 19. Juli 2002 benannt, die Widerspruchsbegründung knüpft jedoch inhaltlich an die Begründung des ablehnenden Verwaltungsaktes im Bescheid vom 14. August 2002 an; die Beklagte hat daher erkennbar auch über den Widerspruch gegen diesen Verwaltungsakt mit entschieden.
Die formal beschränkte Bescheidbezeichnung im Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2003 hat offensichtlich dazu geführt, dass der Kläger in seinen Sachanträgen zunächst nur eine Aufhebung des Bescheides vom 19. Juli 2002 beantragt hat. Aus dem Inhalt seines Vorbringens und dem Ziel seines Begehrens ergibt sich jedoch, dass er sich gerade auch gegen die Ablehnung der Neufeststellung wenden wollte und will. Die Korrektur des Sachantrages in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat beinhaltet somit lediglich eine Klarstellung seines prozessualen Begehrens, nicht aber eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung.
b) In Kombination mit der Anfechtungsklage hat der Kläger eine Verpflichtungsbescheidungsklage erhoben. Die Beschränkung auf diese Klagenkombination ist zulässig, dh der Kläger war nicht verpflichtet, auch eine so genannte unechte Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zu erheben. Hierzu war er schon deshalb nicht gehalten, weil er nicht wissen konnte, ob eine Wertfeststellung nach den Regeln der so genannten Vergleichsrente überhaupt zu einem Rentenwert führt, der den von der Beklagten neu festgestellten Wert übersteigt.
Das Begehren des Klägers ist in der Sache begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Wert des Rechts auf AR ab 1. Mai 1999 in unmittelbarer Anwendung des § 307b Abs 1 Satz 2 und Abs 3 SGB VI idF durch das 2. AAÜG-ÄndG neu festzustellen.
Die Neufassung des § 307b SGB VI durch das 2. AAÜG-ÄndG bezweckte, verfassungswidrige Abweichungen vom Einigungsvertrag (EinigVtr) und eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der früher versorgungsberechtigten Bestandsrentner in Zusatz- und Sonderversorgungssystemen gegenüber den von § 307a SGB VI erfassten Bestandsrentnern aus der Sozialpflichtversicherung und Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der DDR zu beseitigen (vgl dazu: Urteile des BVerfG vom 28. April 1999, BVerfGE 100, 1 ff und 104 ff). Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, es könne darauf gerichtet sein, von den Vorgaben des EinigVtr, insbesondere von dessen Überführungsprogramm für Leistungsberechtigungen aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR, abzuweichen. Aus der hiernach vorzunehmenden Zuordnung des Klägers zum Personenkreis der Bestandsrentner in einem Zusatzversorgungssystem folgt, dass er die Feststellung des Wertes einer AR nach den Werten des § 307b SGB VI beanspruchen kann, und damit auch nach den Regeln einer so genannten Vergleichsrente.
Anknüpfend an den Tatbestand, dass am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine nach dem AAÜG überführte Rente des Beitrittsgebiets bestand, ordnet § 307b SGB VI auf der Rechtsfolgenseite zum einen die Feststellung des Wertes der so genannten SGB VI-Rente ab 1. Januar 1992 nach vier Vergleichswerten an und verpflichtet zum anderen den Rentenversicherungsträger zur Festsetzung eines (evtl) Nachzahlungsbetrages für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1991 (vgl hierzu ua: Urteil des Senats vom 31. Juli 2002, SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9 Nr 16).
§ 307b Abs 1 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass “die Rente” nach den Vorschriften dieses Buches neu zu berechnen ist. Mit dem Ausdruck “die Rente” wird die Rente iS des SGB VI bezeichnet. Denn verzichtet das Gesetz auf eine weitere Bestimmung der Rente, ist immer die ab 1. Januar 1992 nach diesem Gesetz zu gewährende Rente gemeint. Satz 1 spricht somit etwas “Selbstverständliches” aus und dient lediglich der Klarstellung. Darüber hinaus ist für die Zeit ab 1. Januar 1992 zusätzlich eine Vergleichsrente zu ermitteln (Satz 2 aaO) und die höhere der beiden Renten zu leisten (Satz 3 aaO). § 307b Abs 4 und 5 SGB VI sehen die Verpflichtung zur Wertfestsetzung nach zwei weiteren Vergleichswerten vor, nämlich nach dem so genannten weiterzuzahlenden Betrag und nach dem durch den EinigVtr geschützten Zahlbetrag; beide sind nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
§ 307b Abs 1 Satz 4 SGB VI iVm Abs 2 aaO begründet keine neuen Rentenrechte im Beitrittsgebiet, sondern erlaubt lediglich eine rückwirkende “Berechnung” für Bezugszeiten der “überführten Rente” bis zum 31. Dezember 1991 nach den Bewertungsvorschriften des zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenen SGB VI. Die “Berechnung” beinhaltet die Feststellung eines Nachzahlungsbetrages. Auch dieser ist nicht im Streit.
Alleinige tatbestandliche Voraussetzung für die vom Kläger begehrte Wertfeststellung nach den Regeln einer Vergleichsrente ist somit, dass am 31. Dezember 1991 ein “Anspruch” auf eine nach dem AAÜG “überführte Rente” des Beitrittsgebiets bestand. § 307b SGB VI definiert selbst nicht den Ausdruck “Anspruch auf eine überführte Rente des Beitrittsgebiets”. Die Norm knüpft an den Abschluss des “Überführungsprogramms” zum 31. Dezember 1991 durch das AAÜG an, das schon im bundesrechtlichen Programm für die Überführung der in einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen ua wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Alters in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets in der Anl II Kap VIII Sachgebiet H… Abschnitt III Nr 9 zum EinigVtr (nachfolgend: EV Nr 9) niedergelegt ist; EV Nr 9 hatte bereits grundsätzlich das ursprüngliche Überführungsprogramm der DDR im Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 (GBl I 495) weitgehend ersetzt. Die konkrete Ausgestaltung der Überführung erfolgte nicht durch im EV Nr 9 vorgesehene Rechtsverordnungen, sondern durch das AAÜG (Teil-Urteil des Senats vom 18. Juli 1996, SozR 3-2600 § 307b Nr 4). Allein aus diesem Gesetz erschließt sich die rechtliche Bedeutung des Ausdrucks “Anspruch auf eine überführte Rente des Beitrittsgebietes”. Das SGB VI, auch § 307b aaO, bewirkte mit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1992 die das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets, einschließlich des zuvor in dieses überführten Versorgungsrechts, völlig ersetzende “Überleitung” des einheitlichen Rentenversicherungsrechts der Bundesrepublik Deutschland auch auf das Beitrittsgebiet (Novation durch Überleitung).
Gemäß § 2 Abs 2 AAÜG waren die in den Versorgungssystemen der Anl 1 Nr 1 bis 22 und Anl 2 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen ua wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Alters in die Rentenversicherung (des Beitrittsgebietes) zum 31. Dezember 1991 zu überführen. Diese Berechtigungen wurden durch § 4 AAÜG überführt (gesetzliche Novation durch Überführung), indem ua die bisherige Invalidenversorgung nunmehr als Invalidenrente galt (Abs 1 Nr 1 und Abs 3 Nr 1 aaO). Hieran anknüpfend bestimmte § 4 Abs 3 Satz 1 AAÜG, dass die Leistung bei der Überführung wie eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechnete Rente behandelt würde und eine neue “Berechnung” nach den Vorschriften des Rentenversicherungsrechts des Beitrittsgebietes unterbliebe; diese Berechnung wurde durch den nach § 307b Abs 1 Satz 4 iVm Abs 2 SGB VI festzustellenden Nachzahlungsbetrag nachgeholt. Die so “überführte” Rente galt nunmehr (am 31. Dezember 1991) als Leistung der Rentenversicherung des Beitrittsgebiets und nicht mehr als solche des Versorgungssystems des Beitrittsgebiets, das seit Beginn des 31. Dezember 1991 (mit Ausnahme ggf nicht überführter Berechtigungen – § 9 AAÜG) aufgelöst war. Nur deshalb bedurfte es im Renten-Überleitungsgesetz keiner spezial-gesetzlichen Aufhebung der zu Bundesrecht gewordenen Versorgungssysteme.
Am 31. Dezember 1991 bestanden also zwei Rechte des Klägers auf Invalidenrenten des Beitrittsgebietes. Diese sind gemäß § 302a Abs 1 SGB VI mit Inkrafttreten dieses Gesetzes, also ab 1. Januar 1992, durch ein (einziges) Recht auf Rente wegen EU ersetzt worden (gesetzliche Novation durch Überleitung; so schon: Urteil des Senats vom 27. Januar 1993, BSGE 72, 50). An diese zeitliche Zäsur knüpft das Überleitungsrecht auch des § 307b SGB VI an. Dieser ordnet zum einen eine Berechnung nach den Bewertungsvorschriften des SGB VI rückwirkend für Bezugszeiten der “überführten Rente” bis zum 31. Dezember 1991 und damit die Festsetzung eines entsprechenden (evtl) Nachzahlungsbetrags an. Zum anderen bestimmt er für Bezugszeiten der SGB VI-Rente ab 1. Januar 1992 die Wertfeststellung nach den genannten vier Vergleichswerten. Hierbei handelt es sich bezüglich der vom Kläger geltend gemachten Wertfeststellung nach den Regeln einer Vergleichsrente nicht um ein neues eigenständiges Rentenrecht und dessen Wertfestsetzung, sondern ausschließlich um die Bewertung seiner Vorleistung (ausgedrückt in EP) nach einem anderen, von den allgemeinen Bewertungsvorschriften des SGB VI abweichenden Maßstab.
Wer die Wertfeststellung nach diesen Vergleichswerten beanspruchen kann, gibt § 307b SGB VI nur durch den Hinweis auf einen am 31. Dezember 1991 bestehenden “Anspruch auf eine nach dem AAÜG überführte Rente des Beitrittsgebiets” an. Dies kann dem Wortlaut nach zwar so verstanden werden, unter den persönlichen Anwendungsbereich der Norm falle, wer an jenem Tag ein Stammrecht (“Anspruch”) auf Versorgung gehabt habe, nur in Bezug auf dieses Stammrecht. Dann aber bliebe (diese Neufassung des) § 307b SGB VI hinter den Vorgaben des EinigVtr zum Nachteil der dadurch Berechtigten entgegen den verfassungsrechtlich bindend geklärten Maßstäben zurück. Eine gesetzes- und verfassungsgemäße Auslegung des Normtextes liegt aber ohnehin näher. Der Anwendungsbereich der Norm erschließt sich nämlich unschwer aus EV Nr 9. In ihr regelt der EinigVtr die Grundsätze des bundesrechtlichen Überführungsprogramms. Gerade um einen Bestandsschutz zu gewährleisten, und zwar in Form der so genannten Zahlbetragsgarantie, differenziert EV Nr 9 Satz 4 und 5 zwischen zwei Gruppen von Versorgungsberechtigten, nämlich denjenigen, die am 3. Oktober 1990 “leistungsberechtigt” waren, dh irgendein Vollrecht auf eine Leistung aus einem Versorgungssystem hatten (Bestandsrentner), und denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht “leistungsberechtigt”, also Inhaber einer Versorgungsanwartschaft waren und erst in der Zeit ab 4. Oktober 1990 ein Vollrecht erwarben (Zugangsrentner). Während dem Bestandsrentner ein voller Bestandsschutz garantiert wurde, wurde dem Zugangsrentner ein solcher nur limitiert eingeräumt, nämlich nur bei einem Rentenzugang bis zum 30. Juni 1995. Die EinigVtr-konform zu verstehende Ausgestaltung erfolgte zum einen in § 307b SGB VI für am 3. Oktober 1990 “leistungsberechtigte” Bestandsrentner und in § 4 Abs 4 AAÜG für damals nicht “leistungsberechtigte” Zugangsrentner. Im Überleitungsrecht des SGB VI wurde zu Gunsten der Betroffenen (gegenüber EV Nr 9) durch § 307b SGB VI die Zeitgrenze zwischen den Bestands- und Zugangsrentnern vom 3./4. Oktober 1990 auf den 31. Dezember 1991/1. Januar 1992 verlegt; dadurch wurde insoweit auch eine Ungleichbehandlung mit den früher nicht versorgungsberechtigt gewesenen Rentnern des Beitrittsgebiets (§ 307a SGB VI) vermieden. Eine Verschlechterung der durch EV Nr 9 den früher Versorgungsberechtigten eingeräumten subjektiven Rechtsstellung sieht § 307b SGB VI für die zuvor “Leistungsberechtigten” nicht vor. Der Normtext ist im Einklang mit EV Nr 9 zu verstehen.
Der EinigVtr hat nicht nur die Überführung einzelner bestehender Berechtigungen angeordnet, sondern die vollständige Ersetzung des in die bundesdeutsche Rentenversicherung überführbaren Teils des Versorgungsrechtsverhältnisses durch ein rentenversicherungsrechtliches Rechtsverhältnis nach dem Beitrittsgebietsrecht. Jeder, der am 31. Dezember 1991 nach Beitragsgebietsrecht in einem derart überführten rentenversicherungsrechtlichen Leistungsrechtsverhältnis stand und deshalb ein Recht auf eine “überführte Rente” hatte, unterliegt in vollem Umfang dem Schutz der Regelung des EinigVtr und ist deshalb “Bestandsrentner” auch iS von § 307b SGB VI. Bei der Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 307b SGB VI ist somit allein auf das Bestehen einer “Leistungsberechtigung” (nicht auf das konkrete Stammrecht) abzustellen. Wer Inhaber einer solchen Berechtigung war, war und bleibt “Bestandsrentner”. Demgegenüber war – worauf die Beklagte zutreffend hinweist – vor dem 1. Januar 1992 nicht “leistungsberechtigt”, wer mit einem damals “Leistungsberechtigten” verheiratet war und später wegen dessen Tod Hinterbliebenenrente bezieht (vgl hierzu: Urteil des Senats vom 29. Juli 2004, B 4 RA 45/03 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der früher selbst “Leistungsberechtigte” behält den gesetzlichen Status des Inhabers einer in ihrer Gesamtheit überführten Versorgungsberechtigung. Er kann sich also von einem Bestandsrentner in einen Zugangsrentner nicht etwa nur deshalb “verwandeln”, weil an die Stelle seines bisherigen Stammrechts ein anderes Stammrecht auf Rente tritt. Sein durch Überführung und Überleitung noviertes Rechtsverhältnis besteht vielmehr mit dem vom EV Nr 9 garantierten Inhalt fort.
Vor dem Hintergrund dieser seit BSGE 72, 50 geklärten Rechtslage kam es nicht darauf an, dass der Kläger ab 1. Januar 1992 nach der Novation seines früheren Versorgungsrechtsverhältnisses zunächst ein Recht auf eine Rente wegen EU gehabt hatte, das ab 1. August 1992 durch ein Recht auf Regelaltersrente ersetzt worden war. Seine Rechtsstellung als “Bestandsrentner”, die ihm der EinigVtr zuerkannt hatte, wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Deshalb musste die Beklagte seine im Beitrittsgebiet erbrachte Vorleistung zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung mit Bestandsrentnern, deren Vorleistung nach § 307a SGB VI bewertet wurde, ab 1. Mai 1999 auch nach den Regeln der so genannten Vergleichsrente bewerten. Der höhere der beiden Vorleistungswerte (Summe der EP) ist in die Rentenformel einzustellen und damit der Feststellung des richtigen Rentenhöchstwerts zu Grunde zu legen.
Nach alledem musste die Revision des Klägers Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
NZS 2005, 491 |
SGb 2004, 751 |
SozR 4-2600 § 307b, Nr. 5 |